AUS DEM RUSSISCHEN KULTURLEBEN (ZWEITE FORTSETZUNG) |
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In Berlin
wurde eine Bilderausstellung eröffnet, die Aufsehen erregt. Das
hatte mit Kunst nichts, mit der deutschen und russischen Geschichte
aber viel zu tun. Die Frage hieß : Was hätten
die in den Kriegsjahren 1941- 1945 aus russischen, belorussischen und
ukrainischen Dörfern für die Arbeit in der deutschen Rüstungsindustrie
zwangsrekrutierten Menschen zur Ausstellung
gesagt, hätten sie dies tun können?
Geschwiegen hätten sie zur ausgestellten Mammutsammlung
moderner Kunst jedenfalls nicht.
Denn die superteuren Bilder wurden mit
dem Geld bezahlt, das aus ihrer, bis zum Umfallen harten Arbeit stammte. Einer
Arbeit, die sehr oft zu ihrem frühen Tod oder Verkrüppelung
führte. Weit von der Heimat, von
Verwandten, von allem, was ihnen teuer und lieb war. Während
der Vernissage könnten sie auch den Sammler kennen lernen, der jetzt
seine Kunstschätze der deutschen Metropole für einige Jahren als Leihgabe überlassen
hat. Flick heißt er. Und ist ein Enkel jenes tüchtigen Rüstungsindustriellen,
der die Hitlerwehrmacht mit
modernen Waffen belieferte und dadurch
mitbefähigte, zwischen 1939- 1945 fast
das ganze Europa zu besetzen. Einschließlich
die Ukraine, Belorussland und einen beträchtlichen Teil Russlands,
nach der Eroberung die
unfreiwilligen Lieferanten jener Arbeitskräfte geworden, die fast nichts
kosteten. Der Sklaven des XX.
Jahrhunderts.
Selbstverständlich
kann der Enkel nichts dafür, wie der Opa das
Geld zusammenscheffelte. Bei
der Eröffnungsfeier wurde ihm dies auch bescheinigt. Die Worte der Anerkennung,
die dabei
an ihn gerichtet wurden, hatten ihre Berechtigung, weil er den Nachlass
nicht verprasst, sondern in Kunstwerke angelegt hat.
Und es den Kunstfreunden jetzt sogar ermöglicht, diese in Augenschein zu
nehmen.
Ob
es die Arbeitssklaven mit den Flicks versöhnt hätte, ist schwer zu sagen. Aber
sie fänden es gewiss nicht überflüssig,
die Besucher der Ausstellung darüber aufzuklären, wie das Geld für die
Bilderkäufe einst zusammenkam. Und vielleicht
über der
Arbeitssklaven trauriges
Schicksal auch.
Aber
der Erbe Flick wollte es nicht. Dem Vernehmen nach hat er sich
auch vor Jahren keinesfalls besonders großzügig erwiesen. Damals ging
es um die Entschädigung der noch lebenden, ehemaligen
Zwangsarbeiter. Andere Erben der
von der Sklavenarbeit reich gewordenen Industriellen
spendeten, er kaum.
Aber
genug von der Politik. Wenn wir uns der Kunst zuwenden, muss die Vermutung geäußert
werden, die erwähnten, in den Flickschen Rüstungsbetrieben zu Tode geschundenen
Mädel und Burschen wären von den
ausgestellten Werken nicht unbedingt begeistert.
Nicht auszuschließen sogar, dass
sie vor manchen der Kunstobjekte
ganz unkultiviert gespuckt hätten. Denn sie hielten noch die Abbildungen
gewisser Körperteile für
anstößig. Im Unterschied zu heutigen
Kunstfreunden, die sich an den Bildern erquicken. Und es in Ordnung finden, dass
die Kunst oder auch
Pseudokunst für Geld erworben
wurde, an dem das Blut und der Schweiß der Arbeitssklaven klebte. So ändern
sich die Zeiten und mit ihnen die ästhetischen und ethischen Ansichten der
Zeitgenossen.
22.9.04
In
Berlin fand eine bemerkenswerte Ausstellung statt.
Die
Ausstellung ist dem Andenken Friedrich Joseph Haass gewidmet, in Russland
Fjodor Petrowitsch Gaaz genannt, einem deutschen Arzt, bei seinen russischen Zeitgenossen als der heilige Doktor von
Moskau bekannt. Wie viele deutsche Fachleute im 19. Jahrhundert kam er nach
Russland, um hier Geld zu verdienen. Aber daraus wurde nichts. Denn seine ganzen
Arzthonorare samt dem aus der Heimat mitgebrachten Vermögen gab er
Hilfsbedürftigen. Vor allem denen aus dem Milieu
der Strafgefangenen brachte er Mitleid
entgegen. Als Chefarzt mehrerer Moskauer Kliniken sorgte er dafür, den kranken
Häftlingen die beste Behandlung zu
ermöglichen. Auch sonst versuchte
er, den Entrechteten zu helfen. So
setzte er durch, dass die Fuß- und Handschellen, die den Verbannten nach
Sibirien um die Zeit angelegt wurden und ihnen Qualen bereiteten, entweder ganz
abgeschafft oder wenigstens durch
leichtere ersetzt wurden.
Da
unter den einfachen Russen die Strafgefangenen schon immer
als die vom Schicksal ins Unglück gestürzten Menschen und nicht als
Verbrecher galten, fand die Barmherzigkeit des deutschen Arztes von dieser Seite
begeisterte Zustimmung. Auch
manche mit Dr. Haass befreundete liberale russische Aristokraten unterstützten
und beschützten ihn. Aber unter den
hochgestellten Beamten der Zarenregierung traf er oft auf
Missgunst und Misstrauen. Seine aufopfernde Sorge um die Strafgefangenen
hielten diese für unangebracht, sogar schädlich. Darunter waren auch
Deutsche, die hohe Posten in der Administration innehatten.
Dr.
Haass ließ sich aber nicht entmutigen. Als der orthodoxe Metropolit von Moskau
in einer Sitzung versuchte, ihn mit
dem Spruch abzukanzeln, es gäbe keine unschuldigen Strafgefangenen, ein
Verurteilter sei immer schuldig, konterte
der Unerschrockene mit der Replik, dass der Metropolit wohl
den Heiland im Himmel vergessen hätte. Der Geistliche stutzte,
schwieg und sagte dann, nicht er
habe Jesus vergessen, sondern der Gottessohn habe ihn wohl in dem Augenblick
vergessen, als er die dumme Behauptung wagte. Als Dr. Haass starb, erlaubte der Metropolit, der die Seelengröße
von Dr. Haass inzwischen erkannt hatte, für
den Katholiken ausnahmsweise orthodoxe
Todesgottesdienste zu
halten.
In
Russland gelten dem Lebenswerk von Dr. Haass
mehrere Bücher und viele Medienberichte. In Deutschland ist er leider
weniger bekannt. Es bleibt zu hoffen, dass die Ausstellung im Ribbekhaus zu
Berlin, die mit Unterstützung der Rudomino- Bibliothek und mehrerer Archive in
Moskau zustande gekommen ist, einen Beitrag dazu leistet,
dieser großartigen Persönlichkeit auch in seiner Heimat mehr Beachtung
zu verschaffen.
21.10.04
In
der Staatsoper Unter den Linden, Berlin,
fand eine bemerkenswerte Premiere statt. Aus zwei Gründen ist sie durchaus
bemerkenswert. Erstens, weil die neue Aufführung
die deutschen Kunstfreunde mit einem russischen Komponisten vertrauter
macht. Mit Igor Stravinsky, der es
zweifelsohne verdient, auch viele Jahrzehnte nach seinem Tod gewürdigt zu
werden. Am Anfang des XX.
Jahrhunderts zusammen mit gleichgesinnten und kongenialen russischen
Theatermachern in Europa bejubelt, geriet er später so gut wie in
Vergessenheit. Vor allem in seiner Heimat, in Russland,
zur Sowjetunion geworden. Die sowjetischen
Kulturpolitiker hatten
nämlich für seine, etwas kapriziös gestaltete Anlehnung an die russische
Volklore nichts übrig. Seine Werke
legten Zeugnis ab von einem
russischen Volk, das mit der Ideologie des russischen Kommunismus
kollidierte. Denn der Komponist und seine Mitstreiter auf der Opern- und
Ballettbühne schätzten vor allem den unversiegbaren Witz und die Fröhlichkeit
der Russen, die im Innern ihrer Seelen dem
Pathos der kommunistischen Welterlösungsideologie fernblieben. So mussten
die Stravinsky- Schöpfungen, darunter die jetzt in Berlin zur Aufführung
gelangten Balletts „Der Feuervogel“ und „Le Sacre du Printemps“ im
Repertoire des Bolschoi und anderer staatlicher Bühnen den pompösen Schinken
Platz machen, wo die Russen, die sich selbst nie besonders wichtig nahmen, quasi
auf Stelzen dargestellt wurden. Vor diesem Hintergrund ist der Staatsoper unter
den Linden dafür besonders zu
danken, dass sie ihr Scherflein zur Wiederbesinnung auf Stravinsky als Interpret
des russischen Nationalcharakters leistet.
Der
andere Grund, warum die neue Premiere der Staatsoper
beachtenswert ist, hängt mit den inneren Vorgängen in der Berliner
Theaterwelt zusammen. Wie andere hiesige Kultur- und Kunstinstitutionen
leidet das anspruchsvolle und deshalb auch kostspielige Theater an Geldmangel, was seinerseits an
den leeren Kassen der deutschen Kulturförderung hängt. Zwar genießt
die Staatsoper, die sich nach der Wiedervereinigung des Landes in die
Weltelite der Opern- und Ballettbühnen emporgearbeitet
hat, große Anerkennung beim
internationalen Publikum. Deswegen wimmelte es nicht nur am ersten
Premiereabend, sondern auch am zweiten, den Ihr Korrespondent besuchen durfte, im Parterre von Gästen aus vielen Herrgottländern. Aber
heutzutage ist auch die ständig ausverkaufte
Opern- und Ballettbühne auf Zuschüsse angewiesen. Diese
werden aber in Deutschland rundum gekürzt, wobei die Staatsoper leider
nicht ausgenommen wird.
Unter
diesen Umständen musste die Staatsoper ihre
Ressourcen mit anderen Berliner
Operntheatern zusammenlegen. Vor allem dadurch, dass die Balletttruppen
fusioniert wurden. Wer leitet nun das daraus entstandene Ensemble? Der
fulminante russische Tänzer Wladimir Malachow. Abgesehen davon, dass die
russischen Sänger und Tänzer in den Spektakeln der Staatoper
auch sonst mehr Rollen als
die anderen Ausländer besetzen, ist es ein erneuter Beweis für die
Bereicherung des Kulturlebens
Deutschlands und vor allem seiner Hauptstadt
durch den Zustrom urwüchsiger russischer Talente. Ein Beweis, der an die
Zeiten denken lässt, als Stravinsky und seine Mitstreiter ihren triumphalen Zug
über die besten Bühnen der Welt absolvierten. An
Zeiten, die trotz der Exzesse der Geschichte wiederzukommen scheinen. Zur
Freude aller Freunde der echten Kunst.
5.10.04
In
der Berliner Komischen Oper gab es prominente russische Gäste.
Sie
heißen Rodion Schtschedrin und Maja Plissezkaja. Der erstgenannte ist ein in
Russland sehr beliebter Komponist. Viele halten ihn für den Erben des weltberühmten
Dmitri Schostakowitschs. Seine Ehefrau, Maja Plissezkaja, hat als Primadonna des
Bolschoi Theaters viele Jahre die Geschichte des russischen Balletts
mitgeschrieben.
Das
Publikum, darunter in Berlin
lebende Russen, bereiteten den beiden Stars einen herzlichen Empfang.
In
dem vom Generalmusikdirektor der Komischen Oper, Kyrill Petrenko, dirigierten
Konzert erklang ein Werk von Schtschedrin, das sehr gut mit den Prioritäten
dieses renommierten Hauses korrespondierte. Es heißt „Alte russische
Zirkusmusik“. Wie viele Schöpfungen Schtschedrins ist es in der Nähe der
russischen Musikfolklore angesiedelt. Und
zwar in jener Sparte, die dem
deutschen Publikum weniger als die meist melancholischen Bauernchöre bekannt
ist. Hier kommt das Scherzhafte,
Drollige, unversiegbar Fröhliche der russischen Seele zum Ausdruck.
Kyrill
Petrenko ist wie kein anderer für die Vermittlung dieser Art der russischen
Musik geschaffen. Nicht nur wegen der temperamentvollen und einfühlsamen
Interpretation, sondern auch durch seine Gestik und Mimik am Dirigentenpult.
Er bewältigte seine Aufgabe mit Bravour.
Auch im zweiten Teil des Konzerts, als er eine Gustav- Mahler- Sinfonie
dirigierte.
Hier
sei zu erinnern, dass die Komische Oper seinerzeit im sowjetischen
Besatzungssektor der zerbombten deutschen Metropole ins Leben gerufen wurde. Und
zwar, um die vom Schrecken des Zweiten Weltkrieges schwer mitgenommenen Berliner
aufzumuntern. In den letzten Jahren wurden hier Vertonungen der scherzhaften Märchen
vom russischem Nationaldichter, Alexander Puschkin, und andere dem Genre des
Theaters gerechte russische
Musikwerke, wie die Liebe zu drei Orangen von Sergei Prokofjew, zum Besten
gegeben. Jetzt erklingt hier auch andere Opernmusik. So
in wenigen Tagen
Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“. Angekündigt ist auch ein
Neujahrskonzert, in dem Petrenko
fast die ganze Riege der klassischen russischen Komponisten des XIX.
Jahrhunderts unterbringt.
Eine musikbeflissene Berlinerin bemerkte schmunzelnd, die
Komische Oper trete wohl in Wettbewerb mit der Staatsoper Unter den
Linden. Sie meinte die in der Staatsoper unter Mitwirkung vom fulminanten Chef
der Balletttruppe, des russischen Tänzers Wladimir Malachow aufgeführten
Ballette von Strawinsky. Nun,
sollte diese Vermutung stimmen, hätten Freunde der russischen Musik, ob
Deutsche oder Russen,
sicherlich nichts dagegen. Unter der Bedingung allerdings, dass die von
den deutschen Musiktheatern dankenswerterweise engagierten russischen Künstler
bei der verständlichen Zuneigung für die russische Musikkultur die deutschen
und andere Komponisten nicht vernachlässigen. Aber das ist wohl nicht zu befürchten.
Die von Petrenko mit Glanz interpretierte Mahlers Sinfonie , sowie
die im selben Konzert angebotene Suite aus amerikanischen, italienischen, armenischen,
aserbaidschanischen und anderen Folk Songs
legten dafür ein Zeugnis ab.
6.11.04
Das
Merkwürdige einer neuen Ausstellung
im Berliner Martin-Gropius-Bau besteht darin, dass sie nicht aus Russland,
sondern aus Griechenland kam. Denn es ist eine Bilderausstellung der russischen
Avantgarde. Und zwar vielleicht die größte, die je in Deutschland zu sehen
war. Gezeigt werden Meisterwerke aus der Sammlung Costakis.
Die
Entstehungsgeschichte der Sammlung ist recht abenteuerlich. Sie fing damit an,
dass ein Moskauer Privatsammler sich entschlossen hat,
die Werke der russischen künstlerischen Avantgarde
zusammenzutragen. Es war noch zur Zeit
als diese Kunstrichtung
in Russland verfemt war.
Zwar war sie von der
überschäumenden Kreativität
der Revolution 1917 in
Russlands inspiriert, aber die
an die Macht gebrachten und sonst sehr radikalen Revolutionäre frönten
dem spießigen Kunstverständnis.
Deshalb verweigerte der Sowjetstaat den Anhängern der Avantgarde jedwede
Förderung. Die Künstler durften nicht ausstellen. Sie konnten ihre Werke nicht
verkaufen. Die meisten nagten am Hungertuch.
So
gelang es dem Sammler George
Costakis, den Avantgardisten oder
ihren Angehörigen die Meisterwerke
für wenig Geld abzukaufen. Der mit einem besonderen Riecher für die moderne Kunst und mit
unheimlicher Energie ausgestattete Fahrer der griechischen Botschaft in Moskau
brachte es ziemlich schnell zu
einer Sammlung , die ihresgleichen
sucht. Sie schloss die Werke ein, die
jetzt auf Auktionen
schwindelerregende Preise erzielen würden.
In
den späten siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts schenkte Costakis einen
Teil seiner Schätze der Tretjakow- Galerie in Moskau. Er tat es
schweren Herzens, aber anders wäre die Genehmigung nicht zu erhalten,
den Grundstock der Sammlung ins Ausland zu bringen. Nach einer Odyssee
landete die Kollektion im Land der Vorfahren des Sammlers. Dankeswerterweise
sorgte die griechische Regierung, die sie für mehrere Millionen Euro in den
staatlichen Besitz brachte,
für ihre Unterbringung in dem extra dafür eingerichteten Museum in
Thessaloniki . Dieses schickt nun
die Schlaglichter der Sammlung
in die weite Welt.
Einen
Russen plagen beim Besuch der Ausstellung im Gropius-Baus
widersprüchliche Gefühle. Einerseits ist
er stolz darauf, dass seine Landsleute im XX. Jahrhundert der Weltkunst
den Weg zu neuen Horizonten
gewiesen haben. Andererseits empfindet er wohl nicht weniger verständlichen Ärger
darüber, dass die beste Sammlung
der russischen Avantgarde weit von ihrem Ursprungsland ein
Zuhause suchen musste.
Aber
das Letztere ist keine Ausnahme in der Geschichte. Aus verschiedenen Gründen
wanderten Kunstsammlungen oft über die Grenzen der Länder, wo sie zustande
kamen. Trotzdem erfüllen sie , wenn sie nicht
in den Villen der Milliardäre verschwinden, sondern der kunstbeflissenen Öffentlichkeit
zugänglich sind, ihre Bestimmung.
In
der Komischen Oper, Berlin, wurde die selten aufgeführte Urfassung der Oper „Lady
Macbeth von Mzensk“ inszeniert. Dieses Werk von Dmitri Schostakowitsch
erfuhr in der Sowjetunion der frühen dreißiger Jahre des vorigen
Jahrhunderts eine seltene Ehre. Es wurde von Iossif Stalin höchst persönlich
verboten. Wegen des Librettos. Es
ist eine Geschichte aus dem alten
Russland. Sie erzählt von einer
jungen Kaufmannsfrau, die gegen die Haustyrannei
rebelliert. Dabei ermordet
sie ihren Schwiegervater und
ihren Ehemann.
Der
Zufall wollte, dass um die Zeit der
ersten Aufführung der Oper Stalins
Frau gewaltsam sterben
musste. Sie wurde vom Ehemann,
vermutlich aus Eifersucht, in den Tod getrieben, wenn nicht sogar getötet. Man
kann deshalb verstehen, dass die Oper
Stalin auf die Palme brachte.
Allerdings
konnte der Grund des Verbots auch darin gelegen haben, dass das Sujet,
von Schostakowitschs Musik mit ungeheurer
Kraft aufgeladen, als Parabel
jeglicher Unterdrückung aufgefasst wurde. Als Mahnung daran, dass
Unterdrückung zu Rebellion führt.
Weil ihr Opfer, in die Enge
getrieben, zu Gewalt greift.
Der
Rezensent einer Opernaufführung sollte
aber wohl nicht nur über das
Sujet, sondern auch und vor allem über die musikalische Interpretation
schreiben. Und da muss ich passen, weil ich einfach keine Worte finde, um
diese Aufführung gebührend zu würdigen. Hier stimmte alles. Auch die gewagte
Verbindung der Tragödie, die so wie sie auf die Bühne der Komischen Oper
gebracht wurde, antike Züge trägt, mit Elementen des Klamauks, was bekanntlich
dem antiken Theater auch nicht fremd war.
So
hat die Komische Oper, Berlin, wieder eine hervorragende
Leistung gebracht. Übrigens wurde
sie in den ersten Nachkriegsjahren mit Unterstützung
der sowjetischen Militäradministration gegründet. Diese hielt es für ihre
Pflicht, nicht nur für Lebensmittelzuteilungen, sondern auch für die geistige
Kost, wenn auch nach Rezepten der ideologischen Küche zubereitet,
im ruinierten Berlin
zu sorgen. Nach der deutschen Wiedervereinigung
zeigte es sich, dass dieses
Theater zu den Weltbesten seines Genres gehört.
Und
last, not least. Als
ich in der Komischen Oper saß,
ging in Berlin die internationale Konferenz „Europa eine Seele geben“ zu
Ende. Im Konferenzsaal waren viele europäische Länder vertreten,
Russland aber nicht. Wenn die Abwesenheit Russlands darauf hindeutet,
dass die Seele, die Europa gegeben
werden soll, von Russland nicht
mitgestaltet werden darf, ist es traurig.
Denn die europäische Seele wird dadurch nicht schöner.
Auch daran dachte ich im Zuschauerraum der Komischen Oper , als dort die
Oper von Schostakowitsch lief. Meisterhaft vom in Russland großgewordenen
Vassily Sinaisky dirigiert.
29.11.04
Viel
besucht wurde die im Berliner Gropiusbau veranstaltete Ausstellung „Der
Moskauer Kreml“.
Ein
Deutscher, der keine Gelegenheit hatte, den Moskauer Kreml
in natura zu sehen, kennt ihn vorwiegend als ein in den Medien immer
wieder verwendetes Kodewort für die russische
Staatsmacht. Ähnlich den entsprechenden Ortsbezeichnungen in den Metropolen
anderer europäischer Staaten. Viel weniger
ist der Kreml in Deutschland als ein unikaler Stadtteil der russischen
Hauptstadt bekannt, reich an architektonischen und anderen Zeugnissen der
wechselvollen Geschichte Russlands.
Die
Ausstellung im Berliner Gropiusbau, die erste ihrer Art in Deutschland,
nimmt der Residenz der höchsten Staatsämter Russlands den Schleier des
Geheimnisses. Der Besucher erlebt hier den
Kreml, dessen Geschichte so alt ist wie die Moskaus, im Wandel der
Jahrhunderte. Von der mit einer noch primitiven Wehrmauer umgebenen Siedlung auf
einem Hügel am Moskwa- Fluss bis zur prachtwollen, nach dem Winterpalais in
Sankt -Petersburg zweiten
Residenz der gekrönten Herrscher Russlands.
Eines Reichs, das sich über zwei
Kontinente, Europa und Asien, ausdehnte
und die Geschicke der Welt maßgeblich
beeinflusste.
Die
mit Kunstwerken aller Art
bestückte Exposition vermittelt dem Besucher den Eindruck, dass die
russischen Zaren nicht nur mitunter ziemlich rücksichtslos
herrschten, sondern auch einen Nerv für Kunst besaßen. Jedenfalls
dokumentieren die Exponate jene Eigenart der russischen Zivilisation, die über
alle das Reich erschütternden inneren Katastrophen und äußeren Bedrohungen
hinweg, bis Heute erhalten blieb. Wie der sprichwörtliche Phönix aus der Asche
entstand sie immer wieder nach den für Russland schlimmen Zeiten, obwohl
ihre Missgönner glaubten, es wäre
mit ihr endgültig vorbei.
Aber
auch etwas anderes dokumentiert die Ausstellung. Es ist die tiefe Verbundenheit
Russlands mit der christlichen Ästhetik und Ethik und mit der gesamten europäischen
Kultur, vor allem in ihrer deutschen Ausprägung. Kein Wunder, da in den Adern
der in Russland herrschenden Dynastie, spätestens
nach der Inthronisierung einer Zerbster
Prinzessin, die als Katharina die Große bekannt wurde, immer mehr
deutsches Blut floss und deutsche Fachleute
in trauter Gemeinschaft mit ihren russischen Kollegen viel zur
Gestaltung des Kreml beigetragen
haben.
Das
Konzept der Ausstellung im Gropiusbau wurde noch vor Jahren als ein Teil
des internationalen Projekts „Russland und der Westen. Die Beziehung über
Jahrhunderte hinweg“ erarbeitet. Die Veranstalter erinnern sich gerne daran,
dass zu den Initiatoren ein deutscher Politiker namens Gerhard Schröder, damals
niedersächsischer Minister- Präsident, gehörte, inzwischen als Kanzler der
Bundesrepublik Deutschland ein häufiger und gern gesehener Gast im Moskauer
Kreml.
23.7.04
VOR
ZEHN JAHREN SIND SIE GEGANGEN...
Es
passiert in der Geschichte nicht oft, dass zehn Jahre ausreichen,
um die tief verinnerlichten Ansichten der Menschen grundsätzlich zu ändern.
In dem Falle ist es aber so. Der fast fünfzigjährige Aufenthalt der Westgruppe
der sowjetischen Streitkräfte in Ostdeutschland, der seinerzeit,
wenn nicht normal, dann
mindestens als unausweichlich hingenommen wurde, erscheint heute als Nonsens.
Dieser Nonsens war aber ein Teil der absurden Welt,
gespalten, tief verstrickt
in politische, wirtschaftliche und
ideologische Auseinandersetzungen, zitternd vor der Gefahr eines globalen militärischen
Zusammenstosses. Die Welt des Kalten Krieges,
dessen Front mitten durch Deutschland ging.
Sehr
viel musste sich in dieser Welt ändern,
damit die russischen Truppen und die Truppen der Westalliierten
Deutschland verlassen konnten.
Die
letzteren bekanntlich nicht ganz, zu einem beträchtlichen Teil sind sie
geblieben, aber das ist die souveräne Entscheidung Deutschlands, das besser
wissen muss, was seiner Sicherheit bekommt. Die russischen Soldaten mussten aber
vollständig wegziehen. Ihre Freude dabei war mäßig. Nicht weil ihnen die
Wacht an der Elbe mit dem Gewehr bei Fuß gefiel. Vielmehr weil sie es in
Deutschland besser hatten als in
der durch permanente Krisen erschütterten Heimat, wo sogar
für ihre angemessene Einquartierung
nicht genug gesorgt werden konnte.
Aber
auch das ist Vergangenheit. Nicht spurlos vergangen sind dagegen die
Erfahrungen, die in den Nachkriegsjahrzehnten viele Ostdeutsche und
junge russische Männer in Militäruniform
miteinander gemacht hatten. Es waren leider nicht immer die besten
Erfahrungen, aber wirklich schlimm waren sie
selten. Zumeist trafen sich die Ostdeutschen und die Russen auf Konzerten der
Armeeensembles, auf den Feldern, wenn die Soldaten als Erntehelfer angefordert
waren, und zu anderen von
oben gestatteten Anlässen.
Oft
kamen sie auch privat
zusammen, halb heimlich, aber immerhin. Zum Beispiel
in Kneipen, wo der
Tauschhandel- etwa eine sowjetische Uhr gegen eine Dederon -Bluse für das
Liebchen in der Heimat- florierte.
Übrigens
dokumentiert den Alltag der Westgruppe in Deutschland eine Ausstellung, die im
Berliner Willi- Brandt-Haus eröffnet.
Sie zeigt die von dem deutschen Künstler Paul Pfarr gesammelten
Erinnerungstücke. Nach dem Abzug der russischen Soldaten suchte er die
Orte ihrer Stationierung auf und spähte unter
Zurückgelassenem nach Bemerkenswertem,
um dieses der Nachwelt zu erhalten.
Er
kalkulierte richtig. Aus der Distanz der Zeit mutet der Aufenthalt der etwa
500.000 russischen Militärangehörigen samt ihrer Familienmitglieder in
Ostdeutschland wie ein Sonderkapitel des deutsch-russischen Zusammenlebens
an. Zwar unter anomalen Umständen,
trotzdem aufschlussreich für beide
Völker und aus ihrem Gedächtnis nicht tilgbar.
15.8.04
In
Deutschland wurde der 100. Todestag des großen russischen Dichters Anton
Tschechow mit vielen Veranstaltungen begangen. Die auflagenstarke deutsche
Illustrierte „ Stern“ bescheinigte dem
in Badenweiler verstorbenen
russischen Dichter seine
„Wiederentdeckung“ in Deutschland. Aber darüber hinaus darf man wohl über
die Wiederentdeckung der gesamten
russischen Kultur in Deutschland
sprechen. Denn allmählich gewinnt sie, von ideologischer Verkrustung der
Sowjetzeit befreit, in Deutschland das Terrain wieder, das sie in den besten
Zeiten der beiderseitigen Beziehungen hatte.
Vielleicht bildet sie allmählich
sogar ein Gegengewicht zum derzeitigen Monopol
meistens aus Übersee importierter
Popkultur, die eigentlich der deutschen Kulturtradition ziemlich fremd
ist.
Jedenfalls
merkt man, dass hiesigen Menschen die Nähe der russischen und deutschen Kultur
bewusster geworden ist. Zum großen Teil kommt
es aufs Konto der intensiven Kulturbegegnungen der letzten Zeit. Ihr Programm,
von der deutschen und russischen politischen Führung initiiert und abgesegnet,
ermöglichte dem hiesigen Publikum in anderthalb Jahren mehr russische Kunst-
und Literaturwerke zu erleben, als es in einem viel größeren Zeitraum davor
der Fall war. Wenigstens was die alten Bundesländer angeht. So erweist sich das
Projekt immer deutlicher
als Erfolg. Es erreicht sein Hauptziel, die Menschen in beiden
Länder für die Affinität beider Kulturen zu sensibilisieren.
Vor
diesem Hintergrund ist zu verstehen, warum der 100. Todestag Tschechows so
begangen wurde, als wäre er kein russischer, sondern ein deutscher
Dichter. Allerdings gehören auch seine Werke
zu jenem Kulturschatz, der
viele Deutsche, insbesondere der älteren Generationen,
mitgeprägt hat.
Darauf
wiesen die Teilnehmer der
Veranstaltung in Badenweiler hin , an der 1500 geladene und viele andere Gäste
teilnahmen, darunter eine repräsentative
russische Delegation. Die Mitglieder der letzteren stellten übrigens
wahrheitsgetreu fest, dass das Schaffen der
deutschen Dichter wie Goethe, Heine oder Thomas Mann
zu einem integrierten Teil
der russischen Zivilisation geworden ist. Viele zeitgenössische Kulturträger
aus Deutschland werden es auch. Und es hat
nicht mit einer Überfremdung zu tun, weil es hier nicht um eine mit übermäßiger
Werbung aufgedrängte modische Pseudokulturware, sondern um ein humanistisch
wertvolles Kulturgut geht. Es verdrängt die nationale Kultur nicht, sondern
bereichert sie.
So
haben auch die Veranstaltungen zum
100. Todestag des in Badenweiler verstorbenen russischen Dichters einer Sache
gedient, die Tschechow, der mit Politik nicht viel am Hut hatte , trotzdem
gutgeheißen hätte. Gemeint ist die
Partnerschaft zwischen Deutschland und Russland, die sich nicht nur im
Kulturleben, aber auch im Kulturleben entfaltet
und damit den Menschen in beiden Ländern
immer näher kommt. Den Menschen, die Tschechow wiederentdecken.
16.7.04
Im
Weimarer Belvedere ist die
Ausstellung „Maria Pawlowna. Die Zarentochter am Weimarer Hof“ zu sehen.
Maria
Pawlowna, mit dem Mädchennamen Romanowa,
ist eine Person der gemeinsamen russisch-deutschen Geschichte, die
sehr lebendig die tiefe Verbundenheit der russischen und deutschen Kultur
repräsentierte. Genau vor zweihundert Jahren vermählte sich diese Großfürstin
aus dem russischen Herrscherhaus mit
Carl Friedrich Erbprinz von Sachsen-Weimar-Eisenach. Es war eine dynastische
Eheschließung wie viele damals, insbesondere zwischen den
Romanows und den ihnen verwandten und verbündeten
deutschen Fürstengeschlechtern. Bekanntlich
führte Mitte des 18.Jahrunderts
eine ähnliche Vermählung die
Zerbster Prinzessin, später unter dem Namen
Katharina die Große weltbekannt geworden, an die Newa.
Allerdings
gestaltete sich der Einzug von
Maria Romanowa in Weimar etwas anders als der ihrer verhältnismäßig
armen, zukünftigen Oma
in Sankt Petersburg. Die Großfürstin erschien in der Residenzstadt des
deutschen Kleinstaates mit einer
Mitgift, die für ihren
Transport viele Dutzende
Pferdewagen benötigte und von einem Bataillone Kosaken bewacht wurde. Noch
Jahre danach sorgte ihr Einzug in Weimar für
Bewunderung und Neid an anderen deutschen Fürstenhöfen. Aber noch mehr
Anerkennung, auch außerhalb Deutschlands, fand die Art und Weise, wie die
frischgebackene Gemahlin
eines ziemlich farblosen Weimarer Fürsten ihren Reichtum nutzte. Und zwar so, dass es nicht nur ihren neuen
Untertanen, sondern ganz Deutschland
zugute kam. Denn sie unterstützte großzügig die Kunst und Bildung in
ihrer neuen Heimat, wobei sie nicht nur
eine große Spendierfreude, sondern auch viel Sachkenntnis an den Tag legte. Es
ist keine Übertreibung zu sagen, dass ohne Maria Paulowna, wie sie in
Deutschland genannt wurde, Weimar kein Weimar geworden wäre. Also keine Stadt, wo jeder
begabte Schriftsteller, Maler und Komponist, angefangen von den Dichterfürsten
Goethe und Schiller, mit der großzügigsten Förderung rechnen konnte.
Die
Ausstellung im Schloss Belvedere,
wo Maria Paulowna ein langes und erfülltes Leben führte, bezeugt nicht
nur die Pracht, die mit ihr am Weimarer Hof einzog, sondern vor allem ihre
umfassende europäische Bildung und ihren einwandfreien Geschmack. Die mit viel
Mühe zusammengetragenen Exponate lassen den Besucher den hellen Geist dieser
Russin , ihre zutiefst freundliche Einstellung zu ihrer neuen Heimat, aber auch
ihre das ganze Leben währende Liebe zum Herkunftsland erraten.
Es
hatte schon viel Sinn, dass sich der russische Präsident Putin und der deutsche
Kanzler Schröder während eines im Rahmen des Petersburger Dialogs
stattgefundenen Treffens in Weimar an
Maria Paulowna erinnerten. Sie verdient tatsächlich einen ehrenvollen
Platz in der Reihe der Protagonisten
jener Annäherung zwischen Deutschland und Russland, die in unseren Tagen
stattfindet.
23.7.04
SCHWYDKOI-
EIN KUNSTSCHMUGGLER??? QUATSCH!
Im Runet
tauchten Berichte auf, wonach der ehemalige,
im Zusammenhang mit der jüngsten Regierungsumbildung in Moskau ehrenvoll
auf einen anderen Posten verschobene Kulturminister Russlands womöglich
an ungesetzlichen Transaktionen von
Kunstwerken ins Ausland nicht ganz unbeteiligt sei.
Jedenfalls soll
festgestellt worden sein, dass seine Gemahlin sich dessen schuldig
gemacht hätte, indem sie die Dienste eines zwielichtigen Moskauer Antiquitätenladens
in Anspruch nahm. Eine Ermittlung, um
mehr Licht in die Angelegenheit zu
bringen, sei bereits eingeleitet worden.
Die gegen
Michail Schwydkoi schiessenden Runetseiten nahmen die Berichte zum Anlass, über
das rätselhafte Verschwinden von Millionenwerten aus russischen Museen zu
jammern. Am laufenden Band kämen
Glanzstücke der Sammlungen abhanden. Manche tauchten
auf westlichen Kunstauktionen auf.
PS. Darauf
angesprochen, äußerte unser Kunstexperte, Iwan Matrjoschkin, Esq.:
Es kann überhaupt
nicht stimmen, dass der joviale, witzige, kunstbeflissene Mann, oft in
Deutschland gewesen, ein Kunstschmuggler ist. Niemals! Blanker Unsinn!
Allerdings war Michail Schwydkoi in Deutschland vielleicht beliebter als in
Russland. Weil er zu versichern
pflegte, er stehe voll und ganz hinter dem deutschen Verlangen, endlich die
sogenannte „Beutekunst“ zurückzuerhalten. Verständlicherweise hielten
deutsche Kunstfreunde auf seine in diese Richtung zielenden Aktivitäten große
Stücke. Immerhin ein zuständiger
Minister! Dagegen nahmen Betonköpfe
in der Staatsduma Russlands ihm die
Haltung sehr übel. Denn sie fordern von Deutschland, dass es die durch den Krieg 1941-1945 verursachten Schäden an
russischen Kulturgütern begleicht.
Die
„Beutekunst“ betrachten die „Betonköpfe“ als
Faustpfand. Die Engherzigkeit ist schwer zu glauben...
Die besonders
Uneinsichtigen regten mehrmals den
Rücktritt Schwydkois an. Jetzt, als der deutschfreundliche Mann seinen Posten
tatsächlich räumen musste, trachten sie vermutlich danach, ihm den Rest zu
geben. Übrigens sind die staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen Schwydkoi und
Ehefrau auf Ersuchen eines
Dumaabgeordneten eingeleitet worden.
Wie dem auch
sei, bringt die Affäre den ersehnten
Zeitpunkt der Rückgabe der am Ende des Krieges und in der ersten Nachkriegszeit
in die Sowjetunion verlagerten deutschen Kunst- und Kulturgüter nicht näher.
Erst recht nicht, wenn die schleichende
Entwendung der Schmuckstücke aus den russischen Kunstsammlungen tatsächlich
stattfindet. Denn es ist wohl nicht anzunehmen, dass gerade die deutschen Schätze
von Kunstdieben verschont bleiben.
Wenn man die
der Gattung Mensch eigene Undankbarkeit kennt, schließt man übrigens weitere
giftige Angriffe gegen Schwydkoi nicht aus.
Vielleicht wird ihm eines Tages sogar vorgeworfen, die Deutschen mit der
falschen Hoffnung, die „Beutekunst“ würde von selbst zurückkommen,
besänftigt zu haben.
Der nette
Partner der deutschen Kulturbeauftragten, Christine Weiss! Es war eine Freude,
die beiden zusammen, vor gegenseitiger Sympathie strahlend, in Berlin zu
erleben...Jetzt ist es wohl passe. Kaum noch Hoffnung, das
letzte Hindernis auf dem Weg der vertrauensvollen Freundschaft zwischen
Deutschland und Russland würde demnächst ausgeräumt... Schade!
Schwydkoi, der
immer wieder Kopf und Kragen riskierte, um nach Deutschland das zurückzuführen,
was den Deutschen gehört, darf aber nicht in Vergessenheit geraten... Es wäre
vielleicht an der Zeit, vorausschauend um ein Ehrenasyl für ihn in Deutschland
nachzudenken. Im Konzern „matrjoschka-online.de ist er übrigens immer
willkommen.
1.6.04
Ich
komme soeben von einer Kunstauktion hier
in Moskau zurück. Zur Versteigerung kam Malerei
der Sowjetzeit.
Die
Auktion war ein voller Erfolg. Die
Bietgefechte spielten sich nicht etwa um
Bilder aus jener Aufbruchszeit der Sowjetmacht ab, als sie noch jung und
kreativ war. Nein. Auch und gerade für Schinken der Stagnationsära,
alles andere als kreativ und kühn, bot man Unsummen. Die auf die Leinwand gebrachten muskulösen Kolchosbäuerinnen
bei der Ernte, rotwangige Mädel
und Burschen mit Abzeichen des Kommunistischen Jugendverbandes beim Studium des
Marxismus- Leninismus, vollbusige sozialistische Schwimmerinnen in züchtigen
Badeanzügen... All das, was noch vor wenigen Jahren in die Mülltonnen kam,
wollten die Aufkäufer haben, vor allem die aus dem Westen.
Die
Kunst des sogenannten
sozialistischen Realismus, die eine
heile Welt vortäuscht, ist also wieder in.
Heißt es, dass wir zurückwollen? Ich weiß es nicht. Jedenfalls aber
heißt es, dass wir etwas voreilig ein Kapitel unserer Geschichte für
abgeschlossen hielten, in dem die Wurzeln dieser Kunst liegen. Ein Kapitel, das
ich mit dem Titel eines damals zur Klassik erhobenen Theaterstückes definieren
würde: Die optimistische Tragödie. Eine Tragödie, weil das Blut von unzähligen
Opfern der kommunistischen Gewaltherrschaft floss.
Eine- trotzdem- optimistische
Tragödie, weil der Zeit ein Ideal innewohnte. Eine beglückende Vision. Die
Kehrseite der kaum erträglichen Realität.
Damals
hassten wir, die etwas mehr als das übrige Publikum aufgeklärten
Zeitgenossen, diese Kunst. Wir verschmähten und verspotteten sie. Wir ließen
uns von den Modeströmungen der westlichen Kunst faszinieren.
Von der abstrakten Kunst vor
allem. Jener, die es erlaubte, alles Mögliche in ihre Werke hineinzudenken. Von
den Kunstpäpsten des Sowjetstaates deswegen verboten, erschien sie uns als Höhepunkt
der angebetenen Freiheit.
Jetzt
wenden wir uns vom launischen Spiel
der Farben und Linien auf der Leinwand gelangweilt ab. Es sagt uns nichts. Wir
halten es für die Manifestation
des Chaos. Des Unvermögens, der Welt
einen Sinn zu geben. Vielleicht,
weil die eingekehrte Freiheit zu
einem Tunnel ohne Licht am Ende
wurde.
Zurück
zur Auktion, möchte ich noch erwähnen, dass mir zwischen den langweiligen
Schinken auch ein sehr gekonntes
Bild auffiel. Das wollte ich haben. Ich bot
mit. Aber nicht lange. Denn ein Herr
trieb den Preis in die für mich unerreichbare Höhe.
Nach
der Auktion sagte mir ein Kenner der Szene, der Bieter hätte im Auftrag eines
Oligarchen gehandelt. Jener Neureichen, die zu den Hauptnutzern der viel gerühmten
Systemtransformation in unserem Lande gehören.
Sie
wollen eine heile Welt auf der Leinwand. Eine virtuelle heile Welt , die der
Sicherung der real existierenden Macht dient. Wie ihre Vorgänger, die Kunstpäpste
der Sowjetära, das gleiche
von der Kunst erwarteten.
Trotzdem,
bleib gesund und munter.
Mit
Liebe aus Russland. Dein D.D.
Moskau,
den 4.7.04.
Per
eMail.
Eines
der populärsten Theater Berlins, die Volksbühne am Rosa-Luxemburg- Platz, begeht den
fünfzigsten Jahrestag seiner Wiedereröffnung nach dem Zweiten Weltkrieg.
Die
Neugründung der Volksbühne im Jahre 1954 wurde von der sowjetischen Militäradministration
in Ostdeutschland kräftig unterstützt. Wie übrigens
das Entstehen anderer ähnlicher Einrichtungen, die festen Fuß in der
ostdeutschen Kulturlandschaft fassten.
Allerdings hatte es mit der Volksbühne eine besondere Bewandtnis. Denn
noch in der Weimarer Republik erwarb sie sich den Ruf eines
Avantgardetheaters, das gern provoziert, und zwar nicht nur die Anhänger der
konservativen Theaterkunst, sondern auch das konservative politische
Establishment. So ist anzunehmen, dass die Wiedereröffnung der Volksbühne im
Jahre 1954 nicht ohne
Schwierigkeiten vor sich ging. Insbesondere, weil die Kulturpolitik der
damaligen sowjetischen Führung alles andere als innovationsfreundlich war.
Aber
die Kulturoffiziere der sowjetischen Militäradministration in Ostdeutschland
folgten nicht immer den Befehlen aus Moskau.
Kenner und Freunde der
deutschen Kultur, vor allem der demokratisch- geprägten deutschen Kultur,
riskierten sie oft ihre Karriere, wenn es um die Unterstützung deutscher Künstler
ging. Übrigens bestätigte es jetzt der langjährige Chefregisseur der Volksbühne
Benno Besson, als er im
Zusammenhang mit dem Jahrestag sagte, er konnte seinem künstlerischen Geschmack
auf dieser Bühne fast unbehindert frönen.
Die
Tradition, ein ungewöhnliches Theater zu machen,
vom jetzigen Leiter der Volksbühne, Frank Castorf, etwas modifiziert,
lebt hier bis heute. Was nicht ganz selbstverständlich ist, bescherte sie dem
Theater eine erstaunliche Popularität unter der Berliner Jugend. In
Zeiten, da manch anderes
Theater in Berlin mit Recht über die schwache Akzeptanz des Publikums klagt und
in den Zuschauerräumen vor allem graumelierte Damen und Herren zu sehen
sind, ist das riesige Theaterhaus auf dem Rosa- Luxemburg- Platz fast jeden
Abend gut gefüllt.
Als
ein Fan der russischen Literatur freut
man sich besonders darüber, dass an der Volksbühne auch
russische Stücke mit Erfolg laufen. Sie sind im Spielplan
des Theaters reichlich vertreten. Vor allem Inszenierungen von Dostojewski- Romanen, aber auch viele
andere russische Autoren versucht die Volksbühne ihren Besuchern näher zu
bringen. So Michail Bulgakow mit der Inszenierung von „Meister und
Margarita“ oder Wladimir Majakowski mit „Mysterium Buffo“.
Mögen
die Bühneninterpretationen nicht jedem Geschmack entsprechen und die Vermutung
entstehen lassen, hier wird Originalität um der Originalität willen
angestrebt, auch auf diese Weise kommt die große russische Literatur in
den Sichtkreis der kulturbeflissenen Berliner Jugend.
Aber
spielte denn der große russische Theaterregisseur Wsewolod Meierhold nicht auch
manchmal verrückt ? Wer aber maßt sich heute an, ihm das anzukreiden?
Es
bleibt, dem Theater weitere Erfolge zu wünschen. Auch indem es die Literatur
aus dem Land seiner Wiedergeburtshelfer
weiterhin auf die Bühne bringt.
23.4.04