SCHICKSALHAFTES (FORTSETZUNG)
HOLOCAUST AN LENINGRADERN.
Darüber sinniert der bekannte russische Schriftsteller Daniil Granin, dessen Interview im Runet zu lesen ist. Der Anlass ist der sechzigste Jahrestag der Rettung Leningrads, wie die Newa-Stadt noch vor wenigen Jahren hieß. Daniil Granin ist der berufene Zeitzeuge, nicht nur weil er selbst an den Kämpfen um Leningrad teilgenommen hat, sondern weil er sich in der Nachkriegszeit gegen den Widerstand der Sowjetmacht für die Wahrheit über die Leiden der belagerten Stadt einsetzte.
Die Belagerung Leningrads begann 1941, also in dem Jahr, als das Hitlerreich die Sowjetunion angegriffen hatte. In diesem Jahr spielte die Wehrmacht den Blitzkrieg. Bereits vor Wintereinbruch umzingelte sie die zweitgrößte russische Stadt, die ehemalige Hauptstadt des Zarenimperiums. Die von Hitler gestellte Aufgabe lautete, Leningrad auszuhungern, auszurauben und vom Antlitz der Erde verschwinden zu lassen. Die Blockade dauerte neunhundert Tage und endete erst im Januar 1944, als die Wehrmacht den bitteren Weg zurück ins Reich antreten musste. Nach verschiedenen Angaben kostete sie der Leningrader Bevölkerung zwischen sechshunderttausend und einer Million Leben. Verhungert, erfroren, von Seuchen weggerafft, durch Selbstmord geschieden, weil das Martyrium unerträglich wurde.
Daniil Granin, dessen Bücher auch in Deutschland erschienen sind, beklagt sich bitter darüber, dass die Tragödie in Russland keine angemessene Würdigung fand. In der ersten Nachkriegszeit nicht, weil die kommunistische Staatsmacht den Krieg nicht als eine tragische Zeit dargestellt wissen wollte, sondern als eine Heldensage. In diesem Zusammenhang erinnert der Schriftsteller daran, dass Kriegsinvaliden mit amputierten Armen und Beinen aufgesammelt und auf einer Insel weit im Norden Russlands wie Verbannte angesiedelt wurden. Auch das schwere Los der aus der deutschen Gefangenschaft zurückgekehrten Millionen Soldaten und Offiziere der Roten Armee erwähnt er. Viele von ihnen wurden nach der Rückkehr in die Heimat als Verräter bestraft. Im Zarenreich wäre es unmöglich. Wie viele andere Staaten ging es davon aus, dass die Kriegsgefangenen geehrt und versorgt werden sollten, da sie oft mehr als die anderen Soldaten leiden mussten.
Der Zeitzeuge erhebt seine Anklage nicht nur gegen den Sowjetstaat. Auch in der postsowjetischen Zeit, als die sowjetische Vergangenheit aufgearbeitet und neu gedeutet wurde, erfuhr die Tragödie der Newastadt keine adäquate Behandlung. Daniil Granin erwähnt eine seiner Ansicht nach penetrante Diskussion der Perestroika- Jahre darüber, ob es nicht besser gewesen wäre, Leningrad dem Feind auszuliefern, um Menschen zu schonen. Also mit der Newa-Stadt so zu verfahren wie die Franzosen 1940 mit Paris, Mit Hinweis auf die Erinnerungen des Oberkommandierenden der deutschen Truppen an diesem Frontabschnitt, von Leeb, stellt er fest, dass die Aufgabe der Stadt die Bevölkerung nicht gerettet hätte, denn Hitler ging es eindeutig darum, diese auszurotten. Deswegen wurden jene Leningrader, die die Stadt verließen , von den deutschen Truppen aufgegriffen und an die Wand gestellt.
Daniil Granin hebt den Edelmut und die Leidensfähigkeit der meisten Leningrader hervor. Unter den Verhältnissen, die alle Bilder der Hölle in den Schatten stellten, blieben sie Menschen. In der Stadt, deren Einwohner von hundertfünfzig Gramm lehmähnlichem Brot pro Tag leben mussten, funktionierten Forschungslabors, Schulen, Kindergärten, Theater und Konzertsäle. Zwar gab es unter den drei ein halb Millionen Einwohnern auch Räuber, Diebe, Leichenfledderer, sogar Menschenfresser, aber sie blieben eine verschwindende Minderheit.
Der Zeitzeuge, der viele Jahre die Geschichte der Blockade erforschte, schreibt, dass diese lehrreich sei. Die Belagerung überlebten vor allem diejenigen, die sich nicht gehen ließen. Oft rafften sie sich zu höchster Menschlichkeit auf. Indem sie Gedichte schrieben, Musik komponierten, viel lasen, vor allem aber den anderen zu helfen versuchten, ersetzten sie die fehlende leibliche Nahrung durch jene geistige Kost, die, wie Daniil Granin glaubt, auf eine noch unerklärte Weise den Menschen auch unter unmenschlichen Bedingungen am Leben hält. Hier sieht er auch jetzt die Quelle der wahren Kraft Russlands.
27.1.04
GEGEN DIE UNGERECHTIGKEIT
In den Jahren des Zweiten Weltkrieges wurden bis zu fünf Millionen sowjetischer Soldaten und Offiziere von der deutschen Wehrmacht gefangengenommen. Drei ein halb Millionen bis drei Millionen neunhunderttausend haben die Gefangenschaft nicht überlebt. Bis zu 80 Prozent. An diese Zahlen erinnerten sich die Teilnehmer einer Pressekonferenz im Kanzleramt der deutschen Hauptstadt.
Die Pressekonferenz gab die Staatsministerin Christina Weiss. Sie stellte eine Dokumentation über das schweren Los der sowjetischen Kriegsgefangenen vor, besonders schwer, weil die gefangengenommenen Rotarmisten zumeist gezielt vernichtet wurden. Besonders schwer, weil unter allen Kriegsgefangenen sie, auch wenn sie am Leben bleiben durften, den schlechtesten Stand in den Lagern hatten. Ihr Schicksal war besonders hart auch aus einem anderen Grund, der nicht mit der Absicht der nationalsozialistischen Führung zusammenhing, die „Untermenschen“ zu dezimieren. Denn als sie die Ungeheuerlichkeiten überstanden hatten und ins Heimatland zurückkehrten, wurden sie von den sowjetischen Behörden nicht mit Blumen empfangen. Im Gegenteil. Ein Rotarmist, auch ein kampfunfähiger, galt, wenn er sich gefangen gab, als Vaterlandsverräter. Entsprechend wurde er behandelt. Das ganze ihm verbliebene Leben lang. Keine gute Arbeitsstelle, keinen guten Wohnraum, keine finanzielle Unterstützung vom Staat. Und in vielen Fällen- neue Gefangenschaft. Diesmal in Lagern in der Heimat und deshalb besonders bitter.
Sogar nach der Entstalinisierung Russlands dauerte die Diskriminierung an, auch wenn sie weniger grausam wurde. In der Historiographie des Zweiten Weltkrieges blieb das Thema oft ausgeklammert. Mitunter deswegen, weil man die zu Freunden gewandelten Deutschen nicht verstimmen wollte. Wozu Zündstoff in die vertrauensvollen Beziehungen schütten? Soll Gras über die schlimme Vergangenheit wachsen!
Vor
diesem Hintergrund erscheint es doppelt anerkennenswert, dass Deutschland selbst
die Initiative ergriff, um gegen
die Ungerechtigkeit vorzugehen. Das
Amt bon Kulturstaatsministerin Weiss initiierte
ein deutsch-russisches
Forschungsprojekt,das inzwischen auch
von Weißrussland und der Ukraine unterstützt wird.
Erste Ergebnisse der Forschungsarbeiten liegen jetzt in
dem Buch "Für die Lebenden. Der Toten Gedenken." vor, das Christina
Weiss im Beisein der Botschafter
der Russischen Föderation, der Ukraine und von Belarus
vorgestellt hat. Die Autoren haben
versucht, aus den Akten der ehemaligen deutschen Wehrmachtsauskunftsstelle die
Schicksale
sowjetischer Kriegsgefangener in Deutschland nachzuvollziehen.
Das
Buch steht am Anfang des Forschungsvorhabens, das insgesamt zehn Jahre dauern
soll, da bis zu einer Million Unterlagen in den Archiven
vermutet werden. Bei der Durchsicht arbeiten die deutschen Historiker und
Archivare mit ihren Kollegen in Russland, Belarus und jetzt auch der Ukraine
zusammen. Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien und das
Bundesministerium des Innern fördern das Projekt mit jeweils 80.000
Euro jährlich.
In den nächsten Jahren werden Tausende Familien in Russland und den anderen
Staaten der ehemaligen Sowjetunion eine Nachricht über das
Schicksal der bislang Vermissten erhalten können.
Es ist nicht zu unterschätzen, dass auch der diskriminierten Opfergruppe des national-sozialistischen und kommunistischen Terrors gedacht und den bis jetzt Namenlosen und Vergessenen ihre Würde wenigstens postum zurückgegeben wird. Noch tröstender wäre es allerdings, könnten sich die wenigen noch am Leben gebliebenen Kriegsgefangenen ihre letzten Lebensjahre durch ein bisschen Wohlstand verschönern. Einige russische Initiativgruppen und ihre deutschen Partner versuchen, die ehemaligen Sklaven des Hitlerreiches in Soldatenmänteln der Roten Armee in den Kreis der Entschädigungsberechtigten einzureihen. Bis jetzt erfolglos. Vielleicht aber ist das Buch "Für die Lebenden. Der Toten Gedenken" ein erster Schritt auf dem Wege zu diesem lohnenswerten Ziel.
18.11.03
Am 60. Jahrestag der Beendigung der Leningrader Blockade brachte das Zweite Deutsche Fernsehen eine Reportage aus der Newa- Stadt.
Im Bewusstsein eines russischen Zeitzeugen blieb die Leningrader Tragödie in der ganzen Nachkriegszeit eine aufgerissene und nicht heilende Wunde. Auch weil die Opfer in der Heimat keine gebührende Würdigung fanden. Unter Stalin nicht, da er die Newa- Stadt, verdächtigte, Moskau den Rang ablaufen zu wollen und Eigensinnigkeit zu pflegen. Unter seinen Nachfolgern nicht, da sie den Krieg gegen die deutschen Invasoren als eine einzige Heldensaga dargestellt und deswegen seine Opfer runtergespielt haben wollten.
Kein Wunder also, dass auch im Ausland die Leningrader Blockade nicht richtig wahrgenommen wurde. Erst recht in Deutschland nicht, wo man ohnehin lange Jahre Mühe hatte, sich die ganze Tragweite des nationalsozialistischen Verbrechens an Russland bewusst zu machen.
Vor diesem geschichtlichen Hintergrund beeindruckte die Reportage aus der Newa- Stadt in einer der meist gesehen ZDF- Sendungen besonders stark. An dieser publizistischen Leistung ist nichts auszusetzen. Nicht an der Darstellung des Martyriums der Leningrader. Nicht an der Vorführung der Täter.
Der übliche Terminus für das, was den Leningradern widerfuhr, verniedlicht das Geschehen – so die klare Aussage der Reportage. Es war keine Belagerung. Es war Massenmord. Es war ein Genozid. Geplant und befohlen von Hitler und seinem verbrecherischen Klüngel . Ausgeführt von der Wehrmacht, die sich selbst nicht nur hier, aber hier besonders entehrte. Daran rütteln zu wollen, wäre Besudelung des Andenkens von Verhungerten, Erfrorenen, von den durch Seuchen Hingerafften. Von einer Million unschuldiger und elendig gestorbener Menschen, vor allem Kinder, Frauen und Greise.
Für die deutlichen Worte ist zu danken. Auch weil sie das Fundament der Versöhnung zwischen Russland und Deutschland zementieren. Jener Versöhnung, die sich darauf gründet, dass man nichts verschweigt, nichts verdrängt, sondern die Vorgeschichte ehrlich und offen verarbeitet. Sei sie noch so schlimm gewesen. Und zwar auf beiden Seiten.
28.1.04
DIE
NATIONALE IDEE
Wenn
eine nationale Idee etwas ist, woran alle (oder die meisten) Angehörigen einer
Nation glauben, dann heißt die russische nationale Idee „Wodka“.
In
Deutschland wird oft behauptet, „водка»
bedeutet „Wässerchen“. Das stimmt nicht. Wäre es so, hieße es nicht
„водка“,
sondern «водoчка».
Das Letztere ist ein Kosewort, das erstere bezeichnet
eher eine Beziehung von oben herab. Aber trotzdem halten die meisten
Russen das hochprozentige Getränk fürs beste in der Welt.
Und
sie haben recht! Warum?
Weil
der Wodka reiner ist als seine Rivalen- der Kognak, der Whisky etc.
Die
Schotten destillieren ihr Nationalgetränk einmal, die Franzosen und Italiener
zweimal, die Russen aber viermal!
Viermal!
Wenn
sie es richtig machen. Wie ihre Vorfahren.
Wenn
sie es nicht tun, produzieren sie keinen Wodka, sondern „ssiwucha“ (сивуха).
Und diese ist schlimm.
Es
kommt auch auf den Rohstoff an. Es muss Roggen
sein. Dann ist der Wodka heilsam. Dann versetzt er den Konsumenten in eine
beschwingte Stimmung. Dann vergisst man alle Ungereimtheit dieser unvollkommenen Welt und meint, man ist im Paradies.
Ist
der Rohstoff aber ein anderer, ändert
sich auch der Endeffekt. So wird aus roten Rüben
ein Wodka gewonnen, der nicht erheitert, sondern beschwert. Der Konsument
sucht nach Streit. Der aus dem Erdöl destillierte Wodka verblödet. Der Wodka
aus Holzspänen raubt die Mobilität.
Leider
ist aber schwer festzustellen, woraus ein Wodka
destilliert ist. Man erfährt es nur Postfaktum. Also wenn es zu spät
ist.
Der
Verfasser dieses Beitrags kann allerdings einen Tipp geben. Unter den unzähligen
Wodkasorten gibt es eine, die nach ihm benannt wird (Водка
Матрешкина).
Die Produzenten versichern, es sei der reinste Roggenwodka.
Aber
woraus auch der Wodka gemacht wird,
freut sich beim Anblick der Flasche die Seele eines Russen. Und er erinnert sich
an „сто
грамм“,
eine Wodkaportion, die im Großen Vaterländischen Krieg den Soldaten täglich
erteilt wurde, aber nur Frontsoldaten.
Die Geheimwaffe brachte den Sieg.
Der
Wodka war die hauptsächliche Inspirationsquelle russischer Staatsmänner. Außer
Stalin. Dieser Georgier zog Weine seines Geburtslandes vor. Darauf sind alle
seine Grausamkeiten zurückzuführen.
Viel
gutmütiger war dagegen sein Nachfolger, Nikita Chruschtschow. Allerdings
wollte der Wodkatrinker in Russland überall den Mais pflanzen.
Angeblich, um das Vieh zu füttern, in Wirklichkeit aber um den Russen den
Rohstoff, den Roggen, für den самогон,
den selbstgebrannten Wodka, zu
nehmen. Weshalb er gestürzt wurde.
Der
Wodkatrinker, der ihn ablöste,
Leonid Breschnew, zog die richtigen Schlussfolgerungen aus dem traurigen
Schicksal seines Vorgängers. Er kurbelte die Wodkaproduktion an. Bald gab es in
den Läden nichts. Wodka gab es aber überall und immer. Deshalb blieb Breshnew
18 Jahre an der Macht.
Dann
kam der Abstinenzler, Michail Gorbatschow. Er wollte die Russen vom Wodka
abbringen. Der Limonadenmischa verbot den Wodkaverkauf vor 11 Uhr
vormittags, ohne die Bedürfnisse des
Katerleidenden zu berücksichtigen.
Logo, dass auch er gestürzt wurde.
Sein
Nachfolger, Boris Jelzin, trank dagegen wie
ein Fass. Nicht nur Wodka, aber diesen vor allem. Wie die Russen sagen, „не
просыхая“,
das heißt ohne mindestens ein Tag trocken zu sein. Da die kapitalistische Welt
dafür sorgte, dass er keinen Roggen-, sondern eben nur den Erdölwodka
kriegte (siehe oben), hat er im Rauschzustand Verschiedenes gemacht, was er
besser sein lassen sollte. Darunter war ein nicht ganz gelungener Versuch, das
Berliner Polizeiorchester vor dem Roten Rathaus zu dirigieren, die gelungene
Auflösung der Sowjetunion und
einige Streiche
mehr.
Jetzt
hat Russland einen Führer, der den Wodka sehr mäßig trinkt. Ob es gut geht?
Die
Studie wurde vom Leiter der Forschungsstelle des Konzerns www.matrjoschka-online.de,
Iwan Matrjoschkin, Esq., am 16.7.04 in der Kneipe „Sonnenschein“, Berlin,
Prenzlauer Berg verfasst und vom
wissenschaftlichen Stammtischbeirat genehmigt.
Am 22. Juni 1941 startete Hitlerdeutschland einen Angriff auf die
Sowjetunion.
Der
Kriegsverlauf nach dem Angriff, als die
deutschen Truppen bis zur Wolga
kamen, hat gezeigt, dass Russland in
dem Augenblick des Angriffs Hitlerdeutschlands für den Krieg
nicht vorbereitet war. Gerade das verführte
Hitler zu einem für Deutschland verhängnisvollen Schritt. Eine vorübergehende
Schwäche nahm er für
einen Dauerzustand Russlands. Mit anderen Worten,
er unterschätzte das Land.
Allerdings
tun es manche auch heute. Von eigener Stärke geblendet, sind sie
geneigt, Russlands innere Kräfte
zu unterschätzen. Die vorübergehende
Schwäche extrapolieren sie auf die
Zukunft Russlands. Als sein Dauerzustand.
Gott
sei Dank, besteht jetzt die Gefahr wohl nicht, dass diese Verirrung des Geistes
zu einem martialischen Abenteuer verführt. Aber dass die Unterschätzung der inneren, mit keiner Statistik erfassbaren
Kräfte Russlands zu einer falschen Politik verführt, ist leider noch möglich.
Damit wird die Politik gemeint, die
darauf aus ist, Russland auf Distanz zu halten. Aus der Angst, seine vorübergehende
Schwäche würde Europa zu einer dauerhaften Bürde.
So
schwächt sich Europa selbst. Denn es lässt sich Ressourcen entgehen, die ihm
fehlen, um gegen äußere Gefahren besser gewappnet zu sein.
Wie
mitunter manipuliert wird, damit die irrtümliche Politik besser der Öffentlichkeit
verkauft werden kann, zeigte übrigens
ein anderer Jahrestag. Einer, der nicht mit der Anfangs- sondern mit der
Schlussphase des Zweiten Weltkrieges zusammenhängt. Gemeint wird, der
sechzigste Jahrestag der Landung der Truppen der Westmächte in der Normandie.
Nichts dagegen, dass diese Militäroperation von fähigem Militär durchgeführt
und tapferen Soldaten bestritten, aus dem Anlass gebührend gewürdigt wurde.
Aber jetzt, als die Fanfaren nicht mehr ertönen, ist wohl angebracht, daran zu
erinnern, wer den Sieg über Hitler hauptsächlich herbeigeführt hat. Es war nämlich
Russland , das, nach einer vorübergehenden Schwäche, die Invasoren zuerst an
der Wolga gestoppt, dann geschlagen und schließlich bis zu Berlin verfolgt hat.
Kaum ein Wort fiel darüber in den meisten Festreden zum Jahrestag der Landung
der Westalliierten in der Normandie. Dafür wurde ein Bisschen zu viel über
deren Anteil am Sieg über den Aggressor gesagt.
Die
Gründe der Manipulation liegen auf der Hand. Sie wurzeln nicht in der
Vergangenheit, sondern in der Gegenwart. Im Zeitgeist, der Russland das Recht
abspricht, den ihm gebührenden Platz in der Welt einzunehmen
und deswegen diesen auch in der Geschichte nicht wahrnehmen will. Das ist
ein Zeitgeist, der Spuren der
vergangenen Teilung unseres Kontinents trägt. Ein Zeitgeist, der
alles Andere als zeitgemäß ist.
21.6.04
EIN
GROßER SCHRITT VORWÄRTS, EIN HALBER ZURÜCK?
Es
geht hier um eine Tagung in der
Europäischen Akademie Berlin. Das Thema hieß
„Russlands Weg ins 21. Jahrhundert“.
Die
Tagung bot eine willkommene Gelegenheit, sich über den aktuellen
Stand der deutschen Russlandforschung zu informieren. Die Landeskunde mit
langer Tradition. Schon im 16. und
17. Jahrhundert bereisten deutsche Wissenschaftler das russische Reich, um auf
die Frage
„Quo vadis, Russland?“ eine Antwort zu finden. Weil bereits damals
die Verflechtung der deutschen und russischen Schicksale in Deutschland, wenn
nicht erkannt, dann jedenfalls erahnt wurde.
Besonders
intensiv beschäftigten sich die deutschen Forscher
nach der Großen Revolution 1917 mit Russland. Verständlicherweise, weil
das bolschewistische Russland
den Anspruch erhob, die Welt auf den Kopf zu stellen, angefangen bei
Deutschland.
Im
damaligen Russland wurden die deutschen Russlandforscher scheel angesehen. Man warf
ihnen pauschal vor, die Folgen der
Revolution zu verfälschen.
So stimmte der Vorwurf
nicht. Und wenn er manchmal zutraf, war zumeist nicht böse Absicht im
Spiel, sondern der Mangel an authentischen Informationen. Ein Mangel, den der
Sowjetstaat selbst verschuldete, indem er viele
Vorgänge in seinem Herrschaftsbereich als top secret einstufte.
Was
aber den deutschen Russlandforschern früherer
Jahre mit einigem Recht vorzuwerfen ist, das war ihre
Voreingenommenheit gegenüber dem
russischen Volk. Seine
Kreativität, seine Freiheitsliebe, sein Wille und seine Fähigkeit, das eigene
Leben so einzurichten, wie es ihm passt, wurden stark angezweifelt. Deshalb überraschte die Abschaffung des Sowjetsystems in den achtziger-neunziger
Jahren des vorigen Jahrhunderts nicht nur die Politiker, sondern auch die
Forscher in Deutschland, die es eigentlich besser wissen müssten.
Erfreulicherweise
zeigte die Tagung in der Europäischen Akademie Berlin, dass die Defizite
der deutschen
Russlandforschung überwunden sind. Sie hat
einen großen Schritt vorwärts gemacht. Fast alle auf der Tagung
verlesenen Referate stützten sich auf solide Grundlagen. Man spürte,
dass die Referenten nicht mehr wie einst auf Spekulationen
angewiesen waren. Sie unternahmen umfangreiche Recherchen in den russischen Archiven, befragten
russische Politiker, diskutierten frei mit russischen Kollegen. Das alles
sichert die hohe Qualität der
Russlandforschung in Deutschland.
Auch
ein anderer Umstand spielt eine Rolle. Die deutschen Russlandforscher stehen
nicht mehr unter dem Druck der russenfeindlichen Politik. Wenn die Politik etwas
von ihnen erwartet, dann ist es eine unvoreingenommene
und tiefgehende Analyse der russischen Verhältnisse. Die deutsche Öffentlichkeit
möchte den strategischen Partner
ihres Vaterlandes so kennen lernen, wie er ist. Mit all seinen Stärken und Schwächen.
Mit seiner Vergangenheit. Mit seiner Perspektive. Das heißt auch mit seinem Weg
ins XXI. Jahrhundert.
Allerdings
glaubt der Verfasser, auf der erwähnten Tagung der Europäischen
Akademie Berlin ein Echo der Töne verflossener Zeiten vernommen zu haben.
Selbst die Agenda der Tagung zeugte
von einem gewissen Misstrauen gegenüber Russland. Die
Referate galten „Russland auf dem Weg zu einem autoritär-
patriarchalischen Staat“, „Marginalisierung
von politischen Parteien und autonomen gesellschaftlichen Organisationen in
Russland“, „Bürokratischem Staatskapitalismus als wirtschaftliches
Ordnungsprinzip“, „Konsequenzen eines autoritären Sonderwegs Russlands für
die Partnerschaft EU- Russland“.
Zwar
waren die meisten von diesen
Tagesordnungspunkten mit Fragezeichen versehen. Wenn man aber den Referaten zuhörte,
dann muteten die Fragezeichen
eher als Ornamente an.
Der
Leiter der Europäischen Akademie Berlin, Dr. Stratenschulte, verriet,
worauf das in den Fragestellungen artikulierte Misstrauen zurückzuführen
ist. Und zwar auf aktuelle Vorgänge im politischen Leben Russlands. Vor allem
auf das Ausscheiden der liberalen Parteien aus der Duma als Ergebnis der
Parlamentswahl am Ende des vorigen Jahres, dann auf Putins Wiederwahl mit einer
überwältigenden Mehrheit der Wähler, auf
Veränderungen in der russischen Medienlandschaft und
auf die Verhaftung des Erdölmagnaten Chodorkowski.
Es
wäre töricht, den deutschen Russlandforschern
zu unterstellen, sie täuschten ihre Besorgnis über Russlands Zukunft
vor. Vielmehr ist zu vermuten, sie sind aufrichtig
besorgt. Gegenüber Anzeichen einer autoritären, antidemokratischen
Politik müssen sie, mit den
historischen Erfahrungen Deutschlands vertraut,
sehr hellhörig sein.
Dennoch
darf man wohl nicht außer Acht lassen, dass auch die Russen gegen autoritäre
Tendenzen sehr sensibilisiert sind. Aber in der Mehrzahl
erblicken sie keine Zeichen am Horizont,
das ein schlechtes politisches Wetter verkünden. Die Vorgänge, die von den
deutschen Russlandforschern, aber auch von einem Teil der deutschen Medien als
alarmierend interpretiert werden, deuten sie eher positiv. Davon zeugen
Meinungsumfragen in Russland.
Auf
der Tagung in der Europäischen Akademie ließen sich
gewisse Anzeichen von Meinungsverschiedenheiten im Milieu der
Russlandforscher wahrnehmen. Was übrigens in jeder wissenschaftlichen Körperschaft
normal ist.
Sie
betrafen zum Beispiel das schlechte
Abschneiden der liberalen Parteien in der Dumawahl. Ein Diskussionsteilnehmer
machte dafür die führenden
Liberalen selbst verantwortlich.
Diese erwiesen sich unfähig, die Ideale des Liberalismus
den aktuellen Bedürfnissen Russlands anzupassen. Deshalb meinten die
russischen Wähler, die liberalen Parteien
würden aus dem Ausland
ferngesteuert. Und ihre im Westen hochgeschätzten
Chefs wurden bezichtigt, vor den westlichen Gönnern zu kriechen.
Ergo
wäre es wohl treffender, das Scheitern der Liberalen nicht als
ein Meilenstein auf dem Weg Russlands zur Wiederauflage der gewesenen
Diktatur, sondern als eine Folge der Willensäußerung der Wählerschaft
einzuschätzen. Also als ein demokratischer Vorgang.
Auch
die jüngsten Veränderungen in der russischen
Medienlandschaft werden von den deutschen Russlandforschern nicht unisono
interpretiert. Die einen sprechen von einer vom Kreml veranlassten schleichenden
Abwürgung der Meinungsvielfalt in Russland. Die anderen verzichteten auf die in
der deutschen Presse verbreitete Dramatisierung der Vorgänge. Für sie ist
die von den russischen
Meinungsforschungsinstituten ermittelte Haltung der meisten
Zeitungsleser und der Fernsehzuschauer in Russland von Bedeutung. Diese
äußerten aber Unzufriedenheit mit der
Presse. Sie bemängelten, dass die Medien Verwirrung stifteten und
sprachen die Erwartung aus, diese würden endlich ihren Beitrag zu mehr Stabilität
im Lande leisten und auf
Sensationen weniger scharf sein.
Das
schließt nicht aus, dass auf dieser Welle auch
die der kritischen Presse grundsätzlich nicht wohlgesonnenen
Machtmenschen reiten. Besonders unter den
Provinzfürsten. Dennoch
reicht eine kurze Wanderung durch die russische Medienlandschaft, um
eine Meinungspluralität zu erkennen, die alles andere als eine Rückkehr zur
harten Zensur der Sowjetzeit signalisiert.
Wenig
überzeugend finden einige Russlandforscher
auch die oft wiederholte Behauptung ihrer Kollegen, in Russland werde die
Zivilgesellschaft unterdrückt. Es sei ein Missverständnis, sagte auf der
Tagung Peter Schulze aus der Uni Göttingen. Wenn unter der Zivilgesellschaft
die Aktivität der NGOs verstanden wird, verdiene Russland den Vorwurf nicht.
Die NGOs, insbesondere die ökologischen und die in der Sphäre der
Menschenrechte tätigen, sind in Russland zahlreich. Sie fallen aber nicht so
wie in Deutschland auf, weil sie mit politischen Parteien nicht verzahnt sind.
Das spricht aber eher für die russische Variante der Zivilgesellschaft als
gegen sie.
Nicht
ganz trifft auch der Vorwurf zu,
der Kreml beschneide die Rechte der Regionen. Zwar sind die russischen Regionen
weniger selbständig als deutsche Bundesländer. Aber man darf den gewaltigen
Unterschied zwischen der räumlichen Ausdehnung Deutschlands und Russlands nicht
vergessen. Auch die Tatsache nicht, dass Deutschland mononational, Russland
dagegen multinational ist. Die mechanische Übertragung des tief in der
deutschen Geschichte verankerten Föderalismus auf Russland würde den
russischen Staat mit dem Zerfall bedrohen. Wie es geschehen war, als Putins Vorgänger,
Boris Jelzin, aus populistischen Motiven den russischen Regionalfürsten
vorschlug, so viel Souveränität wie sie wünschten, an sich zu reißen.
So
gab es, wie bei
anderen Veranstaltungen deutscher Russlandforscher,
auf der Tagung in der Europäischen Akademie Berlin eine Scheidungslinie
zwischen den Teilnehmern. Und zwar, zwischen jenen, die an Russland die
Messlatte der abendländischen, vor allem der deutschen demokratischen Werte
anlegen, und jenen, die die Vorgänge
in Russland im Kontext der
russischen Geschichte und der aktuellen Bedürfnisse der russischen Gegenwart
sehen. Die ersteren urteilen wie Militärärzte, wenn sie entscheiden, ob ein
Rekrut tauglich ist. Erreicht er die vorgeschriebene Körperhöhe , ist er
tauglich. Erreicht er sie nicht, wird er ausgemustert.
Aber ein etwas krumm gewachsener Rekrut
bleibt so, wie er ist. Ein Land ist
dagegen entwicklungsfähig. Man
darf es nur nicht
überfordern.
Deshalb
ist die Einstellung anderer
Russlandforscher vorzuziehen. Jener, die davon
ausgehen, dass die westliche Demokratie nicht zu einem
Knüppel werden darf, mit dem andere Länder dem Paradies Europa
ferngehalten werden.
Insgesamt
zeichnete sich die Atmosphäre der
Tagung in der europäische Akademie Berlin durch
Russenfreundlichkeit aus, die früher auf Tagungen dieser Art nicht immer
herrschte. Obwohl die meisten Referenten
der Versuchung nicht widerstehen konnten, die Vorgänge in Russland
danach zu messen, ob diese den Werten
der abendländischen Demokratie nahtlos entsprechen, verzichteten sie darauf,
die Russen von oben herab abzukanzeln. Es hat sich anscheinend die
Erkenntnis durchgesetzt, dass die
selbstgerechten, aufdringlichen Ratschläge, mögen sie auch gut gemeint sein,
konterproduktiv sind. Erst recht,
politischer Druck auf Russland. Er schafft nur böses Blut
und spielt den Ewiggestrigen
in die Hand.
Es
scheint, dass die deutsche Russlandforschung jetzt mehr denn je
Verständnis für die russische Eigenart
aufbringt. Einer Eigenart, die
kein Stolperstein auf Russlands Weg ins XXI. Jahrhundert ist.
Jedenfalls dann nicht, wenn Europa nicht auf einen Nenner gebracht werden soll
und auch integriert seine Vielfalt behalten darf. Die unversiegbare Quelle
seiner hohen Kultur.
Wenig
gefiel dem Berichterstatter, dass
im Mittelpunkt der Debatten wie anno dazumal die Vorgänge im Kreml standen.. Als hinge Russlands
Zukunft nur davon ab, wer
gerade im Kreml residiert. Obwohl diese Zukunft vielleicht mehr von der Haltung
jener Millionen Russen abhängt, die nur als Touristen in den Kreml kommen.
Von den vielen Millionen Russen, die seinerzeit den von der deutschen
Russlandforschung nicht vorausgesehenen Systemwechsel in ihrem Land
herbeigeführt haben.
Dies
zu ignorieren, hieße, nach einem
großen Schritt vorwärts, einen halben zurückzumachen. Einen Fehler zu
wiederholen, der einst das Ansehen
der Russlandforschung stark beschädigte. Aber vielleicht irrt sich der
Berichterstatter in diesem Punkt. Jedenfalls wünscht er , sich
geirrt zu haben. Deswegen versah er den Titel seines Beitrages, dem
Beispiel der Tagungsveranstalter in der Europäischen Akademie Berlin folgend,
mit einem Fragezeichen.
23.5.04
WAS
WIRD MIT RUSSLAND?
Die
EU- Osterweiterung gab der Erörterung dieser ewigen Frage einen neuen Auftrieb.
Umso mehr, dass gleichzeitig eine
von der CIA veröffentlichte Expertise veröffentlicht wurde, die darauf hinausläuft,
dass Russland das Jahr 2015 nicht überlebe. Noch davor zerfalle es auf sechs-
acht Regionen. Möglicherweise pro forma selbstständig, aber dem Wesen nach Anhängsel
von anderen Staaten und Staatengruppierungen. Wie China, islamische Staaten, die
USA, die EU usw. Denn als
Einheitsstaat besäße Russland kein tragfähiges wirtschaftliches Rückgrat.
Die
russischen Forscher bestreiten diese
Prognose. Die meisten pochen darauf, dass Russland seine Hauptschwäche
überwinden würde. Da diese zur Zeit darin bestehe, dass seine
Wirtschaft von hohen, aber manipulierbaren
Erdölpreisen abhängt, muss es eine
andere Quelle der Wirtschaftsentwicklung anzapfen. Und diese heißt innovative
Technologien.
Putin
sei gerade darauf aus, Russlands Wirtschaft auf diese Weise zu stärken,
meinen die meisten.
Eine
andere Hoffnung hegt der oberste Rabbiner Russlands Berl Lasar. Auf einer
Konferenz in Warschau begrüßte er die EU- Osterweiterung und mahnte die gen
Osten erweiterte EU und Russland ein enges Wirtschaftsverhältnis einzugehen.
Außerdem
mahnte er die EU, auf russische Erfahrungen bei Einrichtung des Zusammenlebens
von verschiedenen Völkern zurückzugreifen. Ausgerechnet er, der russische
Chef- Rabbi, Berl Lasar.
PS.
Darauf angesprochen, äußerte unser Multiexperte, Iwan Matrjoschkin, Esq.,
etwas müde nach ausgelassener
Maifeier in der Gaststätte „Sonnenschein“, Berlin, Prenzlauer Berg:
Berl
Lasar ist anscheinend ein glühender russische Patriot und insofern keine
Ausnahme unter russischen Juden.
Von
ihrer Einstellung zeugt ein neuer russischer Witz. Auf dem Strand von Florida
sonnen sich zwei waschechte Russen. „Iwan, sagt einer,- hast du
Sehnsucht nach Russland?“. „Warum denn! –antwortet Iwan. – Ich
bin kein Jude!“.
2.5.04
DAS
RUNET UND DIE TERRORWELLE
1.
Es
gibt ein unausgesprochenes Tabu: Terroristen lassen ihre Hände von
Kindern. Natürlich kann man nicht ausschließen, dass auch Kinder zu
Opfern werden, wenn ein Selbstmörder sich an einer Bushaltestelle in
die Luft sprengt, aber Kinder dürfen nicht geplante Terroropfer
werden. Wenn aber Kinder als
Geiseln
genommen werden, dann ändert das alles.
Wir wissen, wie unsere Regierung reagiert, wenn Erwachsene als Geiseln
genommen werden. Aber wir wissen nicht, wie sie damit umgeht, wenn das Leben von
Kindern von ihr abhängt. Die Behörden könnten
auch nachgeben, gerade weil es um Kinder geht. Aber wenn sie
nachgeben, dann könnte die Geiselnahme von Kindern auch von
Terroristen in anderen Ländern kopiert werden ...(MK.ru)
2.
Drei
Verletzte an einer Bushaltestelle, neunzig Tote in zwei
Flugzeugen, zehn Tote und sechzig Verletzte in einer Metrostation,
zweihundert Kinder als Geiseln. All das innerhalb einer Woche - und
wer weiß, was uns noch erwartet. Wo könnte noch eine Bombe hochgehen, wen wird
es erwischen und wer wird am Leben bleiben? Jeder Tag bringt
uns neue Tragödien. Man kommt überhaupt nicht zum Nachdenken - es ist
eine so massive Terrorwelle, wie wir sie noch nie erlebt haben.
Das sind keine einzelnen Anschläge von Terroristen mehr, das ist ein
richtiger terroristischer Krieg ... Es ist an der Zeit, dass wir
verstehen: Wir befinden uns im Krieg (MK.ru)
3.
In den letzten Wochen ist gegen Russland ein Krieg solchen Ausmaßes
erklärt worden, dass man politische Spiele zu diesem Thema nicht
länger hinnehmen kann ... Jeden Terroranschlag hat der Kreml genutzt,
um die politische Stellung der Staatssicherheitsorgane zu stärken.
Umgekehrt haben Putins politische Gegner keine Gelegenheit
verstreichen lassen, dem Präsidenten vorzuwerfen, er werde mit dem
Terror und dem Tschetschenienproblem insgesamt nicht fertig ...
Der Kreml hat uns so lange weisgemacht, in Tschetschenien sei der
Friedensprozess in vollem Gange, dass er es offenbar am Ende selbst
glaubte ... Damit hat er den Terrorkrieg
. Wann immer die Kämpfer
zuschlugen: Nie wusste der Geheimdienst Bescheid ...
Schluss mit den Lügen. Diesen Krieg kann man nicht gewinnen, wenn man
der Öffentlichkeit nicht die Wahrheit sagt und wenn man seine Freunde
deckt, die sich als unfähig erwiesen haben . Man kann nicht
gewinnen, wenn man sich zum unerbittlichen Kämpfer gegen den
Terrorismus stilisiert, um neue politische Figuren ins Spiel zu
bringen . Die föderalen Geheimdienste sind bedrückend ineffektiv, und dem Land
fehlt eine gelenkte Antiterrorfront. Verhandlungen mit
Terroristen sind natürlich ausgeschlossen, aber dieser Grundsatz darf
nicht dazu herhalten, politische Gegner und unbequeme Gesprächspartner
mit Terroristen in eine Schublade zu stecken.
4.
Michail G r i s c h a n k o w ,
stellvertretender Vorsitzender des Duma-Außenausschusses:
Frage: Kann man die Serie von Terroranschlägen in Russland als einen
Krieg bezeichnen, den der internationale Terrorismus unserem Land
erklärt hat?
Antwort: Eindeutig ja. Nur, Russland ist nicht allein betroffen. Ich
bin zutiefst überzeugt, dass alle Terroranschläge, die heute in
verschiedenen Ländern verübt werden, in einem Zusammenhang stehen.
Deshalb könnte es sich als nahezu sinnlos erweisen, dass sich jedes
Land dem Terrorismus einzeln entgegensetzt ... Der internationale
Terrorismus wird heutzutage von der internationalen kriminellen
Gemeinschaft unterstützt.
Frage: Aber es gibt doch eine mächtige
Antiterror-Koalition. Wir
kooperieren hier auch eng mit anderen Ländern.
Antwort: Was die Terrorismusbekämpfung betrifft, so misst der Westen -
ungeachtet zahlreicher Erklärungen - nach wie vor mit zweierlei Maß.
Die Terroristen werden in die "eigenen" und die "fremden"
eingeteilt
Eine solche Haltung schafft einen günstigen
Boden für den
Terrorismus. Deshalb ist es ist es überaus wichtig, eine gemeinsame
Position zu erarbeiten, um dieser globalen Bedrohung zu begegnen.
(KREML.org)
2.9.04
DER
ZAR IST GUT, SCHLECHT IST DER HOFSTAAT
In
letzter Zeit spricht ein Mann
diesen uralten russischen Glauben an, den viele für den bedeutendsten PR-
Agenten Putins halten. Gleb Pawlowski. In seinem neuen,
umfangreichen Runet- Beitrag stellt er die
Ereignisse um die
Geiselnahme im südrussischen Beslan als Beweis dieser These dar.
Entgegen
den vielen Medienberichten, die mit
Hinweis auf Beslan von Putins
Versagen ausgehen, meint er, nicht Putins Politik der Härte in Tschetschenien hätte
die Blutorgie verschuldet, sondern das politische System Russlands.
Genauer gesagt, das Fehlen eines effizienten
politischen Systems in Russland. Putin würde von der unfähigen und
korrupten Bürokratie blockiert. Was er auch sagt und einfordert, wird verwässert,
bleibt in der Luft hängen.
So
sei die Fernsehansprache Putins zu Beslan ( auf dem Link der behelmten
Matrjoschka in eigener Übersetzung) einer Zensur unterworfen worden. Zwar hätte
die Zensur nur wenige Stellen
betroffen, aber diese seien wichtig, um die Gedankengänge des russischen
Staatschefs nachvollziehen zu können.
1.
An einer Stelle gedachte Putin der ehemaligen Sowjetunion als eines großen
und mächtigen Staats, der es verstand, seine Grenzen zu schützen. Deshalb
bedauerte er, dass sich die SU auflösen musste, indem er das Wörtchen
„leider“ in diesem Zusammenhang gebrauchte. „LEIDER“ fehlt
aber im veröffentlichten
Text.
2.
An einer anderen Stelle bezeichnete
Putin das in Russland bestehende politische System
als von der Entwicklung überholt. Der heimliche Zensor hätte seine
Worte verdreht, obwohl Putins Verurteilung des
maroden politischen Systems in Russland von den Ereignissen in Beslan
bestätigt wurde.
Die
Zensur, der die Ansprache des „angeblich“ allmächtigen Präsidenten
unterworfen wurde, sei ein Ausdruck der allgemeinen Verlogenheit der russischen
Elite , meint Pawlowski. Als besonders lügenhaft
führt er
die Berichterstattung über
die Ereignisse in Beslan an. Es bleibe im Dunkeln, wer die Terroristen
hingeschickt hat, warum ihr
Unternehmen mit einem furchtbaren Blutbad endete. Die wahre Zahl der Geisel
wurde zuerst ums Mehrfache verringert.
Pawlowski
fragt, was ist aus der russischen
politischen Klasse geworden? Und antwortet: eine Diebesbande. Sie plündert
Russland. Sogar die Streitkräfte wurden von ihr in einen Selbstbedienungsladen
verwandelt. Was ihre Unbeholfenheit im Kampf gegen den Terror erklärt.
Pawlowski
meint, Beslan wäre eine schwere Niederlage des Systems. Wird die Niederlage
vertuscht, kommt es noch schlimmer. Er plädiert für eine parlamentarische
Untersuchung. Auch wenn sie wenig bringt, wäre sie ein kleiner Schritt in die
richtige Richtung.
Die
letzte Ursache Beslans
liege im Zerfall der
Sowjetunion. Er setzte destruktive Kräfte frei, die der Sowjetstaat im Zaum
hielt.
Jetzt
gibt es nur ein Kriterium für politische Reformen in Russland. Inwiefern
sie der Bändigung der freigesetzten destruktiven Kräfte beitragen. Ob
die Demokratie dabei vorankommt oder
nicht, spiele eine untergeordnete Rolle.
Auch
die Pressefreiheit dürfe nicht zum Fetisch werden. Das Problem läge nicht
darin, dass die Massenmedien wieder kontrolliert werden, sondern darin, dass die
Zensurbehörden genauso käuflich seien,
wie die „freie“ Presse es war. Früher haben Feinde Russlands
die Journaille geschmiert. Jetzt schmieren sie die Bürokratie, die über
die Journaille wacht.
Die
Situation in Russland vergleicht Putins Berater mit jener in der Spätphase der
Weimarer Republik in Deutschland. Russland
warte auch auf einen Hitler. Aber Putin sei kein Hitler. Er komme den Wünschen
derjenigen, die politische Freiheiten als Last empfinden, nicht entgegen.
Pawlowski
greift nicht nur die Innenpolitik der russischen Führung , sondern auch ihre Außenpolitik
an. Er meint, die Führung wolle nicht wahrnehmen, dass Russland an der Nase
rumgeführt werde. So spielt die EU
ein Doppelspiel. Sie verurteilt die Verbrechen der Terroristen in
Russland, ermuntert sie aber gleichzeitig, neue zu begehen. Indem sie als
Freiheitskämpfer hingestellt werden.
Die
EU beteuert, die territoriale Integrität Russlands zu achten,
verwandelt den Kaukasus jedoch in ihren Brückenkopf gegen Russlands
Integrität.
Ein
ähnliches Ziel wie im Kaukasus verfolge die EU auch an der russischen
Westgrenze. In der Ukraine, Moldawien u.s.w.
Russland
hätte im postsowjetischen Raum für
mehr oder weniger friedliche Zustände gesorgt. Aber Europa hätte es daran
gehindert. Jetzt rückt das Chaos an.
Warum
wird Russland missachtet? Weil die
Russen selbst vorgeführt haben, wie leicht ihr Land zu destabilisieren ist. Sie
haben es getan, indem sie den großen und mächtigen Staat (die Sowjetunion) von
heute auf morgen beseitigen ließen.
So unbekümmert, als ginge es darum, ein Glas Wasser zu leeren.
Auch
Heute will der Westen eigene Probleme auf Russlands Kosten lösen. Man meint, in dem machtpolitischen Vakuum, das Russland jetzt darstellt,
eine große Wirkung mit kleinem
Aufwand erzielen zu können. Die Kräfteverhältnisse
zu seinem Vorteil umzukippen. Wie gehabt.
Die
Terroristen sind ein billiges
Werkzeug der Vernichtung Russlands. Ihr verbrecherisches Tun wird mit westlicher
Propaganda umrahmt, die den Russen Flausen
in den Kopf setzt und ihren Willen lähmt.
In
der EU und in den USA wird Russland für halblegal gehalten. Für einen
Sonderfall, der das Kalkül durcheinander bringt.
Nicht aber für einen unabdingbaren Teil der Weltzivilisation,
ein Land mit dem Recht auf ein eigenes Gesicht.
Russland
wird nur im Konjunktiv anerkannt. Etwa so: es kann vorläufig
weiter existieren, aber nur, wenn...
So
verfällt der Westen wieder der Versuchung, Russland
auf seine Lebensfähigkeit zu testen. Deshalb genießen die in Russland
operierenden Terroristen eine verhaltene Duldung seitens
der großen demokratischen Staaten des Westens.
Pawlowski
fordert eine neue Außenpolitik Russlands, die reinen Tisch macht. Wer immer es
sein mag, der den Kaukasus und das ganze Russland destabilisiert, soll er von
Russland entsprechend behandelt werden.
Allerdings
braucht eine selbstbewusstere Außenpolitik
ein anderes Russland. Eins, das sich als Nation versteht. Vorläufig ist
Russland davon noch entfernt. Es sucht noch sich selbst. Es
ist noch nicht zu einer Nation geworden.
Eine
sehr freie und sehr säumige Nacherzählung
von Iwan Matrjoschkin, Esq., am Stammtisch der Kneipe „Sonnenschein“
in Prenzlauer Berg, Berlin.
PS.
Die Stammtischbrüder verurteilten die Ausführungen des Herrn Pawlowski. Sie
meinten, er verleumde Russland. Seine Forderungen wären
geeignet, die ganze Welt
gegen Russland aufzubringen. In einem Telegramm appellierten sie einhellig an Präsident
Putin, den Verleumder und Spinner aus dem Kreis seiner
Berater zu verbannen. Nach Sibirien.
Die
Antwort lässt auf sich warten. Vielleicht nicht mehr lange.
13.9.04.
Bis
auf wenige Ausnahmen berichten die deutschen Medien zustimmend über die
eindeutige Unterstützung Russlands
durch die Bundesregierung in einem für das Land dramatischen Augenblick. Die Medien
zitieren die im Kern gleichlautenden Äußerungen
von Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer
zur Geiselnahme vieler Kinder und ihrer Angehörigen in der Schule
einer Stadt im
Nordkaukasus.
Bekanntlich
hoben beide Staatsmänner hervor, dass die Bundesregierung die verbrecherische
Tat aufs Schärfste verurteilt und die
sofortige und bedingungslose Freilassung der Geiseln fordert.
Ohne
wenn und aber werden auch die vom
Bundeskanzler erwähnte Zusammenarbeit der deutschen und
russischen Sicherheitsorgane bei der Bekämpfung des Terrors und die
angebotene humanitäre Hilfe für seine Opfer in den überaus meisten
Presseberichten gutgeheißen.
Dabei
wird oft hervorgehoben, dass das Zusammengehen beider Länder
in der Terrorismusbekämpfung auch
dem existenziellen deutschen Interesse entspricht.
Denn bedroht wird nicht nur Russland, auch wenn es jetzt anscheinend zu einer
bevorzugten Zielscheibe der Terroristen geworden ist. Bedroht ist auch
Deutschland. Für viele andere Länder der Welt ist die Bedrohung ebenfalls
akut.
In diesem Zusammenhang erregte ein
Interview Bundesaußenministers Fischer für die BILD -Zeitung Aufmerksamkeit.
Er sprach darüber, dass die politische Beseitigung der Ursachen des
internationalen Terrorismus kompliziert
und langwierig sei. In Wochen oder Monaten sei diese Aufgabe nicht zu lösen.
Sie erfordere Jahrzehnte.
Diese
Aussage wird vor dem Hintergrund der Pressespekulationen über Meinungsverschiedenheiten in der Regierungskoalition
gedeutet. Denn sie zeugt von einer
gewissen Korrektur in der Einstellung des Außenministers zur Terrorismusbekämpfung
in Russland. Einer Korrektur, die berücksichtigt, dass
es jetzt vor allem darum geht, die unmittelbare Bedrohung abzuwenden. Die
Rettung der Menschenleben ist
angesagt. Durch solidarisches Handeln.
Den
dahingehenden Erklärungen Schröders und Fischers kommt, wie in den deutschen
Medienberichten vermerkt wird, besonderer Wert auch deswegen zu, weil sie in
einer komplizierten innenpolitischen Situation
erfolgten. Tatsächlich wird hier die Zusammenarbeit mit Moskau von der
Regierungsopposition mitunter als etwas Verwerfliches gegen die Bundesregierung
instrumentalisiert.
Da
sind deutliche Worte in einer
Angelegenheit, die über jeder
Parteipolitik steht, besonders angebracht. Sie zeugen gerade von jener
Moral, die manche Kritiker der Russlandpolitik der Bundesregierung in
Abrede stellen. Vor allem aber von der Vitalität der strategischen
Partnerschaft Deutschlands und Russlands, die zur Zeit ihre nächste Bewährungsprobe
besteht.
3.9.04
In
Deutschland hat ein Versuch von
zwei rechtsextremen Parteien einen Jahre währenden Streit zu
beenden und Kooperation einzugehen, ein
starkes Medienecho ausgelöst. Die
Resonanz ist verständlich. Erfreuen sich doch die Ewiggestrigen einer
wachsenden Zustimmung in den Schichten der deutschen Bevölkerung, die vom Abbau der sozialen Leistungen aufgeschreckt sind. Übrigens
eine Folge, die keinen überraschen sollte. Nicht von ungefähr wurden in
Deutschland in der Nachkriegszeit
großzügigere soziale Leistungen gewährleistet als in anderen kapitalistischen
Ländern. Vielmehr geschah das unter anderem auch mit dem Hinblick darauf, einer
Wiederholung der Weimarer Zustände zuvorzukommen. Der Zustände, die es Hitler
und seinen Anhängern ermöglichten, sich als Retter des deutschen Volkes vor
Hunger und Entwürdigung darzustellen. Was auch ihre
Bewunderer im heutigen Deutschland versuchen.
Nach
Ansicht hiesiger Experten, wittern
die Rechtsextremen einen neuen Frühling. Eine Chance, ihren lange
gehegten Traum von der Beteiligung an der großen Politik
Realität werden zu lassen. Endlich aus der Ecke der Außenseiter
rauszukommen.
Was
weiter geplant wird, bleibt vorläufig im Dunkeln. Aber die äußerst Rechte wäre
ihrer Natur untreu, hätte sie nicht die Machtergreifung im Auge.
Ob
sie ein solches Ziel je erreicht, erscheint allerdings einem, der glaubt, die
heutigen Deutschen ein wenig kennen
gelernt zu haben, total unwahrscheinlich.
Denn die meisten Deutschen von heute sind anders, als die in den dreißiger
Jahren des vorigen Jahrhunderts. Sie wissen zu gut, wohin der Extremismus führt.
Wie die Russen auch.
Dennoch
bleibt der Vormarsch der Ewiggestrigen
nicht ohne Folgen für Deutschland. „Es könnte einem schlecht werden
bei der Vorstellung, dass im Bundestag 30 Abgeordnete oder mehr sitzen, die laut
Grundgesetz das
ganze deutsche Volk vertreten und insgeheim Adolf Hitler bewundern,
die für Parlamentarismus, Rechtsstaat und Demokratie nichts als
bornierte Verachtung übrig haben“, schrieb in diesem Zusammenhang das
Handelsblatt. Das nüchterne Sprachrohr der deutschen Wirtschaft vermutet
eine für die Konjunktur ungünstige Reaktion seitens der ausländischen Wirtschaftspartner Deutschlands. Aber
auch negative Reaktionen der
Öffentlichkeit im Ausland würden
im Falle des Falles nicht
ausbleiben. Vor allem in Ländern wie Russland, die durch die
Verbrechen der Vorbilder der
Neonazis Ungeheuerliches durchmachen mussten.
Allerdings
ist auch das heutige
Russland nicht sicher vor Extremismus,
obwohl er sich dort etwas andere Tarnanzüge
anlegt als in Deutschland. Die Russen sind der Meinung,
das beste Gegenmittel seien in
ihrem Land geordnete wirtschaftliche und politische Verhältnisse. Deswegen ihr
Wahlverhalten, das in Deutschland mitunter missdeutet wird. Schade drum. Denn je
besser sich die Deutschen und die Russen auch in diesem Punkt verstehen, desto
weniger Chancen haben hier und dort die
Extremisten.
4.11.04
ЧАС
ОТ ЧАСУ
НЕ ЛЕГЧЕ
(IN ETWA: ES WIRD IMMER BUNTER)
Vorwort
von www.Matrjoschka-online.de:
Nach
einer Philippika des russischen Präsidentenberaters, Gleb Pawlowski, der eine
Erhärtung der russischen Innen- und Außenpolitik
forderte (siehe unten), meldete sich mit derselben Forderung ein in
Russland bekannter Geopolitiker, Alexander Dugin. Angesiedelt in der rechten
Ecke des russischen politischen Spektrums führt er eine noch viel härtere
Sprache. So schrieb er auf der Site „Eurasia“:
Russland
hatte keinerlei politische oder soziale Vorstöße
unternommen, die einen derartig grausamen, unmenschlichen Angriff der
Terroristen (wie der in Beslan) rechtfertigen könnten. Doch er hat
stattgefunden, und das bedeutet, dass es Kräfte gibt, die meinen, wir hätten
in unserem Land ein Machtvakuum. Denn sie sehen ja - das russische
Herrschaftssystem ist schwach. Handlungsunfähig, drückt sich die Regierung vor
wirklichen politischen und geopolitischen Entscheidungen... Leute aus der
Umgebung des Präsidenten, die sich mit dem Kaukasus-Problem (also auch mit dem
Tschetschenien-Problem) und mit der internationalen
Politik insgesamt befassen, müssen unverzüglich zurücktreten und
moralisch verurteilt werden ...
Der Präsident sagte, der Terrorismus sei ein Instrument im großen
Krieg gegen unser Land. Doch wer führt diesen Krieg? Eine Handvoll
Fanatiker? Die Überbleibsel von Separatisten? Nichts dergleichen.
Diesen Krieg führen die Vereinigten Staaten von Amerika, die nach
Weltherrschaft streben ... Nicht zufällig hat der Präsident von den
russischen Atomwaffen gesprochen, die vielen ein Grund zu Sorge seien.
Doch wer konkret kann sich hier sorgen?.
Einzig die USA, die unser Land zerstückeln, unsere Präsenz in der GUS
schwächen und Russlands Zersetzung einleiten wollen...
Jene
Leute, die in Moskau seit Jahren eine proamerikanische Politik verfolgen und
eine mehr oder weniger proamerikanische öffentliche Meinung herbeiführen (Putins
führende Experten), sind Mitbeteiligte an dem Verbrechen, das sich vor unseren
Augen abgespielt hat ... Ich gebe
denjenigen einflussreichen Kräften in der Umgebung des Präsidenten die Schuld,
die für die Innen-, Außen- und die GUS-Politik die
Verantwortung übernommen haben ... Es handelt sich dabei um Leute, die aus den
Klans der Oligarchen stammen, PR-Leute verschiedener Banken und Börsen ... Das
sind Verbrecher ...
Um Russland und das Volk zu retten, bleibt uns jetzt, nach den
Ereignissen von Beslan, nur noch ein Weg - der Weg der politischen
Diktatur. Dabei muss es eine wirkliche und keine fiktive Diktatur
sein, eine, die in der Lage wäre, die Gefahr, die unser Haus
heimgesucht hat, effizient zu bekämpfen ...
Russland hat dem radikalen Islam als Struktur nichts Böses angetan,
schon gar nicht der arabischen Welt. Russland ist gegen die Aktionen
der USA in Irak. Das bedeutet, dass das Motiv für die Terroranschläge
anderswo zu suchen ist ... Haben wir erst einmal festgestellt, wo der
Terroranschlag von Beslan und die anderen Anschläge ihre Wurzeln
haben, werden wir das Volk und den Staat effektiv schützen können.
Aber dafür ist ein neues geopolitisches Denken in der neuen Welt
nötig. Die alten ideologischen Klischees, die rosaroten Brillen des
Liberalismus und der Demokratie aus den Zeiten Gorbatschows und
Jelzins müssen abgelegt werden.
Man will, dass es zu einer
ethnischen Explosion im Nordkaukasus kommt ... Das ganze trägt zweifelsohne die
Handschrift der atlantischen Geopolitik, der angelsächsischen Intrige, die
seit Jahrhunderten betrieben wird.
PS. Herr Dugin ist ein fanatischer Anhänger jener geopolitischen Hypothese,
wonach zwischen den angelsächsischen Seemächten
und den Kontinentalmächten (Russland, Deutschland usw.) ein fataler
Interessenkonflikt bestünde. Diese Hypothese wurde zu Hitlerzeiten in Deutschland sehr
gepflegt.
13.9.04
DER
INTERNATIONALE TERRORISMUS ERKLÄRTE RUSSLAND
DEN KRIEG.
Meint
General-Oberst Leonid Iwaschow,
Vize-Präsident der russischen Akademie der geopolitischen Probleme. Auf der
Runet-Site „Kreml.org“ äußert er sich zur Entdeckung
von Spuren des Explosivstoffes Hexogen in den Trümmern eines bei
Rostow vor kurzem abgestürzten
Flugzeuges TU-154.
Er
meint, der Terror, dem zeitgleich offensichtlich auch ein anderer russischer
Flieger zum Opfer fiel (insgesamt 90 Tote), hänge nicht oder nicht nur mit
der Wahl in Tschetschenien zusammen. Man
muss einen breiteren Hintergrund in Erwägung ziehen. Dazu gehören die Verschärfung
der Beziehungen zwischen Russland und Georgien, der auf Russland ausgeübte
Druck seitens der USA, Englands, der EU und NATO in der tschetschenischen
Frage, die Einrichtung der USA- Stützpunkte in Transkaukasien. Aber
auch die Ereignisse im Nahen Osten, vor allem im Irak.
Iwaschow
diagnostiziert eine Schlacht um
kaspisches Erdöl, die der Westen gegen Russland führe.
Die
tschetschenischen Terroristen seien dabei höchstens Handlanger.
Die Logistik besorgen die anderen.
Davon
ausgehend, bemängelt der
General-Oberst die russische Außenpolitik. So trete Russland in der Irak- Frage lasch auf.
Er
sieht sogar zwischen den Terrorakten und der kommenden Präsidentenwahl in den
USA einen Zusammenhang. Das Weiße Haus sei auf die russische Unterstützung
angewiesen, meint er etwas sibyllinisch.
Auch
die russische Innenpolitik mache Fehler. Sie hätten den
Terroristen ermöglicht, die Selbstmörder in Russland anzuwerben.
Iwaschow
sagt eine weitere Destabilisierung im Nordkaukasus voraus. Der Herd
wird nicht in Tschetschenien, sondern in einer anderen hiesigen
Autonomie der RF liegen. In der Vielvölkerteilrepublik Dagestan. Denn
diese sei strategisch wichtiger als Tschetschenien , insbesondere beim
kaspischen Erdöltransport in den Westen.
PS.
Der Kaukasusexperte des Konzerns „Matrjoschka-online.de“, Iwan Matrjoschkin,
Esq., stellt fest: Für Putins Politik im Kaukasus
fand der General-Oberst
kein Wort der Anerkennung.
Ein Zufall? Oder wittern die Geopolitiker in Uniform
Morgenluft?
Wie
dem auch sei, ruft der Esquire nach Moskau. -
Wir, in Berlin lassen W.W.P.
nicht in Stich. Sollten die Drahtzieher des Terrors darauf spekulieren, dass
Freunde Russlands, um sich nicht zu gefährden, von ihm auf Distanz
gehen, bauen sie auf Sand.
Wenn mein Freund in wenigen Tagen zu uns kommt, stellen wir
unter Beweis, dass unsere Partnerschaft
von fremder Einflussnahme nicht zu
beeinträchtigen ist.
28.8.04