Zur Startseite |
Die euphorische Berichterstattung aus der Ukraine weicht in den deutschen Medien einer realistischeren Sicht auf die Ereignisse in diesem Nachbarland Russlands.
Vermutlich ließen sich manche deutsche Kollegen zuerst von den Manifestationen in Kiew täuschen, die sie an die Bilder von friedlichen Revolutionen in der DDR und den anderen Staaten des ehemaligen sowjetischen Herrschaftsbereichs erinnerten. Jetzt aber verfliegt die Faszination. Statt dessen setzt sich allmählich die Erkenntnis durch, dass in Kiew kein Sturm der Bastille stattfand. Weil es dort keine Bastille gab. Und Juschtschenko kein Robespierre oder Danton ist. Und sein Gegner, Janukowitsch, kein König, der geköpft werden muss. Und überhaupt die viel gerühmte Revolution in der Ukraine eher eine Imitation des revolutionären Aufbruchs darstellte. Einen Sturm im Wasserglas, der die Welt und sogar die Ukraine selbst nicht wesentlich veränderte.
Die Gewinner der ukrainischen Ereignisse, die jetzt auf neue politische und wirtschaftliche Pfründe hoffen, lachen sich insgeheim ins Fäustchen. Die Dummen sind diejenigen, die ihnen auf den Leim gingen. In der Ukraine selbst und außerhalb.
Leider blieb die internationale Politik vom ganzen Rummel nicht unberührt. Insbesondere drohte die strategische Partnerschaft zwischen Russland und Deutschland unter unbedachten, selbstgefälligen, mitunter scharf antirussischen Äußerungen der Sympathisanten der Pseudorevolution zu leiden. Es gab sogar Prognosen, wonach die Partnerschaft demnächst zerbricht.
Aber die
Schwarzseher übersehen, dass die
deutsch-russische Gemeinsamkeit
nicht nur ein Werk der
Regierungen beider Staaten ist.
Tief in unabänderlichen wirtschafts-
und geopolitischen Realitäten verwurzelt, hat sie in den letzten Jahren ihre
eigene Dynamik entwickelt. Eine,
die in den Beziehungen zwischen Russland und Deutschland
mehr Gewicht hat als die Launen der politischen Konjunktur, die
Profilierungssucht mancher Akteure auf der politischen Bühne und der Ehrgeiz
der um Auflagen und Einschaltquoten besorgten
Medienmacher.
Jetzt, wo die Euphorie abebbt, ist es an der Zeit, einige Lehren zu ziehen. Eine davon heißt wohl, dass die bewährte Politik wegen einer Fata morgana nicht aufs Spiel gesetzt werden darf. Auf Neuauflagen der ideologischen Spielchen aus der Zeit des Kalten Krieges könnte man dagegen ruhig verzichten. Ein für allemal.
9.12.04
Die deutschen Medien bringen weiterhin viel über die Lage in der Ukraine. In der Flut der Berichte macht sich eine Stellungnahme auf sich aufmerksam. Sie kam von einer renommierten Gruppe Russlandforscher aus Bremen und wurde im neuesten Bulletin einer Gruppe universitärer Forscher veröffentlicht.
Hier wurde unter anderem festgestellt, dass die in den Medien vorherrschende Unterscheidung zwischen den zwei Rivalen im Kampf um die ukrainische Präsidentschaft nicht ganz den faktischen Gegebenheiten entspricht. Es ist nämlich nicht so, dass, wie immer wieder behauptet wird, Viktor Janukowitsch, der amtierende Ministerpräsident, „prorussisch“ ist, Viktor Juschtschenko dagegen „prowestlich“. Beide seien eher als „proukrainisch“ zu bezeichnen. Und trotz erheblicher Unterschiede in den Auffassungen über die wünschenswerte Gestaltung der inneren Verhältnisse in der Ukraine seien beide für gute Beziehungen zu Russland.
Der Experte aus Bremen, dessen Äußerungen hier ungefähr zusammengefasst sind, brachte etwas zum Ausdruck, was sonst im Eifer des publizistischen Gefechtes in den Redaktionsstuben der elektronischen und Printmedien zu oft unter den Tisch fällt. Leider. Denn man darf wohl, wenn man sich nicht um Propaganda, sondern um die wahrheitsgetreue Darstellung der Ereignisse bemüht, die Geschichte der russisch- ukrainischen Beziehungen nicht außer Acht lassen.
In diesem
Zusammenhang sei daran zu erinnern, dass die Ukraine eine ehemalige Sowjetrepublik ist, die viel länger als alle
anderen mit Russland in einem Staat zusammenlebte. Sie hat sich mit ihrem großen
Nachbarn vor 350 Jahren vereinigt und
seitdem, trotz aller, für die Ukrainer sicherlich nicht immer erfreulichen
Verwicklungen der
gemeinsamen Geschichte, an einem Strang gezogen.
So entstanden starke politische, wirtschaftliche, kulturelle, aber auch ethnische und sprachliche Bindungen zwischen beiden Staaten. Zu stark, als dass ein Machtwechsel in Kiew sie zerreißen könnte. Auch wenn der Presserummel auf anderes hindeutet.
Sollte aber der Gang der Ereignisse in diese Richtung gehen, wäre das für die westlichen Nachbarn der Ukraine höchst bedenklich. Denn ein Osteuropa mit stabilen, über Jahrhunderte gewachsenen Beziehungen, stärkt der Europäischen Union den Rücken. Auch der alte Kontinent insgesamt gewinnt damit an Einfluss in der Welt.
Der Verfasser dieses Berichtes schämt sich ein wenig, solche Binsenweisheiten ins Feld führen zu müssen. Er tut das einzig und allein deshalb, weil er sich bei der Lektüre der deutschen Presse manchmal fragen muss, wo ihre Gründlichkeit geblieben ist, warum die renommierten Blätter in der Berichterstattung über die Ereignisse in der Ukraine auf ein Niveau absinken, das ihrer unwürdig ist. Die Antwort kennt er nicht. Jedenfalls aber liegt der Grund nicht in der Sorge um die Demokratie in der Ukraine, kann doch diese nicht mit Chaos gleichgesetzt werden.
26.11.04
Unter der Ägide der den Grünen nahen Heinrich Böll Stiftung fand in Berlin ein Treffen mit ukrainischen Journalisten statt.
Den Abend im weihnachtlich erleuchteten Berlin konnte man sinnvoller verbringen. Die der „Richtungswahl für die Ukraine“ gewidmete Veranstaltung brachte kaum neue Erkenntnisse über die ukrainische Situation.
Die offensichtliche Dürftigkeit der Debatte in den prächtig wiederaufgebauten Hackeschen Höfen zu Berlin konnte davon herrühren, dass alle drei ukrainischen Gäste nur eine Seite im Konflikt um die Präsidentschaftswahl in der Ukraine vertraten. Und zwar jene Seite, die den gegenwärtigen Ministerpräsidenten Viktor Janukowitsch und den noch amtierenden Staatspräsidenten Leonid Kutschma besser heute als morgen weghaben und den Oppositionsführer Viktor Juschtschenko mit Anhängern auf Teufel komm raus in die Ämter bringen will.
Allerdings waren die ukrainischen Kollegen, ungeachtet dieser gemeinsamen Grundeinstellung, unter sich nicht einig. So huldigte einer von ihnen, ein Zeitungsgründer aus Lwiw, der in der Opposition verbreiteten Ansicht „Alles oder Nichts“, die zwei anderen aber, aus oppositionellen Kiewer Fernsehsendern, befürworteten, wenn auch mit Vorbehalten, Kompromisse im ukrainischen Streit und standen Vermittlungsversuchen der Europäischen Union weniger skeptisch gegenüber. Dennoch wurden diese mehr oder weniger feinen Unterschiede etwas undeutlich artikuliert. Als ob die Gäste der Stiftung nicht richtig wussten, was sie eigentlich wollten.
Sonst blieben sie bei den Aussagen, die wohl jeder in Europa akzeptiert. Bei der Befürwortung der Demokratie, der Bürgergesellschaft und Menschenrechte. Außerdem schilderten sie in bewegten Worten die Manifestationen auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew und in den Straßen von Lwiw. Leider aber hörten sich die Schilderungen etwas überflüssig an, da das Publikum im Saal der Heinrich Böll Stiftung die Manifestationen bereits zur Genüge auf den Fernsehschirmen miterleben durfte. Jetzt wollte es mit den Gästen zusammen mögliche Auswege aus der Krise ausloten, die das große Nachbarland erschüttert. Schade, dass diese Erwartung unerfüllt blieb.
So wunderte es nicht, dass sich die am Anfang der Veranstaltung
gefüllten Reihen bereits nach
einer Stunde stark lichteten. Und am Ende der Veranstaltung blieben die Gäste
so gut wie tetê-a-tetê mit den
Gastgebern. Obwohl ausharrenden Besuchern ein guter Imbiss in den Räumen der
Stiftung winkte.
1.12.04
Bei der Darstellung der Ereignisse in der Ukraine kehren die deutschen Medien allmählich zu jener Ausgewogenheit zurück, die sonst ihre Stärke ist.
Darauf deutet eine der letzten Sendungen „Tagesthemen“ der ARD hin. Sie brachte sowohl eine Reportage aus Lwiw, als auch eine aus Donezk. Somit war es eine ausgewogene Berichterstattung. Das heißt natürlich nicht, dass in der Sendung, wie auch in vielen anderen Berichten aus der Ukraine die um die Macht in diesem Lande ringenden Parteien gleichgestellt werden.
In der Reportage aus Lwiw sah der Zuschauer fröhliche, sympathische Gesichter junger Menschen, zumeist Studenten und Schüler. In der Reportage aus Donezk – kohlenstaubgeschwärzte, durch die schwere Arbeit unter Tage gezeichnete Visagen der Kumpel. Die einen, die jungen Leute aus Lwiw, riefen in Sprechchören den Namen des Anführers der Opposition, Viktor Juschtschenko, mit dem sie die Hoffnung auf mehr Freiheit und Demokratie verbinden. Die anderen, Familienväter aus Donezk, sprachen sich für den amtierenden Ministerpräsidenten, Viktor Janukowitsch, aus, der ihnen, im Unterschied zu seinem Vorgänger Juschtschenko die regelmäßige Auszahlung ihrer Löhne sicherte.
Ob diese Gegenüberstellung den Kern der Auseinandersetzungen in der Ukraine trifft, soll hier dahingestellt bleiben. Jedenfalls aber ist sie der Realität näher, als das simple Bild, auf dem eine Partei mit dem Nimbus von Freiheitskämpfern und die andere mit dem Kainsmal der gewesenen Sowjetmacht ausgestattet wird.
Die Deutschen, besonders in Ostdeutschland, wissen aus Erfahrung, dass solche Bilder lügen. Vielleicht hätte die friedliche Revolution in der DDR von 1989 außer der sicherlich unschätzbaren Güter der Freiheit und der nationalen Einheit ihnen auch mehr soziale Sicherheit und Gerechtigkeit beschert, wären sie nicht darauf reingefallen.
Aber der Vergleich hinkt. Denn dank der einmalig großzügigen Alimentierung aus den alten Bundesländern wird vieles, damals in Ostdeutschland versäumte, peu a peu nachgeholt. Wenn auch nicht so schnell, wie erhofft und versprochen, sieht man hier wenn nicht „blühende“, dann wenigstens aufblühende Landschaften.
Wo meldet sich aber ein vergleichbarer Spender für das zweitgrößte Land Europas mit seiner zerrütteten Wirtschaft? Wer erfüllt die durch die Euphorie der Kastanienrevolution hochgeschraubten Erwartungen der Ukrainer? Deutschland, das noch sehr viel zu Hause zu erledigen hat? Die EU, der noch lange die Osterweiterung im Magen liegen wird? Die USA, die sich nicht gerade durch die Lust auszeichnen, die wirtschaftlichen Folgen ihres politischen Tuns zu tragen?
Es ist anzunehmen, dass sich die deutschen Fernsehzuschauer darüber Gedanken machen, wenn sie ein Herz nicht nur für die jubelnden Studenten, sondern auch für die kohlenstaubgeschwärzten Kumpel haben.
30.11.04
SO SPRACH GLEB PAWLOWSKI
Es geht hier um ein im Runet veröffentlichtes Interview eines PR- Mannes, der in Russland den Ruf genießt, das Ohr des russischen Präsidenten, Wladimir Putin, zu haben. Das sagt natürlich nichts darüber aus, ob seinen Äußerungen zu glauben ist. Wir geben diese, in Schlagworten zusammengefasst, wieder.
1. Die Präsidentschaftswahlen in der Ukraine gewann Janukowitsch (Putins Wunschkandidat). Seit Anfang des Jahres stieg seine Akzeptanz in der Bevölkerung ums vierfache. Ein Phänomen, das an die Steigerung der Zustimmung zu Putin in Russland nahe kommt.
2. Ob Janukowitsch das Präsidentenamt antritt, ist schwer zu sagen. Möglicherweise wird er daran gehindert. Sein Sturz ist gründlich vorbereitet. Es ist ein Wunder, dass er auf sich noch warten lässt.
3. Der noch amtierende Präsident Leonid Kutschma hält viel in der Hand, um die Ordnung wiederherzustellen. Aber er bezieht keine klare Position.
4. Die im Westen verbreitete Ansicht, Janukowitsch vertrete das alte Regime, ist falsch. Im Gegenteil, er will Erneuerung. Dagegen besteht Juschtschenkos (des Kandidaten der Opposition) Team aus alten Apparattschiks. Darunter sind neun oder zehn ehemalige Vize- Premiers. Julia Timoschenko (die engste Vertraute Juschtschenkos) ist eine von diesen. Sie wurde mehrmals gerichtlich belangt.
5. Der Druck auf die legitime Macht in der Ukraine mutet immer faschistischer an. Das Thema der Freiheit spielt in den Veranstaltungen der Opposition keine Rolle mehr. Es geht ihr nur um die Macht.
6. In der Ukraine wird ein Drehbuch inszeniert, das bereits in Jugoslawien und Georgien durchgespielt wurde. Die Aushebelung der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Strasse.
7. Wenn Russland die Zerstörung der Ukraine hinnimmt, sehen wir bald in Russland einer noch schlimmeren Situation ins Auge. Die Förderer der Opposition in der Ukraine zielen nicht so sehr auf dieses Land , sondern vielmehr auf Russland.
8. Der russische Einfluss in der Ukraine ist stark gewachsen. Ob Russland diesen zu nutzen versteht, um die Krise zu lösen, ist aber fraglich.
30.11.04
Die Auseinandersetzungen in der Ukraine erfahren weiterhin die gebührende Beachtung in den deutschen Medien. Allerdings ist die Berichterstattung etwas differenzierter geworden.
In den letzten Tagen drehten sich die Schilderungen der Lage um die Achse der Begriffe wie Demokratie und Menschenrechte, die sich variabel auslegen und politisch instrumentalisieren lassen. Jetzt aber kommen bedenkliche und der Schwarz-Weiß Malerei widersprechende Tatsachen in die Berichte. So hat der Deutschlandfunk, der Sympathie für die Staatsmacht in der Ukraine unverdächtig, über rechtsextremistische Grüppchen unter den gegen die Wahlfälschung protestierenden Demonstranten in Kiew berichtet. Eine Information, die, sollte sie der Wahrheit entsprechen, einige geschichtliche Vorgänge in Erinnerung ruft. Darunter ein furchtbares Massaker unter der jüdischen Bevölkerung nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht im Jahre 1941 in Lemberg. Ein Massaker, das nicht von den Angehörigen der deutschen Truppen, sondern von den durch ihre Ankunft höchst erfreuten militanten ukrainischen Nationalisten bestritten wurde.
In einem Teil der deutschen Medienberichte spiegelt sich jetzt die nicht von der Hand zu weisende Befürchtung vor einer de facto Spaltung des Landes, erst recht vor einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen den rivalisierenden politischen Kräften in der Ukraine. In diesem Zusammenhang war eine Äußerung des außenpolitischen Sprechers der SPD- Bundestagsfraktion, Hans- Ulrich Klose, relevant. In einem Interview für den Sender Berlin- Brandenburg sprach er über einen eventuellen Flüchtlingsstrom Richtung Westen, wenn es in der Ukraine tatsächlich zu einer Art Bürgerkrieg kommt.
Gewiss behagt den Deutschen diese Aussicht wenig. Haben sie doch die Invasion der bosnischen Flüchtlinge nach einer vergleichbaren Entwicklung im zerfallenen Jugoslawien noch in Erinnerung.
Von mehr Besonnenheit zeugen auch die sich durch die meisten Medien ziehenden Appelle an die zuständigen Politiker und Staatsmänner, für eine friedliche und für alle Beteiligten akzeptable Beilegung des Streites zu sorgen. Sicherlich würde diese Entwicklung im zweitgrößten und in der unmittelbaren Nähe von Deutschland gelegenen Land Osteuropas den Aspirationen der meisten Deutschen entsprechen. Einen anderen Gang der Ereignisse können sich nur diejenigen wünschen, die davon politische Vorteile erhoffen und in einem Land agieren, das von der Ukraine durch Tausende von Kilometern oder einen Ozean getrennt ist.
Das etwas
verschiedene Herangehen an die ukrainische Krise wurde in einer
Bundestagssitzung verdeutlicht. Eigentlich der
finanziellen Lage Deutschlands gewidmet, wurde sie
durch einen Schlagabtausch zwischen der
Regierungskoalition und Opposition vom
Thema abgelenkt. Die Opposition bezichtigte
die Bundesregierung, die übrigens auch von
Wahlfälschung in der Ukraine ausgeht, einer laschen Haltung gegenüber
der dafür verantwortlichen Administration in Kiew. Bedauerlicherweise wurde
dabei das Verhältnis zwischen Deutschland und Russland ins Spiel gebracht, das
durch die
ukrainische Krise nicht belastet werden darf. Wenigstens wenn man das mit
viel Aufwand in den letzten Jahrzehnten hergestellte Vertrauen zwischen den
beiden Ländern in seiner historischen Dimension nicht aus der Acht lässt.
25.11.04
Die deutschen Medien berichten verhältnismäßig viel über die Präsidentschaftswahl in der Ukraine. Leider aber ist ihre Berichterstattung aus dem Nachbarland nicht ausgewogen genug gewesen.
Sowohl in den Print- als auch in den elektronischen Medien erfuhr der Kampf um das höchste Staatsamt in der Ukraine keine Darstellung, die dem Usus der deutschen Medien gerecht wäre. Sogar der öffentlich- rechtliche Hörfunk und das Fernsehen, die schon durch ihren Status zu mehr Objektivität als die anderen verpflichtet sind, übten sich in Einseitigkeit. Fast die ganze, dem Wahlkampf im zweitgrößten Nachfolgestaat der gewesenen Sowjetunion eingeräumte Sendezeit galt nur einem der zwei Bewerber ums höchste Amt. Es war der Vertreter der Regierungsopposition, Viktor Juschtschenko, dem der Ruf eines USA- Favoriten anhaftet. Seine Person, seine Ansichten und seine Bewertung der Situation standen im Mittelpunkt der Berichterstattung. Sein Rivale, der Ministerpräsident der Ukraine, Viktor Janukewitsch, genoss dagegen kaum die Ehre, der deutschen Öffentlichkeit vorgestellt zu werden. Und wenn schon, dann wurde an seinem negativen Image geflochten. Als zählte die Meinung von jenem Teil der ukrainischen Bevölkerung nicht, der hinter ihm steht.
Diese Art, über einen Wahlkampf im Ausland zu berichten, lässt einen umso mehr staunen, weil die deutschen Medien sonst um Ausgewogenheit bemüht sind. Erst in der allerjüngsten Vergangenheit, und zwar während der Präsidentschaftswahl in den USA, mieden sie peinlichst jede Parteinahme. Obwohl die Umfragen zeigten, dass die meisten Deutschen einen der Bewerber deutlich bevorzugten, kam auch der andere in der Berichterstattung genauso viel zu Wort. Auf die Minute genau.
Warum an die Wahl in der Ukraine ganz anders herangegangen wurde, bleibt ihrem Korrespondenten ein Rätsel. Hoffentlich lag es nicht an der unterschiedlichen Gewichtung der Objekte der Berichterstattung, die USA in einem, die Ukraine im anderen Fall. Das wäre kaum mit jener Sorge um Demokratie zu vereinbaren, die gerade in Reportagen aus der Ukraine stark betont wurde. Denn Demokratie heißt wohl nicht nur, die Rechte des Stärkeren zu beachten. Auch ein Land, von dem man nichts zu fürchten hat, darf eigentlich nicht von oben herab, mit der Schulmeisterallüre behandelt werden.
Bleibt zu hoffen, dass die hier mit Bedauern verzeichnete Entgleisung keine Schule macht und die deutschen Medien ihrem hohen Ansehen in der Zukunft gerecht bleiben.
24.11.04
FUßABTRETER?
Zuerst ein Wenig Geschichte.
1918, als die Ukraine von der Armee des deutschen Kaisers besetzt war, brauchte der Oberkommandierende, General Eichhorn, eine repräsentative Figur aus dem ukrainischen Hochadel, um der Besetzung einen veredelnden Touch zu verleihen. Seine Wahl fiel auf Pawel Skoropadski, der zum Hetmann, was damals in etwa dem heutigen Staatspräsidenten entsprach, erklärt wurde. Unter deutscher Aufsicht regierte er in der Ukraine fast die ganze Besatzungszeit. Als aber die Novemberrevolution 1918 in Deutschland die Rückführung der Besatzer zur Folge hatte, musste auch er weg.
Skoropadski
war ein verbissener Gegner
des im Jahre 1917 in Russland an die Macht gekommenen kommunistischen
Regimes. Das hinderte ihn aber nicht, für ein Zusammengehen von Russland und
der Ukraine einzutreten. Bemerkenswert ist eine Äußerung
von ihm, die von unserem Chefhistoriker, Iwan Matrjoschkin, Esq.,
aufgetrieben wurde. Nach
Überprüfung ihrer Authentizität geben wir sie hier wieder. Also, sagte
der ukrainische Nationalist und Antikommunist, Pawel
Skoropadski:
„Mit gemeinsamen Anstrengungen haben die Großrussen und unsere Ukrainer die russische Wissenschaft, die russische Literatur, die Musik und die Kunst erschaffen. Darauf zu verzichten, wäre lächerlich und undenkbar. Es ist wohl Schewtschenko ( der ukrainische Nationaldichter) nicht vorzuwerfen, dass er die Ukraine nicht liebte. Doch soll mir ein ukrainischer Chauvinist sagen, ob Schewtschenko, wäre er noch am Leben, auf die russische Kultur, auf Puschkin, Gogol und die anderen verzichtet hätte. Schewtschenko bräuchte wohl keine einzige Minute, um zu antworten, dass er nie auf die russische Kultur verzichtet und nicht gewollt hätte, dass die Ukrainer darauf verzichten...
Es wäre
sinnlos und verhängnisvoll, würde die Ukraine
von Russland auf Distanz gehen , insbesondere in kultureller Hinsicht.
Tun es die Ukrainer, bringen sie es nie
zu etwas Größerem und
werden nur zum Fußabtreter für andere Nationen.“
Übrigens hielt Skoropadski für die Triebkraft der Russenfeindlichkeit in der Ukraine jene Politiker aus dem äußersten Westen des Landes, die er „Galitschane“, also aus Galizien stammend, nannte. Er verdächtigte sie, fremde Anliegen zu vertreten und versuchte zwischen ihnen und den übrigen Ukrainern, die er „unsere“ nannte, eine Trennlinie zu ziehen.
Ukrainer aus einem sehr alten und vornehmen Geschlecht, das in der Geschichte des Landes eine ehrwürdige Rolle gespielt hatte, war Skoropadski im Deutschland der Kaiser- und der Weimarer Zeit gut bekannt. In Deutschland wurde er geboren, hier starb er 1945 im amerikanischen Bombenhagel, als er vor anrückenden sowjetischen Truppen nach Bayern fluchten wollte.
27.11.04