PUTIN HAT
GESPROCHEN. IM RUSSISCHEN FERNSEHEN. AM 4.9.04
Vorwort zur Übersetzung.
Für unsere
Leser, die die Mühe scheuen, diese umfang- und inhaltsreiche Erklärung zu
lesen, hat unser Chefanalytiker, Iwan Matrjoschkin, Esq., zwei Punkte
herausgesucht, die seiner Meinung nach vor allen anderen beachtet werden müssen.
Denn sie können leicht missverstanden werden.
1. Der
erste Punkt ist die positive Einschätzung der kontrollierten
Staatsgrenzen. Frage: Wird damit die nach der Auflösung
der Sowjetunion eingetretene Weltoffenheit Russlands aufgekündigt? Antwort:
Putin meint die Grenzen zwischen Russland und anderen ehemaligen
Teilrepubliken der Sowjetunion. In der Sowjetzeit existierten sie nur auf
Landkarten. Auch jetzt sind sie eher virtuell, obwohl die Teilstaaten
schon lange souverän geworden sind. Es geht Putin nicht um die Schließung
dieser Grenzen, sondern um Maßnahmen gegen die Einschleusung von
Terroristen auf russisches Gebiet über die virtuellen Grenzen hinweg.
2. Der zweite
Punkt ist Putins Einschätzung des internationalen Terrorismus als
Werkzeug zur Zerstörung und Zerstückelung Russlands seitens anderer, nicht näher
genannter Mächte. Einer Zerstörung und Zerstückelung, die angestrebt
werden, weil ein starkes und einiges Russland unerwünscht ist. Frage:
Wird damit die Zusammenarbeit Russlands mit dem Westen aufgekündigt? Antwort:
Die westlichen Staatsmänner bekunden, dass sich der Westen ein einiges und
starkes Russland wünscht. Es ist anzunehmen, sie meinen es ehrlich. Insofern
hat Russland keinen Grund, die Zusammenarbeit mit dem Westen aufzukündigen.
Und jetzt
Putins Erklärung:
„Auf unserer
Erde ist eine furchtbare Tragödie geschehen. Die letzten Tage hat jeder von uns
tief gelitten und alles durch sein Herz gehen
lassen, was in der russischen Staat Beslan geschah. Wo wir nicht einfach Mördern
begegnet sind, sondern denjenigen, die Waffen gegen ungeschützte Kinder
verwendeten. Und jetzt spreche ich vor allem mit den Worten der Unterstützung
und des Mitleids Menschen an, die
das Teuerste im Leben verloren haben. Ihre Kinder, ihre Verwandten und andere Nächsten.
Ich
bitte, aller zu gedenken, die in den letzten Tagen durch die Hand der
Terroristen umgekommen ist.
In
der russischen Geschichte gab es nicht wenig tragische Seiten und bedrückende
Ereignisse. Wir leben in den nach der Auflösung eines riesigen, großen Staates
entstandenen Verhältnissen. Eines Staates, der unter den Bedingungen einer sich
schnell wandelnden Welt lebensunfähig wurde. Aber trotz aller Schwierigkeiten
ist es uns gelungen, den Kern dieses Giganten zu retten. Und wir nannten das
neue Land die Russische Föderation.
Wir
alle warteten auf Veränderungen.
Veränderungen zum Besseren. Aber wir erwiesen uns für vieles, was in unserem
Leben anders wurde, absolut unvorbereitet. Warum? Wir leben unter den
Bedingungen einer Übergangsökonomie, die
dem Zustand und dem Niveau der
Entwicklung der Gesellschaft, des politischen Systems nicht entspricht. Wir
leben unter den Bedingungen verschärfter
innerer Konflikte und zwischenethnischer Widersprüche, die früher von der
herrschenden Ideologie hart unterdrückt wurden.
Wir haben aufgehört, Fragen der Verteidigung und der Sicherheit die nötige
Aufmerksamkeit zu widmen, erlaubten der Korruption, das Gerichtswesen
und die Rechtsschutzsphäre zu
treffen.
Außerdem
stand unser Land, das früher über
das stärkste System des Schutzes seiner äußeren Grenzen verfügte, auf einmal
vom Westen und Osten ungeschützt da.
Die
Schaffung neuer, moderner, real geschützter Grenzen wird viele Jahre in
Anspruch nehmen und Milliarden Rubel erfordern. Aber auch hier könnten wir
effektiver sein, hätten wir rechtzeitig und professioneller gehandelt.
Insgesamt
muss man eingestehen, dass wir die Kompliziertheit und Gefährlichkeit der
Prozesse im eigenen Land und in der Welt nicht verstanden haben. Jedenfalls
konnten wir nicht adäquat darauf reagieren.
Wir
zeigten Schwäche. Die Schwachen werden aber geschlagen. Die einen
wollen von uns ein „fetteres“ Stück abreißen, die anderen- helfen
ihnen. Sie helfen, weil sie meinen, Russland als eine der größten Atommächte
stellt eine Bedrohung für sie da. Deshalb müsse man die Bedrohung eliminieren.
Der
Terrorismus ist
natürlich nur ein Instrument, um diese Ziele zu erreichen.
Wie
ich bereits mehrfach sagte, sind uns mehr als einmal Krisen, Aufruhre und terroristische Akte begegnet. Aber das, was
jetzt geschah, war ein unmenschliches, seiner Grausamkeit nach einmaliges
Verbrechen der Terroristen. Das ist keine Herausforderung des Präsidenten, des
Parlaments oder der Regierung. Das ist die Herausforderung Russlands. Unseres
gesamten Volkes. Das ist ein Angriff auf unser Land.
Die Terroristen meinen, sie seien stärker als wir. Sie könnten uns einschüchtern,
unseren Willen lähmen und unsere Gesellschaft
auflösen. Es mag so scheinen, als hätten
wir die Wahl- ihnen eine Abfuhr zu erteilen oder auf ihre Forderungen
einzugehen. Uns zu ergeben, ihnen zu erlauben, Russland
zerstören und auseinander reißen in der Hoffnung, dass sie uns letzten
Endes Ruhe geben. Als Präsident und russisches Staatsoberhaupt, als ein Mensch,
der schwor, das Land, seine territoriale
Integrität zu schützen und einfach als Bürger Russlands bin ich überzeugt,
dass wir in der Wirklichkeit einfach keine Wahl haben. Denn würden wir uns
erpressen lassen und in Panik verfallen, gerieten Millionen Menschen in eine
Kette blutiger Konflikte wie in
Karabach, Transnistrien und andere
ähnliche Tragödien.
Man
darf das Offensichtliche nicht übersehen. Wie haben nicht mit einzelnen
Aktionen und vereinzelten Anschlägen der Terroristen zu tun. Wir haben mit
einer direkten Intervention des internationalen
Terrorismus gegen Russland zu tun.
Mit einem totalen, grausamen, großformatigen Krieg, der immer wieder das Leben
unserer Leute wegfegt.
Die ganze Welterfahrung zeigt, diese Kriege werden leider nicht schnell beendet.
Unter diesen Bedingungen können wir einfach nicht, dürfen wir nicht sorglos
wie früher leben. Wir sind verpflichtet, ein effektives Sicherheitssystem zu
schaffen und von unseren Rechtschutzorganen Taten einzufordern, die dem Niveau
und dem Umfang der neu entstandenen Bedrohungen adäquat sind.
Aber
das Wichtigste ist, die Mobilisierung der Nation vor der allgemeinen Gefahr. Die
Ereignisse in anderen Ländern
zeigen: Die effizienteste Abfuhr erhalten die Terroristen gerade dort, wo ihnen
nicht nur die Macht des Staates, sondern auch die organisierte, geschlossene Bürgergesellschaft
begegnet.
Verehrte
Mitbürger! Wer die Banditen schickte, dieses furchtbare Verbrechen zu begehen,
wollte unsere Völker aufeinander hetzen, die russischen Bürger einschüchtern
und im Nordkaukasus ein blutiges Völkergemetzel auslösen.
In
diesem Zusammenhang möchte ich folgendes sagen.
Erstens.
In nächster Zeit wird ein Maßnahmenkomplex zur Festigung der Einheit des
Landes vorbereitet.
Zweitens.
Ich halte es für notwendig, ein neues System des Zusammenspiels von Kräften
und Mitteln zu schaffen, die die Situation im Nordkaukasus kontrollieren.
Drittens.
Es ist notwendig, ein Antikrisenverwaltungssystem zu schaffen, einschließlich
ein grundsätzlich neues Herangehen an die Tätigkeit der Rechtsschutzorgane.
Besonders
betone ich, dass all diese Maßnahmen in voller Übereinstimmung mit der
Verfassung des Landes durchgeführt werden.
Liebe
Freunde, zusammen erleben wir sehr schwere, trauervolle Stunden. Und ich möchte
allen danken, die Standhaftigkeit und bürgerliche Verantwortung zeigten.
Mit unserer Moral und bürgerlichen Verantwortung und unserer
menschlichen Solidarität waren und bleiben wir
stärker als sie. Das habe ich heute nacht gesehen. In Beslan buchstäblich
mit Leid und Schmerz durchtränkt, haben die Leute noch mehr füreinander
gesorgt und einander unterstützt. Und sie opferten sich für das Leben und die
Ruhe der anderen. In den unmenschlichsten Verhältnissen blieben sie Menschen.
Man kann sich mit dem Leid der Verluste nicht abfinden. Aber die Prüfungen
brachten uns noch näher, zwangen uns, vieles neu einzuschätzen. Heute müssen
wir zusammensein. Nur so besiegen wir den Feind.“
5.9.04
DIE
QUAL DER WAHL
Drei
angesehene russische Politologen exponierten sich
in ihrer in Moskau veröffentlichten,
mit dem Logo der CDUnahen
Konrad-Adenauer Stiftung versehenen Analyse der ersten Amtszeit des Präsidenten
Putin. Einleitend stellten sie fest, dass
a.
Russland als
eine der wachstumsstärksten Wirtschaften der Welt
ins Jahr 2004 gerutscht sei...
b.
die makroökonomische Stabilisierung das
wichtigste wirtschaftspolitische Ergebnis der Amtszeit Putins geworden sei..
c.
die im Jahr 2000 (also am Anfang Putins
Amtszeit) entworfenen Reformpläne realisiert würden...
d.
das Land die
lang ersehnte politische Stabilität erlangt hätte...
e.
und noch dazu einen führenden Staatsmann
erhalten hat, der es würdig im Ausland vertrete...
f.
das Durcheinander, das das Leben Russlands unter
dem Vorgänger Putins, dem „Zaren Boris“, also Jelzin prägte, vorbei sei...
g.
viele Russen unter Putin
besser als vorher leben...
Also,
eine positive Bilanz. Welcher Staatsmann kann nach einer vierjährigen Amtszeit
eine ähnliche vorlegen.
Kein
Wunder, dass Putin, beim
Amtsantritt kaum bekannt, jetzt zum Inbegriff des Erfolges in Russland geworden
ist. Über siebzig Prozent der russischen Bevölkerung stehen hinter ihm. Er hat
keinen ernst zu nehmenden Gegenspieler auf der russischen Politbühne. Übrigens
ohne, dass diejenigen, die es sein könnten, eingesperrt oder ins Ausland abgeschoben sind.
Allerdings
meinen die Verfasser der Analyse, Putin und sein Team hätten die Stabilisierung
der wirtschaftlichen und politischen Lage in Russland mit falschen Mitteln herbeigeführt. Denn...
a.
Putin baue an einem halbautoritären Regime in
Russland, an dem der „gelenkten
Demokratie“...
b.
Er hätte
das große Business aus der Politik verbannt ...
c.
Die politische Rolle regionaler Eliten eingeschränkt...
d.
Übe die
Kontrolle über die wichtigsten Massenmedien aus...
Das
entwerte gewissermaßen die erreichte Stabilität und lasse nicht richtig auf
die nachhaltige Entwicklung Russlands hoffen.
Was
sagt dazu unser Experte für Staatsentwürfe, Iwan Matrjoschkin, Esq., soeben
aus der Kneipe „Sonnenschein“, Berlin, Prenzlauer Berg, eingetroffen, wo er
seinen dreitägigen Arbeitsurlaub verbracht hat, der ihm gewährt worden war, um
die Analyse zu analysieren:
Das
populäre, obwohl (oder gerade deswegen) unanständige russische Sprichwort
lautet: Выбирай, что
хочешь, рыбку
сьесть или
на
х... сесть. Also, wähle, was du willst, ein
Stück vom geräucherten Aal zu verspeisen oder sich auf ... zu setzen. Beides
gleichzeitig geht nicht.
Als
der Chefphilologe und Chefethnologe des Konzerns matrjoschka-online. de möchte
ich hervorheben, dass dieses
Sprichwort die gesunde Genügsamkeit des russischen Menschen widerspiegelt. Er
hat verinnerlicht, dass man nicht alles auf einmal haben kann. Schön eins nach
dem anderen. Heute nicht, dann morgen. Oder übermorgen.
Den
Autoren der oben zitierten Analyse fehlt
diese Weisheit. Deswegen überbewerten sie, dass in Putins erster Amtszeit dies
und das nicht zustandegebracht wurde. Einiges sogar, was sie als politische Rolle der regionalen Eliten, des großen
Business und die Pressefreiheit
bezeichnen, wurde zurückgenommen oder beschränkt.
Nun,
an sich stimmt es. In der Amtszeit von Michail
Gorbatschow und noch mehr von Boris Jelzin, also Putins Vorgänger,
hatten (a) das große Business und (b) die regionalen Eliten
in der russischen Politik viel mehr zu sagen als jetzt und (c) die
Pressefreiheit kannte keine Grenzen. Was hatte Russland davon? Die an sich
sinnvolle Privatisierung der Staatsbetriebe
wurde fehlgeleitet und führte zur Bereicherung der großen
Businessleute. Das ist zu (a) zu sagen. Zu (b) ist zu sagen, dass der Ehrgeiz
und die Habgier regionaler Eliten die staatliche Einheit bedrohten und die
Reformpolitik blockierten. Und zu (c) – die von den Geldsäcken kontrollierte
Presse vernebelte die Vorgänge im
Lande fast so stark wie die sowjetische Presse von anno dazumal.
Deshalb
lasse ich, Iwan Matrjoschkin, Esq., mir keine grauen Haare nur deshalb wachsen,
weil Putin ein etwas anderes Demokratieverständnis als seine Vorgänger hat. Er
meint, wie er mir in einem streng vertraulichen Gespräch mitteilte, dass nicht
die politische Macht der Superreichen und der regionalen Eliten von
demokratischen Zuständen in einem Land zeuge. Und nicht die ausufernde
Pressefreiheit. Wichtig sei etwas anderes. Dass das Land von den dem Volk
willkommenen Staatsmännern gelenkt wird. Und zwar in die vom Volk gebilligte
Richtung.
Die
Wahlen und die Meinungsumfragen in Russland stellen unter Beweis, dass Putin
die Akzeptanz hat. Im Unterschied zu
seinen Vorgängern.
Warum?
Eben weil man nicht alles auf
einmal haben kann. Zuerst wollen die Leute das, was die Autoren der Analyse als
positive Ergebnisse von Putins
Amtszeit nennen und was unter die Begriffe Stabilität und Wachstum einzuordnen
ist. Ich würde es als das Existentielle bezeichnen. Erst dann begehren die genügsamen
Russen das, was in dem vor mir einleitend zitierten russischen Sprichwort etwas
ordinär vorkommt. Ich würde es als Vergnügen bezeichnen. Und da besteht in
Russland tatsächlich ein gravierender Nachholbedarf.
Das
ist die Wahl. Entweder die von Jelzin und Gorbatschow
nach den Empfehlungen aus dem Westen gestaltete Demokratie
mit viel Gerede, aber auch Chaos, Elend und Abgleiten in die Auflösung
des russischen Staates. Oder Putins „gelenkte“ Demokratie, weniger amüsant,
aber mit abnehmendem Chaos und Elend und Aufsteigen des russischen Staates.
Das
ist die Wahl, vor der sich die oben erwähnten Analytiker drücken. Und die ich
eindeutig zugunsten der Politik meines Freundes im Kreml treffe.
Zwar
meinen die Analytiker, ohne das eine sei das andere nicht zu haben. Doch, es ist
zu haben! Sie gaben es selbst zu, als sie die Ergebnisse von Putins Amtszeit
aufzählten.
Was
ich warnend einflechten will, ist Folgendes. Sollten Putin und sein Team
einmal die heutige Unterstützung der
Russen einbüssen, kündige ich dem Kreml meine Freundschaft. Dann sollen
sie sehen, wohin sie kommen.
Denn
ich bin Demokrat bis weiter geht es nicht mehr. Und meine Stammtischfreunde
von der Gaststätte „Sonnenschein“, Berlin, Prenzlauer Berg, auch. Übrigens
billigen sie diese Stellungnahme.
12.7.04.
DER VOLLSTRECKER.
1.
Damit ist russischer
Präsident Putin gemeint. Wie kam
er zur Macht? Und wozu gebraucht er
die Macht? Um darauf eine Antwort zu finden, muss man die Ursachen des
Transformationsprozesses in Russland in Erinnerung rufen. Fangen wir
bei der Krise des Sowjetsystems Mitte der achtziger Jahre an.
Es
gibt die Meinung, der Zerfall des Sowjetsystems sei durch den Sieg des Westens
und die Niederlage des Ostens im kalten Krieg ausgelöst worden. In
Wirklichkeit war es anders. Mitte
der achtziger Jahre stieß das östliche, sogenannte sozialistische System
an die Grenze der industriellen Entwicklung. Das war
der eigentliche Grund für das Scheitern des sowjetischen Modells.
Bis Mitte der sechziger Jahre hatten das
westliche und östliche Modell vieles gemeinsam. Hier wie dort war der Fordismus
das maßgebliche Paradigma der Wirtschaftsorganisation, die Großwirtschaft
( economy on scale ) der wichtigste Mechanismus des Wachstums.
In beiden Systemen begann
die Ära der massenhaften Reproduktion des intellektuellen Potentials mit Hilfe
des Staates. Das Gesundheitswesen und die sozialen Sicherungssysteme wurden zu
seiner immer wichtigeren Funktion. In den siebziger Jahren schien der Westen mit
dem Osten in der Verstaatlichung gleichziehen zu wollen. Er verstärkte die
zentrale Lenkung. Mehrere gesellschaftlich wichtige
Industriezweige wurden verstaatlicht. Dann kam es aber zur plötzlichen
Umkehr der achtziger Jahre, zum jähen Paradigmawechsel vom Sozialen zum
Neoliberalen. Im Westen ging es ohne große Krise vor sich, im Osten führte es
zur Krise und zum Zusammenbruch des sozialistischen Systems!
2.
In
den achtziger Jahren begann die sowjetische kommunistische Elite, die Säule der
Macht, von der sich die Gesellschaft in zunehmendem Maße abkehrte, physisch
auszusterben. Die andauernden Staatsbeisetzungen machten deutlich, dass die Zeit
für den Wechsel nicht nur der Führungspersönlichkeit, sondern der gesamten
politischen Elite, die nach dem Zweiten Weltkrieg viele Amtszeiten am Ruder saß,
gekommen war. Die Generation der in der Stalinära favorisierten
jungen kommunistischen Karrieristen der dreißiger Jahre erlebte ihre
letzten Tage. Sie konnte aber ihren Nachfolgern
ihre Privilegien nicht weitergeben. Das kommunistische System an sich,
die kommunistische Ideologie und das darauf fußende System der Machtbildung und
des beruflichen Aufstiegs behinderte einerseits die effektive Übernahme der
Privilegien der Väter und beengte andererseits die in der Grauzone des
„realen Sozialismus“ entstandene neue Klasse der Magnaten der
Schattenwirtschaft.
So
wurde die Konvertierung der Macht ins Privateigentum, das leichter als
Privilegien weiterzugeben ist, zur wichtigsten
Aufgabe des herrschenden Klüngels.
Seine zweitwichtigste Aufgabe bestand
darin, sich ungehinderten Zugang zur freien Welt zu verschaffen, in den sich
globalisierenden Kapitalmarkt und in den Klub der Finanz- und
Industriegewaltigen aufgenommen zu werden. Die Absicherung der wirtschaftlichen
Privilegien sowie der Macht im Lande und die Organisation des ungehinderten
Abflusses von Kapital ins Ausland – das waren die beiden Hauptaufgaben, die
gelöst werden mussten, um die Kontinuität
der Elite zu sichern. Die
kommunistische Ideologie störte
dabei. Sie wurde durch neoliberale Parolen wie „das Recht dem Starken“,
effektive Wirtschaft, individuelle Freiheiten und sogar
„die Rückkehr zum zivilisierten Entwicklungsweg“ ersetzt.
3.
Das
Ziel heiligte anscheinend alle Mittel, nichts war zu schade für die ach so
verheißungsvollen persönlichen Vorteile. Ihnen wurden die unvorstellbaren Kräfteanstrengungen
des ganze Volkes in der Vergangenheit, die
nationale Würde in der Gegenwart geopfert. Selbst die Zerstörung des
Landes, für dessen Verteidigung das Volk im
Zweiten Weltkrieg einen so
hohen Preis zahlen musste, wurde in Kauf genommen.
Der
Wechsel wäre allerdings ohne die
Zustimmung der Gesellschaft nicht möglich gewesen. Warum akzeptierte die
Menschen den Prozess, der ihnen die
Armut, Rechtlosigkeit, den moralischen wie wirtschaftlichen Niedergang
bescherte? Weil das früher real existierende „kommunistische“ System bei
ihnen Menschen Scham, Hass, Verachtung und Entfremdung weckte. Mit geradezu
christlichen Sprüchen getarnt, machte es aus den Menschen schweigende Tiere,
die weder das Recht auf Information noch
auf eine eigene Meinung, nicht einmal das Recht darauf hatten, sich der Unterdrückung
zu widersetzen. Die Lehre von Marx und Engels wurde missbraucht, um das Prinzip
der bedingungslosen Unterordnung unter die herrschende Elite zu begründen, ihr
unangefochtener Anspruch zu untermauern, willkürlich über das Schicksal des
Volkes zu entscheiden.
Die
Informationsrevolution und der Massencharakter der intellektuellen Tätigkeit in
den sechziger Jahren, bedingt durch die wissenschaftlich-technische Revolution
und das Wettrüsten, brachten aber eine neue Mittelschicht von Fachleuten
hervor, die sich damit nicht
abfinden wollten. Diese neue
Mittelschicht protestierte gegen das Informations- und Führungsmonopol der
Elite, schließlich auch gegen das Allerheiligste – das Monopol auf die politische Entscheidungsfindung. Die Enthüllungen über
die Verbrechen des Stalinismus gegen das eigene Volk, die wachsende wirtschaftliche Rückständigkeit des Landes
sowie die Unfähigkeit der Elite, in der Zeit neuer Technologien das
Informationsmonopol zu halten, sorgten für Bewegung. Ende der achtziger Jahre das Streben der oberen Zehntausend,
das kommunistische System für die Sicherung ihrer politischen Privilegien, für
die Zementierung der Ungleichheit zu weiter nutzen, mit dem Wunsch der Menschen
von unten zusammenkam, Und diese wollten das kommunistische System in Richtung
Demokratisierung, Transparenz, wachsende gesellschaftliche Einbeziehung und mehr
Einfluss der Bevölkerung auf die Politik, mehr Chancengleichheit und wirtschaftliche Dynamik zu
bewegen.
So
wurde also der Transformationsprozess, die
Demontage des Kommunismus gleichzeitig von oben und von unten unter ähnlichen
antisozialistischen Losungen angeschoben, die Ziele waren entgegengesetzt. Von
der Gesellschaft mit dem Ziel der Demokratisierung, des technischen
Fortschritts, der Erweiterung der gesellschaftlichen Mitbestimmung in Politik
und Wirtschaft, der Informationstransparenz und der sozialen Gerechtigkeit. Von
der Elite mit dem Ziel, sich einerseits aller Formen der öffentlichen Kontrolle
zu entledigen, einschließlich der kommunistisch-bürokratischen, die
sie einengte, und andererseits, um die soziale, politische, kulturelle
und ökonomische Ungleichheit als Garant ihrer Macht zu untermauern.
4.
In
der Epoche Jelzins ging das
Tauziehen zwischen der Elite und der Gesellschaft um Zielsetzungen der
Transformation weiter. In der Ära
Putins schient die Frage „Wer wen?“ bereits gelöst zu sein. Die Herrschaft
der postkommunistischen Elite über die Gesellschaft mit allen daraus
erwachsenden Folgen hat sich durchgesetzt. Und egal, welche Motive, welche
Moral- und Lebensentwürfe Wladimir Putin persönlich hat, er kann nur das tun,
was die postkommunistische herrschende Klasse mitträgt. Seine vordringlichste
Aufgabe muss einerseits die Konsolidierung dieser Klasse sein ( denn noch ist
sie zu bunt und durch innere Konflikte zerrissen), andererseits der Versuch, die
Legitimität der neuen Macht vor der Gesellschaft zu begründen. Beides sind
keine leichten Aufgaben. Scheitert Putin
damit, wird die Elite nach einem anderen Präsidenten Ausschau halten, dann aber
wehe dem Präsidenten und wehe der
Gesellschaft.
5.
Der
Präsident weiß es, redet aber nicht darüber. Demonstrativ schwieg er sich
über sein Wahlprogramm aus, beteiligte sich nicht an öffentlichen
Debatten, dennoch gaben die Wähler
ihm praktisch blindlings
freie Hand. Warum?
Aus
mehrerlei Gründen. In der letzten
Zeit der Präsidentschaft Jelzins begriffen sie, dass die formellen
demokratischen Prozeduren sie nicht schützen vor der Willkür der Oligarchen,
die unverhohlen, ohne die elementarsten Anstandsregeln einzuhalten, ihr Recht
auf die Zerstörung des Landes im eigenen Interesse verkündeten. Die
Privatisierung gab das Eigentum in die Hände eines engen Kreises der
herrschenden Clique und nahm
den Menschen selbst das illusorische Recht auf die Kontrolle des
Gemeineigentums, wie es in den Zeiten des Sozialismus anerkannt
wurde.
Außerdem
wurde die Gesellschaft gezielt demoralisiert. Die Oligarchen hebelten
hemmungslos die über Jahrhunderte unangetastet gebliebenen moralischen
Grundfesten aus. Sie taten es, indem sie die Presse und das Fernsehen an sich
rissen, die Präsidentenadministration infiltrierten, die staatlichen Strukturen
von unten bis oben zersetzten und kriminalisierten. Unter dem Motto der
effektiven Privatisierung und „das Land muss so viel Bildung, Gesundheitswesen
und soziale Absicherung haben, wie sich die Bevölkerung real kaufen kann“,
setzte die beispiellose Zerstörung des intellektuellen Potentials
der postsozialistischen Mittelschicht von Fachleuten ein. Sie war
am meisten betroffen von dem
neuen Kurs der Elite, orientiert auf die Degradierung der Gesellschaft und die
Durchsetzung der Unmoral.
Letztendlich
wurde unter dem Banner der Demokratie und der Rechte nationaler Minderheiten der
Bruderkrieg im Kaukasus losgetreten - mit Menschenhandel, mit dem Verkauf
der eigenen Soldaten, ergänzt von der Bereitstellung von Mitteln für die
Wiederherstellung irgendwelcher „humanitärer Objekte“, die sogleich wieder
zerstört wurden. Und all dies vor dem Hintergrund ausufernder Kriminalität und
Korruption, wo der Durchschnittsbürger nicht
mehr weiß, wer für ihn die größere Gefahr ist, der Verbrecher oder der
Ordnungshüter.
Die
„freie Presse“, fest in der Hand der Oligarchen und
der Kontrolle nicht nur der
Gesellschaft, sondern sogar offizieller staatlicher oder gesellschaftlicher
Institutionen entzogen, sicherte
diese zerstörerische Politik ideologisch. Unter dem Motto „Die
Menschen müssen die ganze Wahrheit erfahren“ ergoss sich eine Lawine
demoralisierender und erniedrigender Information. Jeder bewusste soziale Protest
wurde dadurch gelähmt. Die
Übermacht der Pornographie im Fernsehen und in der Presse wurde mit der
„Notwendigkeit der geistigen Emanzipation“ verbrämt, es erschienen sogar
Artikel, in denen die Dollarprostitution
als eine Möglichkeit für die sexuell unterentwickelte und unterdrückte
weibliche Bevölkerung Russlands gepriesen wurde, der hohen Zivilisation
teilhaftig zu werden… Mit besonderer Genugtuung wurden Misserfolge, Tod und
Niederlagen der Armee in Tschetschenien, die Enthauptung russischer Soldaten und
die impertinenten fröhlichen Gesichter der „Kämpfer kaukasischer Nationalität“
gezeigt, die wütenden, hasserfüllten Gesichter tschetschenischer Greisinnen…
Man suggerierte der Gesellschaft, dass sie keinerlei Chancen auf
Wiederherstellung der menschlichen Würde hat. Die Figur Jelzins,
eines Säufers, der
ausschweifende Lebenswandel seiner kriminellen Umgebung setzten das Pünktchen
aufs „i“. Den „krönenden“
Abschluss bildete die Rubelabwertung im August
1998, die dem größten Teil der Bevölkerung Russlands für immer die Möglichkeit
nahm, wirtschaftlich auf die Beine zu kommen und zu einem kleinen oder mittelständischen
Unternehmertum zu finden.
6.
Angesichts
dieser fast schon einer nationalen Katastrophe ähnlichen Zustände und der
gesellschaftlichen Ohnmacht, diese mit Mitteln der traditionellen Demokratie die
Katastrophe aufzuhalten, wurde
Jelzin von dem jungen und in der Öffentlichkeit völlig unbekannten Putin abgelöst.
Unvergesslich,
wie dieser vor seiner Amtseinsetzung durch den Kremlflur schritt. Er war ein
Nichts, aber die ganze Hoffnung ruhte auf ihm. Es war nur der
Glauben an das Wunder geblieben, daran, dass dieser kleine, schmächtige
Mann durchhält, schützt und rettet. Er ging unsicher, einen Arm schwenkend,
immer bemüht, diese Unsicherheit zu überspielen, und es befiel einen Angst –
Angst um ihn, um einen selber, um uns alle, weil wir in einer so ausweglosen
Situation steckten.
Seine
ersten Handlungen, die ihm die Unterstützung der Bevölkerung einbrachten, war
die Ausschaltung der Oligarchen Beresowski und Gussinski aus der russischen
Politik und den Massenmedien. Und obgleich das im Westen als Angriff auf die
Pressefreiheit ausgelegt wurde, erwarteten und wollten es die Menschen in
Russland, denn sie hatten die Nase voll von der politischen und medialen Zügellosigkeit
dieser grauen Eminenzen. Die Öffentlichkeit schätzte,
dass Putin sie ziemlich elegant eliminierte. Ob er hier im Interesse der
Gesellschaft oder vorrangig für die Durchsetzung seiner eigenen politischen
Ziele handelte, spielte in dem Fall keine große Rolle. Die Menschen verziehen
Putin einen gewissen undemokratischen Zug, wie sie seinerzeit Jelzin den
Beschuss des Parlaments verziehen.
Putins
zweiter Schritt war die Intensivierung des Tschetschenienkrieges. Das
Tschetschenienproblem hatte sich noch vor seinem Machtantritt festgefahren. Dass
der Krieg durch einen blutigen und gemeinen Fehler provoziert worden war, stand
außer Frage. Offensichtlich war ebenfalls, dass die Gesellschaft
diesen Krieg nicht wollte und sich für ihn schämte, nicht, weil man ihn
verlor, sondern weil es schäbig
ist, wenn ein riesiges Volk einen vernichtenden Krieg gegen ein zahlenmäßig
viel kleineres führt, mit dem man
außerdem noch Seite an Seite gewohnt, zusammen Kinder großgezogen, die
gleichen Schulen und Universitäten besucht, die gleichen Bücher gelesen hatte.
Man schämte sich auch vor den Kindern, die man auf der einen wie auf der
anderen Seite wegen geopolitischer Ambitionen und wirtschaftlicher Vorteile in
den Krieg schickte. Und was vor allem offensichtlich ist – es gibt nichts,
worum sich unsere Völker streiten sollten.
Der
Krieg, zunächst als Sondereinsatz gegen Bandengruppierungen ausgegeben, artete
in einen ethnischen und sogar
internationalen Konflikt aus, die Hass produzierende ideologische Maschine
arbeitete auf Hochtouren, der „russische Patriotismus“, die „Orthodoxie“
und die staatliche Integrität wurden bemüht, auf
der anderen der
„tschetschenische Patriotismus“, der „Islam“ und natürlich Geld, Geld
und nochmals Geld für das Blut der Soldaten und einfachen Menschen. Die
Friedensvereinbarungen von Chassawjurt wurden diskreditiert und letztendlich
fast schon als Vaterlandsverrat angesehen.
Im übrigen war die Information über Tschetschenien schon immer spärlich,
diffus und nicht transparent, wenn
es um die Sache ging und nicht um die Zurschaustellung von Grausamkeiten.
Im
öffentlichen Bewusstsein blieb nur eins haften: Wer den Krieg so überhastet
auslöst, wer sich dazu bewaffnet hat, will
keinen Frieden. Und wenn die Leute am Krieg verdienen, muss man
sie gewaltsam befrieden.
Die
geforderte Loslösung Tschetscheniens von Russland war für die russische
Gesellschaft inakzeptabel. Nicht, weil sie das tschetschenische Volk auszubeuten
gedachte, sondern weil sie erkannte, dass der Konflikt dadurch nicht beigelegt
und Tschetschenien nach dem Abzug der russischen Truppen nicht in eine Art
friedliebende, wohlhabende „kaukasische Schweiz“ verwandelt würde.
Eher schon springe der Konflikt auf
andere Regionen über, zerstöre die benachbarten Gemeinschaften und
demoralisiere Völker. Andererseits zeichnete sich deutlich ab, dass die Armee
die bewaffneten Auseinandersetzungen nicht gewinnt, sondern
die Völker weiter verfeindet. Putins Forderung, „die Rebellen im
Klosett zu ertränken,“ wurde damals nicht als Aufruf zum Völkermord in
Tschetschenien verstanden, sondern als Entschlossenheit, den Konflikt zu
lokalisieren und damit den Boden für eine friedliche Regelung vorzubereiten.
Auch dieser Schritt wurde in der Öffentlichkeit mit
Verständnis aufgenommen. Die Menschen hatten genug von einer Führung,
die sie, wie unter Jelzin, in den Tod schickte,
dann aber die Verantwortung von
sich wies. Auch die in ihrem Ausmaß und in ihrer Grausamkeit unübertroffenen
Terrorakte in Russland trugen dazu bei, dass das härtere Vorgehen gegen die
Tschetschenen mehr und mehr Zustimmung fand.
7.
Doch
je fester die neue Macht im Sattel saß, desto offener zeigte sie
gefährliche Züge. Zwischen der Gesellschaft und der Macht bildete sich
eine bedenkliche Kluft heraus. Von
der Idee der gewaltsamen Konsolidierung der Gesellschaft besessen, verweigerte
die Führung den gesellschaftlichen Kräften
verstärkt die politische
Mitbestimmung, beschnitt und dosierte die Informationen der Massenmedien, erklärte
immer massiver ihr Recht auf die Oberhoheit in der Wirtschaft und nutzte dafür
die sogenannte administrative Reserve zur Abrechung mit unliebsamen Oligarchen.
Um den politischen Prozess lenkbar zu machen, wurden allmählich die ureigensten
gesellschaftlichen Rechte zur Herausbildung neuer politischer Parteien ausgehebelt (Parteiengesetz), neue
Gesetze verabschiedet, die faktisch die Initiierung und Durchführung von
Volksbefragungen verbieten (
Referendumgesetz), wurde eine neue Arbeitsgesetzgebung
angenommen, die faktisch die gesamte Kontrolle des Arbeitsprozesses an die
Unternehmer delegiert und den Arbeitnehmern keinen gewerkschaftlichen Schutz
mehr bietet (Arbeitsgesetzbuch), das
Gesetz über Kundgebungen und Demonstrationen angenommen, das die
verfassungsmäßigen Rechte der Gesellschaft auf Protest beschneidet (das
Gesetz über Kundgebungen und Demonstrationen). Zu den Wahlen
trat der Präsident schon ohne Programm an, präsentierte sich der Gesellschaft
wie ein Selbstherrscher und nahm nicht an den Wahldiskussionen teil, als
gäbe er der Öffentlichkeit von vornherein zu verstehen, dass seine Ansichten
keiner Wertung bedürfen.
Die nächste Etappe war ein Parlament, in dem eine einzige Partei
dominiert, die im Grunde genommen keine ist, denn sie konsolidiert sich nicht über
ein Programm, sondern dadurch, dass ihre Mitglieder zur regierenden bürokratisch-oligarchischen
Elite gehören. Das unter Putin verabschiedete Parteiengesetz und die noch unter
Jelzin eingeführte Siebenprozenthürde bei der Parlamentswahl machen dieses
Herrschaftssystem derart stabil, dass die Öffentlichkeit
keine Möglichkeit hat, sich in die politischen Entscheidungsprozesse
einzuschalten. So näherte sich die Stunde X, da die Gesellschaft
Gesetze schlucken musste, die eindeutig
antisozial sind. Die Kommunalreform, das Rentengesetz, das Gesetz über die
Abschaffung der Zuschüsse für Bedürftige. Dem folgten das Gesetz über die
Privatisierung des Bildungswesens, der Wissenschaft, der Wald- und
Wasserressourcen und schließlich das Gesetz, das die Gouverneurswahlen
abschafft und auch die Direktkandidaturen bei Parlamentswahlen. So wurde die von
der Elite Jelzins durchgesetzte Privatisierung der Naturressourcen durch die
Privatisierung der letzten gesellschaftlichen Ressourcen – vor allem der
intellektuellen ergänzt.
Wie
sind diese Handlungen zu beurteilen? Nur als ein
Fehler der Führung, die die Zeichen der Zeit missachtet
und die Grundlage ihrer Legitimität in den Augen der Gesellschaft
untergräbt.
Aber
der Vollstrecker bleibt unbeirrt.
Wie
sich die Situation entwickelt, weiß keiner. Aber jeder, der das Ende der
Sowjetunion in Erinnerung hat, muss besorgt sein.
Denn
als Zusammenwirken von
Gesellschaft und Macht in der Sowjetunion zerstörte wurde, büßte die
Staatsmacht jede Achtung ein. In
der Stunde der Not fand
sie keine Freunde. Sie
erlebte ein klägliches Ende und zog den Vielvölkerstaat mit sich in die
Grube.
Hoffentlich
wiederholt sich der Vorgang in Russland nicht. Hoffentlich bewahrt
der Vollstrecker es vor diesem Schicksal.
Aus einer befreundeten Quelle. 28.10.03
DER ARME PUTIN
Vorwort von Iwan Matrjoschkin, Esq.
Nachstehend veröffentlicht unsere Site
einen Opus aus Russland, der jedem matrjoschka- Leser vor Augen führt, welchen
unqualifizierten Angriffen mein Freund, russischer Präsident ausgesetzt ist.
Wenn es die bis zum Exzess tendierende
Meinungsfreiheit in Russland einen Beweis bedarf, hier wird er geliefert.
Ich brauche wohl nicht zu schreiben, dass
sich unser Team, bis auf ein Paar ganz unwürdiger weiblicher Holzpuppen, die
auch mir schwer zusetzen, von dem
folgenden Beitrag, ein Musterbeispiel der Voreingenommenheit und Demagogie, voll
und ganz distanziert. Und jetzt der Text des Pamphlets.
Als Wladimir Putin 2004 im
Marmorsaal des Kreml zum Parlament sprach, im Grunde aber eine Rede an die
Nation hielt, wurden die Bürger Russlands über die wirtschaftliche, politische und soziale Strategie des Staates
für die nächsten vier bis sieben Jahre aufgeklärt. Bislang hofften viele
Menschen im Land, Putin werde sich, nachdem er endgültig seine Macht gefestigt
und die Staatsführung in seinen Händen konzentriert hat, der Probleme
zuwenden, die die überwiegende Mehrheit der
Bürger beschäftigt. Er werde die historische Wende herbeiführen, in deren
Erwartung die Wähler dem neuen Präsidenten ihr Vertrauen gaben. Doch jetzt
wird leider offensichtlich, wie illusorisch und grundlos derartige Hoffnungen
waren. Putin hat unverblümt gesagt, "die fundamentalen Prinzipien unserer
Politik bleiben unangetastet". Damit gab er deutlich zu verstehen: Alle
Erwartungen, die Amtsinhaber werden sich wenigstens ein bisschen den Nöten und
Wünschen der einfachen Leute
zuwenden, waren Selbsttäuschung .
Die selbstzufriedenen und hohlen rhetorischen Übungen in
Bezug auf den "wachsenden
Wohlstand der Bürger" und die Sicherung eines "normalen Lebens für
jeden Menschen“, machen keinen
Eindruck mehr. Offenbar ist in Russland das steigende Lebensniveau das Privileg
eines sehr engen Kreises. Seit Putin im Amt
ist, kamen auf die Liste der
reichsten Männer der Welt dreimal mehr Milliardäre aus Russland, nämlich
25. Durchaus möglich,
dass sich das Bruttoinlandsprodukt durch die Aktivitäten
der Typen wie Abramowitsch noch vor 2010 verdoppelt. Aber Millionen
Menschen, die in aussterbenden Orten Zentralrusslands, Sibiriens und des Fernen
Ostens leben, juckt das überhaupt nicht.
Während die "fundamentalen Prinzipien" der
liberalen Reformer unangetastet
bleiben, ändert sich die Kriegsführung des
Staates gegen das Volk ziemlich konsequent. Die ersten Schritte der "neuen
alten" Regierung Putins mit Fradkow
an der Spitze zeugen vom Totalangriff der Machtelite auf die wirtschaftlichen
und sozialen Interessen der Bevölkerungsmehrheit.
Der frisch gebackene Premier verkündete sofort die "Unabänderlichkeit
des Kurses auf Liberalisierung" in der Wirtschaftssphäre.
Was bringt der Regierungskurs der Bevölkerung Russlands tatsächlich?
In erster Linie wird weiterhin konsequent an der sogenannten
"Liberalisierung" der Wirtschaftspolitik festgehalten. Warum
sogenannte? Weil sie meilenweit davon entfernt ist, den Menschen frei und zu
einem Bürger zu machen, der unabhängig ist von der Willkür der Geldsäcke und
der Machtausübenden.
Aus Russland wird intensiv Erdöl und -gas
gepumpt. Aus den Verkaufserlösen könnten
die Gehaltserhöhung der am Staatstropf hängenden Beamten und
Angestellten sowie die Sozialausgaben finanziert werden. Aber sie fließen in
den "Stabilitätsfond", der angeblich zum Ausgleich der Budgetverluste
angelegt wird, falls die Erdölpreise sinken. Mit einem
Teil des Geldes aus diesem Fond (allein
2004 waren es bis 350 Milliarden Rubel plus
75 Milliarden Rubel aus den Erdölexportzöllen) werden die finanziellen
Verpflichtungen gegenüber dem Ausland, vor allem gegenüber den USA, erfüllt.
Auf Auslandskonten und in Wertpapieren sind von der russischen
Zentralbank etwa 85 Milliarden Dollar angelegt. Sie arbeiten praktisch für die
ausländische Wirtschaft. Auf diese Weise wird zur Aufrechterhaltung des
amerikanischen Währungssystems beigetragen. Vor diesem Hintergrund wird
der Zynismus des Gedöns von "Machtgröße"
und "nationalen Interessen" sichtbar. Insbesondere wenn man weiß,
wie groß die Schulden gegenüber dem eigenen Volk sind. Einem Volk, das
laut Verfassung der RF die eigentliche Quelle der Macht im Lande ist und deshalb
über jenen Reichtum des Landes verfügen müsste, den sich Staatsdiener und die
mit ihnen liierten Finanz- und Rohstoffmagnaten ungesetzlich aneignen.
Eine andere Art, die Bevölkerung abzuzocken,
wird der von Putin angekündigte
beschleunigte Übergang zur totalen Konvertierbarkeit des Rubels sein. Einfacher
ausgedrückt, werden die Rubel, die in die Entwicklung der heimischen Produktion
gesteckt werden könnten, jetzt in der Außenhandelssphäre rotieren. Folglich
wird sich auch der Raubbau der Naturreichtümer des Landes und ihr Ausverkauf
ins Ausland beschleunigen.
Anstatt ihn zu behalten, veräußert die
Regierung nach wie vor Staatsbesitz. Und jetzt erstreckt sich das nicht nur auf
gewinnbringende staatliche Betriebe und Landbesitz,
sondern auch auf die Naturschätze.
In seiner Rede hat der Präsident es deutlich
gesagt: Die regionalen Verwaltungen und Kommunen dürfen über keinerlei Besitz
verfügen außer dem zur Realisierung ihrer Vollmachten. Die Beamten haben aber,
wie jeder weiß, nie einen Unterschied gemacht zwischen Verfügung und Eigentum
. Dadurch wird der Bevölkerung vor Ort jedes Recht genommen, gegen den totalen
Ausverkauf von Objekten der Sozialkultur zu
protestieren. Schulen,
Internate, Krankenhäuser, Kindergärten, Mütter- und Frauenberatungsstellen
usw. kommen womöglich in die private Hand. Was bleibt dann von ihren sozialen
Funktionen übrig?
Die geplante Reform der Wohnungs- und
Kommunalwirtschaft schafft alle Voraussetzungen für den Kauf auch von Objekten
der kommunalen Wohnraumsphäre durch das Privatkapital. Das heißt, wir haben
mit der nächsten erheblichen Anhebung der Tarife für kommunale
Dienstleistungen und Mieten zu rechnen. Für den Herbst 2004 ist die Lesung des
neuen Wohnraumgesetzes vorgesehen. Säumige Zahler werden
ohne wenn und aber auf die Straße gesetzt. Die Miete soll sich ausschließlich
nach dem Wunsch des Hausbesitzers, möglichst viel Geld herauszuschlagen,
richten. Vorgesehen ist außerdem
die Einführung der am Marktpreis
orientierten Wohnungssteuer.
Die
Regierung Putin-Fradkow meint, die zahlungskräftige Bevölkerungsschicht soll
selbst ihre Wohnungsprobleme lösen, zum Beispiel mit einer Hypothek. Das klingt
wie offener Hohn, bedenkt man die instabilen, durch nichts garantierten Einkünfte
des größten Teils der Bevölkerung, das lückenhafte
Kredit- und Finanzsystem, sowie das Fehlen staatlicher Garantien.
In seiner
Rede an das Parlament erklärte Putin, die Senkung der Einheitlichen
Sozialsteuer soll die Gehälter attraktiver machen, die Arbeitnehmer dazu
bewegen, sich selbst um ihre Rentenabsicherung
zu kümmern, dabei verschweigt er aber die kleinen Gehälter und die Tatsache,
dass der Staat überhaupt nichts tut, um gegen die Willkür des Arbeitgebers
gegenüber dem Arbeitnehmer vorzugehen.
Stattdessen erklärt man uns, der Staat müsse die hohen
Sozialausgaben abbauen. Die Senkung
der Einheitlichen Sozialsteuer für Unternehmen von jetzt 36
Prozent auf 26 Prozent führt dazu, dass soziale Leistungen, die aus dieser
Abgabe finanziert wurden, künftig wegfallen. Zu den weiteren von der Regierung
ausgearbeiteten Projekten gehört die Halbierung des Krankengeldes.
Natürlich bergen solche "Reformen" die reale Gefahr von
Massenprotesten in sich. Deshalb beschneidet die Regierung vorsorglich die
Rechte der Gewerkschaften. Durchaus
denkbar, dass das Streikrecht und die Tarifverträge außer Kraft gesetzt
werden. Die gerade erst vor zwei Jahren angenommene Arbeitsgesetzgebung soll zu
Ungunsten der Arbeitnehmer geändert werden.
In rasantem Tempo werden die grundlegenden
demokratischen Freiheiten der Bürger beschnitten. Das neue Versammlungsgesetz
beinhaltet neue strenge Auflagen für Versammlungen, Demonstrationen und
Protestaktionen. Außerdem können
Versammlungen und Demonstrationen, auch wenn sie friedlich sind und der Aufklärung
dienen, verboten werden, wenn der zuständige Beamte eine
"Ordnungsverletzung" wittert. Der Entwurf des neuen Gesetzes über
Referenden macht diese Form der Artikulierung des Volkswillens praktisch unmöglich.
Gleichzeitig hob Putin die Gehälter für die
Beamten an, die auch davor ganz gut zurecht kamen, weil sie Schmiergelder
nahmen.
Putins Gerede von der Armutsbekämpfung
ist ein einziger Bluff. Seine
Politik ist nicht der Kampf gegen die Armut, sondern der Kampf gegen die Armen.
Er will auch diejenigen zu Armen zu machen, die sich mit Mühe und Not
über Wasser halten.
Anders als antisozial kann man die Politik des Präsidenten
nicht nennen. Und darin liegt ein strategisches
Ziel. Die Realisierung eines ganzen Pakets
liberaler Reformen, von Putin angekündigt und von Fradkow aufgegriffen, birgt
schlussendlich die Gefahr des Zerfalls der russischen Gesellschaft. Eine andere
Frage wird sein, ob die sie gewillt ist, das nächste Experiment mit der berühmten
russischen Eselsgeduld über sich ergehen zu lassen oder ob sie doch Widerstand
leistet.
PS. vom I.M.,Esq. Der Pasqiulant, der das verbrochen hat, wird vom
Sicherheitsdienst des Konzerns "matrjoschka-online.de" ermittelt, um
ihn an den Kollegen in Russland zu melden. Gegen einen bescheidenen Obolus in
die Konzernkasse.
11.6.04
GEKLONTER LENIN?
Bekanntlich liegt im Mausoleum auf dem Roten Platz an der
Kremlmauer in Moskau der kunstvoll mumifizierte Lenin. Mehr als ein dreiviertel
Jahrhundert nach dem Tode sieht seine Leiche noch ganz passabel aus. Der
Verdienst gehört einem fast genialen Biologen, Prof. Boris Sbarski, von der
Sowjetmacht dafür hoch geehrt. Verdienterweise. Denn die Mumie demonstrierte
dem einfachen Russen, der Stunden im klirrenden Frost zum Mausoleum Schlange
stand, wie recht die Partei hatte, als sie behauptete, Lenin würde ewig leben.
Auch wenn diese dabei eigentlich etwas anderes meinte.
Der Sohn des Professors, Ilja Sbarski, der vor 18 Jahren die
Stafette übernahm, will jetzt das Werk des Vaters zerstören. In einer Moskauer
Zeitung plädierte er dafür, die Leiche zu begraben. Er meinte, zur Not könnte
man Lenin klonen. Denn das dafür unentbehrliche Erbgut hätte sich die ganzen
Jahre gehalten und konnte vor der Beerdigung entnommen werden. Allerdings, meint
Zbarski jun. auch, der geklonte Lenin würde viel Böses anrichten. Wie das
Originalexemplar es vorexerzierte.
Lenins Nachfolger Stalin wurde nach dem Tod 1953 auch mumifiziert
und erhielt seinen Platz neben dem Lehrer im Mausoleum. Später, der hohen Ehre
unwürdig befunden, fand er seine Ruhe einige Meter weiter, in einem Grab. Sein
Erbgut ist vermutlich zerfallen und sein Klonen ist deswegen nicht möglich.
Wollen wir hoffen.
Doch bleibt die Auferstehung einer anderen Art im Bereich des Möglichen.
Jedenfalls hat ein Parteitag der georgischen Kommunisten, beschlossen, an
die russische Regierung ein Ersuchen zu richten, Stalin (Dshugaschwili) wieder
zu einer Ikone zu machen. Und im Falle der Weigerung seine Leiche umbetten, und
zwar auf den extra Friedhof in seinem georgischen Heimatort Gori.
Gleichzeitig plädierte der Parteitag dafür, den Stalingegnern,
darunter N.Chruschtschow, M. Gorbatschow und dem unlängst gestürzten
Staatschef Georgiens E.Schewardnadse, den Titel "Verräter des
Jahrhunderts" zu verleihen.
10.5.04
ALEXANDER
KORSCHAKOW PACKT WEITER AUS
Wer
ist er? Ein Mann, der vor wenigen Jahren in Russland ungeheure Macht besaß, obwohl
er nicht zur Regierung gehörte.
Angefangen als einfacher Bodyguard,
hielt er zu Boris Jelzin, dem späteren ersten Präsidenten Russlands, als
dieser von Gorbi geschasst wurde. Gorbi, der erste und der letzte Präsident der
zerfallenden Sowjetunion, witterte im Uraler
Urmenschen, Jelzin, einen gefährlichen Rivalen (und irrte sich dabei
nicht). Als Jelzin doch in den
Kreml einzog, honorierte er die Treue seines Bodyguards, Korschakow. Der
ziemlich ungehobelte Macho wurde zum Chef seiner
allmächtigen Prätorianergarde.
Dann
kam das Übliche. Da Jelzin keinen in seiner Nähe dulden wollte, der alles über
ihn wusste, wurde Korschakow in Unfrieden entlassen. Er rächte sich mit einem umfangreichen Buch über Jelzin, in
dem er ausgiebig schmutzige Wäsche wusch. Vor einigen Tagen kam ein neues Buch. Der
Nachschlag, der viele köstliche Episoden enthält. Drei davon
sollen dem matrjoschka-Leser nicht vorenthalten
werden, der viel mehr über die Kremlgeheimnisse wissen darf als die übrige
deutsche Bevölkerung.
Ja,
womit beginnen?
Vielleicht
mit dem, was für Deutschland ziemlich aktuell zu sein scheint. Mit der von
Korschakow saftig beschriebenen Übermacht der Schwulen in der Hochburg der
russischen Staatsmacht. Wenn man ihm glauben schenkt, gaben sie, im russischen
Idiom голубые (die hellblauen) genannt, den Ton in
Jelzins Umgebung an. Der General des Sicherheitsdienstes a.D. versichert, es gäbe
darunter sehr wohlklingende Namen.
Also,
hat Russland auch in dieser Hinsicht den Trend im Westen nicht nur
ein-, sondern überholt. Ein
Beweis für die russische Kreativität. Insbesondere, wenn man sich daran
erinnert, dass ein Schwuler noch vor kurzem in Russland als Schwerverbrecher
galt und bestraft wurde.
In
Zusammenhang damit stehen vermutlich etwas seltsame Spiele, die am Hof des Zaren
Boris veranstaltet wurden. So ein Wettbewerb zwischen den wichtigsten Höflingen
unter dem Motto „Wer hat den fetteren Hintern?“. Den Wettbewerb, bei dem
wohl der Präsident selbst die Preisträger
bestimmte, gewann eine dem
Thron sehr nahe Person, deren Namen damals oft in den Schlagzeilen der deutschen
Presse stand.
Oh, tempora, oh, mores!
Das
neue Buch von A. Korschakow rundet
das von ihm im ersten Werk gezeichnete Porträt des Schutzbefohlenen ab. So erzählt
er, wie sich Boris Jelzin mit Wodka voll pumpte. Mitunter führte es zu
drolligen rhetorischen Fehlleistungen. So als er vor den Arbeitern einer
im Hohen Norden gelegenen Industriestadt sprach, deren Name akustisch an
eine andere Stadt tief im Süden Russlands erinnert. Da der Präsident seine
Rede in einem Zustand hielt, der ihm jedwede Orientierung in Zeit und Raum
raubte, begrüßte er die Zuhörer, als wären sie
Bürger von Astrachan, der Stadt also, die mindestens zwei Tausend Km. südlicher
lag.
Nun,
die Leute nahmen ihm das nicht übel. Die Säufer genießen
in Russland viel Sympathie.
Deswegen
übrigens ist unser führender Mitarbeiter, Iwan Matrjoschkin, Esq., um die
Zukunft des gegenwärtigen Präsidenten, Wladimir Putin, etwas besorgt, der
sich, dem Vernehmen nach, in
Abstinenz übt. „Tun Sie sich bitte keinen Zwang an“, - lautet die Botschaft
aus seiner Stammkneipe „Sonnenschein“ in Berlin, Prenzlauer Berg, an den
Kremlherrn in Moskau. – „Ein Gläschen des Hochprozentigen, sogar zwei,
drei, vier, fünf u.s.w. schaden einem nicht. Vor allem, wenn es der„Wodka
Matrjoschkina“ ist, der, in Russland zu meinem Ehren entwickelt,
auf der Site von „matrjoschka- online. de“ vorgestellt wurde."
2.08.04
DIE
IWANOWS IM VORMARSCH
Iwan
– ein Synonym des Wortes „Der Russe“. Wenigstens in Deutschland. Mit
Recht, meint unser führender Experte, IWAN Matrjoschkin, Esq. Denn es ist der urrussischste Vorname.
Iwanow,
was eigentlich Iwans Sohn bedeutet,
ist ein Nachname, der die Aura des Vornahmen Iwan hat. Der urrussischste
Nachnahme.
Deshalb
wird hier die Analyse
einer wichtigen Verschiebung in der Machtstruktur Russlands unter dem
Titel „ Die Iwanows im Anmarsch“ präsentiert. Obwohl, im Anmarsch sind
nicht nur die Iwanows, sondern auch die Petrows, Kozlows und Träger vieler ähnlicher
urrussischer Namen.
Sie
besetzen alle wichtigen Posten im russischen Staatsapparat.
Das
Rennen macht vorläufig doch ein
Iwanow. Sergei Iwanow. Russlands Verteidigungsminister.
In
den letzten Wochen rückte er von Platz acht auf Platz drei in der
Machthierarchie vor. Er wird bereits als Putins Nachfolger gehandelt.
Ein
Rückblick.
In
den ganzen Jahren der Sowjetmacht wie auch in den ersten Jahren des postsowjetischen Russlands gab es in den oberen Etagen
der Machtpyramide keinen einzigen Iwanow. Jetzt gibt es mehrere. Und es werden
immer mehr.
Die
Ursache ihrer Expansion liegt nicht in der Magie des Namens, sondern
darin, dass zur Kaderschmiede der Staatsmacht
die Geheimdienste wurden. Putins
Alma mater.
Etwa
drei Viertel aller Funktionäre der Staatsmacht sollen jetzt den Geheimdiensten
entstammen. Wie der Präsident selbst.
Was
hat das aber mit der Invasion der Iwanows zu tun? Sehr viel. Der Geheimdienst war in der späten Sowjetzeit eine Institution,
wo nur Russen Chancen hatten. Russen nicht nur
nach ihrer Staatszugehörigkeit, sondern auch nach der ethnischen
Herkunft.
Das
war bei weitem nicht immer so. Davor hatte sich ein Russe im Geheimdienst eher
damit abzufinden, dass er unten bleibt.
Dominante Stellungen besetzten Angehörige anderer Ethnien. Juden, Polen,
Letten, Georgier u.s.w. So war der Gründer der TSCHEKA-
die Urzelle der späteren Geheimdienste- ein Pole. Sein Nachfolger auch.
Dann kam ein Jude, dann ein Georgier. U.s.w.
Aber
seit Anfang der fünfziger Jahre wurden die sowjetischen Geheimdienste rigoros
gesäubert. Nur die Iwanows durften bleiben.
Da
ihre Zöglinge im Apparat der
heutigen russischen Staatsmacht das Sagen haben, sind die Iwanows jetzt in
Anmarsch.
Warum
gerade die Iwanows? Auch
dafür gibt es eine rationale Begründung. Die Geheimdienstler dürfen nicht
auffallen. Ein ungewöhnlicher Familienname entspricht der Anforderung nicht. Er
fällt auf. Dagegen ist ein Iwanow zuerst mal eine graue Maus. Einer von
Millionen Gleichnamiger, der quasi in
ihrer Masse untertaucht.
Dem
Gegner bereitet es Schwierigkeiten, ihn aus
vielen anderen Iwanows
rauszufiltern. Auch deswegen waren
die Iwanows im Geheimdienst willkommen. Und
jetzt werden sie vom Staatsapparat
übernommen.
Es
gibt keinen Grund, sich deswegen die Haare zu raufen. Zwar stimmt es, dass sich
der sowjetische Geheimdienst im Unterschied zu vielen anderen am Terror
gegen die eigene Bevölkerung der Sowjetunion maßgeblich beteiligt hat. Doch in
den meisten Fällen nicht etwa, weil sein Personal aus pathologischen Henkern
bestand, die nichts Besseres konnten. Vielmehr folgte der Geheimdienst
einem politischen Auftrag. Als sich der Auftrag änderte, wurde auch er
befolgt. Genauso diszipliniert, fleißig und konsequent. Und in Teamarbeit.
Wer
eignet sich aber besser für eine Teamarbeit als ein Iwanow. Selbst der Name prädestiniert
ihn dafür.
Es ist also anzunehmen, dass sich die Iwanows,
im russischen Staatapparat angekommen, genauso musterhaft verhalten wie ihre
Vorgänger im repressiven
sowjetischen Geheimdienst. Also, wie eine Hundemeute, die auf Pfiff sofort und
geschlossen reagiert. Und sehr gut abgerichtet, das heißt ausgebildet
ist.
Die Trillerpfeife steckt übrigens in der
Westentasche von W.W. Putin. Eines geheimdienstlichen Obristen a.D.
Daraus darf man nicht die falsche
Schlussfolgerung ziehen, dass diejenigen, die nicht Iwanow (Petrow, Kozlow etc.)
heißen, jetzt in Russland zum Helotendasein verurteilt sind. Nein, sie haben
auch Chancen auf einen Platz an der Sonne. Aber nicht unbedingt im Staatsdienst,
sondern in anderen Gefilden. Zum Beispiel in der Privatwirtschaft.
Unter den „russischen“ Wirtschaftsoligarchen
z.B. gibt es keinen einzigen Iwanow (Petrow, Kozlow etc.). Nur einem anderen
Milieu entstammenden Menschen. Dennoch funktioniert die Kooperation zwischen den
Iwanows und Nicht-Iwanows. Vorausgesetzt,
die frischgebackenen Dollarmilliardäre vergessen nicht, wo ihre Grenze verläuft.
Sonst ereilt sie womöglich das Schicksal eines gewissen Michail Chodorkowski,
der jetzt hinter Gittern schmachtet.
Hätte er übrigens Iwanow geheißen, was leicht
möglich wäre, da die Namensänderung in der Sowjetzeit nur eine Frage des
Schmiergeldes war, hülfe es ihm wenig. Zu klug und wendig. Und die Nase...
In diesem Zusammenhang ein alter sowjetischer
Witz.
Ein Mann stellt sich dem Kaderchef einer
wichtigen sowjetischen Institution vor: Iwanow!.
So,
so - meditiert der Kaderchef laut, die etwas gebogene Nase des Gastes eingehend
betrachtend. - Sie heißen also... wie? Iwanow? Ein sehr schöner Name. Trotzdem
müssen Sie mich entschuldigen, Genosse:
mit dieser Nase würde ich lieber
einen Abramowitch einstellen. Wenn schon, denn schon.
Übrigens
heißt einer der reichsten
russischen Oligarchen, natürlich ganz zufällig Abramowitsch (er nennt
nicht nur eine Boing, ein U-Boot, mehrere Paläste auf allen Kontinenten,
sondern auch eine der stärksten englischen Fußballmannschaften sein eigen).
Ein etwas extravaganter Mann, der
viele Freunde unter den Iwanows hat und es trotzdem vorzieht, in England zu
bleiben.
Wer
weiß...
31.8.04
WIEDER
ABRAMOWITSCH...
Die
Verschwendersucht eines der reichsten Männer der Welt, des in London lebenden
russischen Staatsbürgers Roman Abramowitsch kam wieder in die Schlagzeilen des
Runets. Er legte sich ein neues Flugzeug zu, eine Boing -767, Kostenpunkt über
eine Milliarde Dollar. Nach dem
Kauf des englischen Fußballklubs „Chelsy“ liefert Abramowitsch damit einen
weiteren Beweis dafür, dass er trotz seines Familiennamens nicht Gobsek, nein,
wirklich kein Gobsek ist.
In Russland wäre
wohl selbst dieser zu einem
Verschwender geworden...
Übrigens
besitzt Abramowitsch schon eine Boing, mit der er zwischen London, Moskau und
der Halbinsel Tschukotka hin und her jettet. Tschukotka liegt am nördlichsten
Punkt Russlands, dort leben Tschuktschen (Eskimos) und ausgerechnet hier wollte
er Gouverneur werden. Und wurde es mit relativ wenig Geld.
Der russische
Präsident Putin hat auch zwei Flugzeuge, allerdings alte, von seinem Vorgänger
Boris Jelzin geerbte. Viel schlechtere als die Boings, nämlich die „Il“.
Im Unterschied
zu Putin ist Abramowitsch auch noch mit seiner Jacht unterwegs, die über einen
Hubschrauberlandeplatz verfügt, und außerdem mit seinem eigenen U-Boot.
Zu Abramowitsch
unterhält Putin vorsorglich keine
schlechten Beziehungen. Also, wenn Not ist, kann Abramowitsch ihn mitnehmen. In
ein Jett, die Jacht, schlimmstenfalls das U-Boot. Zu jedem Ort der Welt.
Anmerkung von
Iwan Matrjoschkin, Esq.: Wie im Runet zu lesen ist, bereitet die
Generalstaatsanwaltschaft Russlands eine Untersuchung vor, um Abramowitsch
irgend etwas anzuhängen. Aber in London kann er sich sicher fühlen. Im Falle
des Falles steht die ganze Londoner City hinter ihm. Die Milliardäre aller Länder
haben sich längst vereint. Im Unterschied zu den Proletariern.
Deshalb steht meine Wahl fest. Ich halte mit Milliardären. Es lebe
Abramowitsch! Für ihn gehe ich sogar zu den Tschuktschen. Als Gouverneur. Und
vorausgesetzt meine Stammtischkumpel von der
Kneipe „Sonnenschein“, Berlin, Prenzelberg, mitgenommen werden dürfen. Da würde
sich der Kneipenwirt umgucken!
25.5.04
NOCHMAL ABRAMOWITSCH
Der russische, in London lebende Multimilliardär
Roman Abramowitsch, machte wieder von sich reden. Nach dem Kauf von zwei
englischen Fußballteams, einer Boing mit superkomfortabler Einrichtung sowie
einer riesigen Jacht und einem U-Boot, leistete er sich eine neue Anschaffung.
Das ist ein Palast in Sankt
Petersburg. Allerdings hat er den Palast nicht für sich erworben, da er,
abgesehen von fliegenden, über und unter Wasser schwimmenden Luxusappartements,
auch sonst nicht gerade obdachlos ist. Den Palast aus der Zarenzeit am
Englischen Kai kaufte er, um dort
die Vertretung von Tschukotka unterzubringen.
Tschukotka ist eine zur Hälfte hinter dem Polarkreis, gegenüber
von Alaska, USA, liegende Region.
Die Schnee- und Eiswüste ist die Heimat von
etwa 55.000
Eskimos, Renntierzüchtern, die eine gewisse Autonomie genießen. Vor
einiger Zeit ließ sich Abramowitsch
von ihnen zum Gouverneur wählen. Seitdem ist hier das Lebensniveau gestiegen,
da er die sozialen Bedürfnisse der Region aus der eigenen Tasche dotiert. Die
Eskimos, die hier Tschuktschen genannt
und wegen ihrer, etwas zu stark ausgeprägten Langmut und Arglosigkeit in
Russland belächelt werden, himmeln den spendenfreudigen Gouverneur an.
Jetzt können sie damit rechnen, dass ihre Stammeshäuptlinge nach
Petersburg als Botschafter gehen und in einem Domizil residieren werden, von dem
Diplomaten aus Ländern wie Deutschland, Frankreich etc. nur träumen können.
Der nächste Schritt wird wohl die
Konstituierung Tschukotkas als ein selbstständiger Staat, die UNO- Aufnahme und
Bewerbung um einen Platz im UNO-Sicherheitsrat. Das große russische Geld verändert
die Welt. Es lebe Abramowitsch!
ERLEUCHTUNG
HINTER GITTERN
Die russische Zeitung „Wedomosti“ brachte
einen Beitrag von Michail Chodorkowski, dem in Untersuchungshaft sitzenden Chef
von Jukos, einem der größten Erdölkonzerne der Welt. Chodorkowski sinniert über
die Krise der liberalen Politik in Russland. Der Anlass – die jüngste
katastrophale Niederlage der Union der Rechten Kräfte und der Partei Jabloko
bei der Duma-Wahl. Warum bekamen die Liberalen den Zorn des russischen Volkes zu
spüren, fragt der reichste Unternehmer Russlands. Im Unterschied zu
vielen westlichen Russlandexperten nennt er als Ursache nicht die
vermeintliche Wahlmanipulation des Kremls. Die liberale Politik erlitt das
Fiasko, weil die Liberalen schicksalsschwere Fehler begingen, schreibt er.
Erstens wollten sie die Eigenart
Russlands nicht wahrhaben. Zweitens die existenziellen
Sorgen der überwiegenden Mehrheit der Russen. Sie hatten im Auge nur
zehn Prozent der russischen Bevölkerung und die neunzig haben sie
geflissentlich übergangen. Das haben sie getan, als sie großzügig das
Staatseigentum privatisierten (also die nationale Industrie plünderten – Anm.
von Iwan Matrjoschkin, Esq.) Die negativen sozialen Folgen der Privatisierung
standen bei ihnen nicht auf der Agenda (im Klartext: auf die Verelendung der
meisten Russen im Zuge der Privatisierung pfiffen sie – Anmerkung von Iwan
Matrjoschkin, Esq.) Die Privatisierung priesen sie unverschämt als schmerzlos,
ehrlich und gerecht. Das Volk denkt aber ganz anders darüber.
Das
große Geschäft, schreibt Chodorkowski
aus dem Gefängnis – und er muss es wissen – stand immer neben den liberalen
Privatisierern und half ihnen „Fehler zu machen und zu lügen“. (Warum
wohl?- Anmerkung von Iwan Matrjoschkin, Esq.).
Chodorkowski
jammert nicht nur, sondern schlägt den russischen Geldsäcken vor, den Weg zu
verlassen, der ins Verderben führt. Es ist die Zeit, sich zu fragen: Was hast
du denn für Russland getan? Es ist die Zeit zu lernen, die Wahrheit in
Russland, nicht im Westen zu suchen. Wir sollen uns und den anderen beweisen,
dass wir keine Nutznießer der russischen Krise, sondern Russen sind. Wir dürfen
die Augen auf die Voraussetzungen der russischen Existenz nicht weiter verschließen.
Wir müssen das wollen, was unser Land und das Volk will.
Michail
Chodorkowski schlägt vor, mit Präsident Putin Frieden zu schließen. „Ob er
uns gefällt oder nicht, steht er für Einheit und Geschlossenheit des Landes.
Zuerst einmal sind wir Russlands Bürger. Das liberale Projekt hat in Russland
nur Chancen, wenn er mit dem, was die Nation begehrt, nicht kollidiert.
Der
hinter Gittern einsitzende Multimilliardär hebt die Hand auf das Heiligste
seinesgleichen. Er appelliert, in die Ergebnisse der Privatisierung
entscheidende Korrekturen einzubringen. Denn neunzig Prozent der Russen lehnt
die Privatisierung ab und hält ihre Gewinner für Halunken. Die Geldsäcke müssen
mit dem Volk teilen, zum Beispiel durch die Besteuerung der Naturvorkommen, die
sie sich aneigneten. Besser fangen wir selbst damit an, als wenn wir dazu
gezwungen werden, mahnt er.
Chodorkowski
meint, der wahre Reichtum Russlands sind seine Köpfe, seine gewissenhaften und
begabten Menschen. Sie müssen der Stock der neuen russischen Elite werden. Das
Gefährlichste für Russland ist, wenn sie weggehen. Die Wettbewerbsfähigkeit
des Landes hängt von seinem intellektuellen Potential , nicht von seinen
Rohstoffen ab, die weniger werden.
Das
Land wird sich ändern, wenn die Russen sich ändern. Das Land erhält seine
Freiheit, wenn wir alle daran glauben.
Xxxx
Gefragt,
was er dazu meint, sagte unser Allroundexperte Iwan Matrjoschkin, Esq., dass er
unter jedes Wort von Michail Chodorkowski seinen Namen stellen würde.
Allerdings nur unter der Bedingung, Chodorkowski teilt mit ihm seine Milliarden.
Das wäre der Prüfstein der Aufrichtigkeit
des Multimilliardärs. Sonst erscheine seine Erleuchtung ein wenig plötzlich.
1.
April ( kein Aprilscherz).