MEDIEN. FORTSETZUNG
Alle Parteien des Deutschen Bundestages haben ihre Zustimmung zur Novellierung des Bundesgesetzes über die Tätigkeit der Deutschen Welle erklärt.
Die Deutsche Welle gehört in eine besondere Sparte der Rundfunktätigkeit. Wie die Stimme Russlands, sendet sie nicht für das Publikum im eigenen Lande, sondern im Ausland.
Diese Rundfunktätigkeit gibt es seit 75 Jahren. Der erste Auslandssender war der Vorläufer der Stimme Russlands. Er entstand im Oktober 1929. Zu verschiedenen Zeiten nannte er sich verschieden. Seinen älteren Hörern ist er als Radio Moskau in Erinnerung.
Der Auslandsfunk war und bleibt umstritten. In der Vergangenheit wurde ihm Einmischung in innere Angelegenheit fremder Länder vorgeworfen. Oft stimmte es, aber nicht immer. Jedenfalls aber spiegelte seine Tätigkeit die politische und ideologische Zerrissenheit der Welt von gestern. Das bekam ihm schlecht.
Seit der Überwindung der ideologischen Spaltung Europas und der übrigen Welt verbreitete sich die Meinung, man bräuchte den Auslandsfunk nicht mehr. Dabei wird das Argument ins Feld geführt, jetzt sei ein freier Fluss von Informationen über die Grenzen hinweg auch ohne die grenzüberschreitende Radiowelle möglich geworden.
Bei näherem Hingucken trifft es aber nicht den Kern der Sache. Denn der Auslandsfunk hat nie beansprucht und beansprucht auch jetzt nicht, alle anderen Arten der grenzüberschreitenden Informationstätigkeit zu verdrängen. Wenn sie artgerecht sind, haben sie alle ihre Existenzberechtigung, das heißt, wenn sie ihre spezifischen Artikulationsmöglichkeiten nutzen.
So auch der Auslandsfunk, der schneller als andere grenzüberschreitende Medien sein kann und dem Radiohörer, beziehungsweise dem Fernsehteilnehmer ein Gefühl vermitteln, bei Ereignissen in einem fremden Land dabei zu sein. Trotzdem wurden manche Auslandssender auf Schmalkost gesetzt oder ganz abgewickelt.
Zurück zur Deutschen Welle ist zu vermerken, dass ihre Führung früher, mit recht oder nicht, darüber haben wir nicht zu urteilen, der deutschen Regierung vorwarf, ihre Wünsche nicht ausreichend berücksichtigt zu haben. Soviel aus der Novellierung des Gesetzes über ihre Tätigkeit zu schließen ist, konnte sich die DW trotzdem durchsetzen. Die neue Fassung des Gesetzes hebt ihre Bedeutung hervor. Und definiert ihre Zielsetzung klipp und klar. Und zwar, das ausländische Publikum über alle Aspekte des Lebens in der Bundesrepublik umfassend zu informieren.
Das
novellierte Gesetz legt außerdem der DW auf,
verstärkt mit
öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im
Inland, aber auch im Ausland zu
kooperieren. In diesem Zusammenhang sei zu vermerken, dass die Stimme
Russlands die internationale Kooperation gutheißt. Insbesondere mit dem Sender
eines Landes, das mit Russland durch eine strategische Partnerschaft verbunden
ist.
Wie verschieden sie sonst auch sein mögen, sollen sich alle Auslandsender, wenn sie der internationalen Verständigung dienen und sich an die Wahrheit halten, frei entfalten. Tun sie es, wird der internationale Äther anregender. Also, herzlichen Glückwunsch, Kollegen!
29.10.04
DAS
RUNET UND DIE TERRORWELLE
1.
Es
gibt ein unausgesprochenes Tabu: Terroristen lassen ihre Hände von
Kindern. Natürlich kann man nicht ausschließen, dass auch Kinder zu
Opfern werden, wenn ein Selbstmörder sich an einer Bushaltestelle in
die Luft sprengt, aber Kinder dürfen nicht geplante Terroropfer
werden. Wenn aber Kinder als
Geiseln
genommen werden, dann ändert das alles.
Wir wissen, wie unsere Regierung reagiert, wenn Erwachsene als Geiseln
genommen werden. Aber wir wissen nicht, wie sie damit umgeht, wenn das Leben von
Kindern von ihr abhängt. Die Behörden könnten
auch nachgeben, gerade weil es um Kinder geht. Aber wenn sie
nachgeben, dann könnte die Geiselnahme von Kindern auch von
Terroristen in anderen Ländern kopiert werden ...(MK.ru)
2.
Drei
Verletzte an einer Bushaltestelle, neunzig Tote in zwei
Flugzeugen, zehn Tote und sechzig Verletzte in einer Metrostation,
zweihundert Kinder als Geiseln. All das innerhalb einer Woche - und
wer weiß, was uns noch erwartet. Wo könnte noch eine Bombe hochgehen, wen wird
es erwischen und wer wird am Leben bleiben? Jeder Tag bringt uns neue Tragödien. Man kommt überhaupt nicht zum
Nachdenken - es ist
eine so massive Terrorwelle, wie wir sie noch nie erlebt haben.
Das sind keine einzelnen Anschläge von Terroristen mehr, das ist ein
richtiger terroristischer Krieg ... Es ist an der Zeit, dass wir
verstehen: Wir befinden uns im Krieg (MK.ru)
3.
In den letzten Wochen ist gegen Russland ein Krieg solchen Ausmaßes
erklärt worden, dass man politische Spiele zu diesem Thema nicht
länger hinnehmen kann ... Jeden Terroranschlag hat der Kreml genutzt,
um die politische Stellung der Staatssicherheitsorgane zu stärken.
Umgekehrt haben Putins politische Gegner keine Gelegenheit
verstreichen lassen, dem Präsidenten vorzuwerfen, er werde mit dem
Terror und dem Tschetschenienproblem insgesamt nicht fertig ...
Der Kreml hat uns so lange weisgemacht, in Tschetschenien sei der
Friedensprozess in vollem Gange, dass er es offenbar am Ende selbst
glaubte ... Damit hat er den Terrorkrieg
. Wann immer die Kämpfer
zuschlugen: Nie wusste der Geheimdienst Bescheid ...
Schluss mit den Lügen. Diesen Krieg kann man nicht gewinnen, wenn man
der Öffentlichkeit nicht die Wahrheit sagt und wenn man seine Freunde
deckt, die sich als unfähig erwiesen haben . Man kann nicht
gewinnen, wenn man sich zum unerbittlichen Kämpfer gegen den
Terrorismus stilisiert, um neue politische Figuren ins Spiel zu
bringen . Die föderalen Geheimdienste sind bedrückend ineffektiv, und dem Land
fehlt eine gelenkte Antiterrorfront. Verhandlungen mit
Terroristen sind natürlich ausgeschlossen, aber dieser Grundsatz darf
nicht dazu herhalten, politische Gegner und unbequeme Gesprächspartner
mit Terroristen in eine Schublade zu stecken.
4.
Michail G r i s c h a n k o w ,
stellvertretender Vorsitzender des Duma-Außenausschusses:
Frage: Kann man die Serie von Terroranschlägen in Russland als einen
Krieg bezeichnen, den der internationale Terrorismus unserem Land
erklärt hat?
Antwort: Eindeutig ja. Nur, Russland ist nicht allein betroffen. Ich
bin zutiefst überzeugt, dass alle Terroranschläge, die heute in
verschiedenen Ländern verübt werden, in einem Zusammenhang stehen.
Deshalb könnte es sich als nahezu sinnlos erweisen, dass sich jedes
Land dem Terrorismus einzeln entgegensetzt ... Der internationale
Terrorismus wird heutzutage von der internationalen kriminellen
Gemeinschaft unterstützt.
Frage: Aber es gibt doch eine mächtige
Antiterror-Koalition. Wir
kooperieren hier auch eng mit anderen Ländern.
Antwort: Was die Terrorismusbekämpfung betrifft, so misst der Westen -
ungeachtet zahlreicher Erklärungen - nach wie vor mit zweierlei Maß.
Die Terroristen werden in die "eigenen" und die "fremden"
eingeteilt
Eine solche Haltung schafft einen günstigen
Boden für den
Terrorismus. Deshalb ist es ist es überaus wichtig, eine gemeinsame
Position zu erarbeiten, um dieser globalen Bedrohung zu begegnen.
(KREML.org)
2.9.04
PRESSEFREIHEIT? FRAGT I.MATRJOSCHKIN, ESQ.
Es ist ein klassischer Fall der Divergenz zwischen der öffentlichen und der veröffentlichten Meinung. Denn, soviel mir bekannt, ist die Meinung der meisten Deutschen zu dem Treffen in Sotschi von Schröder, Chirac und Putin positiv. Am Stammtisch in meiner Kneipe ("Sonnenschein", Prenzlauer Berg, Berlin , jedenfalls sehr positiv. In Gesprächen äußerten die Stammtischbrüder die Genugtuung darüber, dass Deutschland, Russland und Frankreich im ständigen Dialog bleiben, was ihre, in Krisensituation bereits bewährte Partnerschaft weiterbringt und ihren existenziellen politischen und wirtschaftlichen Interessen entspricht.
Dagegen bemängelt ein Teil der deutschen Medien, dass den Gesprächen der führenden Staatsmänner die Würze fehle. Und zwar, dass sie nicht wie Kampfhähne aufeinander einhacken, sondern auch bei der Behandlung strittiger Themen Sachlichkeit walten lassen. Wobei in den Pressekommentaren immer wieder kaum verborgenes Bedauern darüber anklingt, dass die Vorgänge in Tschetschenien nicht zum Anlass genommen werden, den russischen Präsidenten unter Druck zu setzen. Ihm Leviten zu lesen.
Ob ein solches Verhalten Putins Gesprächspartner die erwünschte Wirkung oder das Gegenteil davon zeitigen würde, interessiert die Presse wenig. Die deutschen Journalisten, die den Bundeskanzler so gern in der Rolle eines Mentors Russlands sehen möchten, haben offensichtlich auch ein anderes Ziel als die Änderung der Politik des Kremls in der noch vor wenigen Jahren ihnen so gut wie unbekannten kleinen Autonomie der Russischen Föderation im Nordkaukasus. Für sie und ihre Auftraggeber ist wohl wichtiger, die Ostpolitik der Bundesregierung mit einem Fragezeichen zu versehen. Angesichts der turbulenten Entwicklung in der deutschen Innenpolitik geriete dadurch die politische Stabilität in Deutschland endgültig aus den Angeln. Wem es nutzt, braucht man wohl nicht zu sagen.
Deshalb
nehmen auch diesmal manche Blätter Deutschlands ihre Informationspflicht
ziemlich selektiv wahr. Tschetschenien kommt in ihrer Berichterstattung massiv
vor, aber die durch die jüngsten Terroranschläge in Russland hervorgehobene
Dringlichkeit der Terrorismusbekämpfung
erst am Rande. Wie auch andere Vorgänge,
die den Deutschen sehr nahe liegen müssen. Zum Beispiel, die russischen
Energieträgerlieferungen, die für die Leistungsfähigkeit
der deutschen Wirtschaft und die Reduzierung der Arbeitslosigkeit in
Deutschland eminente Bedeutung
haben.
Übrigens bauscht die russische Presse nicht jene Themen auf, die von heute auf Morgen genau so wenig wie das Problem Tschetscheniens gelöst werden können. Dazu gehört die Lage auf dem Balkan, die weit davon entfernt ist, den russischen Vorstellungen von einer befriedeten Region zu entsprechen. Oder weiterbestehende Transitschwierigkeiten zwischen dem Mutterland und dem zu einer russischen Insel in der EU gewordenen Kaliningrader Gebiet. Die russische Presse passt die Behandlung dieser Themen ihrer relativen Bedeutung im ganzen Komplex der deutsch-russischen Beziehungen an. Ihr Hauptaugenmerk richten die russischen Medien auf zukunftsweisende Entwicklungen in diesen Beziehungen.
Es ist anzunehmen, dass die Pressefreiheit unter anderem darin besteht, ein ausgewogenes Bild der Ereignisse bieten zu können. Wenn dem so ist, dann fragt man sich, ob die hier bemängelte deutsche Presseberichterstattung über die russisch-deutschen Beziehungen voll und ganz unter dem Zeichen der Pressefreiheit steht. Oder vielmehr darauf hinweist, dass auch in Deutschland die Pressefreiheit in manchen Fällen nicht ganz zum Durchbruch kommt. Trotz ihrer unbestrittenen Fortschritte, die den russischen Kollegen immer wieder unter die Nase gerieben werden.
Das finde ich bedauerlich.
1.9.04
EIN WENIG POLITIK + EIN WENIG RUSSISCHE SPRACHKUNDE
Früher standen Äußerungen zur Weltpolitik in den russischen Medien unter strenger Zensur. Die Experten, seien sie noch so klug gewesen, durften sich zwar Gedanken über die Lage der Dinge machen, aber äußern diese durften sie diese nur in den der Öffentlichkeit unzugänglichen Denkschriften. Und die Ratschläge wurden von ihren Auftragebern selten befolgt. Denn die Halbgötter ganz oben ließen sich nicht von der Ratio, sondern von ihren Intrigen leiten.
Jetzt sind die Gedanken in Russland bekanntlich frei. Die Politprofessoren dürfen an die Öffentlichkeit. Und sie machen davon weidlich Gebrauch. Auch dann, wenn sie besser geschwiegen hätten. Wie in den folgenden zwei Beiträgen auf der Runetsite „Kreml.org“.
Stanislaw Belkowski, General- Direktor des Instituts für die nationale Strategie Russlands (General- wie schön das klingt!) verkündet in seinem Beitrag, die Welt stünde an der Schwelle eines neuen Mittelalters. Damit meint er, die sprunghafte Zunahme der Bedeutung konfessioneller Zugehörigkeit der Akteure auf der politischen Bühne. Wie im Mittelalter, bildet sie die Ursache internationaler Konflikte. Zwischen Arabien und der Atlantischen Gemeinschaft unter Führung der USA, vor allem.
Die Christen schneiden dabei nicht auf die beste Weise ab. So erwiesen sich die Soldaten des frommen Mr. Bush unfähig, seine Befehle im Irak und in Afghanistan auszuführen. Trotz der grandiosen Überlegenheit an Bewaffnung.
Daraus schlussfolgert der russische General-Experte, dass die kulturell- zivilisatorische Expansion der USA an ihre Grenzen stößt. Washington muss sich allmählich vom Traum von der monopolaren Weltordnung verabschieden. Allerdings hat Russland keinen Grund, dies zu bedauern. Eher schon, sich darüber zu freuen. Denn es ist zu erwarten, dass der Einfluss der Amerikaner im postsowjetischen Raum zurückgeht.
In diesem Zusammenhang erinnert unser General- Geopolitiker Iwan Matrjoschkin, Esq., an das russische Sprichwort: На Бога надейся, да сам не плошай (In etwa: vertraue auf Gott, aber sei selbst tatkräftig). In dem angesprochenen Fall muss es wohl heißen: Ihr könnt lange warten, bis die Amis ihre in den letzten Jahren eingerichteten Stützpunkte an den südlichen Grenzen Russlands aufgeben...
Und jetzt zu einem originelleren Beitrag. Er stammt aus der Feder von Vitali Tretjakow, Chef der einflussreichen “Unabhängigen Verlagsgesellschaft“. Tretjakow weist auf eine große Ungerechtigkeit in der heutigen Welt hin. Sie besteht darin, dass sich ein Präsident des mächtigsten Landes, das eine dominierende Rolle in der Welt beansprucht, nur von drei Prozent der Gesamtbevölkerung der Erde wählen lässt. Somit müssen 97 Prozent ihr Schicksal einem Staatsmann anvertrauen, den sie nicht wählen dürfen. Wo ist da die Demokratie, als deren Schutzmacht die USA auftreten? ...
Eine ganz richtige Fragestellung, meint dazu unser Generalinspektor der Demokratie, Iwan Matrjoschkin, Esq. Als Bestätigung führt er wieder ein russisches Sprichwort an. Назвался груздем, полезай в кузов. Nennst dich Marone, marsch in den Korb. Also spielst dich als der größte Demokrat auf, lass dich von der Gesamtbevölkerung der Welt wählen. Bravo, Herr Tretjakow!
30.8.04
Im Foyer der Berliner Residenz der Dresdener Bank fand eine viel besuchte Debatte über Russland nach der Präsidentschaftswahl statt .
Die Debatte fand im Rahmen regelmäßiger, vom Deutsch- Russischen Forum und vom Verein „Partner für Berlin“ ermöglichter Treffen von bekannten russischen und deutschen Journalisten statt. Diesmal unterschied sie sich vorteilhaft von einigen früheren Foren dieser Art, die eher an ein Schattenboxen als an die Gegenüberstellung von Meinungen erinnerten. Vermutlich hing das mit dem Verhalten einiger von der deutschen Seite geladener, russischer Podiumsgäste zusammen, die unisono mit den deutschen Kollegen die Defizite der russischen Demokratie beklagten, ohne dabei die in der russischen öffentlichen Meinung vorherrschenden Tendenzen zu vertreten.
Ganz anders war es diesmal, wobei der Pressechef der russischen Botschaft in Berlin, Igor Grabar, den Ton angab. Die Offensive angetreten, warf er den deutschen Medien vor, in ihrer Berichterstattung aus Russland an althergebrachten Klischees und Phantomen zu kleben. Das Neue aber, so die nach dem Präsidentenwechsel im Jahr 2000 erfolgte Stabilisierung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Russland, fiele manchmal unter den Tisch.
Allerdings bestritten auch die deutschen Gäste aus dem Podium, der ARD-Korrespondent in Moskau, Udo Lielischkies, und Dr. Christoph Freiherr von Marschall, Leitender Redakteur des Berliner Tagesspiegels, nicht die unter dem gegenwärtigen Kremlherrn erzielten Fortschritte. Sie schrieben diese Putin als zunehmende Berechenbarkeit Russlands gut, ein Erfolg, der unter seinem Vorgänger, Boris Jelzins, für seine Eskapaden berühmt und berüchtigt, ausbleiben musste.
Deutlicher traten die Meinungsverschiedenheiten zwischen den deutschen und den russischen Debattierern bei der Einschätzung des gegenwärtigen Zustands der russischen Demokratie zutage. Das, was die deutschen Teilnehmer als ihre Defizite verstanden wissen wollten, beurteilte Igor Grabar, eher zurückhaltend von seinem russischen Kollegen, dem Fernsehkorrepondenten Dmitri Pogorschelskij, unterstützt, als eine, den russischen Traditionen und den aktuellen Erfordernissen Russlands verpflichtete Modifizierung der Demokratie. Deswegen sei es konterproduktiv, wenn westliche Demokratieanwälte an die russischen Verhältnisse fremde Messlatten anlegten und dem Willen der überaus meisten Russen, klar in den Ergebnissen der letzten Präsidentschaftswahlen zum Ausdruck gebracht, keine Rechnung trügen.
Bezeichnenderweise fanden Grabars, mitunter nicht ohne russischen Urwitz vorgebrachten Ausführungen ein auffällig positives Echo im bis zum letzten Platz gefüllten riesigen Raum.
Leider machte die Debatte um den internationalen Kontext der russischen Entwicklung einen Bogen. So wurde die demnächst stattfindende NATO- Osterweiterung mit dem Näherrücken fremder Militärstützpunkte an die russischen Grenzen verbunden, nicht einmal erwähnt. Obwohl sie bestens geeignet ist, die in Russland ohnehin noch vorhandene Stimmung der belagerten Festung zu verstärken und somit der russischen Demokratie gewiss nicht gut bekommen wird.
Unter
dem Strich aber
war die Veranstaltung ein
Beitrag zur Korrektur des
Russlandbildes in Deutschland.
6.4.04
RUND UMS TIER: DAS RUNET IN DER SAUERGURKENZEIT
1.Der Hund als Glücksbringer.
Das Hündchen starrt traurig in die Leere, sein Fell ist von Graffiti bunt gefärbt.
Das
Denkmal zu Ehren des Hundes als treuestem Freund des Menschen errichtet, gehört
zu kleinen Attraktionen von St.
Petersburg, die nur aufmerksame Beobachter entdecken. Es steht
in einem Hinterhof der Fußgängerzone Malaja Sadowaja.
Immer schon verehrten die Russen ihre Haustiere. Sie glaubten an die gute Kraft,
die von ihnen ausging.
Die Tierdenkmäler gelten als Glücksbringer. Das bronzene Hündchen wird auf die Schnauze geküsst. Und wenn man besondere Wünsche hat, schreibt man ihm einen Brief.
Dafür
wurde ein Briefkasten eingerichtet.
Tierarzt Jurij Schtschepanowskij hat nun eine Initiative gegründet.
„Die Briefe an den Hund sollen beantwortet
werden“, meint er. Einmal in der Woche will er den Briefkasten leeren und auf
die Wünsche der Petersburger eingehen. Eine eigene E-Mail-Adresse soll der Hund
auch bekommen.
Mit dem Projekt will der Arzt der Kommunikation zwischen Mensch und Tier beitragen. In einer zunehmend härter werdenden Welt sei es vonnöten.
Nach MDZ.
2.Der Auerochse als Kriegstreiber.
Es geht hier um Wladimir Shirinowski, den бизон (Auerochse), wie er oft genannt wird. Um in die Schlagzeilen der russischen Presse ganz massiv zu kommen, nutzte der skandalumwitterte Chef der rapide in der Wählergunst aufsteigenden „Liberal- Demokratischen Partei Russlands“ und Vize- Speaker der Staatsduma die Spannung zwischen Russland und Georgien, genauer gesagt, nutzte er den Konflikt zwischen Georgien und dem abtrünnigen Teil dieser transkaukasischen Republik, Abchasien. Die Abchasen, im Unterschied zu den christlichen Georgien mehrheitlich Anhänger des Islams, genießen trotzdem den Schutz und die Förderung Russlands. Vielleicht spielt da eine Rolle, dass Abchasien seit jeher das Urlaubsparadies der Russen ist. Seine Schwarzmeerküste stellt eine einzige Kette von Touristenhotels für russische Gäste dar.
Der neue georgische Präsident Sakaaschwili, der seine Freunde nicht im Kreml, sondern im Weißen Haus sucht, will die Lage ändern. Auf seine Veranlassung wurde den russischen Touristen erklärt, dass sie sich georgische Visa besorgen sollen, wenn sie nach Abchasien aufbrechen. Denn nur Tiflis darf darüber entscheiden, wer nach Abchasien darf.
Eine besondere Warnung wurde denjenigen ausgesprochen, die nach Abchasien mit dem Schiff möchten. Die georgische Seite drohte, die Schiffe zu kapern oder sogar zu versenken.
Da trat der Auerochse, berühmt als Scharfmacher, in Erscheinung. Mit achtzig Anhängern mietete er ein Schiff und brach nach Abchasien auf. Seine Männer sorgten für eine ununterbrochene Funkberichterstattung Die russischen Medien, in der Sauergurkenzeit besonders sensationshungrig, griffen gierig zu.
Zwar blieb die erwartete Spitzenmeldung über die Versenkung des Schiffes aus. Die Georgier ließen es passieren. Shririnowski samt Begleitung landete unbehelligt in Abchasien. Hier wurde er von den höchsten Regierungsvertretern begrüßt, bewirtet und als der beste russische Freund Abchasiens gefeiert.
Es ist zu erwarten, dass bei der nächsten Wahl seine Partei wieder zulegt. Ob der Auerochse einmal Putin im Kreml ablöst, worauf er spekuliert, bleibt allerdings sehr fraglich. Da muss er wohl mehr leisten als eine Landung in Abchasien während der Sauergurkenzeit.
3. Die „dumme Zicke“ läuft zum Kadi.
Der Skandal wurde zum Dauerbrenner im Runet. Dank der Tatsache, dass der Hauptbeteiligte ein russischer Kultsänger war. Philipp Kirkorow verdankt seine Popularität nicht nur seinem Können, sondern auch dem seiner Ehefrau, der berühmten russischen Popsängerin Alla Pugatschowa.
Es fing damit, dass Kirkorow in einer Pressekonferenz auf eine harmlose Frage einer Journalistin sehr gereizt reagierte. In der besten russischen Art schickte er sie «на хуй» (ein zwar sehr verbreitetes, nichtsdestoweniger aber höchst anzügliches Idiom um die vulgäre Bezeichnung des männliches Stolzes).
Außerdem verspottete er sie wegen der durchsichtigen Bluse, die ihre Reize, die Kirkorow verächtlich als dürre Titten definierte, preisgab. Äußerungen wie die dumme Zicke fielen auch.
Die zutiefst betroffene junge Dame lief zum Kadi. Wegen öffentlicher Herabsetzung.
Am Prozess beteiligten sich namhafte Juristen. Die besten Linguisten des Landes philosophierten darüber, inwiefern Vergleiche mit Tieren als Beleidigung eingestuft werden dürfen.
Die Berichterstattung verdrängte die Jukos Affäre aus den Schlagzeilen.
Vor kurzem wurde das Urteil gesprochen. Wider Erwarten verlor der Starsänger. Jetzt muss er sechzig Tausend Rubel (weniger als zwei Tausend Euro) Strafe zahlen. Das macht ihn bestimmt nicht ärmer.
Außerdem ist das Geld gut angelegt. Eine bessere Werbung in der Sauergurkenzeit gibt es wohl nicht.
P.S. von Iwan Matrjoschkin, Esq. : Und da sagt man noch, die russische Presse sei unterdrückt und die russische Justiz käuflich.
12.8.04
GENERAL MOTORS UND RUSSLAND
Im Berliner Luxushotel „Adlon“ sprach der bekannte russische Fernsehjournalist Jewgeni Kisseljow über die Lage der Presse und die bevorstehenden Duma- Wahlen in Russland.
Sollte der Berichterstatter den Ausführungen des Gastes aus Moskau ein Motto voranstellen, hätte er den in den USA gängigen Spruch gewählt: „Was für General Motors gut ist, ist auch für Amerika gut“. Tauscht man die amerikanischen Bezeichnungen gegen die entsprechenden russischen, ergibt das eine Formel, die sich mit der von Herrn Kisseljow vertretenen Philosophie deckt. Einer Philosophie, die ihn bewog, sich in dem in Russland ausgebrochenen Konflikt zwischen der Staatsmacht und einem Teil des Großkapitals eindeutig auf die Seite des letzteren zu stellen.
Nicht ohne Brillanz vorgetragen, überzeugten Kisseljows Ausführungen trotzdem nicht alle seine Zuhörer in dem prunkvollen, mit finanzieller Unterstützung des Bertelsmannkonzerns gemieteten Saal. Mindestens jene nicht, die sich noch nicht dem Glauben verschrieben haben, die Pressefreiheit und die Demokratie seien auf pralle Geldsäcke angewiesen. In Deutschland gibt es bestimmt noch Zeitgenossen, die eine Demokratie und Pressefreiheit für möglich halten, die mit dem buchstäblichen Sinn der Begriffe nahtlos übereinstimmen. Auch wenn diese Übereinstimmung in der Welt schwer zu finden ist.
Nach den Äußerungen des Gastes zu urteilen, gibt es diese Naivlinge auch in Russland, und zwar zuhauf. Er rückte sie aber in die Nähe jener, die einst Stalin „Hosanna!“ sangen. Worauf der gewiss überzogene Vergleich zielte, war jedem Zuhörer klar, der die Ergebnisse der vorigen Präsidentenwahl und der Meinungsumfragen in Russland kennt. Dennoch lehrt die russische Geschichte auch, dass die Leichtgläubigkeit der Russen Grenzen hat. Erst recht jetzt, wo die Russen durch die Erfahrungen mit der sowjetischen Staatsmacht gewitzt sind.
So ist wohl der Pessimismus des Gastes, der Russland eine düstere Zukunft voraussagte, nicht zu teilen.
Und zum Schluss eine nostalgische Erinnerung. Dem Berichterstatter sind noch die ersten Perestroika- Jahre in Moskau gewahr, als er für die „Moskowskije Nowosti“ schrieb. Die Art der Liberalität, die diese Zeitung damals vertrat, schloss die Anhimmelung des Großkapitals, noch dazu auf eine zweifelhafte Art erworbenen, aus. Jetzt führt Jewgeni Kisseljow diese Zeitung als ihr Chefredakteur. Es bleibt zu hoffen, dass sie, wie die anderen publizistischen Flagschiffe der Befreiungsbewegung in Russland, die Zukunft des Landes nicht in die Hände der Raubritter der Systemtransformation legen wollen. Das würde dem ohnehin arg malträtierten Russland tatsächlich keine lichte Zukunft versprechen. Denn was für General Motors gut ist, muss für Russland nicht unbedingt gut sein.
20.11.03
RUSSISCHE FERNSEHIMPRESSIONEN
Der erste Kanal des russischen Fernsehens. Prime Time. Es läuft ein Dokumentarstreifen über „den wichtigsten und besten Aufklärer des Ostblocks Markus Wolf“. Auf dem Bildschirm Markus Wolf selbst. Der Stasigeneral. Und viele seiner deutschen Kollegen. Nach der deutschen Wiedervereinigung bescheinigten sie in einer Gerichtsverhandlung, es wäre eine Freude und Ehre gewesen, unter seiner Leitung zu arbeiten.
Dann kommen sowjetische Freunde und Kameraden des Herrn Wolf zu Wort. Vor Jahren gaben sie sich stumm. Halbtot. Jetzt sind sie wieder quicklebendig. Selbstbewusst. Auch sie loben den Deutschen über den grünen Klee. Wolf sei ein ehrlicher Offizier gewesen, der seinem Staat eifrig gedient hat.
Daran zweifle ich nicht. Nur fehlen mir Hinweise auf die Ergebnisse der ehrlichen Arbeit. Gab es denn in der DDR nicht viel Verfolgung Unschuldiger und eine Unmenge Spitzel? Und kamen denn in der DDR die Menschen nicht um, die woanders leben wollten?
Im Film wird darüber kein Sterbenswörtchen verloren. Aber ich erinnere mich nebelhaft daran, was eine ähnlich ehrliche Arbeit in Russland einst angerichtet hat. Zwar war die DDR gegen die Sowjetunion ein harmloses Puppentheater, aber Unrecht bleibt Unrecht, auch mit unvergleichbar weniger Opfern.
Daran denkend, schalte ich vom ersten Kanal zum zweiten. Da läuft auch ein Dokumentarfilm. Über Lenin. Genauer gesagt darüber, wie er die russische intellektuelle Elite, die er Scheiße nannte, vernichtete. Und darüber, wie unter seinem Regime das Blut der Proletarier floss, für deren Glück er, wie uns in der Schule eingetrichtert wurde, lebte.
Dann schalte ich zum ersten Kanal zurück. Noch ein Filmdokument. Darüber, wie Lenins treuer Schüler Stalin und seine Clique den großen proletarischen Dichter Maxim Gorki ins Jenseits beförderten.
Wieder grübele ich über das Gesehene nach. Also: die Kommunisten waren Schweinehunde. OK. Aber Schweinehunde seien sie nur gewesen, wenn sie keine Stasileute waren. Als diese waren sie ehrliche, gute Menschen , die ihrem Staat eifrig dienten.
Etwas stimmt da wahrscheinlich nicht, wenn diejenige, die Befehle gaben, verdammt und diejenigen, die diese Befehle eifrig ausführten, verherrlicht werden.
Was
aber nicht stimmt, weiß ich nicht. Woher auch? Schließlich bin ich nur
eine kleine, dumme Holzpuppe.
18.10.03