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UND
ZWAR:
1.Literatur
und Gesellschaft
2.Bildende
Künste
3.Musik
und Bühne
4.Film
5.Lifestil
1.LITERATUR
UND GESELLSCHAFT
DIE
RUSSEN AUF DEM BERLINER LITERATURFESTIVAL
In
Berlin findet das internationale Literaturfestival statt.
Auf
dem Podium zwei aus
Moskau angereiste russische
Prosaautorinnen und ein russischschreibender Lyriker des an der
Wolga beheimateten Volkes der Tschuwaschen. Die
Wortführerin ist eindeutig Tatjana Tolstaja. Auf Anfragen aus
dem Publikum schildert die resolute
Dame, ohne mit Kraftausdrücken zu sparen, den gegenwärtigen
Zustand der russischen Literatur.
Unter
dem Strich ist sie
eindeutig optimistisch. Sie meint, die russische schöngeistige
Literatur ist dabei, ihre Krise zu überwinden. Eine tiefe Krise, die
ursächlich mit der Knebelung
des freien literarischen Schaffens in der Sowjetzeit zusammenhing, aber
nach der Öffnung des Landes vor fünfzehn Jahren durch das Diktat der westlichen Mode
ausgelöst wurde.
Damals
hieß es, man solle um jeden Preis von der ideologisierten und vom Staat
kontrollierten Schriftstellerei
der Sowjetära weg. Als Alternative galt der
Postmodernismus, ein der russischen Tradition fremder Modetrend
im Westen. Seine russischen Adepten
eroberten die Literaturszene, ohne allerdings vom breiten
Publikum akzeptiert zu
werden. Dieses stürzte sich auf
leichtere Kost- die von der sowjetischen Zensur unterdrückte westliche
Trivialliteratur.
Jetzt
kündige sich eine Wende
an, sagte Tolstaja. Ernstzunehmende Autoren begreifen, dass Imitate
nichts mehr als schlechter Literaturersatz
sind. Tiefenwirkung hat originelle, sich ewig erneuernde Dichtung.
Nur sie, im eigenen Land verwurzelt,
dringe in die sonst nicht erfassbaren Geheimnisse der
menschlichen Existenz ein.
Auch
die russischen Leseratten haben es satt, Surrogate zu schlucken.
Allmählich gewinnen sie Geschmack
an Werken, die nicht gleich nach der
Lektüre vergessen werden. Zwar bleibt die Auflagenhöhe echter
Literatur noch niedrig. Ihre Autoren
sind weiterhin auf Hilfe
von Mäzenen, zumeist in Form von Literaturpreisen, angewiesen. Aber
auch das ändert sich.
Der
Große Saal in der Berliner Sophienstraße lauscht aufmerksam. Seine
Stammgäste, vorwiegend Studenten, zeigen sich von der in der Heimat oft
aneckenden Schriftstellerin
beeindruckt. Nach dem Ende der Veranstaltung fragen viele im
Foyer nach ihrem neuen Roman „Kys“.
So
gewährte das Treffen mit
den russischen Literaten einen
Einblick hinter die Kulissen der an Kontroversen reichen
russischen Kulturszene. Dass es vom Berliner Publikum angenommen wurde,
ist ein gutes Omen für die bevorstehende breit angelegte
Präsentation Russlands auf der Frankfurter Buchmesse und die riesige,
den russisch-
deutschen Kulturbeziehungen in der zweiten Hälfte des vorigen
Jahrhunderts gewidmete Ausstellung im Berliner Gropiusbau. Beide sind zentrale Ereignisse
des laufenden russischen Kulturjahres in Deutschland.
PS
von Iwan Matrjoschkin, Esq.:
Trotz
der mir von den weiblichen Holzpuppen
des Matrjoschkateams angedrohten Sanktionen fühle ich mich
verpflichtet, von einem Vorgang bei dem
oben geschilderten Treffen zu berichten. Es begann damit, dass
der Berliner Universitätsprofessor Xxxxxv Xxxxxxx,
für die russische Literatur zuständig, auf dem Podium
die Moderation übernahm. Allerdings führte er
sein Amt sehr komisch aus, da er
die Anwesenden mit unsachlichen,
in ihrer Unbeholfenheit peinlich wirkenden Witzeleien malträtierte .
Das
Publikum quittierte sein Verhalten mit immer lauterem Murren. Als sich
auch Tatjana Tolstaja dem Protest anschloss, versuchte
der besoffen wirkende Prof. , ihr das Wort zu entziehen. Das löste
schließlich einen Sturm der Entrüstung
im Saal aus.
Unvorsichtigerweise drohte der Prof. , als hätte
er es mit seinen Studenten zu tun, den Saal zu verlassen.
Die Anwesenden taten mit ihrem
Applaus kund, dass sie sich freuten, den Plagegeist loszuwerden.
So blieb ihm keine
andere Wahl, als sich schleunigst zum Ausgang zu begeben.
In
dem Zusammenhang ein
Zitat. Ein Landsmann von mir, der sich in der
deutschen akademischen Routine auskennt, kommentierte den Vorfall
mit bitteren Worten. Er sagte, auf
eine Einstellung in einer deutschen Universität könnten nur
jene Russen hoffen, auf die die deutschen Kollegen mit mildem Lächeln von oben herab blicken dürften. Die
Russen mit Rückgrat und fundiertem Wissen hätten dagegen keine Chance.
Der Landsmann will in die USA auswandern, wo in dieser Beziehung
andere Sitten herrschen.
Ich
trage mich übrigens mit demselben Gedanken, da auch ich vergeblich auf
Einladungen der deutschen Universitäten wartete. Vom
Meinungsterror der Teamkolleginnen ganz zu schweigen, die übrigens den
Namen des Sonderlings, trotz meiner Einwände, ausgeixt haben.
14.9.03
ANTHROPOLOGISCHER
KRIMI
Das Buch „Anthropologischer Krimi“ vom russischen Verfasser
Alexander Below wurde zur Sensation in der wissenschaftlichen Welt.
Below meint, nicht die Affen waren die Vorfahren der Menschen, sondern
intelligente und starke
Menschen.
Es heißt,
Darwin hätte bewiesen, dass die Menschen vom Affen abstammen, der eines
Tages die Axt zur Hand nahm und zu arbeiten begann. Und so entwickelte
sich die Menschheit: vom Einfachen zum Komplizierten.
Das stimmt
nicht, schreibt Below. Viel einfacher ist die Entwicklung vom
Komplizierten zum Einfachen vorstellbar. Überflüssiges wurde
abgelegt, und das war’s. Darwin behauptete, nur der Organismus
hat Überlebenschancen, der sich an die äußeren Bedingungen
anpasst. Doch wer weiß schon, ob die Anpassung über die
Vervollkommnung erfolgt?
Nicht der Mensch stammt vom Affen ab, sondern der Affe vom Menschen, behauptet Below. Alle lebenden
Organismen auf der Erde stammen vom Menschen. Die wilden Tiere,
die Vögel und Fische. Und so sieht die Kette aus: Durch den
Niedergang der Zivilisation verwandeln sich die Menschen zuerst in
Wilde, dann in Menschenaffen und schließlich einfach in Affen.
Die Affen wiederum degradieren zu zahlreichen anderen Tieren, die
sich unterschiedlich an ihre Lebensumwelt anpassen.
Das erste menschliche Wesen entstand nicht durch das zufällige
Aufeinandertreffen mehrerer Zellen im Weltozean, sondern dank des
Schöpfers.
Unsere
Vorfahren unterschieden sich stark von uns. Wahrscheinlich waren
es Wesen mit vielen Armen und Beinen. Dann teilte sich ihr Körper
in Männlein und Weiblein. Sie waren viel stärker, intelligenter
und vollkommener als der heutige Mensch. Man könnte sie mit den
Titanen, Giganten und Halbgöttern aus den Mythen vergleichen.
In
der Geschichte der Erde gab es einige menschliche Zivilisationen,
die sich letztendlich selbst vernichteten. Ursachen könnten ein
globaler Atomkrieg oder andere derartige Katastrophen
gewesen sein. Einige überlebten. Diese teilten sich dann
in Gruppen. Die schwächsten Vertreter des Menschengeschlechts
verwilderten und mutierten zu Affen, Katzen usw.
Die
psychisch und körperlich Stärksten wurden zu den Urvätern des nächsten
Menschengeschlechts. Doch in Tausenden Jahren der Entwicklung
verloren auch ihre Nachkommen viele Fertigkeiten. Deshalb sind die
heutigen Menschen viel schwächer und dümmer als ihre fernen
Vorfahren.
Anm. Gebeten, die Hypothese des russischen Forschers Below
einzuschätzen, fand unser Chef-Biologe, Iwan Matrjoschkin, Esc.,
diese durchaus wahrscheinlich. Als Beweis führte er einige
Prominente ...*an. Nach seiner Meinung illustrieren sie die
Theorie Belows, wonach sich der Mensch zum Affen zurückentwickelt.
*Die
Namen sind dem matrjoschka-online- team bekannt und werden auf
Anfrage mitgeteilt.
12.6.03
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ALEXANDROWKA
FEIERT JUBILÄUM
In
Potsdam wird der 175. Geburtstag der traditionsreichen russischen
Siedlung Alexandrowka gefeiert.
Alexandrowka
ist ein historisches und kulturelles Denkmal erster Güte. Einmalig in
Deutschland, einmalig in der Welt. Ein malerisches russisches Dorf, wie
sie eben vor 200 Jahren waren, inmitten einer modernen Stadt. Wo findet
man sonst so etwas?
Aber
Alexandrowka ist nicht nur kulturhistorisch interessant. Auf seine
Weise reflektiert das Dorf eine bemerkenswerte Seite im großen
Buch der russisch-
deutschen historischen Chronik. Es entstand in der Zeit, als die
Beziehungen zwischen
Russland und Preußen durch den russischen Beitrag zur Befreiung
Deutschlands von der napoleonischen Fremdherrschaft sehr positiv
beeinflusst waren. Deswegen trägt das Dorf auch den Namen des
russischen Zaren Alexander, der in Russland in der Zeit der großen
Auseinandersetzung mit dem vom Drang nach Weltherrschaft besessenen
französischen Kaiser herrschte
und dessen Truppen den Eroberungsplänen des ehrgeizigen Korsen den
Todesstoß versetzten. Der russische Zarenhof, dem Wunsch des
Russlandsfans, des preußischen
Königs Friedrich-Wilhelm des Dritten folgend, verfügte
die Umsiedlung eines russischen Soldatenchors samt Familien nach
Potsdam. Und der preußische König ließ mitten in der Residenzstadt für
die Umsiedler ein Dorf bauen.
Jetzt
sind in Alexandrowka kaum Nachfahren der ersten russischen Bewohner zu
finden. Aber die deutschen
Bürger, die zu Bewohnern der malerischen russischen Blockhäuser
wurden, fühlen sich dem
russischen Stil verpflichtet. In
den Häusern gibt es viel russischen Schmuck und Einrichtungsgegenstände-
Samoware, mit russischen Motiven bemalte Truhen, auch Ikonen. Und der
deutsche Denkmalschutz wacht dankenswerter Weise
darüber, dass die Häuser äußerlich nicht geändert werden und
die ursprüngliche Schönheit der Alexandrowka unangetastet bleibt.
Der
175. Geburtstag der Alexandrowka war ein kleines, aber rührendes
Volksfest in Potsdam. Den Besuchern wurden russische Speisen und Getränke
angeboten, selbstverständlich auch russische Andenken, vor allem die
volkstümlichen russischen Holzpuppen, Matrjoschkas.
In
Potsdam gibt es viele Zeugnisse der
Geschichte der russisch- deutschen, russisch- preußischen
Vergangenheit. Alexandrowka
ist darunter das volkstümlichste. Unbeschadet überlebte sie, wie auch
die russische orthodoxe Kirche in ihrer Nähe, heftige Stürme der
verflossenen Jahre. Jetzt soll hier ein Museum
entstehen und eine russische Gaststätte eröffnet werden.
Alexandrowka lebt weiter, wie auch die Tradition, die sie repräsentiert.
Die Tradition der guten Nachbarschaft der größten Staaten Europas.
23.9.02
Über
eine wissenschaftliche Tagung im Moskauer Forschungsinstitut für
Psychoanalyse
Im
Titel unseres Berichts über die erwähnte Tagung steht das Wort
„wissenschaftliche“ nicht von ungefähr. Sonst könnte der deutsche
Leser auf dumme Gedanken
kommen. Denn im Mittelpunkt der Tagesordnung stand die Funktion
eines Wortes im Denken und vor allem in der verbalen Äußerung
eines Russen, das in anderen Sprachen zwar auch existiert, aber keine
derart wichtige Rolle
spielt. Dieses Wort
lautet «хуй»
(gesprochen „chui“) und bezeichnet eigentlich das männliche Glied.
Aber im russischen Wortgebrauch geht
sein direkter Bezug weitgehend verloren. Dafür aber saugt es wie ein
gigantischer Schwamm eine ungeheuere
Menge von anderen Bedeutungen ein. Der im Gebrauch geübte Russe
bringt damit sein ganzes mentales
und emotionales Universum zum Ausdruck. Es kommt auf die Situation, die
Intonation und den
Kontext an.
Das
Wort hat die weiteste Verbreitung in
allen Schichten der russischen Bevölkerung, angefangen bei den very
important persons (V.I.P.) und den weltberühmten Dichtern und
Wissenschaftlern bis zum letzten Penner. Wenn diese sich sonst
verschiedener Sprachmutationen bedienen, das Wort in seinem ganzen
Reichtum verstehen sie
alle. Es gibt keine Gegend auf dem Territorium der ehemaligen
Sowjetunion, wo das Wort «хуй» und die anderen Wörter
der sogenannten Mat – Sprache (sie bezeichnen meistens entweder
andere intime Körperteile oder damit
zusammenhängende Vorgänge) nicht verstanden und nicht aktiv gebraucht
werden. Fast mit der gleichen Häufigkeit wird es
auch von den Nichtrussen auf diesem Gebiet, ja auch von den nicht
slawischen Völkern der ehemaligen sowjetischen Völkerfamilie in der
Kommunikation im Familien- Freunden
– und Kollegenkreis eingesetzt. Selbstverständlich auch in allen
Alters- und Geschlechtergruppen.
Mehr
als alles eint das Wort «хуй» die russische Nation . Und darüber hinaus die Völker der
Gemeinschaft der Unabhängigen Staaten (GUS). Es ist demnach ein
Politikum höchsten Grades.
Das
Wort (wie auch die anderen der Mat- Sprache) waren zwar lange Zeit
offiziell verpönt. Der erste russische Wissenschaftler, der das Tabu
brach, hieß Dal. Wie schon der Name sagt, war er kein Russe. Tatsächlich
war er Däne mit starken
deutschen Wurzeln. In seinem Wörterbuch der russischen Sprache, dem
besten seiner Zeit ( zweite Hälfte des XIX. Jahrh.) führte er sowohl
die Wörter, als auch einige Beispiele ihres sprachlichen Gebrauchs auf.
Aber bereits damals wurde gerade dieser Teil seines Werkes von den
richtigen Kennern beanstandet und sogar verlacht. Die mehrfach geäußerte
Meinung lief darauf hinaus, dass nur ein echter Russe den
Charme und die Ausdruckkraft
des Wortes «хуй»
und ähnlicher Wörter ermessen und beschreiben kann.
Es
gibt keine stichhaltigen Indizien dafür, dass die russischen Zaren das
Wort«хуй»
extensiv gebrauchten. Zum Teil konnten sie auch Russisch nicht besonders
gut, da am Hof üblich war, französisch zu parlieren. Dass die
Minister, auch deutscher Abstammung, zu den Reichtümern der Mat-
Sprache in den Stunden der emotionalen Aufwallung griffen, ist dagegen
überliefert. Erst recht ist es von dem berühmten Rasputin bekannt, der
kurz vor dem Zarensturz die Zarin bezirzen konnte. Eigentlich ein halber
Analphabet, schrieb er an die mondänen Damen von Sankt Petersburg seine
unzweideutigen Angebote unter breiter Verwendung des Wortes «хуй».
Die
Grosse Sozialistische Oktoberrevolution in Russland
brachte eine nie da gewesene Blüte der Mat- Sprache. Von den Anführern
der Revolution ist bekannt, dass sie, wenigstens der Abstammung nach,
mit dem Volk eng verbunden, auch in den Sitzungen ihrer höchsten
Gremien, insbesondere wenn es auf die
politische Hinrichtung einen Kombattanten ankam, sich des Wortes stark
bedienten. Insbesondere Genosse Stalin, der allerdings die schönen
Worte mit einem widerlichen Akzent aussprach.
Jeder
Schritt des sozialistischen Aufbaus in der Sowjetunion wurde von der
Expansion des Wortes «хуй»
und anderer der MAT-
Sprache begleitet. In den
Jahren des Grossen Vaterländischen Krieges betrugen
sie, je nach Umständen, bereits 30-40% der Lexika
des Volkes. An der
Front des Kampfes gegen die faschistischen Invasoren bestimmt noch mehr.
Keine militärische
Lagebesprechung, keine Ansprache an die Soldaten, kein Kommando lief
ohne ab. Erst die breite Verwendung verlieh dem Verb die nötige
anfeuernde Wirkung. So hatte die Mat - Sprache großen Anteil
am Sieg über
Hitlerdeutschland. Jedenfalls einen viel größeren als die oft dem
einfachen Muschkoten unverständlichen und für die überaus meisten von
vornherein unglaubwürdigen Parolen der kommunistischen Kasuistik. Die
sowjetischen Filme und Literaturwerke
über die Zeit logen, da sie die Sprache, die tatsächlich gesprochen
worden war, ausklammerten.
Nach
dem Krieg spiegelte die
Expansion des Wortes «хуй»
und der verwandten Wörter die fortschreitende
Entfremdung des Volkes vom Sowjetstaat und vom pseudosozialistischen
System. Die Schere zwischen der Ausdrucksweise der gleichgeschalteten
Medien der Sowjetunion und
der Bevölkerung wurde
immer breiter. Im riesigen Lande funktionierten eigentlich zwei
russische Sprachen. Die eine- blutleer,
formelhaft, verkrustet, die andere – saftig, spannungsgeladen,
elastisch. Die letztere, die Sprache des ganzen Volkes, hat im Mat ihre
Vollendung gefunden. Dieser wurde zur tragenden Säule jener Gemütshaltung
der Russen, die allen Mühen der Staatspolitik und der Repression
standhielt. Das Volk, das seinem Fatalismus zu meist in dem
Satz «хуй
с
ним»
(sinngemäß in etwa „was soll`s“) und seine Verweigerung in dem
Satz «пошел
на
хуй»
( also, schere dich zum... ) klaren
Ausdruck verlieh.
Aber
kommen wir auf die wissenschaftliche Konferenz in Moskau zurück. Anlass zu ihrer Einberufung gab eine Edition des
Limbus- Press. Der renommierte Verlag brachte einen reich
bebildeten Folianten unter dem Titel „Lexische und phraseologische
Bedeutungen des Wortes «хуй»
heraus. Damit wurde endlich eine Lücke in der russischen
wissenschaftlichen Literatur gefüllt und einem dringenden öffentlichen
Interesse entsprochen. Übrigens leitet
die dicke Schwarte
eine mehrbändige Ausgabe über die Mat-Sprache ein.
Wenn
jemand noch daran zweifelt, dass es im heutigen Russland
vorwärts geht, ist er selber schuld.
5.05.02
RUSSISCHE
SCHRIFTSTELLER DEUTSCHLANDS
In
Deutschland gibt es zur Zeit etwa 100 Schriftsteller aus Russland. Auch
wenn sie etwas Wertvolles produzieren, haben sie so gut wie keine
Aussicht, ihre Werke ediert zu sehen. Zwar erreichen Übersetzungen etwa
15 Prozent der Neuerscheinungen auf dem deutschen Büchermarkt, die
russischsprachige Dichtung wird dennoch von den deutschen Verlagen
stiefmütterlich behandelt (1,3 Prozent der übersetzten
Neuerscheinungen insgesamt, nicht viel mehr als aus dem Schwedischen und
siebzigmal weniger als aus dem Englischen). Die Verlage in Russland sind
da großzügiger. Sie bringen aus dem Deutschen dreimal mehr heraus als
die deutschen Verlage aus dem Russischen.
Dabei
gab es in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre in Berlin fast so viel
russische Verlage wie in Moskau. Die großen russischen Dichter wie
Nabokov, Gorki, Majakowski und viele andere fanden Zugang zum deutschen
Leser und zu deutschen Verlagen. Jetzt aber, wo der Anteil der
russischsprachigen Einwohner in Deutschland
(ungefähr 4 Prozent der Gesamtbevölkerung) mit dem in der Zeit
des Exodus nach dem Ersten Weltkrieg und der Revolution von 1917
durchaus vergleichbar ist, versauern die hiesigen schreibenden Russen
in einer Art Reservat.
Matrjoschka
ist allerdings bereit, sie zu veröffentlichen. (Klicken Sie bitte im
Archiv die Seite Dichter ).
EIN CLAN
In der Residenz der Sozialdemokratischen Partei, im Berliner Willy -
Brandt - Haus, wurde eine bemerkenswerte Ausstellung eröffnet.
Die Ausstellung gilt einer Familiengeschichte, die auf besondere Weise
die Verbundenheit der deutschen und russischen Kultur widerspiegelt. Es
geht um die Familie Tschechow und Knipper oder, wie es in der
Ausstellung heißt, um den Tschechow - Knipper - Clan. Von russischer
Seite gehört dazu vor allem Anton Pawlowitsch Tschechow, einer der größten
Vertreter der russischen Dichtung des 19. Jahrhunderts. Bis zum heutigen
Tag werden nicht nur in Russland, sondern auch in Deutschland immer
wieder seine Novellen verlegt. Seine Bühnenstücke wie "Der
Kirschgarten", "Drei Schwester", "Iwanow" sind
zu einem festen Bestandteil der Spielpläne der Theater in beiden Ländern
geworden.
Auch andere markante Vertreter des russischen Kulturlebens gehören zum
russischen Zweig der Familie, darunter Maler, Dichter und vor allem der
hochbegabte Schauspieler und Theaterpädagoge Michail Tschechow. Einer
der Begründer des berühmten Moskauer Künstlertheaters, war er in den
zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts auch in Deutschland tätig. Später
gab er Marilyn Monroe, Yul Brunner und vielen anderen Berühmtheiten von
Bühne und Leinwand Unterricht.
Der Stammvater des deutschen Zweiges der Familie war ein begabter
Eisenbahningenieur aus dem Saarland, der Mitte des 19. Jahrhunderts nach
Russland kam und hier erfolgreich in seinem Beruf arbeitete. Eine
Tochter von ihm, auf der Bühne des Künstlertheaters als Schauspielerin
gefeiert, vermählte sich mit dem Hausautor des Künstlertheaters, dem
berühmten Dichter Anton Tschechow. Nach der Revolution in Russland
gingen ihre Nichten ins Land der Ahnen zurück. Auch hier ergriffen sie
den Schauspielerberuf. Darunter Olga Tschechowa, in den zwanziger und
dreißiger Jahren ein Filmstar in Deutschland, Partnerin von Heinz Rühmann
und anderen Filmgrößen der Zeit.
Allerdings blieben einige Knippers auch in Russland. Die Witwe des großen,
im deutschen Badenweiler verstorbenen Dichters betreute mehrere
Jahrzehnte seine Gedenkstätte auf der Krim. Ein Verwandter von ihr
wurde Komponist, schrieb mehrere Sinfonien und Opern und diente in
gehobener Stellung im Musikkorps der Sowjetarmee.
Die Ausstellung zeigt viele beeindruckende Zeugnisse der regen künstlerischen
Tätigkeit der russischen und deutschen Angehörigen des Clans. Sowohl
im russischen als auch im deutschen Kulturbetrieb fanden sie sich gut
zurecht. Man empfindet es als Beweis für die Verwandtschaft der beiden
Kulturen, die über viele Jahrhunderte miteinander verwoben waren.
Mit Genugtuung ist in diesem Zusammenhang zu vermerken, dass sich die
Ausstellung zu mehreren anderen Veranstaltungen reiht , die in diesem
Jahr dem deutschen Publikum von der russischen Kulturtradition und von
der Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen kundtun. Dazu zählen
Theateraufführungen, Bilderausstellungen und andere Projekte. So wird
eine gute Ausgangslage für die weitere Intensivierung des
Kulturaustausches geschaffen, wie diese im neuen zwischenstaatlichen
Abkommen festgeschrieben und auf die Tagesordnung der neuen Runde des
Petersburger Dialogs, diesmal in Weimar, gesetzt ist.
2.BILDENDE
KÜNSTE
DIE
AUSSTELLUNG IST ERÖFFNET
In
Berlin wird die Ausstellung „Berlin-Moskau/Moskau Berlin 1950-2000 –
von heute aus“ eröffnet.
Auf
der Pressekonferenz im Berliner Gropiusbau
hoben die Kuratoren
hervor, diese Ausstellung sei nicht unbedingt als lineare
Fortsetzung der grandiosen
Schau der russisch- deutschen Kunstbeziehungen zu verstehen, die vor
acht Jahren
mit großem Erfolg in Berlin gezeigt wurde. Damals ging es
um den Kunst- und Kulturaustausch in den ersten Jahrzehnten des XX.
Jahrhunderts. In dieser Zeit entwickelten sich die schönen Künste
in beiden Ländern unter
mehr oder weniger gleichen
Prämissen und jedenfalls in enger Wechselwirkung. Sie beeinflussten und befruchteten sich stark. Gang und gäbe
war es, dass deutsche Künstler
in Russland ausstellten und umgekehrt.
Dieser
fruchtbaren Zeit
setzten der Nationalsozialismus
in Deutschland und der Stalinismus in Russland ein jähes Ende. Der
Zweite Weltkrieg und die Nachkriegskonfrontation zwischen West und Ost
legten den produktiven Austausch endgültig lahm. Sie bewirkten
die Abkapselung der Kulturen. Deshalb erhebt
die neue Ausstellung nicht den Anspruch auf einen chronologisch
aufgebauten Vergleich zwischen der russischen und der deutschen Kunst im
Zeitraum 1950 bis 2000. Sie zeigt schlicht und einfach das, was in
diesen Jahren in der Kunst beider
Länder los war. Dabei werden nicht etwa nur die besten Werke präsentiert,
da selbst die Bewertungskriterien inzwischen
strittig geworden sind, dafür mehr oder weniger typische
Kunstströmungen der Zeit.
Das
gemeinsame,in langen Diskussionen erarbeitete Ausstellungskonzept
der russischen und deutschen Kunsthistoriker mag seine
Berechtigung haben. Trotzdem wünscht sich ein in der modernen Kunst
nicht übermäßig bewanderter Besucher etwas mehr Übersichtlichkeit , wenn er durch die
riesigen Räume mit 500 Kunstobjekten wandert, die nach vagen
Anhaltspunkten gruppiert sind. Insbesondere, wenn er sich keine große Mühe
gibt, die Intentionen der Künstler
zu durchschauen. Tut er das doch, ist er fasziniert von den Sachen,
bringen sie ihm doch die unbändige
Schaffenskraft beider
Völker zum Bewusstsein. Jene Schaffensfreude, die bei den Russen und
Deutschen trotz aller Prüfungen und
Wendungen ihrer Geschichte lebendig geblieben ist.
Vielleicht
ist im russischen
Ausstellungsteil die
Kreativität noch mehr zu spüren als im deutschen, da
die bunte Welt der supermodernen Kunst den Russen erst vor
wenigen Jahren zugänglich
geworden ist, den Deutschen, vor allem im Westen ihres Landes, dagegen
schon vor mehreren Jahrzehnten, fast sofort nach der Stunde null, 1945.
Die
Ausstellung Moskau- Berlin 1950- 2000
ist allerdings nicht nur ein Kunstereignis. Ein Höhepunkt des
russischen Kulturjahres in Deutschland,
legt sie Zeugnis dafür ab, dass beide Länder gewillt sind, die
in der Konfrontationszeit entstandenen Defizite aufzuarbeiten und den
intensiven und ideologiefreien Kulturaustausch wie in den besten Jahren
ihrer Zusammenarbeit intensiv zu pflegen. In diesem Sinn äußerten sich
auch die Berliner Prominenz und hochkarätige russische Gäste auf dem
großen Empfang im Berliner Abgeordnetenhaus, den auch die
Kultusminister beider Länder besuchten.
27.9.03
BLEIBT
DÜRER IN MOSKAU?
Es
geht um einen lautstarken Streit zwischen dem netten russischen
Kultusminister Michail Schwidkoi und seinem grimmigen Vorgänger
Nikolai Gubenko, jetzt Vorsitzender des Duma-Kulturkomitees. Der
gute Mann will der Bremer Kunsthalle
eine 1945, Ende des Krieges entwendete
Kunstsammlung zurückgeben. Der böse Mann will das
verhindern. Er meint, Deutschland
müsste zuerst die im Krieg entstandenen Schäden am russischen
Kulturgut ersetzen.
In
der Masse der deutschen Beutekunst hat die zum Zankapfel der
Kulturträger gewordene Sammlung einen besonderen Status.
Sie kam nach Moskau nicht im Zuge der noch von Stalin
verordneten, staatlichen Beutenahme. Die unschätzbaren Graphiken
(Dürer, Cranach u.s.w., insgesamt 362 Zeichnungen) wurden von dem
kunstbeflissenen Hauptmann der Roten Armee, Viktor Baldin, an
einem Auslagerungsort entdeckt und
nach Hause mitgenommen. Später wollte er den Schatz zurückgeben.
Aber die russischen Behörden sagten „Njet!“.
Eigentlich
bestreitet in der
Duma, außer einigen wenigen Unverbesserlichen, keiner, dass die
Baldin- Sammlung zurück soll. Man fordert aber eine angemessene
Gegenleistung. Der böse Mann
erinnert daran, wie viel die Russen bereits zurückgegeben
haben. Abgesehen von der Dresdner Galerie, die bereits vor
Jahrzehnten nach Dresden zurückgebracht wurde,
sind es auch in der letzten Zeit
Meisterwerke gewesen, deren Wert mit keinem Geld abzuwiegen
ist. Die
letztere Bemerkung bezieht sich auf die angeblichen Andeutungen
der deutschen Seite, dass nach dem Erlass eines Teils der alten
russischen Geldschulden im vorigen Jahr die Frage der
Gegenleistung erledigt
werden sollte. Die Russen finden es nicht. Sie mokieren sich darüber,
dass die in Russland geraubten Schätze spurlos in Deutschland
verschwunden seien.
Auf
die heftigen Vorwürfe reagierte der gute Mann, Schwidkoi,
mit Humor. Er sagte, er sehe einen Fortschritt in der Duma:
früher schimpften die Volksvertreter
ihn einen Kollaborateur der deutschen Faschisten, jetzt nur
einen Speichelecker von Kanzler Schröder.
Die
Baldin- Sammlung sollte bereits Ende März
im Zuge des russischen Kulturjahres in Bremen ausgestellt
werden. Ob die Ausstellung stattfindet,
ist jetzt ungewiss. Der böse Mann Gubenko hat alle russischen Behörden
alarmiert. Er behauptet, die Ausfuhr der Sammlung verletze
russische Gesetze. Der
gute Mann Schwidkoi behauptet
dagegen, die russischen Gesetze würden eher durch Einbehalten
der Sammlung verletzt. Außerdem befürchtet er die
Beeinträchtigung der
Atmosphäre russischer Kulturfestivitäten in Deutschland. Aber
die Duma beeindruckte er damit nicht.
Stimmt
es, dass im Laufe des russischen Kulturjahres in Deutschland auch
die Troja- Schätze nach Deutschland gebracht werden
sollen, das Kernstück der noch in Russland verbliebenen
Beutekunst? -fragte mit
dem Unterton der Empörung der
böse Mann. Noch ein Geschenk an Deutschland, getarnt als
Kunstausstellung?
Mit
347 Stimmen bei einer Enthaltung appellierte
die Duma an Präsident
Putin, die Ausfuhr der Baldin- Sammlung zu
verbieten. Bleibt Dürer in Moskau?
PS.
Unser Beutekunst - Experte, Iwan Matrjoschkin, Esq., meint, die
deutsche Seite sollte vorschlagen, die Baldin- Sammlung zuerst in
den Berliner Räumen
des matrjoschka- Medienkonzerns auszustellen. Dagegen hätte
die Duma, wo matrjoschka-online.de ein Begriff sei, nichts.
Später verspricht der Esquire, die
Sammlung nach Bremen
zu überführen. Vielleicht mit einer kleinen Ausnahme. Einen Dürer
würde er gern über seinen Tisch hängen.
Kunsträuber!
- äußerte darauf
eine weibliche Puppe (
).
–Er hat gar keinen Schreibtisch. Seine Elaborate schreibt er an
einem Biertisch in der Kneipe „Sonnenschein“, wo an der Wand
das übliche hängt: röhrende
Hirsche, von Fliegen noch aus der Kaiserzeit arg mitgenommen. Ein
Dürer in dem Ambiente? Nein, soll er besser in Moskau bleiben. Im
berühmten Puschkin- Kunstmuseum.
16.3.03
|
HEIM
INS REICH
Kasimir
Malewitsch – was ist das?
ES
IST DAS!
1.
Es ist ein russischer Maler, der
der Welt ganz neue Wege in der Kunst aufzeigte. Zwischen 1915 und 1932
malte und zeichnete er so, dass die überaus meisten Zeitgenossen
fragten, was das soll. Denn vor Malewitsch meinten die Bildermacher und
Bilderbetrachter, es ginge darum, etwas auf Leinwand oder Papier zu
bringen, was an die Welt erinnert, die man mit den Augen wahrnimmt. Und
die mit Augen wahrgenommene
Welt besteht aus Figuren. Seien es Menschen, Tiere, Bäume oder anderes.
Malewitsch schuf seine eigene figurlose Welt, die aus geometrischen
Formen und Farben bestand, aber den Betrachter, der sich bemühte, alte
Kunstvorstellungen zu überwinden, faszinierte. Ein anderer großer
Erneuerer der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts,
der Spanier Pablo Picasso, war im Vergleich zu Malevich ein Zögerer.
2.
Kasimir Malewitsch war so
radikal, weil er sich von der großen russischen Revolution 1917
inspirieren ließ, der radikalsten in der Weltgeschichte. Die Vordenker
dieser Revolution wollten die
alte Welt bis auf die Grundfesten zerstören
und auf den Molekülen und Atomen der zerstörten Welt eine neue
erschaffen, etwa so wie Malewitsch auf Leinwand und Papier. Darum
sammelten sich um den Meister
viele begeisterte Anhänger.
3.
Wie viele Gleichgesinnte genoss
auch Kasimir Malewitsch in den ersten Jahren nach 1917 das Wohlwollen
der revolutionären Macht. Da diese aber nach dem Sieg über ihre
Klassenfeinde zusehends verspiesserte, dauerte ihr Wohlwollen gegenüber
Malewitsch nicht lange. Bis 1932 durfte er noch experimentieren und
gegenstandslos malen und zeichnen, wurde dann aber zur Konvention
angehalten. Wie viele andere radikale Welterneuerer, die nicht
auswandern wollten oder konnten, denn in den dreißiger Jahren des
vorigen Jahrhunderts regierte in der Sowjetunion ein Alleinherrscher,
der Ausschnitte aus einer spießigen Illustrierten eigenhändig an die
Wand seines Domizils hämmerte. Kitschige Farbfotos idyllischer
Landschaften, rotwangiger Bäuerinnen und muskulöser Schmiede. Was
sollte er mit einem Malewitsch?
4.
Umso mehr ist das
Matrjoschka-Team davon beeindruckt, dass die russische Botschaft in
Berlin mit umfangreichen Faxschreiben für die bevorstehende Ausstellung
der Werke von Kasimir Malewitsch in den Guggenheim- Ausstellungsräumen
Unter den Linden in Berlin wirbt. Und zwar mit dem Text, der ebenfalls
vom weltberühmten Guggenheim USA stammt. So ändern sich die Zeiten,
liebe Leser. Hätte vor wenigen Jahren ein sowjetischer Presseattache im
Ausland auch nur annähernd desgleichen getan, wäre er die längste
Zeit Presseattache gewesen. Das Matrjoschka-Team zollt damit den
weltoffenen russischen Diplomaten hohe Achtung. Weiter so! Mit der nötigen
Unterstützung erhellt die
russische Kreativität die finstere Welt.
5.
Auch wer sich schwer durchringen
kann, das berühmte weiße Quadrat und andere Werke Malewitschs zu
bewundern, sollte trotzdem die Berliner Guggenheim-Dependance Unter den
Linden aufsuchen (Eröffnung am 18.01.2003) Wenn er unterwegs nicht im
Autosalon Ecke Friedrichstraße stecken bleibt und noch ein Stückchen
weiter geht, wird er reichlich belohnt. Dankenswerterweise veranstalten
die Aussteller täglich um 18.00 Uhr kostenlose Führungen, wobei
Kinder auch ihren Spaß mit schönem Spielzeug haben. A propos
Spielzeug! Obwohl die gelehrten Kunsthistoriker Kasimir Malewitschs
Schaffen in Verbindung mit russischen Ikonen bringen, findet unser
hauseigener Kunstkritiker Iwan Matrjoschkin, Esq., die Bilder des
Maestro sind jenen hölzernen Vierecken, Dreiecken und Kreisen verwandt,
aus denen Kinder, die das schöpferische Spiel noch nicht gegen Handys
und CD-Players eingetauscht haben, ihre neue frische Welt entstehen
lassen. Die taufrische neue Welt, von der Malewitsch und seine Freunde
träumten und die von Bürokraten in der Scheiße der Spießigkeit
erstickt wurde.
PS.
Fast gleichzeitig ist auf dem Kurfürstendamm eine andere Ausstellung zu
sehen. Auch von einem ungewöhnlichen Maler, Salvatore Dali. Doch welch
ein Unterschied! Der eine bricht alle Konventionen, weil er von neuen
Menschen und einer neuen Welt träumt. Der andere erzeugt neue Spießigkeit,
die zwar ganz ungewöhnlich ist, aber nur dazu dient, sich zu
vermarkten.
16.01.2003
GIBT
ES BEWEGUNG IM STREIT UM DIE „BEUTEKUNST“?
Die
Zuständigen in Russland und Deutschland bejahen
die Frage. In diesem Sinn äußerten sich
in einer Pressekonferenz in Berlin
der russische Kulturminister Schwidkoi und der deutsche
Staatsminister Nida- Rümelin.
Der
Anlass war die Übergabe
von sieben Werken der russischen bildenden Kunst, die vor
sechzig Jahren nach Deutschland gelangten. Ihre Übergabe erfolgt unter ausdrücklichem Bezug auf die
in bilateralen Verträgen bekräftigten völkerrechtlichen
Verpflichtungen zur Rückführung kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter.
Ein Wink mit Zaunpfahl in
Richtung der sogenannten „Beutekunst“, also den nach Russland
verbrachten deutschen Kunstsammlungen.
Die
gemeinsame Pressekonferenz fand im
Bundeskanzleramt statt, was die Bedeutung der Übergabe wohl
hervorheben sollte. Tatsächlich ist es das erste Mal, dass einige in
deutschen Museen gelagerte Kunstwerke, während des Krieges 1941-1945
von Angehörigen der deutschen Wehrmacht aus Russland in die Heimat
mitgenommen, dem
Ursprungsland zurückgegeben werden. Die früheren Rückgaben erfolgten
nur aus privaten Sammlungen und
stellten insofern weniger den guten Willen des deutschen Staates unter
Beweis.
Zwar
sind die sieben Bilder, auf deren Rahmen noch Aufkleber eines tüchtigen
„Sammeloffiziers“ der Heeresgruppe Nord, also eines zum Raub
autorisierten Wehrmachtsangehörigen, zu lesen sind, keineswegs
Meisterwerke der Malerei. Seinerzeit
hingen sie in Sommerresidenzen
der russischen Zaren bei Sankt- Petersburg und sind, abgesehen von ihrem
derzeitigen ruinösen Zustand, auch ursprünglich eher
Ausstattungsgegenstände gewesen als Kunstobjekte von hohem Rang.
Dennoch hoben die Pressekonferenzteilnehmer mit Recht
hervor, dass die Übergabe ein symbolträchtiger Schritt in die richtige
Richtung ist.
Im
Zusammenhang mit der Rückgabe wurde das Problem der deutschen
Kunst- und Kulturgüter (die sogenannte „Beutekunst“) sehr
ausführlich und zum Teil auch kontrovers erörtert, das
kriegsbedingt nach Russland gelangte. Es ist ein schwieriges
Problem, weil sich die russische Öffentlichkeit immer wieder auf
die riesigen russischen Verluste durch den Überfall Hitlerdeutschlands
1941 beruft, um die Rückgabe zu vereiteln.
Das von der russischen Staatsduma angenommene, populistisch
angehauchte Restitutionsgesetz ist eine Konsequenz daraus.
Allerdings
ist wenig wahrscheinlich, dass das Gesetz den Schlusspunkt hinter den
langen Streit um das Schicksal der Kunst- und Kulturgüter setzt. Zwar
war es nicht der russische
Sieger im Zweiten Weltkrieg, der die
Kunstobjekte im besiegten Land als Quelle der Entschädigung für
seine Kriegsverluste entdeckte.
Schon Friedrich der Grosse entführte, als er die widerspenstigen
Sachsen das Fürchten lehrte, wertvolle Gemälde aus Dresden nach
Potsdam. Hitler, der von einem Supermuseum der Weltkunst in seiner
Geburtsstadt Linz träumte, und der „Kunstfreund“ mit dem
Marschallstab Göring vergriffen sich
nicht nur an Sammlungen
der Holocaustopfer, sondern auch der staatlichen Museen im ganzen
besetzten Europa, insbesondere aber in Russland. Also betrat Stalin kein
Neuland, als er 1944-1945 die von Kunstexperten unterstützten Trophäenkommandos in Bewegung setzte.
In
den letzten Jahren, als mehrere Kriegsfolgeprobleme zwischen Deutschland
und Russland einvernehmlich gelöst werden konnten, sorgte vor allem die
„Beutekunst“ für die
Anheizung der Atmosphäre, jedenfalls in den Medien. In der russischen
oppositionellen Presse wurde jeder
Schritt der Verständigung zur Kritik der „Erfüllungspolitik“ des
Kreml genutzt. In der deutschen wurde immer wieder die Anklage erhoben,
die Regierung bestünde nicht hart genug auf dem Einhalten der
internationalen Bestimmungen, um den Kreml nicht in
Verlegenheit zu bringen, und opfere somit den „Russen“ die
Schätze der nationalen Kunst.
Obwohl
die Teilnehmer der
Pressekonferenz eher versöhnlich gestimmt waren, konnten sie den Druck
der Öffentlichkeit in ihren Ländern nicht ignorieren.
Schwidkoi distanzierte sich zwar vom Duma-Gesetz, hob aber
hervor, er werde sich daran
halten, solange es nicht geändert
wird. Beschwichtigend fügte er hinzu, Spielraum sei trotzdem vorhanden,
da das Gesetz die Rückführung von drei Kategorien der „Beutekunst“
nicht grundsätzlich verbietet: Kunstwerke der Kirche, der
Holocaustopfer und aus nicht feststellbaren Quellen.
Mit dem guten Willen beider Seiten könne dies genutzt werden, ohne dabei mit der russischen Gesetzgebung in Konflikt zu
geraten und die Gespenster der Vergangenheit wachzurufen.
In diesem Zusammenhang sprach er von der in
nächster Zeit bevorstehenden Rückführung der mittelalterlichen
Buntglasfenster der Marienkirche in
Frankfurt/Oder, eines Kunst- und Kulturdenkmals
von unermesslichem Wert.
Schwidkoi
erinnerte daran, dass
bereits in den fünfziger- sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts der
größte Teil der sogenannten „Beutekunst“
nach Deutschland, genauer gesagt in die DDR, zurückgeführt
wurde. Insgesamt eine Million sechshunderttausend Objekte, darunter die
Kunstsammlung der Dresdener Galerie. Nach Schätzung des russischen Kulturministers
verbleiben vorläufig in Russland etwa 250 000 Objekte, wobei sich die
beeindruckende Zahl daraus ergibt, dass umfangreiche Münzsammlungen
darunter fallen und jede Münze einzeln zählt.
Er
rief die deutsche Seite
dazu auf, sich in Geduld zu üben, Prinzipienreiterei zu vermeiden und
die Unterschiede zwischen den Rechtspositionen in Russland und
Deutschland zu berücksichtigen.
Vor allem im Zusammenhang mit den nahenden
Duma- und Präsidentenwahlen
solle man der kommunistischen Opposition in Russland keine Munition
gegen den Kreml liefern.
Übrigens
ist die Behandlung der ominösen Frage auch in Deutschland vom laufenden
Wahlkampf berührt. Nida- Rümelin zeigte sich in der Presskonferenz
zugeknöpfter als sonst. Immer wieder
betonte er Schwidkois Verhandlungshärte,
was sich schlecht mit dessen jovialen, sogar humorvollen Äußerungen
unter einen Hut bringen ließ, aber mit sichtlicher Genugtuung
akzeptiert wurde.
Jener
Teil der deutschen Presse, der nicht gerade an der Fortführung der
gegenwärtigen Regierungskoalition hängt, lässt sich übrigens den
Anlass nicht entgehen, der Berliner Regierung
Seitenhiebe zu verpassen. In einem Beitrag warf die FAZ ihr
„geduckte Haltung“ vor.
Bleibt
also tatsächlich darauf zu hoffen, dass , wie auf der Pressekonferenz
hervorgehoben wurde, das Schicksal der „Beutekunst“
im Kontext der neuen Beziehungen zwischen Deutschland und
Russland einvernehmlich gelöst wird und die Kunstwerke dahin kommen, wo
sie hingehören.
Vorläufig
aber müssen sich die Deutschen wohl damit zufrieden geben, dass den
Fenstern der Marienkirche weitere einzelne Rückgaben folgen. Anvisiert
sind die Archive von Lassalle und Rathenau, die
noch in Russland befindlichen Teile der Gotha-Bibliothek, wertvolle
Zeichnungen aus Bremen, unter dem Titel „Boldin- Sammlung“ geführt.
18.5.02
Die Rückführung
der Glasmalerei der Marienkirche in Frankfurt/Oder löste ein positives
Echo in Deutschland aus.
Bekanntlich hat die russische Staatsduma die Rückgabe der
mittelalterlichen Fenster aus der Marienkirche in Frankfurt/Oder
gebilligt. Bis dato weigerten sich die russischen Gesetzgeber grundsätzlich,
der Rückführung der infolge des Zweiten Weltkrieges nach Russland
gebrachten deutschen Kunstschätze zuzustimmen, weil auch Russlands
Kultureinrichtungen große Kriegsverluste erlitten. Damals raubten die
Sonderkommandos, der vorrückenden Wehrmacht auf der Spur, die
russischen Sammlungen. Am Ende des Krieges taten die
"Kunstfreunde" in russischer Uniform auf Stalins Befehl
dasselbe. So kamen Schätze von unermesslichem Wert aus Deutschland nach
Russland und aus Russland nach Deutschland. Auch die Fenster aus
Frankfurt/Oder in die Petersburger Eremitage.
Das Herzstück der sogenannten Beutekunst, die Malerei aus den Dresdener
Kunstsammlungen, wurde allerdings bald nach dem Krieg an die DDR zurückgeführt.
Die russischen Kunstschätze dagegen, die zum großen Teil in
Privatsammlungen Deutschlands oder weiter im Westen landeten, wurden nie
rausgerückt.
Mit der Rückgabe der Fenster aus Frankfurt/Oder signalisierte die
russische Führung ihren Willen, auch über das Schicksal der weiteren
Kunst- und Kulturgüte konstruktiv nachzudenken. Vorerst geht es darum,
dass die Kunstwerke nicht in den Magazinen der Museen verbleiben,
sondern der Allgemeinheit zugänglich werden. Tatsächlich darf die
Eigentumszugehörigkeit, wenn es um Spitzenleistungen der Kunst geht,
nicht das A und O sein. Mindestens genauso wichtig ist es, dass sie ihre
wohltuende Wirkung auf die Menschen ausüben können, insbesondere in
einer Zeit, da die gemeinsame Zivilisation durch neue Barbaren bedroht
ist.
In diesem Zusammenhang verdient eine Geste der deutschen Regierung
besondere Anerkennung. Aus Anlass des 300jährigen Gründungsjubiläums
von Sankt Petersburg im Jahr 2003 wird Deutschland die dringend
notwendige Restaurierung der Konzertorgel im Großen Saal der Sankt
Petersburger Philharmonie, erbaut von den Söhnen des berühmten
deutschen Orgelbaumeisters Eberhard Friedrich Walcker ,mit einem Betrag
von 1,3 Mio. Euro fördern. Die Restaurierung der Konzertorgel ist das
Geburtstagsgeschenk der Bundesrepublik Deutschland an die Stadt Sankt
Petersburg und seine Bürger.
Staatsminister Nida-Rümelin erklärte, das Engagement Deutschlands bei
der Restaurierung der "Walcker-Orgel" demonstriere seine
kulturelle Verbundenheit mit Russland im allgemeinen und mit Sankt
Petersburg im besonderen. Die Orgel werde nach der Restaurierung
weiterhin einen hervorragenden Platz im wichtigsten Konzertsaal Sankt
Petersburgs, der zugleich einer der bekanntesten Europas ist, einnehmen.
Die Restaurierung mit deutscher Hilfe werde von der gemeinsamen
kulturellen Verantwortung von Russland und Deutschland zeugen",
sagte der Staatsminister.
DIE
RUSSISCHEN RÄTSEL
Wladimir
Jakowlew. Maler.
Er ist
bereits einige Jahre tot. Der russische van Gogh. Wladimir
Jakowlew. Mit dem berühmten Belgier hat er vieles gemeinsam. Wie dieser
malte er gern Blumen. Wie dieser litt er unter einer unheilbaren
psychischen Krankheit. Wie van Gogh verschenkte er seine
Bilder, da sie sich kaum verkaufen ließen. Und wie die Bilder von van
Gogh sind diese nach seinem Tod Bestseller geworden und schlagen alle
anderen auf Auktionen.
Die Blumen
,die Jakowlew malte, wachsen nirgendwo. Jedenfalls hat der fast Blinde
sie nie gesehen. Sie erblühten in seiner Fantasie. Als Gegenstück zu
den schrecklichen Gespenstern, die ihn in schlaflosen Nächten
aufsuchten. Als Vision aus einer anderen Welt,
die mit der, in der
er lebte, nichts zu tun hatte.
Auch wenn
seine Blumen Botanikern und Züchtern unbekannt sind, glaubt der
Betrachter, er hätte sie schon einmal gesehen. Darin liegt Jakowlews
ungeheuere Suggestivkraft. Sie spricht die tiefsten Schichten des Gedächtnisses
an. Sie erinnert an das, was man nicht
erlebt hat. Jedenfalls nicht nach dem im Personalausweis eingetragenen
Geburtsdatum.
Bis vor
kurzem wäre eine Jakowlew- Ausstellung in Moskau undenkbar gewesen.
Jedenfalls eine genehmigte. Die Behörden der Sowjetmacht akzeptierten
keine Kunst, die an Wunder grenzte. Die Wunder hatten sich in Grenzen zu
halten. In den mit dem Verstand der Parteiführer auslotbaren Grenzen.
So ein
Jakowlew wäre unter Umständen in ein Irrenhaus gesperrt worden.
Dem Jakowlew drohte die Gefahr nicht. Er was bereits in einem Irrenhaus.
Die Mäzenen
holten ihn heraus und brachten ihn in einer teuren Pension unter.
Für prominente Verrückte.
Er hat der
Pension den Rücken gekehrt und ging zurück in sein angestammtes
Irrenhaus.
Der Verrückte
hat begriffen: wenn schon Irrenhaus, dann eins
mit vertrauter Atmosphäre, mit vertrauten Regeln und
vertrauten Leidensgenossen.
Viele
begreifen es zu spät. Auch
viele von Jakowlews Landsleuten.
...Zur Zeit
läuft in Moskau eine Bilderausstellung von Wladimir Jakowlew. Ein Sammler stellt
fünfzig seiner Bilder aus. Fünfzig Blumen, die nirgendwo wuchsen.
Der Sammler
will anonym bleiben. Er fürchtet sich vor der Mafia. Sie ist nämlich
hinter Jakowlews Blumen her. Im Auftrag amerikanischer und japanischer
Kunstfreunde, die seine Bilder in eine
Welt entführen, in der es an Blumen mangelt.
Boris
Pasternak. Der Dichter.
Ja, ja
dieser... Der Nobelpreisträger. „Doktor Schiwago“. Verfilmt von
Hollywood mit Omar Sharif in der Hauptrolle. Ein guter Roman, kein
schlechter Film. Bloß
lernt derjenige, der den Film gesehen, sogar den Roman gelesen hat,
Pasternak noch nicht kennen. Denn Pasternak - das sind seine
Gedichte. Nicht einfach Gedichte, sondern solche, die sich nicht
nachdichten, nacherzählen und nicht verfilmen lassen. Nur lesen und
rezitieren. Und in der Muttersprache des Dichters, der bereits einige
Jahrzehnte tot ist.
Dieser Tage
zelebrierte in Moskau
der beste Pasternak-Rezitator, Sergei Jurski, diese besondere Dichtung.
In einem Gespräch erläuterte er, dass sich der Dichter in einer
Sprache artikuliert, die keine Wortsprache und keine Musiksprache,
sondern ein einmaliges Amalgam der beiden ist.
Tatsächlich
gab es auch vor Pasternak viele Dichter, die mit Lauten einer
Sprache schöne Musik
schrieben. Diese geschah jedoch auf Kosten des Wortes. In Pasternaks
Gedichten kommt sowohl das
Wort, als auch die Musik der russischen Sprache zur vollen Geltung.
Darin liegt ihr Zauber.
Wir leben in
einer Zeit der Technologie. Die Gentechnologie ermöglicht ganz neue Schöpfungen
in der Pflanzenwelt. Dennoch keine Blumen, die in der Phantasie des
russischen Malers Wladimir Jakowlew blühten. Die
Kommunikationstechnologie ermöglicht eine virtuelle Welt, die die
Menschen mitunter mehr prägt als die reale. Aber keine virtuelle
Welt ist so wirkungsvoll wie jene, die in den Gedichten des russischen
Poeten Boris Pasternak entsteht.
Es gab
(unter Stalin) eine Zeit, als die russische Führung
alle technischen Wunder der Welt der russischen Kreativität
zuschrieb, um das russische Selbstvertrauen, durch das im Zweiten
Weltkrieges stattgefundene Treffen mit der großen weiten
kapitalistischen Welt beschädigt, zu reparieren. Damals hieß es,
die Russen hätten alles erfunden: das Flugzeug, das Radio. Sogar den
Elefanten. Und die russischen Uhren sind sowieso die besten in der Welt,
sie gehen schneller als andere.
Das
war Unsinn. Was die Technik oder die Wirtschaft betrifft, haben
viele Völker es weiter gebracht als die Russen.
Aber
es gibt eine andere
Kreativität. Letztendlich ist sie vielleicht wichtiger.
Die Kreativität des verrückten Malers Wladimir Jakowlew und des
Dichters Boris Pasternak.
Den
letzteren hielt man übrigens auch für verrückt, da er sich weigerte,
nach Stockholm zu reisen, um den Nobelpreis in Empfang zu nehmen. Er
weigerte sich, da er befürchten musste, die Sowjetfunktionäre
werden seine Rückkehr nach Russland verhindern. Diejenigen, die große
Vaterlandsliebe mimten, aber um jeden Preis ins Ausland wollten. Um
jenes Leben zu genießen, das die florierende Wirtschaft und die
perfektionierten Technologien schaffen. Und das eigentlich keine verrückten Dichter und
Maler braucht. Schon gar nicht, wenn die Technologien boomen.
Oder
vielleicht erst recht?
Allerdings
blühen in Russland selbst keine verrückten
Blumen mehr. Oder nur wenig.
Wenigstens
behauptet die renommierte „Zhurnal.ru“ das in ihrer Übersicht
des Kunstlebens in Russland. Vor allem in
einem Bericht von der Moskauer Buchmesse. Die Messe hätte eine
beängstigende, an die Sowjetzeit erinnernde Routine. Sowohl im Bücherangebot
als auch in den Riten der Vorstellung
und Preisverleihung der Bücher. Mittelmaß breitet sich aus und
wird in den Himmel gehoben. Wie gehabt.
Wenn man
„Zhurnal.ru“ glaubt, liegt
die Ursache darin, dass die Bücher, die tief wühlen, keinen Absatz
finden. Im Unterschied zu Produkten der Fliessbandliteratur, die
dem Leser den Alltag
versüßt.
Die andere
Literatur hängt am Tropf der Sponsoren. Der russischen und westlichen.
Und sie schätzen das Mittelmaß mehr als Verrücktheit. Wie
weiland die Sowjetfunktionäre. Und
erdrücken genauso alles, was über das Mittelmaß herausragt.
Zwar lassen
die Sponsoren auch verrückte Literatur zu. Wie die
im russischen Teil der jüngsten Leipziger Buchmesse
vorgestellte. Aber nur wohldosiert. Und die Verrücktheit soll
die Alibifunktion gewährleisten.
Und dazu lizenziert sein.
Deshalb
fehlt es an guter Dichtung, jedenfalls an der edierten guten Dichtung in Moskau.
Und an
ausgestellten guten Bildern fehlt es aus vergleichbaren Gründen auch.
Wie die vielen Bilderausstellungen in Moskau, ausgenommen die vom Verrückten
Jakowlew, zeigen.
Traurig.
Die Holzpuppen hätten so
gern mehr von verrückter Dichtung und verrückter Kunst.
Obwohl sie selber so bieder sind. Oder vielleicht gerade deswegen.
29.3.02
BILDER
EINER AUSSTELLUNG
Im
Russischen Haus in der Berliner Friedrichstrasse wurde eine
bemerkenswerte Fotoausstellung eröffnet.
Die
Ausstellung zeigt einige Dutzend seltene Fotos von sowjetischen
Altmeistern ihres Fachs wie Arkadij Schaikhet, Jewgenij Khaldej,
Alexander Grinberg und anderen. Bemerkenswert ist vor allem das mit
ihren Kameras gezeichnete Bild der sowjetischen Menschen der dreißiger
Jahre. Man sieht Menschen, die ihre Erfüllung in der selbstvergessenen
produktiven Tätigkeit zum Wohle ihrer Heimat suchten und fanden.
Menschen, die noch gestern kaum lesen und schreiben konnten, aber von
heute auf morgen einen nie erträumten Zugang zur Schatzkammer der
Zivilisation erhielten und sich wie Kinder darüber freuten. Russen,
Kasachen, Usbeken, Georgier. Arbeiter, Kolchosbauern, Sportler,
Rotarmisten. Strahlend, kräftig, selbstsicher. Als kämen sie von einem
anderen Planeten, wo Kummer, Zweifel und Angst unbekannt sind.
Die erste Frage, die sich der Zuschauer stellt, ist die nach der
Authentizität der Aussage. Der moderne Mensch weiß nur zu gut, dass
Bilder auch lügen können, mitunter noch schlimmer als Worte. So drängt
sich einem der Verdacht auf, die Bilder seien Relikte jener grandiosen
Selbstinszenierung der Sowjetunion, die, mit allen Mittel der Kunst
betrieben, das Sowjetsystem als Paradies auf Erden, die Erlösung der
Menschheit weltweit darstellen sollte. Eine Propaganda also, die keinen
Bezug zur Realität hatte.
Das nähere Hinsehen lässt aber keine eindimensionale Auffassung zu.
Man spürt, dass die auf den Fotos abgebildeten Sowjetmenschen sich vor
der Kamera nicht verstellten. Sie atmeten tatsächlich "die Zeit
des Optimismus", wie die Ausstellung heißt. Und sie gaben sich so,
wie sie waren. Lauter, schlicht, sogar naiv. So brauchten die
Fotographen die Menschen nur so ins Bild zu setzen, dass ihr Naturell
sichtbar wurde. Und das gelang ihnen meisterhaft.
Trotzdem wird der kritische Zuschauer fragen, ob es denn nicht die vom
großen Terror, von schreiender Willkür der Staatsmacht geprägten
Jahre der Sowjetgeschichte waren? Sie waren es, und zwar in der ganzen Hässlichkeit.
Millionen verschwanden hinter dem Stacheldraht des Archipel Gulag,
Hunderte Tausende wurden für nichts und wieder nichts erschossen. Die
ausgestellten Bilder zeigen es nicht. Andere, die es zeigen könnten,
wurden nie geschossen. Durften nicht.
Somit präsentiert die Ausstellung gewiss nur einen Teil der
sowjetischen Realität der dreißiger Jahre. Nur die Sonnenseite des
Zeitalters, als sich Russland, von der Idee des Kommunismus beseelt, in
wenigen Jahre das aneignete, wofür andere Länder mehrere Jahrzehnte,
wenn nicht Jahrhunderte brauchten .
Heute wissen wir, dass das kommunistische Experiment im Wesentlichen
trotzdem misslang. Auch weil sich die Idee des Kommunismus nicht stark
genug erwies, um der Machtbesessenheit und dem Machtmissbrauch
vorzubeugen.
Dennoch darf das, was wahr ist, nicht verschwiegen werden. Und wahr ist,
dass es damals viel Leid, Qual und Elend in Russland gab. Aber auch viel
Glück, Elan und Glaube. Den Optimismus eben.
Insofern lügen die Bilder der Ausstellung im Russischen Haus in der
Berliner Friedrichstrasse doch nicht. Insofern lohnt es sich, der
Ausstellung einen Besuch abzustatten.
1.03.02-
4.03.02
3.MUSIK
UND BÜHNE
"TATU“
ZIEHT IN DEN FRIEDENSKAMPF
„Tatu“
heißt ein etwas skandalöses russisches Mädchenpopduo. Bei ihren
Auftritten zeigten die zwei jungen russischen Damen mehr als üblich von
ihren Reizen, was allerdings noch kein Aufsehen erregt hätte, stellten
sie nicht
gleichzeitig ihre (echte oder gespielte) Liebe zur Schau. Und da sie außerdem noch als Künstlerinnen versiert sind, schlugen sie
bald alle Konkurrenz
aus Russland, die sich im Westen tummelt.
Sie
sind auch politisch stark
engagiert. Im Friedenskampf, versteht sich. Ihre Sehnsucht nach
Frieden bewiesen sie bereits vor einem Monat. Im
NBC- Fernsehen. Obwohl die NBC ihnen nahe legte,
das Thema bei ihrem
Auftritt auszusparen, erschienen sie
vor der Kamera in T-Shirts mit
der russischen Aufschrift «х...
войне».
«Война»
ist Krieg. Was das
russische Wort, das wir nur mit dem Anfangsbuchstaben bezeichnet haben,
bedeutet, wissen die Leser, die sich von Iwan Matrjoschkin, Esq.,
unserem Cheflinguisten, aufklären ließen*.
Die anderen können es sich denken.
Jetzt
versetzte das Duo der Bush-
Regierung einen neuen, vielleicht tödlichen Schlag.
Die jungen Damen ließen den Slogan auf einem Teddy-Bären prangen. Er
findet in den USA reißenden
Absatz . Hier ist das liebe
Bärchen:
Nicht
weniger Erfolg haben T-Shirts, Unterwäsche, Tassen und
sogar Wanduhren mit demselben Slogan. Er hat die besten Chancen,
die Amerikaner und Russen im
Kampf für den Frieden zusammenzuschmieden.
In
diesem transatlantischen Antikriegsbündnis würden wir
auch die Deutschen gern sehen. Deshalb
verletzen wir ausnahmsweise unsere Regel „keine Werbung!“ und
geben hier die Adresse eines USA- Internetladens bekannt , wo die
scharfe Munition der Friedensfreundinnen angeboten wird: www.CafePress.com.
Das
Bärchen kostet nur $19.99. Angesichts des Anstiegs des Euro gegenüber
dem Dollar kann sich es fast jeder Deutsche leisten und auf
diese Weise den Weltfrieden sichern helfen.
Jedenfalls solle man (frau) sich nicht am unflätigen Wort auf dem
Bauch des Bärchens stoßen. Es gibt im Russischen kein anderes, das (in verschiedenen Variationen) so
aussagekräftig ist. Auch wenn es gilt, Zuneigung, Liebe, ja
Verehrung zum Ausdruck zu bringen. Und den Hass erst recht.
Die
Subsumierung der
pazifistischen Emotionen unter der
ordinären Verwünschung der ausgelassenen Mädchen soll aber
auch nicht als eine
Bagatelle abgetan werden.
Sie geben die Einstellung der Russen treffend wieder. Jedenfalls viel
treffender als
die manipulierten Meinungsumfragen.
Wie
es z.B.1917 war, als
die Russen den
Weltkrieg auf ch... schickten, was zur großen
Revolution führte, die Russland und nicht wenig auch die Welt
veränderte.
Mag
sein, dass die russische Regierung etwas zögerlich gegen den Irakkrieg
der USA auftritt, womöglich
weil sie selbst einen Krieg in Tschetschenien führt. Aber
vielleicht ist
der Tag nicht fern, da die Russen unisono verkünden: "
Да пошла она
на х... эта
война". Die Amis stimmen
ihnen zu. Die Deutschen auch. Die Franzosen.
Und der Bär , von dem wir hier berichten, wird zum Wappentier
der neuen, friedlichen und glücklichen Welt. Wünschen sich
sehr Iwan Matrjoschkin, Esq. und andere Holzpuppen von
matrjoschka-online. de.
*Sieh z.B. die Datei "хрен" auf dem
Link der lachenden Matrjoschka.
6.3.03
RUSSISCHES
FERNSEHEN IST VIEL FREIER ALS AMERIKANISCHES...
Die
Feststellung traf ein populärer und- nota bene! – ausgesprochen
liberaler russischer Fernsehmoderator Wladimir Pozner. Im russischen
Fernsehen wird ein Auftritt gegen den Krieg in Tschetschenien
geduldet, im amerikanischen- ein Auftritt gegen den Irakkrieg mit
Berufsverbot bestraft, sagte er.
Sein
amerikanischer Freund und Kollege Phil D. müsste sein Programm auf dem
NBC- Kanal einstellen. Die NBC- Chefs glauben herausgefunden
zu haben, das Programm beschädigt
, weil Bush- kritisch, das NBC- Image.
Kurz
davor haben zwei russische
Pop- Sternchen („Tatu“) trotz dem Verbot in einem NBC- Programm
gegen den Irakkrieg Washingtons
protestiert. Mit einem eindeutigen, wenn auch etwas ordinären Satz, den
sie sich tätowieren ließen (siehe den Link der nachdenklichen Puppe,
zweiten von oben in der vertikalen Reihe).
Wurde Phil D.,
bekannt als Russenfreund, etwa deshalb gefeuert?
Wir, Holzpuppen von „Matrjoschka
- online.de“, verkünden hiermit unsere unbegrenzte Solidarität mit
Phil. D. und anderen verfolgten USA – Kollegen. In Deutschland kommt
so was – Gott sei Dank- nicht
vor. So blicken wir in die Zukunft voller Zuversicht.
7.3.03
AUF
DER BÜHNE DER STAATSOPER UNTER DEN LINDEN ZU BERLIN HAT DER KRIEG IM
NAHEN OSTEN BEREITS STATTGEFUNDEN. UND WURDE VON DEN CHRISTEN GEWONNEN.
GOTT SEI DANK.
Das
schreibt der Opernexperte des Medienkonzerns "Matrjoschka-online.de"
Iwan Matrjoschkin, Esq. in seiner Rezension auf die Premiere der Oper
„Rinaldo“. (Das Sujet: der Kampf zwischen den Christen und Mauren im
Nahen Osten während der mittelalterlichen Kreuzzüge).
Händels
Oper stammt zwar aus dem XVIII. Jahrhundert, erhielt Unter den Linden
aber einen höchst aktuellen Anstrich. Dazu taten Inszenierung und Regie
ihr Bestes. Das Szenenbild schmückt ein überdimensionales Photo eines
USA- Rangers, auf der Bühne trottelt
ein netter Artgenosse meines persönlichen Vehikels* mit einer
Raketenstartrampe auf dem Rücken usw.
usf. So wird dem Besucher nicht allein ein Ohrenschmaus, sondern auch
eine Augenweide geboten. Ein höchst erbauliches Bild der aufrichtigen
Christenmänner, die einen Sieg
über die Muslime
davon tragen.
Und
kommen Sie mir bitte nicht
mit Überlegungen, ob eine ernste Opernbühne
so weit ins aktuelle Geschehen eingreifen darf. Darf sie! Im
vorliegenden Fall erst recht! Selbst
Georg Friedrich Händel hat
alle Zweifel ausgeräumt, als er die mittelalterlichen Kreuzzüge in
„Rinaldo“ verballhornte. Und was sonst, wenn nicht
ein moderner Kreuzzug, ist der wohl unvermeidlich gewordene
Waffengang unserer Verbündeten? Zwar duftet er nicht nur nach
Weihrauch, sondern stinkt ein wenig nach Erdöl, aber suchten denn die
mittelalterlichen Kreuzritter im
gelobten Land nur nach Grab
des Erlösers?
Die
uns, den Erben, in der Opernaufführung Unter den Linden gespendete Ermunterung haben
wir übrigens nötig. Davon zeugt das kleinliche Gerede, unsere Krieger werden im bevorstehenden Kampf gegen die
Ungläubigen abseits stehen. Warum denn? Warum lässt man uns am
Kreuzzug nicht teilnehmen? Obwohl ich mir meiner Gehorsamspflicht dem
neuen Vaterland gegenüber bewusst bin, überlege ich,
mich als
Freiwilliger für diesen entscheidenden Kampf anzumelden. Und zwar im
Generalstab der USA-Streitkräfte. Ich bitte hiermit die Zuständigen
(insbesondere den Herrn Minister des Auswärtigen Herrn Joseph Fischer),
zu prüfen, ob ich es darf.
Und
wenn ja, werde ich gerne
den weiblichen Holzpuppen unseres Teams ein Schnippchen schlagen. Sollen
sie sehen, wie sie ohne den von ihnen ständig gepiesackten Iwan
Matrjoschkin, Esq., auskommen. Außerdem sagt man an unserem Stammtisch
in der Kneipe „Sonnenschein“, Berlin, Prenzlauer Berg, die Angehörigen
der USA- Streitkräfte kriegen in der Wüste so viel Bier, wie sie
wollen. Gratis! Das heißt, der Bundesminister für Verteidigung, Herr
Struck, bezahlt es. ( Kein
Wunder, dass die Yankees wie
Wüstenlöwen kämpfen. Wie unsere deutschen Vorfahren kämpften,
als sie es noch durften. Sie wissen schon...).
Allerdings
ist Polen noch nicht verloren. Ich, Iwan Matrjoschkin, Esq., bin sicher,
wenn Bundeskanzler Herr
Gerhard Schröder die Aufführung von Rinaldo erlebt, ändert er seine
Entscheidung, unsere teuersten Verbündeten allein kämpfen zu lassen.
Soll er, wie verlautet, tatsächlich knapp bei der Kasse sein,
verschaffe ich ihm Karten umsonst. Meinetwegen auch der Doris. Ins
Theater gehen sie wohl noch zusammen. Oder?
Für
die beiden lasse ich gerne meine Verbindungen
zur Staatsoper spielen. Sehr gute Verbindungen, übrigens. Schließlich
besteht die Hälfte der singenden, tanzenden und schauspielenden
Gesellen der Deutschen Staatsoper aus Russen.
PS.1.
Eine Holzpuppe versuchte
mir einzureden, die Rinaldo- Aufführung
hätte ich ganz falsch gedeutet, da die auf die Gegenwart gemünzte Persiflage auf keinen Fall gegen das Morgenland zielt. Aber
ich lasse mich vom
klugscheißenden Weib nicht belehren. Jedenfalls
verließ ich das schöne Haus in kämpferischer Stimmung, wollte sofort ein paar Türken aufklatschen, fand aber in
der Gegend keine. Und nach Kreuzberg ist es mir zu weit.
PS.2.
Übrigens finde ich es unzulässig, dass beim Eingang zur Staatsoper
kein Sicherheitscheck stattfindet. Keine Taschen- und Schuhkontrolle. In
den Rängen sitzen keine Scharfschützen der Sonderdienste.
Und das bei der hochexplosiven Aufführung. Und hochkarätigen Gästen im Saal (es wird gemunkelt, sogar ein Freund und Kollege
des ehemaligen Regierenden Bürgermeisters Mompi war anwesend). Hat denn
unser Innenminister, Herr Schili, die
jüngsten Lehren aus Moskau
nicht beherzigt, wo die Terroristen während der Aufführung eines
Musicals mit furchtbarer Wucht zuschlugen?
Ich
beantrage hiermit, die Karten für diese Aufführung nur jenen Personen
zu verkaufen, die keine
Muslime sind. Die Frauen müssen die entsprechenden
Bescheinigungen des zuständigen Seelsorgers an der Kasse
vorweisen. Die Männer können auch etwas anderes vorweisen, wozu das
Kassenpersonal durch geeignete Prüfer (z.B.
Komparsen des Balletts) aufgestockt werden soll.
*Gemeint
ist die Eselin
Suliko - siehe den letzten Link "In eigener Sache",
ganz tief unten auf der Startseite.
18.01.03
DIE
„RUSSISCHE MAFIA“, EINMAL GANZ ANDERS
„Die
russische Mafia hat die Staatsoper erobert“, begrüßte mich, breit lächelnd,
ein deutscher Kollege vor der Premiere des Balletts „Die Bajadere“
an der Lindenoper
in Berlin, mit dem sich Vladimir Malakhov, seit der Spielzeit
2002/03 Ballettdirektor des Hauses, als Choreograph und Tänzer
vorstellte, nach dem Jubel bei der Premiere ein wohl gelungener
Einstieg.
Wer
das russische Ballett liebt, sollte auf keinen Fall die „Bajadere“
verpassen. 1877 erlebte sie in der Choreographie des bedeutendsten
Choreografen des 19. Jahrhunderts, des in Russland tätigen Franzosen
Marius Petipa am
kaiserlichen Opern- und Balletttheater der damaligen russischen
Hauptstadt St. Petersburg die Uraufführung.
An der Lindenoper setzte das Ballett der in der Ukraine geborene
Malakhov in Szene. Er erhielt an der Moskauer Bolschoi- Ballettschule
seine Ausbildung und wurde gleich nach seinem Abschluss an das Moskauer
Klassische Ballett engagiert. Verträge mit dem Wiener
Staatsopernballett, dem National Ballet of Canada, dem American Ballet
Theatre an der Metropolitan Opera in New York
folgten. „Die Bajadere“ ist eine Rekonstruktion nach Petipa.
Wesentlich
zum Erfolg der Premiere beigetragen hat die als Gast für die Partie der
Nikia, der Tempeltänzerin, von Petersburg nach Berlin verpflichtete
Diana Vishneva, die zahlreiche internationale Tanzpreise und 2001 den
nationalen russischen Theaterpreis „Goldene Maske“ erhielt. In der
zweiten Besetzung tanzt diesen Part übrigens auch eine Russin, Nadja
Saidakova, die als erste Solotänzerin seit 1995 dem Ballettensemble der
Lindenoper angehört.
Die
Staatsoper setzt mit dieser Inszenierung die Rekonstruktion von
Choreographien und Bühnenbildern großer Meister des Balletts fort,
erinnert sei nur an die rekonstruierte Fassung von Wazlaw Nijinskis
„Nachmittag eines Faun“ mit Bühnenbildern nach dem
bedeutenden russischen avantgardistischen Maler Leon Bakst. Stand diese
allerdings ganz im Zeichen der Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts,
so fühlte man sich in „Die Bajadere“ ins 19. Jahrhundert versetzt.
Im ersten und zweiten Akt alles ein wenig zierlich, manierlich, aber als
nach der Pause die
dramatische Liebesgeschichte mit Mord und Totschlag in Fahrt kommt,
springt der Funke aufs Publikum über.
Auch
die Operntruppe der wohl renommiertesten deutschen Bühne hat
Sängerinnen und Sänger aus Russland.
Kaum eine Aufführung der Lindenoper ohne russische Namen auf der
Besetzungsliste.
Dem bravourösen Einstand
Vladimir Malakhovs ging die
Premiere einer russischen Oper voraus. Die Neuinszenierung von
Schostakowitschs „Die Nase“.
Die
Premieren kündigen gewissermaßen die
bevorstehenden russischen Kulturtage in Deutschland im nächsten
Jahr an. Diese beginnen mit der starken Präsenz des russischen Films
auf der Berlinale im Februar. Die Frankfurter Buchmesse hat diesmal den
Länderschwerpunkt Russland. Über Monate wird die Ausstellung „Moskau-Berlin 1950-2000“
die historische Tiefe und Komplexität der wechselseitigen
Kulturbeziehungen sichtbar machen und zugleich bis in unsere
unmittelbare Gegenwart führen.
Auf
dem Programm steht aber viel mehr. Nicht nur die Metropolen Moskau und
St. Petersburg, sondern auch russische Regionen
mit ihren Kunst- und Kulturbeiträgen sollen vertreten sein. In
Vorbereitung sind Kunst-
und Fotoausstellungen, Theater- und Satirefestivals, Musiktage und
Filmwochen. Als Vermittler und Veranstalter agieren aber nicht nur
staatliche Institutionen. Eine wichtige Rolle übernahm der
Bundesverband Deutscher West-Ost- Gesellschaften e.V., der über gute
Kontakte zu den russischen Regionen verfügt und diese bei der
Gelegenheit spielen lässt. Das Ganze läuft unter der Mitwirkung und
Schirmherrschaft des
Petersburger Dialogs.
Bemerkenswert
ist in diesem Zusammenhang eine Bilanz der deutsch-russischen
Kulturbeziehungen, die das deutsche Institut für Auslandsbeziehungen in
diesen Tagen zog. In seiner Dokumentation „Netzwerke für die
Zukunft“, herausgegeben zu
den russischen Kulturtagen in Deutschland, steht, dass die deutsch-
russischen Kulturbeziehungen in den letzten zehn Jahren auf eine völlig
neue Grundlage gestellt worden sind. Russland ist heute einer der
wichtigsten Partner im Kulturaustausch, und die Außenpolitik
Deutschlands gegenüber Russlands nutzt in einem ungewöhnlichen Ausmaß
die „Dritte Säule“ Kultur.
Bleibt
dem nur hinzuzufügen, dass 2004 viele deutsche Veranstaltungen in
Russland geplant sind - als Pendant zum
„russischen“ Jahr 2003 in Deutschland.
Anm.
von Iwan Matrjoschkin, Esq. : Meinerseits möchte ich als politischer
Experte der Holding matrjoschka-online.de dieser sachgerechten Einschätzung
etwas hinzufügen. Dankenswerterweise wurde nämlich die Premiere der
"Bajadere" an der Staatsoper Unter den Linden dem Publikum
gerade in den Tagen angeboten, als der russische Präsident Wladimir
Putin China und danach Indien besuchte.
Kein Zufall sicher, da es auch
eine Dreieckgeschichte mit Liebe und Eifersucht ist. So dachte ich, als
ich die Kunstsprünge von Vladimir Malakhov in der Rolle des angesehenen
Kriegers mit dem Namen Solor bewunderte,
an meinen Freund im Kreml, der auch ganz schön zwischen Peking
und New-Dehli (wie sein Prototyp Solor zwischen
dem Tempelmädchen Nikia und
der Radsha-Tochter Hamsatti) hin
und her gerissen wird. Da
aber er als Spitzenpolitiker genauso plastisch ist, wie Vladimir
Malakhov als Tänzer, bin ich der Meinung, seine Pirouetten werden
genauso mit Erfolg gekrönt, wie der Einstand des russischen Tänzers an
der Staatsoper zu Berlin.
9.12.02
DAS
KONZERT
Nie
zuvor gab es, dass ich in diesem gut sortierten
Laden einen
abschlägigen Bescheid erhielt,
wenn ich ein CD mit klassischer Musik verlangte. Diesmal passierte es. Auf meine Frage
antwortete die mir gut bekannte Verkäuferin lächelnd, die 11. von
Dmitri Schostakowitsch sei nicht mehr zu haben. Alle Aufnahmen
ausverkauft. Restlos. Nach dem Konzert in der Philharmonie.
Ich
wusste, von welchem Konzert sie sprach. Ich habe es besucht. Die 11.
stand auf sein Programm. Gespielt von der Staatskapelle Berlin.
Unter der Leitung von Semjon Bytchkov.
Sehr
untertrieben gesagt, war es beeindruckend.
Eigentlich war es keine Musik. Es war das mit wunderbaren Tönen
erfasste Russland des zwanzigsten
Jahrhunderts. Mit all seinen von keinem anderen Land erreichten Höhen
und Tiefen, Freuden und Leiden, Heiterkeit und Trauer, Edelmut und
Niedertracht, Menschlichkeit und Bestialität. Ein Requiem
für die Opfer und eine
Hymne fürs Land und sein Volk zugleich.
Der
aus Petersburg stammende Semjon Bytchkov, zur Zeit ein Dresdener
Dirigent, hat das Unmögliche fertig gebracht. Er und das Orchester präsentierten
die Sinfonie so , wie
Schostakowitsch vermutlich sie
hörte, als er sie schrieb. Es
war eine Sternstunde der
Interpreten.
Das
raffinierte Premierenpublikum der Philharmonie, das sonst kaum aus dem
Gleichgewicht zu bringen
ist, gebärdete sich wie verrückt. Es klatschte, stampfte mit den Füssen,
schrie. Es tobte. Der sichtlich erschöpfte Dirigent musste eine kein
Ende nehmende Jubeltour über sich ergehen lassen. Eine, von der seine Berufskollegen nur träumen können.
Wenn
es üblich wäre, sollte an
der Philharmonie im Berliner Kulturforum eine weiße marmorne
Gedenktafel angebracht werden. Worauf mit goldenen Lettern geschrieben
steht : „Am 17.10. 02 besuchte Russland dieses Gebäude“.
Aber
auch ohnedem werden
diejenigen, die das Glück hatten, das Schostakowitschs Werk in dieser
Interpretation zu hören, das
Konzert nicht vergessen. Ihr Leben lang.
P.S.
Ich, Iwan Matrjoschkin, Esq., habe im Zusammenhang damit ein Problem.
Nach dem Konzert plagte
mich der Minderwertigkeitskomplex. In den letzten Jahren versuchte ich nämlich auf der Seite
„www.matrjoschka-online.de“ Russland, ohne es zu beschönigen oder
schlecht zu machen, den Deutschen näher
zu bringen. Wie kläglich schneidet mein Versuch ab, verglichen mit dem
im Konzertsaal Erlebten.
Wie kläglich...
So
reichte ich dem Vorstand des Konzerns meine Kündigung ein. Sie wurde
abgelehnt. „Matrjoschkin, - hat die vorsitzführende Puppe
gesagt ,- jedem das Seine. Außerdem stehst Du bei uns in der Kreide, da
Du immer Vorschüsse für deine Kneipenbesuche erbettelst. Willst Du
etwa, dass wir eine Inkassofirma beauftragen, Deine Schulden
einzutreiben?“.
Nein,
das will ich nicht. So bleibt mir nichts anderes übrig, als
weiterzumachen. So gut ich kann. Und
in meiner geschundenen Seele die lichte Erinnerung an den reinsten Geist
Russlands zu bewahren, den Schostakowitsch, Bytchkov und die
Staatskapelle Berlin in den
Konzertsaal der Philharmonie zauberten.
22.
10.02
DAS
BERLINER MAXIM- GORKI- THEATER WIRD 50
Es
wurde am 30.Oktober 1952 eröffnet,
als Deutschland und seine Hauptstadt
gespalten und die
Kriegsruinen in Berlin noch auf Schritt und Tritt wahrnehmbar waren. Und
nun eröffnete das „Kleine Theater Unter den Linden“ seine 50.
Spielzeit. Selbstverständlich
mit einem russischen Stück, war es doch immer
die Berliner Bühne, die russische und sowjetische Dramatik
brachte. Eine vollständige Liste der hier inszenierten
Werke russischer,
beziehungsweise sowjetischer
Bühnendichtung wäre in
etwa so groß wie die des Maly Theater in Moskau. Und die Stückeschreiber
waren zum Teil die gleichen:
der Namensgeber Maxim
Gorki, aber auch Alexander Ostrowski, Anton Tschechow, Nikolai Gogol
etc.
Diesmal
war es wieder ein Stück von Alexander Ostrowski. „Wölfe und
Schafe“. Wenn der jugendliche
Elan des Jubilars eines
Beweises bedurfte, lieferte ihn diese Premiere. Wie hier fast immer,
agierten auf der Bühne gut
erkennbare russische Typen. Als Zuschauer staunte man
und freute sich, dass die deutschen Schauspieler das
russische Element so gut getroffen haben.
Das
Presseecho ist allerdings gespalten. Manche Kritiker meinen, die Aufführung
neige zum Klamauk. Aber so
wollte es Ostrowski vermutlich, vielleicht um seiner Kritik des in
Russland um die Zeit entstehenden Kapitalismus das Verkrampfte
zu nehmen. Er schrieb eben
eine echte Komödie, die wie Gogols „Revisor“ die Grenzen
des Genres voll ausschöpfte.
Übrigens
bot das Maxim- Gorki- Theater, als es am 30.10.1952
seine Pforten im traditionsreichen Haus
Unter den Linden öffnete, seinen Zuschauern etwas ganz anderes.
Ein Stück vom linientreuen sowjetischen Bühnenautor Boris
Lawrenjow. Der Autor interpretierte auf sowjetisch den
ewigen tragischen Konflikt zwischen Pflicht und
Liebe. Recht schematisch.
Zwischen
der Premiere vor 50 Jahren und der neuen, von „Wölfen und
Schaffen“, liegen Welten. Jedenfalls aber ein langer Weg der
produktiven Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist und mit der DDR-
Obrigkeit, die vom Ensemble
mitunter Agitpropkunst erwartete. Dankenswerterweise
verstanden aber hiesige Theaterleute
der verordneten Verflachung entgegenzuwirken. So
konnte die Bühne den Prüfungen der Zeit standhalten. Auch nach
der Wiedervereinigung behauptete
sie erneut ihren würdigen Platz in der Theaterlandschaft Berlins. Keine
andere europäische Hauptstadt außer Moskau hat jetzt ein Theater, das
wie dieses der Sympathie zu
der russischen Bühnenliteratur treu ist und dabei nicht erstarrte,
sondern einen neuen Blick aufs Repertoire gewann.
Es
ist an der Zeit, seine Gründer
ehrend zu erwähnen. Vor allem den sehr begabten deutschen Theatermann
Maxim Vallentin. Er gehörte zu jener Riege deutscher Melpomenediener,
die nach Hitlers Machtantritt das Land Richtung Sowjetunion verließen.
Dort erwartete sie bekanntlich nicht immer das Erhoffte.
Viele mussten Schlimmes erleben. Darunter auch Maxim Vallentin,
Freund und Schüler des großen deutschen Regisseurs Max Reinhardt. Aber
wie viele seiner Berufskollegen kam
er nach dem Krieg ins
befreite Berlin, mit
Groll auf die damaligen sowjetischen Machthaber, aber
ohne Groll auf die Russen. Und akzeptierte den Vorschlag der
sowjetischen Besatzungsmacht, ein Theater in Berlin zu gründen, das die
von den Nazis unterbrochene deutsche Tradition der Hochschätzung der
russischen Bühnenkunst wieder aufnimmt.
Es
würde zuviel Platz in Anspruch nehmen, hier die vielen talentierten
Theaterleute aufzuzählen, die in den fünf Jahrzehnten auf den Brettern
des Maxim-Gorki-Theaters wirkten. Nur so viel: In den letzten Jahren
gelang es ihm, neue Stars für seine Aufführungen zu gewinnen. Die
Lieblinge des Berliner Publikums- Harald Juhnke, Katharina Thalbach, Ben
Becker.
Im
Jubiläumsmonat soll hier
mit einer ganzen Reihe verschiedenster Veranstaltungen der Blick neu
nach Osten gerichtet werden, um die heutigen Tendenzen russischer
Dramatik zu erkennen und den Interessierten in Berlin bewusst zu machen.
Das soll in enger Zusammenarbeit mit
Berufsgenossen aus Moskau geschehen. So finden im Oktober
Matineen mit Alexander
Gelman, Alexander Galin, Michail Schatrow, Valentin Rasputin statt. Es
sind die Autoren, die in den siebziger und achtziger Jahren den
Spielplan des Gorki- Theaters prägten. Die Realität dieser Jahre, der
schwere Alltag im Sozialismus, die Auseinandersetzung mit dem System
konnten in der Sowjetunion, mindestens auf der Bühne,
oft mehr angesprochen und gedacht werden als in der DDR. Aber
wenn es um die sowjetischen Bühnenautoren ging, musste die DDR-Zensur
ein Auge zudrücken. Und das Maxim-Gorki-Theater nutzte es ausgiebig.
Nicht
nur das Ernste kommt zum Jubiläum aus Moskau, sondern auch das Heitere.
Im Programm steht eine Veranstaltung unter dem russischen Titel „Pjatdesjat“
mit dem Geburtstagsgruß der Berliner Singakademie
„Tumbalalaika“.
Anschließend
werden den Besuchern russische Küche, russische Musik, russischer Tanz
präsentiert.
Auch
ein russisches Gastspiel gehört zum festlichen Programm.
„Die
Letzten“ von M. Gorki, aufgeführt von der
Tabakerka Moskau in russischer Sprache. Mit Oleg Tabakow in der
Hauptrolle.
Und
last not least: Michail Schwidkoj, Kulturminister der Russischen Föderation,
wird zu den Jubiläumsveranstaltungen erwartet.
Im
Deutschen gibt es ein Wort „Seelenverwandtschaft“,
das Bindungen andeutet, die mitunter stärker sind, als die der
Blutverwandtschaft. Nicht nur das Jubiläumsprogramm des Maxim- Gorki-
Theaters zu Berlin, sondern seine ganze, nun fünfzigjährige Geschichte
ruft dieses deutsche Wort in Erinnerung.
18.9.02
DIE
RUSSISCHE SAISON IN DER BERLINER STAATSOPER
Am
3.9. eröffnet die Berliner Staatsoper die neue Saison. Der Auftakt war
am Samstag, den 31.8. Er wurde mit einem wunderbaren Feuerwerk und einfallsreichem
Feuerspiel auf dem Bebelplatz neben der Lindenoper begangen. Die
Prachtstrasse und alle Zugänge waren bis in die Nacht ein einziges
Chaos: so viele Autos und Menschen unterwegs wie noch nie.
Aber
der Clou war die open air Aufführung einer Oper auf dem Bebelplatz.
Nota bene: einer russischen Oper. Das Volkstück „Mawra“ von
Igor Strawinsky, dem genialen russischen Komponisten der frühen
Moderne. Strawinsky hatte es gern, seine Werke als Jahrmarktaufführungen
zu gestalten, obwohl sie im Grunde genommen
für ein sehr raffiniertes Publikum
geschrieben wurden. Auch „Mawra“ ist so ein Stück,
musikalisch bezaubernd, an das Poem
von Alexander Puschkin „Das Häuschen in Kolomna“, von der Liebe zum
einfachen Volk durchdrungen, anlehnend. Natürlich wirkten russische Künstler
mit.
Die
open air Opernaufführung war ein voller Erfolg, obwohl in russischer
Sprache gesungen. Das Publikum, das den Bebelplatz füllte, klatschte.
Die
Russen sind wenigstens auf den Musiktheaterbrettern im Vormarsch. Kaum
eine große Opern- und Ballettbühne der Welt ohne russische
Solisten, Regisseure, Dirigenten, Bühnenbildner. Gott sei Dank, ist
darunter auch die Berliner Staatsoper Unter den Linden. Und zwar oben in
der Liste.
Am
3.9. bringt sie das Ballett „Giselle“. Ausnahmsweise nicht von einem Russen
komponiert. Aber die männliche Hauptpartie in der Aufführung tanzt ein
wachechter Russe. Startänzer
Vladimir Malakhov. Seit dem 1. August
ist der internationale,
im Westen geliebte, im Osten verehrte, in Russland unvergessene
Star der neue Ballettdirektor der Lindenoper. Er gilt als der beste
Balletttänzer der Gegenwart. Jedenfalls nach der Meinung des
renommierten japanischen Magazins „Dance“. In den letzten zehn
Jahren ging der höchste internationale Preis für Ballettvirtuosen „Der Göttliche“ und „Die
Göttliche“ nur an drei Tänzer. Zwei sind Diana Vischnieva und
Vladimir Malakhov. Die beiden, der Russe und die Russin, tanzen
in der „Giselle“.
Ура!
Наша берет!
(Hurra! Wir siegen! - schrie bei der Redaktionssitzung mit der
Tagesordnung aus einem einzigen Punkt „Die Russen und das Ballett“
Iwan Matrjoschkin, Esq.,
unser Ballettexperte. Er forderte alle weiblichen Holzpuppen zu einem
strengen Diät als einer Vorstufe des Eintritts ins Ballett Ensemble
der Staatsoper unter den Linden. Als er aber wie fast immer um
einen Vorschuss bat, um in seine Stammkneipe gehen zu können, rächten
sich die angenehm fülligen matrjoschkas für den Spott. Der Vorschuss
wurde ihm unter Hinweis darauf verweigert,
das Bier mache dick.
Was nicht stimmt, denn die Deutschen, ob Männlein oder Weiblein,
trinken viel Bier, bleiben aber schlank.
P.S.
Das russische Ballett erobert die Berliner Bühne nicht zum ersten Mall.
Am Anfang des vorigen Jahrhunderts gab es Ähnliches. Die höchste
Anerkennung: die Meißner Manufaktur machte damals eine herrliche
Figurenreihe mit dem Titel „Das russische Ballett“. Wir bringen
eine Abbildung:
2.09.02
GUTER
KLANG DER WEISSEN NÄCHTE IN SANKT PETERSBURG
Wie
seit 1992 jährlich,
werden sie auch diesmal mit
einem inzwischen weltberühmten Musikfestival untermalt. Es singt zwar
nicht Placido Domingo, sonst
aber treten viele andere erstklassige Interpreten auf.
Und wie in den vorigen Jahren zeigt das Mariinski Opern- und
Balletttheater sein ganzes Repertoire. Darunter das Ballett
Bajadere von L.Minkus, dessen
4. Akt, vor hundert Jahren verschwunden und erst vor kurzem
wieder gefunden, jetzt in
voller Fassung zum ersten Mal aufgeführt wird. Allerdings kann ein Fan,
der die Aufführung in Petersburg, warum auch immer versäumt, das
Ballett später genießen: auf
der Bühne der Metropolitan- Opera in New York,
wo das Theater nach Ausklang der
Weißen Nächten gastiert. Notfalls
übrigens auch in Berlin, da die Staatsoper für die neue Saison die
Bajadere-Premiere ankündigt - auch mit
guten Russen, nur mit anderen.
In
Moskau heißt ein beliebtes Musikfestival „Süßkirschen Wald“.
Diesmal
wurde ein Konzert zu seinem Ereignis, das nicht allein durch sein hohes
Niveau Schlagzeilen machte. Das Solokonzert des Pianisten Andrei
Gavrilov, eines Schülers von Swjatoslaw Richter, des Russlanddeutschen,
der zu den wenigen besten Pianisten
des vorigen Jahrhunderts zählte.
Weltruhm erlangte
Gavrilov
nach einem unerwarteten Sieg auf dem Salzburger Musikfestival.
Danach
mit anspruchsvollsten Preisen und Spitzengagen bedacht, gab er jahrelang
Konzerte in aller Welt. Bis er genauso überraschend verschwand, wie er
aufgetaucht war. Wie sich herausstellte, hatte er zwei Jahre auf einer Südmeerinsel,
unter „Wilden“, in totaler Anonymität verbracht, um der haltlosen
Kommerzialisierung des Musikbetriebes
im Westen zu entrinnen. In einem im Runet veröffentlichten Gespräch
äußert er seinen Ekel gegen die „vier,
fünf Musikagenturen“, die die Musikwelt beherrschen und Stars machen, um sie wie eine Zitrone auszupressen und am
Ende fallen zu lassen. „Sie verkaufen Spitzenmusiker als wäre es
Menschenfleisch, das man an die Kannibalen verkauft“. Er muss es
wissen: als Musiker und auch als Freund der Papuas.
Mit
der Reise nach Moskau hat Andrei Gavrilow seinen Frieden mit der
russischen Heimat geschlossen, dass ihm vor Jahrzehnten
das Leben schwer machte. Nur eine abenteuerliche Flucht nach
London in Begleitung eines lieben Mädchens, Tochter eines der höchsten
kommunistische Funktionäre, rettete ihn. Er war damals
so sauer aufs KGB, dass er kein russisches Wort mehr hören
wollte. Die Erfahrungen im Westen haben ihn allerdings umgestimmt.
Wieder die Vaterlandsliebe
entdeckt, sehnt er sich
nach dem verschmähten Vaterland,
dem er bescheinigt, frei geworden zu sein.
2.6.02
In
Berlin wird der fünfzigste Gründungstag des Maxim-Gorki-Theaters
begangen.
Auf
dem Logo des Maxim-Gorki-Theaters sieht man das Bild dieses einst als
Begründer des sozialistischen Realismus in der Literatur gegoltenen
russischen Schriftstellers des XX. Jahrhunderts. Bemerkenswert ist
dabei, dass er als Radiohörer abgebildet ist. An seine Ohren drückt er
klobige Kopfhörer, wie sie in den Anfängen des Radios
üblich waren. Keiner von den Theaterleuten konnte Auskunft
geben, warum gerade dieses Maxim-Gorki-Bild vor Jahrzehnten ausgewählt
wurde. Es ist aber nicht auszuschließen, dass die Theatergründer dabei
an ihre eigenen Lebenserfahrungen dachten. Es waren nämlich deutsche
Regisseure und Schauspieler, die auf der Flucht vor dem Naziterror in
der Sowjetunion landeten. Und da sie hier wegen der Sprachbarriere ihrem
Beruf nur sehr begrenzt nachgehen konnten, verdienten sie ihr tägliches
Brot in der deutschsprachigen Redaktion des Moskauer Rundfunks, des Vorgängers
der Stimme Russlands. Es reicht, nur Professor Maxim Valentin und die
Schauspielerin Lotte Loebinger zu
nennen, die im Moskauer Rundfunk
an die Landsleute über die Grenzen hinweg sprachen
und zum Kampf gegen Hitler aufriefen.
Als
sie und ihre Berufskollegen und Freunde in die Heimat zurück durften,
war ihr erster Gedanke eine Theatergründung in Berlin. Die deutsche
Hauptstadt lag zwar in Ruinen, viele Berliner hungerten, aber ein
Theater konnte man hier trotzdem gut gebrauchen. Es sollte
geistige Aufbauarbeit, selbstverständlich im sowjetischen Sinne,
leisten, die in den Augen der für das Kulturleben in Ostberlin
verantwortlichen Offizieren
der Besatzungsmacht in Ostberlin mindestens
so wichtig war wie die
Wiederherstellung der Kommunalwirtschaft und
der Versorgung der Bevölkerung mit den notwendigsten Konsumgütern.
Mit der Hilfe der sowjetischen Besatzungsmacht erhielten
die Rückkehrer ein das schöne traditionsreiche klassizistische
Gebäude der ehemaligen Singakademie Unter den Linden und auch damals so
begehrte Lebensmittelzuteilungen- und
los ging es.
So entstand
eine der ersten Sprechbühnen in Deutschland nach dem Neubeginn von
1945. Nun, wo Gorki draufsteht, ist nicht unbedingt Gorki drin: Der
russische Dramatiker, der dem Theater seinen Namen gab, steht
nicht mehr auf dem Spielplan. Statt mit Maxim Gorki profilierte sich das
kleinste der Berliner Staatstheater mit ganz anderen Bühnenautoren.
Besonders nach der deutschen Wiedervereinigung
bemühte es sich, alles auf die Bretter zu holen, was aktuell
ist.
Dennoch
blieb es seiner Vorliebe für die russische Bühnendichtung
treu. Einer Bühnendichtung, die mit Namen wie Nikolai Gogol,
Alexander Ostrowski und vor
allem Anton Tschechow die Welt des Theaters eroberte. Die Klassiker aus
Russland sind auch jetzt im Spielplan vertreten. Aber dazu sind
modernere Autoren aus
Russland gekommen. Wie Wladimir Majakowski mit seinen satirischen Stücken
gegen die unerträgliche Bürokratisierung der Revolution. Oder Anton
Schwarz, der in der Vorperestroikazeit mit seinen Allegorien die
Gebrechen der sich bereits auflösenden Sowjetmacht geißelte.
Es
gibt kaum eine andere Sprechbühne in Deutschland,
wo so viele Werke russischer Dramatiker eine in der Regel
stoffgerechte Interpretation finden. Von Inszenierungen der russischen
Prosawerke wie die Romane von
Fedor Dostojewski, Iwan Turgenew oder die Novelle von Wenedikt Jerofejew
„Reise nach Petuschki“ schon gar nicht zu sprechen. Und wenn man
noch bedenkt, dass auf
diesen Brettern die Lieblinge des Berliner Publikums
Harald Juhnke, Katharina Thalbach und
Ben Becker spielten, wird einem klar, warum der Zuschauerraum
oft gut gefüllt ist.
In
einer Pressekonferenz über die neue, die Jubiläumsspielzeit,
versicherte die Theaterleitung, sie werde auch künftig den Spielplan
mit den Werken der russischen Theaterkunst bereichern.
Es ist den Jubilaren zu wünschen, dass sie sich
daran halten. Das wäre ein Gewinn für Berlin, für die deutsche
Theaterlandschaft und, ohne
Zweifel, für den kulturellen Austausch
zwischen Deutschland und Russland.
WENITSCKA
JEROFEJEW IM BERLNER MAXIM- GORKI- THEATER
Das
ganze Matrjoschka- team leistete sich das Vergnügen, die Premiere zu
besuchen, und wurde nicht enttäuscht. Zuerst aber wollen wir
dem Leser, falls er noch nicht aufgeklärt ist, Wenitschka
vorstellen.
So
wurde Venedikt Jerofejew genannt, Kultfigur des Moskauer
Underground in der Sowjetzeit. Seine Kernaussage lautete:
„Besser Wodka trinken, als Blut saugen“.
Ein
Dichter von Gottes Gnaden, von dem
die Welt erst erfuhr, als eine
russische Zeitung seine " Reise nach Petuschki" in
Fortsetzungen brachte. Der Redakteur wollte den Lesern angeblich ein
abschreckendes Beispiel des Alkoholismus unter die Nase reiben,
insgeheim aber hatte er wohl vor, ein Meisterwerk durch die
unbarmherzige Zensur zu bringen. Ein Werk,
das über die Befindlichkeit der Russen in der Spätzeit der
Sowjetmacht mehr aussagt, als Hunderte dicke Bände
serviler sowjetischer Schreiberlinge oder pedantischer westlicher
Wissenschaftler.
Im
Jerofejews Notizbuch steht die Frage: Was wäre, wenn Lenin im April
1917, als er mit dem Geld des deutschen Generalstabes nach Russland kam,
um die Revolution anzufachen, und eine anstachelnde Rede von einem
Panzerauto in Petersburg hielt, sich besoffen hätte und vom besagten
Auto runtergefallen wäre? Wäre es für die Russen nicht besser
gewesen? Keiner kann die Frage überzeugend beantworten, eins aber steht
fest. Die von Lenin gepredigte Lehre lockt in Russland kaum
jemanden hinter dem Ofen. Nicht sie erwies sich als unsterblich
(entgegen der Hoffnung seiner Getreuen), sondern jene russische
Mentalität, der Jerofejew zum Ausdruck verhalf. Und die eben in der
Erkenntnis gipfelt: Besser Wodka trinken, als Blut saugen.
Venedikt
Jerofejew starb 1990 in Moskau, nicht mal zweiundfünfzig geworden. Sein
Meisterwerk wird aber in der ganzen Welt weitergelesen. Denn es ist
nicht nur ungeheuer spaßig, sondern
aktuell. Heute vielleicht aktueller denn je. Und nicht nur in
Russland.
Die
Holzpuppen, glühende Jerofejew- Verehrer, schicken dem Maxim-
Gorki-Theater ihre virtuellen Handküsse. Indem das Theater die Reise
nach Petuschki inszenierte, vollbrachte es eine kühne und beglückende
Tat. Wir glauben, dass sogar der Namenspatron des Theaters, Maxim Gorki,
diese gebührend anerkannt hätte, wäre er nicht bereits vor einem
dreiviertel Jahrhundert gestorben.
Denn bevor er sich zum langweiligen Klassiker der Sowjetliteratur
mauserte, war er ein Vagabund und dem edlen Tropfen zugeneigt.
Einen
wunderbaren Darsteller hat das Theater für die Titelrolle (andere gibt
es im Spektakel nicht) gefunden. Joachim Meyerhoff ist eine leibhaftig
gewordene deutsche
Vorstellung vom jungen saufenden Russen. Die Vision eines jungen
Deutschen, dem es zu Hause fade
geworden ist. Zwar würden wir manche
Tricks wegnehmen, dafür aber mehr Text hören lassen (die Diktion des
Darstellers ist über jedes Lob erhaben). Zwar stellen wir uns den sehr
dezenten Wenitschka weniger sexbesessen als auf der Bühne vor. Aber das
muss wohl eher dem Dramatiker (Stephen Mulrine) angekreidet werden, ist
nur am Rande gesagt und mindert unsere Begeisterung nicht.
Die
wir übrigens mit den anderen Zuschauern teilten. Der volle
Zuschauerraum (keine alltägliche Sache heutzutage) wollte sich nicht
beruhigen. Es war ein Triumph des jungen deutschen
Künstlers und des genialen russischen Dichters.
Anm.
1. Das einzige männliche Mitglied des matrjoschka teams, Iwan
Matrjoschkin, der sich Esquire nennt, bemängelt, dass der Bühnenbildner
keine echten russischen Wodkaflaschen auftrieb und diese durch Koka- Flaschen ersetzte. Iwan M. behauptet, der
Anblick der Originalflaschen hätte ihn inspiriert. Aber die weiblichen
Holzpuppen sind der Meinung, Iwan war inspiriert genug. Jedenfalls hat
er unverschämt die Großzügigkeit der Theaterleitung missbraucht.
Diese spendierte jedem
Premierengast sto gramm Wodka. Und Matrjoschkin ging dreimal zur Theke,
bis er auffiel und abgewiesen wurde.
Anm.2.
Mehr über Venedikt Jerofejew finden Sie im Matrjoschka-Archiv, wenn Sie
die Sparte „Dichter“ anklicken (auf der Startseite). Dort steht auch
ein langer Auszug aus der Reise nach Petuschki in einer ausgezeichneten
Übersetzung. Viel Spaß!
5.12.01
ÜBER DIE
ERNIEDRIGTEN UND BELEIDIGTEN IN DER VOLKSBÜHNE AM ROSA-
LUXEMBURG-PLATZ, BERLIN.
Das
matrjoschka- team besuchte die Volksbühne am Rosa-
Luxemburg - Platz. An dem Tag gab es auf der Bühne eine
Aufführung nach Fedor Dostojewskis Roman "Erniedrigte und
Beleidigte". Nach dem Theaterbesuch formulierte das team seine
Eindrücke.
Die
Schauspieler schreien, als wären sie dauernd von Taranteln gestochen.
Leiser, leiser, meine Herren. Die russischen Klassiker schreien wenig.
Sie brauchen es nicht. Ohnehin werden sie vom Publikum gehört,
wenn dieses Ohren hat.
Die
Schauspieler sprechen auf der Bühne viel und lang. Zwar sprechen
die handelnden Personen auch bei Dostojewski viel und lang.
Aber der Romancier lässt sie so viel und so lang sprechen, weil er ihre
inneren Stimmen hört, ihre Auseinandersetzungen mit sich selbst
protokolliert. Alles, was im Leben still abläuft.
Eine Theaterbühne muss dafür auch andere Mittel finden können als
Geschrei. Sonst braucht man sie nicht. Sonst genügt eine Lesung. Am
besten auf einer CD.
Die
Schauspieler balgen sich wild. Wenn es das künstlerische Mittel sein
soll, um die Beziehungen der handelnden Personen zueinander zum Ausdruck
zu bringen, dann heiligt hier der Zweck nicht die Mittel. Denn die
Mittel sind zu primitiv, um das Beziehungsgeflecht bei
Dostojewski ahnen zu lassen.
Im
Zuschauerraum wird dauernd gekichert und gelacht. Dostojewski hatte viel
Gefühl für das Tragische und Dramatische im Menschenleben, aber keins
fürs Komische. Die krampfhaften Versuche der Zuschauer, ihre
Benommenheit durch Kichern und lautes Lachen abzureagieren,
führen von Dostojewski weit weg.
Das
Stichwort fiel. Abreagieren. Das ganze Anliegen der Volksbühne am Rosa-
Luxemburg- Platz scheint eben darin zu bestehen, die mehr oder weniger
(und immer mehr) entwurzelte Jugend vom Prenzlauer Berg im riesigen
Theaterraum abreagieren zu lassen. Damit sie sich auf der Strasse
nicht abreagiert. Ein begrüßenswertes Anliegen. Die Holzpuppen sind
auch für Ordnung. Bloß ist denn Dostojewski dafür nicht zu
schade?
Vor allem,
wenn man bedenkt, dass er nicht missgestaltet werden muss, um dieselbe
Funktion, aber viel nachhaltiger, zu erfüllen. Bekanntlich fing er auch
als Rebell an. In Sankt Petersburg nahm er an einer Verschwörung gegen
den Zaren teil. Wurde geschnappt, zum Tode verurteilt, stand bereits
unter dem Galgen und spürte die Schlinge an seinem Hals, wurde aber im
letzten Augenblick begnadigt und musste viele Jahre in Sibirien
seine Katorga - Strafe abbüssen. Zurück kam er geläutert. Alles, was
er danach schrieb, warnte die Russen davor, ihr Glück durch Rebellion
herbeiführen zu wollen. Das Gottesreich sollten sie in ihren Seelen
suchen. "Die Erniedrigten und Beleidigten" sind davon
durchdrungen. Aber auf der Bühne kommt es nicht deutlich genug heraus.
Schlimm. So erzieht man die angehenden Anarchisten nicht. Durch
Beschluss einer Aufsichtsbehörde sollte man das Theater verbieten. Gibt
es eine solche in Deutschland?
Ich
ging gar nicht in den Zuschauerraum, da ich von vornherein wusste, was
mich dort erwartete. Einmal verirrte ich mich bereits in dieses
Theater. Es lief King Lear. Auf der Bühne wurde gepisst, gekackt und
mit Nachttöpfen geschmissen. Als Edelmann verabscheue ich so was....
Iwan,- sagte
hier
,
die über die Finanzen des matrjoschka- Konzerns wacht.- Also hast
du das Theater nicht betreten? Obwohl du unter dem Vorwand acht
Euro erheischt hast, dich an der Dostojewski - Aufführung zu läutern.
Bitte das Geld zurück.
Darauf hat
der Edelmann drei Finger (den Daumen, den Zeigefinger und den
Mittelfinger) seiner rechten Hand zu einer Figur verflochten, die im
Russischen "figa" oder "kukisch" heißt und auf eine
für den Gesprächspartner höchst beleidigende Weise die
Weigerung zum Ausdruck bringt, seiner Bitte Folge zu leisten. Die
erniedrigte Puppe brach in Tränen aus, die anderen trösteten
sie, der Esquire ergriff die Flucht. Der Meinungsaustausch über die
Erniedrigten und Beleidigten in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
wurde unterbrochen und nie zu Ende geführt. Aber auch das Fragment genügt.
P.S. von
Da
ich noch nicht zu Wort kam, möchte ich nachträglich auch auf einen
Fehler hinweisen. Zur Aufführung gibt es ein Büchlein, wo über den
Kapitalismus und die durch ihn angeblich verursachte
Niedergeschlagenheit der Menschen gefaselt wird. Drin habe ich gar nicht
gelesen, da ich den Kapitalismus prima finde. Besser als den Sozialismus
jedenfalls. Aber nicht darum soll es hier gehen. Sondern um die
Umschlagseite des Büchleins. Genauer um die Abbildung eines angeblich
depressiven Hundes auf der Umschlagseite.
Der junge
Hund ist nämlich leicht als ein Beagle zu identifizieren. Und da
muss ich sagen: Sie, meine Damen und Herren von der Volksbühne, haben
von den Beagles keine Ahnung. Diese sind nie niedergeschlagen, sondern
immer optimistisch, geschäftig, unbeugsam. Kein Kapitalismus, sogar
kein Sozialismus kann ihnen was anhaben. Das weiß ich genau, da mein
Beagle sowohl unter den kapitalistischen, als auch unter den
sozialistischen Verhältnissen gelebt hat (wobei die ersteren ihm mehr
gefielen, da es Pansen gab. Im Unterschied zum Sozialismus).
6.2.02
4.FILM
PETER
DER ERSTE IN DEN SCHMUTZ GEZOGEN
Von
einem ukrainischen Filmer. Sein Machwerk erschien just zu dem Zeitpunkt,
als sich zum 300. Mal der
Geburtstag von Sankt Petersburg jährte. Eine Gründung, die Russland
nach Europa führte und die
Wahlverwandtschaft zwischen Russen und Deutschen manifestierte.
Gerade
das kreidet der Schmutzfink dem großen Peter anscheinend an. Er meint,
Russland hätte der Ukraine den Weg nach Europa abgeschnitten.
Dass
Peter den ukrainischen Russenhassern
(wie übrigens die Deutsche auf dem russischen Thron, die große
Katharina auch ) immer
verhasst war, verbargen sie nie. Aber der Filmemacher artikulierte den
Hass auf eine unbändige Art und Weise.
Über den Zaren leert er einen großen Kübel Schmutz aus. Peter soll grausam
und unberechenbar, ein schwuler
Syphilitiker gewesen sein. Und
seine ruhmvollen Taten nur Erfindungen seiner Höflinge.
Sogar die Schlacht bei Poltawa, wo Peter den schwedischen König
Karl den XII. schlug, was übrigens dem Aufstieg Preußens den Weg
bereitete, hätte nie stattgefunden.
Pfui,
sagen dazu die Holzpuppen. Sie warnen die Filmverleiher in Deutschland:
Sollte das Machwerk hier zur Vorführung gelangen, protestieren
sie vor den Kinos. Wenn die Polizei erlaubt.
30.5.03
„DIALOG
DER KULTUREN ODER MONOLOG
DER POPKULTUR?“
Die
Fragestellung schlug
vor.
Sie sah den russischen Gangsterfilm „April“. Es ist die Geschichte
eines gescheiterten Verbrechens. Verbrecher wollten Babys aus einem
Moskauer Heim entführen,
um sie im Westen an Labors zu verkaufen, die mit menschlicher Erbmasse
experimentieren. Also höchst aktuell.
Und
höchst unbeholfen. Viel Schiesserei und andere actions, aber keine
nachvollziehbare Handlung, keine markanten Figuren. Die erhoffte
Spannung kommt nicht auf, man wird einfach müde.
Hollywood schlimmster Sorte. Aus der tiefsten
russischen Provinz. Ich schämte mich für die ehemaligen
Landsleute.
Ich
auch, sagte
Sie
war in der Akademie der Künste und hat dort einen Film gesehen, der im
russischen Pennermilieu spielt. Zum Kotzen, lautete ihr Fazit. Die für
Pfennige angeheuerten, abgerissenen, kranken, hungrigen Menschen, samt
Klein- und Kleinstkindern, führen vor, wie weit der Mensch vertieren
kann. Ihre Kinder spielen mit Ratten und es wird sogar gezeigt,
wie eine Ratte verzehrt wird. Roh.
Nachtasyl?
– ergriff hier
das Wort. – An sich ein legitimer Gegenstand
künstlerischer Betrachtung. Vor hundert Jahren wurde in Moskau
das Bühnenstück „Das Nachtasyl“ von Maxim Gorki aufgeführt. Es
machte Furore. Ging um die
ganze Welt. Begründete den Ruhm des „Sturmvogels der Revolution“,
Maxim Gorki.
Es
war aber ganz anders, - erläuterte
M.
Gorki zeigte das
Menschliche am Bodensatz der Gesellschaft. Sein alter ego im Stück verkündete:
„Der Mensch! Wie stolz das klingt!“. Zwar wurde der Spruch später,
unter der Sowjetmacht missbraucht, um den Terror der Revolution zum Sieg
des "stolzen Menschen" umzulügen, aber eben erst später.
Zuerst mal war er als ungeheuer erhebend empfunden. *
Im
Nachtasyl vom gerissenen Filmemacher Artur Aristakisyan dagegen...
Ein
Armenier? – liess sich hier I.Matrjoschkin vernehmen. Was wollt ihr
noch?
winkte
ab. „ Du, Volksverhetzer,- sagte sie.- Du, Biertischdemagoge...
Was?
- ereiferte sich Matrjoschkin. – Vergiss dich nicht. Ich bin immerhin
Esquire. Und was bist du? Ein Stück bemaltes Holz!
Das
sind wir alle, sagte
Und
redete weiter über den Film, dem sie kein Mitgefühl mit Erniedrigten
und Beleidigten zubilligte, sondern zynische Spekulation vorwarf. Auch
weil im Mittelpunkt ein Spinner steht, der das Elend als Grundlage der
Befreiung von gesellschaftlichen Zwängen
bemäntelt. Im Nachtasyl werden nämlich wilde Sexorgien
gefeiert. Jeder pennt mit
jedem.
Auch
nichts Neues,- sagte
Marquise des Sade lässt grüßen.
Die
Libertins von de Sade, - sagte die
-
hatten wenigstens ihren Spaß. Die Libertins aus dem Film
haben davon nur ihre Eiterbeulen.
Nachdenkliches
Schweigen trat ein. Weil die Holzpuppen, entgegen der Hoffnungen mancher Seitenbesuchern,
höchst anständig sind.
Dann
meldete sich
Sie
sah sich einen Film nach
Kurzerzählungen des russischen Satirikers Michail Soschtschenko
an. Seine höchst witzigen Miniaturen
führten den Anspruch der Sowjetmacht ad absurdum, eine höhere
Zivilisation als alle davor gewesenen
zu schaffen. Seine Figuren befleißigen sich zwar des Vokabulars
der kommunistischen Zeitungen, aber sie wenden
die Schlagwörter so an, dass der riesige Abstand zwischen der
Propaganda und der Realität offensichtlich wird.
Soschtschenko
wurde zwar viel gelesen, aber seine satirische Kunst wurde ihm zu Verhängnis.
Als nach dem großen Sieg über Hitlerdeutschland
Stalin seinen Russen Züge von Übermenschen andichten wollte,
die eigentlich ihrem Naturell fremd waren und sind, gab er das
Startzeichen zur Hetze gegen den Satiriker. Soschtschenko wurde zugrunde
gerichtet. Seine Werke verboten.
Ein guter
Film? - erkundigte sich
Jaein, -sagte
-Das
unwiderstehliche in den Novellen ist die Sprache. Sie macht die Musik,
nicht die Sujets. Diese Sprache in Bilder umsetzen, ist schier unmöglich. Daran ist der
Regisseur Murad M. Ibrgimbekov gescheitert.
Ein Aserbaidschaner?- schaltete
sich wieder Matrjoschkin ein. – Was wollen die Schwarzär... ? Sie
sollten besser hinter ihren Bergen bleiben.
Dem
Chauvinisten wurde die letzte Warnung ausgesprochen: Wenn er noch
einmal seine Dummheiten von sich gibt, wird er unverzüglich hinter die
Tür der Konferenzraumes gesetzt.
Ihr könnt mich mal!
sagte der außer Rand und Band geratene Esquier und ging
von selbst.
Ach!
- sagte
Wie
traurig, dass wir keinen anderen Mann in unserer Truppe haben. Und so
was wird von Lord Robertson geadelt...
Du weißt ja, - sagte darauf
,
dass es eine Erfindung von Iwan selbst ist.
Vielleicht ist doch was Wahres
daran? - fragte zweifelnd
.
Der Lord hat sich ja mit keinem Dementi gemeldet.
Er hat anscheinend Humor, - sagte
Dann ging es in der Berlinale -
Konferenz des matrjoschka-teams weiter. Zum Schluss zogen die Puppen das
Fazit. Es fiel traurig aus.
Warum? - seufzte
Warum
produziert die Kinematographie, die einst Maßstäbe setzte, jetzt
so viel Schund? Wo sind Regisseure und Schauspieler wie in der Blütezeit?
Der Zeit, als die Schere der Zensur
wütete? erkundigte sich argwöhnisch
Ja. - sagte
treuherzig
.
Vielleicht hat die Zensur die Filmkunst sogar vorangebracht.
Wie
denn?
Sehr einfach, erklärte
Die Filmemacher, die etwas aussagen wollten, was den Mächtigen suspekt
erschien, mühten sich, die Aussage nicht vordergründig, sondern in
herrlichen Bildern zu artikulieren. Das Filmemachen war für sie kein
Beruf, sondern Berufung. Zudem verstanden die Zensoren, zumeist stur wie
die Ochsen, nicht gleich,
dass eine hohe künstlerische Leistung an sich ein Schlag gegen ein
System der Mittelmäßigkeit ist, das sie schützen wollten und mussten.
Die Kunst war ebenso wie die Literatur der Sowjetzeit nicht identisch
mit der Sowjetmacht. Gott sei Dank! Sonst wäre die Menschheit
ärmer.
Und jetzt?
Jetzt
ist Russland den Westimporten ausgeliefert. Maßstäbe setzt die
kommerzialisierte Popkultur vom Unfeinsten. Wer hat die Filme
gesponsert, die wir sahen? Eine Zigarettenfirma aus den USA. Die
russischen Banker, die ihr Geld waschen wollen. Also diejenigen, die
entweder keinen Geschmack haben oder aus anderen Gründen nichts Anständiges
bezahlen. Die russische Filmindustrie ist ihnen ausgeliefert. Ihr Druck
ist viel effizienter als der Druck der Sowjetzensur. Da gibt es kein
Entkommen...Kein Überlisten... Wer bezahlt, bestellt die Musik.
Punktum.
Und diese klingt mitunter sehr
schrill. Als Beweis führte
den
Streifen „Skaz pro Fedota-streljza“ an. Ein Film, dessen Gestaltung
vielleicht „Harry Potter und der Stein der Weisen“ oder „Der Herr
der Ringe“ nachempfunden wurde. Diese
können gefallen oder nicht, Geschmacksache. Aber sie sind
Produkt langer Übungen in der Herstellung derartiger
Werke. „Skaz...“ ist ein auf die Schnelle unternommener
Versuch, die fehlenden Erfahrungen und Begabungen durch
Aneinanderreihung von „tollen“ Tricks zu kaschieren. Im Endergebnis:
Überdruss...
Die Puppen schwiegen wieder. Dann
entspannten sie sich bei Kaffee und
Kuchen und stießen mit einem guten deutschen Likörchen darauf an, dass
Russland mal wieder imstande sein wird, im Dialog der Weltkulturen
seinen Part zu leisten.
15.02.02
*
Erst nachträglich konnte festgestellt werden, dass die mit dem
Sternchen markierten Sätze von einem (einer) Unbefugten geändert
worden waren. Jetzt ist die ursprüngliche Variante wiederhergestellt.
Der
Vorfall ist auf Meinungsgegensätze im matrjoschka - team zurückzuführen.
Die Ermittlung läuft. Der einem scharfen Verhör unterzogene I.
Matrjoschkin, Esq., bestreitet noch die Schuld.
Zu den
Ergebnissen der Berlinale 2002.
"Wir werden Berlin nicht erobern", lautete die selbstkritische
Prognose eines russischen Filmkritikers kurz vor der Eröffnung der
diesjährigen internationalen Filmfestspiele in der deutschen
Hauptstadt. Er irrte sich nicht. Tatsächlich erhielten die russischen
Beiträge in Berlin keine Preise.
Sie haben auch keine verdient. Nicht, weil die Russen keine guten Filme
mehr machen können, sondern aus anderen Gründen, die außerhalb der
Kunst liegen. Im Gespräch erläuterte ein Gast aus Moskau, woran die
Filmproduktion in Russland leidet. Am Diktat der Geldgeber, vor allem
der inländischen, mit dem Auslandskapital eng verbundenen Banken, die
ihr Geld waschen oder Steuervorteile erzielen wollen. Die Sponsoren drängen
darauf, dass die russischen Filme dem Muster der westlichen
Kassenschlager folgen. Eine Nachahmung aber erreicht, sei das Muster
noch so gut, selten hohes Niveau. Erst recht nicht, wenn das Muster der
Mentalität des Volkes und dem Erbe der nationalen Filmkunst fern liegt.
So ist verständlich, dass die Jury und das Publikum in Berlin die
russischen Beiträge zumeist ablehnten. Darunter den Film
"April", eine Gangstergeschichte mit viel actions, aber einem
verworrenem Sujet und ohne profilierte Charaktere. Oder "Die Sage
vom Soldaten Fedot", ein Versuch, die Probleme der russischen
Gegenwart mit fremden stilistischen Mitteln darzustellen.
In beiden Filmen ist der amerikanische Einfluss überdeutlich. Ein
unfruchtbarer Einfluss, da die Russen nicht über das verfügen, was den
Erfolg der amerikanischen Filmkonzerne ausmacht. Sie besitzen keine mit
ausgefeilter Technik vollgestopften Filmfabriken und superteueren
Megastars. Und wenn dies alles fehlt, wirkt die Nachahmung doppelt so kläglich.
Übrigens zeigen das nicht nur die russischen Filmproduktionen, sondern
auch die aus anderen europäischen Ländern, wenn sie der Versuchung
erliegen, auf den Spuren der USA- Filmindustrie zu wandern. Die Kunst
verflacht eben, wenn sie sich auf fremden Boden begibt.
Was die russischen Beitrage betrifft, stellten sie diese Erkenntnis
nicht nur an erwähnten negativen Beispielen unter Beweis. Auf seine
Weise bewies es die Vorführung eines sehr guten Filmes. Ich meine den
sowjetischen Film Listopad", "Weinernte", vor fast einem
halben Jahrhundert gedreht und jetzt im Rahmen der Retrospektive
gezeigt. Dem wahren Kunstwerk, das von der Liebe zur georgischen Heimat
des Regisseurs Otar Iosseliani erfüllt ist, haftet tiefe Menschlichkeit
an.
So zeigte sich, dass die sowjetische Kinematographie, wie auch andere
Kunstgattungen in der Sowjetunion, keineswegs auf die politische
Propaganda zu reduzieren ist. Auch wenn die Bürokratie alles daran
setzte, sich die Kunst unterzuordnen, gelang es echten Künstlern, die
Zensur zu umgehen und den verratenen Idealen Treue zu halten. Nicht von
ungefähr lief "Weinernte" , bar technischer Tricks und mit
minderwertiger Technik gedreht, nicht mal synchronisiert, vor vollem
Saal.
Die Tradition, die viele sowjetische Künstler im ständigen Kampf mit
der Zensur entwickelten, bleibt aktuell. Deswegen wurde auch ein
nagelneuer Iosseliani Film - "Montag Morgen"- zum Erfolg.
Gerechterweise würdigten ihn der für die Filmbranche zuständige
deutsche Staatssekretär Nida Rümelin und sein französischer Kollege.
Zwar ist der Streifen nicht in Russland, sondern in Frankreich
entstanden und zeigt nicht das russische Leben. Aber die Hand eines
Meisters, der geübt hat, gegen den Strom zu schwimmen, ist auch hier
unverkennbar.
So wurde "Montag Morgen" zu einer Insel im Strom der dem
Diktat des großen Geldes unterworfenen Machwerke. Zum überzeugenden Plädoyer
für den sogenannten "kleinen Mann", egal wo er lebt und
leidet - in Russland oder sonst wo. Und insofern eher eine Ausnahme auf
der Leinwand. Nicht nur in Berlin.
DAS
RUSSISCHE REICH VON NIKITA MICHALKOW
In
deutschen Kinos läuft (welch eine glückliche Ausnahme!) mal ein
russischer Film. Sein Titel: "Der Barbier von Sibirien".
Die
feinsinnige Holzpuppe meint:
Ein
Prachtwerk. Wer Glanz und Glamour des gewesenen Zarenreiches erleben
will, muss ins Kino. So hinreißend kam dieser noch nie auf die
Leinwand. Mit all den protzigen Eliten des Reiches. Mit dem
ausgelassenen, aber auch devoten Volk. Und jenem, kaum sichtbaren Band
der gemeinsamen Mentalität, der die russischen Eliten und die gemeinen
Russen eine Nation werden ließ. Eine großzügige, mächtige, brutale
und unberechenbare Nation, die dem übrigen Europa gegenüberstand und
Angst und Hoffnung, Ekel und Zuneigung weckte.
Es ist ein
Film, wo – entgegen der im Westen gängigen Vorstellung - Russland als
"ER" erstrahlt und der Westen als "SIE" dasteht. Was
in der Liebesliaison zwischen einem angehenden russischen Offizier und
einer Hochstaplerin aus den USA zum Ausdruck kommt. Einer Romanze, die
fruchtlos endete, da ER sich für SIE opferte, SIE aber zu kurz trat.
Nein, eine
Frucht der Romanze gab es doch. Der Sohn der beiden, ein Kadett, der die
spontane, sinnlose, aber unbeugsame Aufsässigkeit des russischen Vaters
erbte, seinen amerikanischen Ausbilder herausforderte und zur
Verzweiflung brachte.
Ein
komischer Film, dessen Bilder mit den Farben Hollywoods gemalt, aber
russisch beseelt sind. Ein Film, dem in Deutschland kaum Erfolg
beschieden und der trotzdem der Clou der Saison ist. Ein
Matrjoschka-Leser sollte ihn sehen.
...Einmal
beobachtete die Holzpuppe auf dem Arbat, in der alten Moskauer Strasse,
die den wandernden Musiker und Graffiti- Maler vorbehalten ist, eine
vielsagende Szene. Zu einem Musikertrio kam torkelnd ein junger Kerl,
unter dem Arm eine angefangene Wodkaflasche. Er zog einen
Hundertrubelschein aus der Tasche und sagte etwas zu den Musikern. Aha,
dachte die Holzpuppe, der will "Schwarze Augen" oder eine
Schnulze aus dem Westen hören. Mitnichten! Das Trio beglückte die
Passanten mit der Musik der Staatshymne der gewesenen Sowjetunion, noch
von Stalin gesegnet.
Ein
Zeichen der Zeit? Wie "Der Barbier von Sibirien"?
Übrigens:
Der weltbekannte Filmemacher heißt Nikita Michalkow. Es ist ein Sohn
von Stalins Liebling, dem Dichter Sergej Michalkow, der die neue
russische Staatshymne (wie auch die alte sowjetische) getextet hat
(siehe unten).
Und noch
etwas: Die russischen Fans heben hervor, dass der Film den Festivitäten
bei der Amtseinführung Putins als Vorlage diente. Die ganze Regie des
Kremlfestes findet sich in Michalkows Film.
Es tut
sich was in Russland.
14.1.01
DIE
ATTRAKTIVITÄT DES NATIONALEN FILMS
So hieß ein Podiumsgespräch in Berlin, an dem russische und deutsche
Filmschaffende teilnahmen. Der Titel der Veranstaltung aus der Reihe
„Dialog Berlin-Moskau“ mutete ziemlich harmlos an. In Wirklichkeit
ging es aber um eine brisante Frage. Was soll das russische und deutsche
Publikum auf der Leinwand sehen? Fremdes oder das eigene Leben? Fremde
oder eigene Leitbilder? Inhaltsvolles oder Klischees, die sich über
Zeit und Raum hinwegsetzen?
Aber diese deutliche Fragestellung hätte wohl zu schrill geklungen. Da
Globalisierung angesagt ist, kommt bereits die Wortverbindung
„Nationaler Film“ in Verdacht, antiquiert zu sein.
Zurückhaltung übten die Teilnehmer
auch in ihren Äußerungen. Sie schwelgten in Erinnerungen an eine Zeit,
als der Film noch stumm und schwarz-weiß war. Damals ließ sich ein
guter Streifen für ein paar Mark erstellen.
Jetzt braucht man dafür viel mehr. Und mit jedem Jahr immer mehr, da
die Hightech komplizierter wird und die technische Qualität inzwischen
mehr als die künstlerische wiegt. Die Apparatur mehr als gute
Schauspieler und gute Regie. So ist ein dicker Geldsack zur
Voraussetzung einer Filmproduktion geworden.
Das Problem: Die Geldgeber wollen ihr Geld zurück eingespielt haben.
Heutzutage heißt es, den Film in mehreren Ländern laufen lassen. In
vollen Kinos.
Ein Film aber, der in mehreren Ländern lauffähig ist, darf kein
nationales Gesicht haben. Kein scharfes Profil. Denn ein solches ist
Geschmacksache. Dem einen gefällt es, dem anderen nicht. Wobei der
Geschmack in den Tiefen der jeweiligen Volksmentalität wurzelt.
Der nationale Film mag attraktiv sein. Für Filmschaffende, die sich in
ihrem Werk wiederfinden möchten. Für ihre anspruchsvolleren
Landsleute. Für die Geldgeber ist er ein Verlustgeschäft. Das Geld hat
keine Nationalität. Ein auf großes Geld ausgerichteter Film auch
nicht.
Mehr oder weniger deutlich haben es alle am Gespräch Beteiligten zum
Ausdruck gebracht. Der international tätige russische Filmregisseur
Sergei W. Bodrow, der Moskauer Filmmuseumsdirektor Naum Klejman, die
deutsche Dramaturgin Erika Richter, der deutsche Regisseur und Produzent
Thomas Kufus.
Sie verstanden sich gut. Auch weil sie schon früher miteinander zu tun
hatten. Oder in Moskau Filmkunst studierten.
Es gab eine Zeit, als die russische Metropole zum Mekka der deutschen
Filmschaffenden wurde. Eine Zeit der vom Geist der großen russischen
Revolution inspirierten russischen Filmkunst, innovativ,
leidenschaftlich, kühn. Die von der Bürokratie entartete Sowjetmacht
brachte es fertig, auch der Filmkunst in Russland die Flügel zu
stutzen. Die nach der Abschaffung der Sowjetmacht installierte Macht des
Dollars gab dem russischen Film den Rest.
Jetzt läuft in Moskauer Kinos billiges Hollywood. Noch schlimmer als in
Berliner Kinos. Wenn die russischen Filmschaffenden einen Film drehen
wollen, müssen sie westliche Geldgeber suchen. Und wenn sie diese
finden, dann... Siehe oben.
PS.
Übrigens ist das Gesprächsforum "Dialog: Berlin-Moskau"
eine gemeinsame Idee von dem bekannten Fernsehjournalisten Klaus
Bresser, Dr. Ottokar Hahn, Botschafter a.D. der Europäischen Union in
Moskau, und Dr. Volker Hassemer, Geschäftsführer von Partner für
Berlin, Gesellschaft für Hauptstadtmarketing. Die Veranstaltungsreihe
bietet herausragenden Journalisten aus Russland ein Gesprächsforum in
Berlin. Die Gespräche finden überwiegend in Berlin, aber auch in
Moskau statt. Der "Dialog: Berlin-Moskau" wird von Partner für
Berlin und dem Deutsch-Russischen Forum organisiert. Die Dresdner Bank
am Pariser Platz unterstützt das Projekt.
6.12.01
5.LIFESTIL
PÄPSTLICHER
ALS DER PAPST...
..sind
fünf konservative Dumabgeordnete, die
eine Gesetzesvorlage unterbreiteten, wonach intime Beziehungen
zwischen Männern geahndet
werden sollen. Je nach den Umständen von einem bis zu fünf Jahren Gefängnis.
Unabhängig vom Alter. Und sowohl der aktive, als auch der passive Part.
Merkwürdigerweise
soll der „Sündenfall“
nur dann strafwürdig sein, wenn die Delinquenten auf
eine bestimmte Weise
miteinander verkehren. Von den Gesetzesgebern wurde diese mit einer
Deutlichkeit dargelegt, die ein Zitieren verbietet. Wenigstens auf
unserer site, von den prüden
Holzpuppen hergestellt.
Auf
Anfragen weigerten sich die Parlamentarier, die Motive der Präzisierung
darzulegen. Vermutungen, die dahin gingen, sie wollten die
eigenen Praktiken straffrei stellen, wiesen sie empört zurück. Sie
behaupteten, der Gesetzentwurf entspreche der Mentalität des russischen
Volkes. Auch in dieser heiklen Frage hätte es sich deutlich
positioniert. Und sie tragen seinem Willen Rechnung.
Übrigens
seien die Gesetzesgeber keine Hinterbänkler in der Duma. Darunter
befindet sich der Vorsitzende des internationalen Ausschusses des
russischen Parlaments, Oleg Rogosin,
Vertreter Russlands in
der europäischen parlamentarischen Versammlung.
Der
andere Autor des Gesetzesvorlage , Gennadi Raikow, führt die
Dumafraktion einer Kremlnahen Partei. Nach dem Sinn des Ganzen gefragt,
ließ er die Katze aus dem Sack. Er sagte, die Verfasser der
Gesetzesvorlage würden eine namentliche Abstimmung in der Duma fordern.
Damit das ganze Land erfährt, who is who in der Volksvertretung. Es
wird nämlich gemunkelt, die Mehrheitsverhältnisse im Parlament würden
nicht so sehr nach politischer, sondern eher nach sexueller Orientierung
erfolgen. Deshalb
bedürfe gerade die
letztere mehr Öffentlichkeit.
Sonst
ringt sich die Duma mitunter sehr schwer dazu durch, ein neues
Gesetz zu akzeptieren. Zum Beispiel eins, das
politischen Extremismus unter Strafe stellt. In seiner jüngsten
Botschaft an das Unterhaus regte Präsident Putin mehr Eile in dem Punkt
an. Er verwies darauf, dass die neonazistischen Aktivitäten
in dem Land, das entscheidend zum Untergang des
Nationalsozialismus beigetragen hat, nicht geduldet werden dürfen. Ob
seinem Appell gefolgt wird, ist ungewiss.
Vorläufig können die Russen, die Hitlers Geburtstag feiern und
auch ein bisschen Pogrom machen, ruhig schlafen. Wenn sie nicht
gerade schwul sind...
24.04.02
„DIE KUNST GEHÖRT DEM VOLK“.
Im
Zentralen Künstlerhaus Moskaus öffnete gestern der 12. Russische
Antiquitäten-Salon. Es ist eine jedes Jahr stattfindende Messe,
eigentlich nichts Besonderes, wäre da nicht die Tatsache, dass diesmal
Malewitschs „Schwarzes Quadrat“, ein Bild, das eine ganze Epoche in
der revolutionären
Kunstgeschichte begründete, ein Nationalschatz Russlands, zum Verkauf
ansteht.
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Die Moskauer Antiquitäten-Salons
haben Zeiten der Experimente und Misserfolge
hinter sich und Eigengesetze entwickelt.
Erstmals
wird im Rahmen des Salons die Sonderausstellung „ReConTec.
Technologien zur Erhaltung des kulturellen Erbes“ gezeigt. Drei
Dutzend Firmen vermitteln ihre Erfahrungen bei der Restaurierung,
Konservierung und Präsentation von Kunstgegenständen. Man hofft, ausländische
Partner gewinnen zu können (die Leipziger Messe). An die ReConTec-Säle
schließen zwei nicht kommerzielle Ausstellungen an: „Fächer aus der
Sammlung des Museumsreservats „Zarskoje Zelo“ und „Damenmode Ende
des 19.- Anfang des 20. Jahrhunderts“.
Insgesamt
sind weit über hundert Aussteller beteiligt
Beträchtlich
mehr als bisher, da vor kurzem die Lizenzpflicht für Antiquitätenhandel aufgehoben wurde.
Auch
das Angebot ist von höherer Qualität. Das Auktionshaus „Gelos“
bietet Werke von Kasimir Malewitsch an: „Selbstbildnis“, „Bildnis
der Gattin“ und eine eigenhändige Kopie des berühmten „Schwarzen
Quadrats“ von 1913. Neben den sonst üblichen
Angeboten präsentiert die
Fusion Culture Gallery eine Buddha-Sammlung aus Khandahar, dem Gebiet in
Nordafghanistan, wo die Taliban vor einiger Zeit die riesigen
Felsenstatuen zerstörten. Zunehmend sind Werke des 20. Jahrhunderts im
Verkauf.
Diese
Messe stellt einen neuen Höhepunkt des Kunsthandels in Russland dar.
Nach der Revolution 1917 kam er schnell zum Erliegen. Im Lande, wo
Reichsein zum Verbrechen wurde, Kunstwerke sammeln hieß, sich verdächtig
zu machen. Nach dem Krieg 1941-1945 floss ein
Strom erbeuteter Kunstwerke in die Sowjetunion. Der schwarze
Kunsthandel blühte. Um den Markt unter Kontrolle zu bringen, richtete
der Staat einige wenige An- und Verkaufläden ein, wo mitunter richtige
chef d`oeuvres für verhältnismäßig wenig Geld zu
haben waren.
Die
Wende zum Kapitalismus brachte die Privatisierung des Kunsthandels. Vor
dem Hintergrund der Inflation blühte er auf. Auch weil eine richtige Käuferschicht
entstand. Die „neuen Russen“, die ihre Vermögen mehr oder weniger
legal angeschafft hatten und nicht gerade in den Westen bringen wollten,
entdeckten das Kunstwerk als stabile Anlage. Teure Kunst zu besitzen,
wurde zu einer guten Empfehlung. Auf Vernissagen trifft sich
jetzt die Geldaristokratie. Die Museen machen ihr keine
Konkurrenz, da sie zumeist mittellos sind. Schlimmer noch: sie werden
dauernd ausgeraubt. Gute Ausstellungsstücke werden geklaut,
verscherbelt und in durch Imitate ersetzt.
Ein
Grundsatz der Revolution hieß: Die Kunst gehört dem Volke. Wie alle
anderen, entpuppte auch er sich als Hohn.
5.3.02
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