FORTSETZUNG
ALEXANDROWKA:
TAG DER OFFENEN TÜR
Die russische Siedlung Alexandrowka in Potsdam ist zu einem Besuchermagneten der alten preußischen Residenzstadt geworden. Besonders im laufendem Jahr der russischen Kultur in Deutschland.
Zum ersten Mal wird in Potsdam die bemerkenswerte Geschichte der russischen Sänger des preußischen Königs Friedrich-Wilhelm, der ersten Bewohner von Alexandrowka, in einer Ausstellung gezeigt. Die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit einer Berliner Historikerin mit der hier wohnenden Familie Anissimow. Das Team recherchierte gründlich die Lebensgeschichte der russischen Soldatensänger zwischen ihrem Einsatz in den Befreiungskriegen gegen Napoleon und der Errichtung der Kolonie im Jahre 1826, aber auch ihren harten Alltag in der Nachfolgezeit und ihre Familiengeschichten.
Das auf die UNESCO- Liste gesetzte Alexandrowka ist ein historisches und kulturelles Denkmal erster Güte. Einmalig nicht nur in Deutschland. Ein malerisches russisches Dorf, wie es eben vor 200 Jahren aussah, inmitten einer modernen Stadt. Wo findet man sonst so etwas?
Aber Alexandrowka ist nicht nur kulturhistorisch interessant. Auf seine Weise reflektiert das Dorf eine bemerkenswerte Seite im großen Buch der russisch- deutschen historischen Chronik. Es entstand in einer Zeit, als die Beziehungen zwischen Russland und Preußen durch den russischen Beitrag zur Befreiung Deutschlands von der napoleonischen Fremdherrschaft sehr positiv beeinflusst waren. Deswegen trägt das Dorf auch den Namen des russischen Zaren Alexander, der in Russland in der Zeit der großen Auseinandersetzung mit dem vom Drang nach Weltherrschaft besessenen französischen Kaiser herrschte und dessen Truppen den Eroberungsplänen des ehrgeizigen Korsen den Todesstoß versetzten. Der russische Zarenhof, dem Wunsch des Russlandfans, des preußischen Königs, folgend, genehmigte die Ansiedlung eines russischen Soldatenchors in Potsdam. Und der preußische König ließ mitten in der Residenzstadt für die Umsiedler ein Dorf bauen. In Form des russischen Alexanderkreuzes, gestiftet zu Ehren des von den Orthodoxen hochgeehrten Heiligen, des Fürsten Alexander Newski.
Jetzt sind in Alexandrowka kaum Nachfahren der ersten russischen Bewohner zu finden. Aber die deutschen Mieter der malerischen russischen Blockhäuser, darunter der Bürgermeister Potsdams, fühlen sich dem Ort verpflichtet. In den Häusern gibt es viel russischen Schmuck und Einrichtungsgegenstände- Samoware, mit russischen Motiven bemalte Truhen, auch Ikonen. Und der deutsche Denkmalschutz wacht dankenswerter Weise darüber, dass die Häuser äußerlich nicht geändert werden und die ursprüngliche Schönheit von Alexandrowka unangetastet bleibt.
Im Zusammenhang mit der Ausstellung wird in einem der Häuser ein Tag der offenen Tür angekündigt. Die hier wohnende Familie hat sich bereit erklärt, den Besuchern die privaten Räume vorzuführen, die eine lebendige Vorstellung von einem russischen Bauernhaus vermitteln. Sicherlich ließ sie sich von zahlreichen Aktivitäten um Alexandrowka und der russisch- orthodoxen Alexander- Newski Kirche in ihrer Nähe inspirieren. Hier hat sich ein Kreis der Freunde der russischen Kultur gebildet, dem Kunstwissenschaftler und Historiker, aber auch Sponsoren angehören, die für den Erhalt des Dorfes und für die Erforschung der russisch- preußischen Beziehungen sorgen. Daran beteiligen sich übrigens auch Schüler eines Potsdamer Gymnasiums. Sie haben ein umfangreiches Kompendium mit Daten zur Geschichte Russlands des XIX . Jahrhunderts zusammengetragen und im Internet vorgestellt.
31.8.03
KULTURBEGEGNUNGEN. NOTIZEN AM RANDE.
1.
Das russische Kulturjahr in Deutschland neigt sich seinem Ende zu. Zwar stehen noch viele Veranstaltungen auf der Agenda, aber die meisten haben bereits stattgefunden. Es ist an der Zeit, eine vorläufige Bilanz zu ziehen. Vor allem, was die Besonderheiten dieser Kette von Events angeht, die in ihrer Fülle nichts Vergleichbares in der Geschichte der Kommunikation zwischen dem deutschen und russischen Kulturkreis kennt. Wahrscheinlich auch nicht in der Weltgeschichte des Kulturaustausches.
Die quantitative Dimension ist das Erste, was einem Beobachter auffällt. Sie ergab sich daraus, dass zu den rund tausend zentral geplanten oder zentral angemeldeten und dotierten Veranstaltungen mindestens doppelt so viel hinzukamen, die auf private Initiative zurückgingen. Trittbrettfahrer, könnte man einwenden. Zugegeben, manches, was unter dem Label des russischen Kulturjahres lief, ließ an Niveau vermissen. Aber hier, wie auch sonst, spricht die Trittbrettfahrerei für die große Nachfrage. Ohne die hätten sich spontane Veranstaltungen nicht gelohnt.
Ein anderes Merkmal des Kulturjahres ist die Spektrumsbreite. Die Veranstaltungen vertraten alle möglichen Genres, angefangen von der alltäglichen Popkultur bis zu den Kunstgattungen, die eher bei den Eliten ankommen. Alles war da: Rock, wie er in den Tanzlokalen praktiziert wird, bis zu klassischem Ballett. Bei manchen Auftritten hätte ein anspruchsvoller Kunstkritiker die Nase gerümpft. Aber der Verfasser dieses Berichtes, gewiss kein Freund des ohrenbetäubenden Lärms der modernen Tanzmusik, meint, die Hauptsache, dass sie angenommen wurden. Und das wurden sie, wovon sich jeder überzeugen konnte, der das Gedränge von jungen Leuten beobachten konnte: der Deutschen, der Russen aus der Diaspora und der zum Kulturjahr Angereisten, die mühelos zu einander fanden.
Eine Statistik darüber, wie viele Besucher die Veranstaltungen hatten, wird nicht geführt. Aber dass die Zahl alles davor gewesene übertrifft, daran besteht kein Zweifel. Und dies erklärt sich nicht nur durch die Verve der Veranstalter, sondern durch ein weiteres Merkmal des Kulturjahres. Es war nämlich total ideologiefrei. Es gab nicht die geringsten Anzeichen davon, die Kommunikation in eine bestimmte Bahn zu lenken, geschweige denn zu missionieren. Deshalb hatte kein aktiver oder passiver Teilnehmer Grund, eine Missbrauchgefahr zu politischen Zwecken zu vermuten. Jeder konnte auf seine Facon wenn nicht glücklich werden, dafür braucht man wohl etwas mehr, aber sich informieren und amüsieren, und das ist auch nicht wenig.
Da denkt man zurück an Zeiten, wo es ganz anders lief. An die zwanziger Jahre, als die gute politische Zusammenarbeit zwischen der jungen russischen Sowjetrepublik und der deutschen Weimarer Republik den Aufschwung nicht nur der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, sondern auch des kulturellen Austausches zur Folge hatte. An diesem beteiligten sich führend solche hervorragenden deutschen Geister wie Thomas Mann und Albert Einstein. Sie zählten zu den Gründern einer Gesellschaft, die den Deutschen das Geschehen in Sowjetrussland näher bringen wollte. Aber sie zogen sich , wie viele andere ihres Ranges, bald zurück, da die Hartnäckigkeit der zuständigen sowjetischen Behörden, die auf der Schiene des Kulturaustausches politische Propaganda treiben wollten, sie verzweifeln ließen. Wie übrigens das Verhalten mancher deutschen Behörden auch, die diese Zielsetzung des Partners durchschauten und ihm Hürden in den Weg stellten, wobei nicht selten das Kind mit dem schmutzigen Bade ausgekippt wurde.
Ein anderes Beispiel bezieht sich auf die jüngere Zeit. In der DDR wurde bekanntlich die Einführung in die sowjetische und russische Kultur zur Pflichtübung für alle Bürger gemacht. Aber die Kulturvermittlung duldet keinen Zwang, der auf diesem Gebiet, wie auch auf manchen anderen, das Gegenteil bewirkt. So kam es, dass die Vermittlung sogar der echten russischen Kultur für Überdruss sorgte.
Wie dem auch sei, verlief das russische Kulturjahr in Deutschland ganz anders, als vergleichbare Festivals in der Geschichte des russisch- deutschen Kulturaustausches.
2.
Es gibt allerdings kein verlässliches Verfahren, um rauszufinden, was alle diese unzähligen und zum Teil sehr anspruchsvollen Veranstaltungen bewirkten. Mit anderen Worten, ob sie das erreichten, worauf es letztendlich ankommt, nämlich den Deutschen ein realitätsnäheres Bild vom heutigen Russlands zu vermitteln.
Es wäre aber höchste Zeit dafür. Jedenfalls wagt es der Verfasser dieser Beitragsreihe als in Deutschland lebender russischer Journalist zu sagen, weil er glaubt, einige, sich darauf beziehende Defizite feststellen zu können.
Es wäre übrigens ein Wunder, gäbe es diese Defizite nicht. Das vorige Jahrhundert mit seinen drei Weltkriegen, wenn man auch den kalten Krieg dazuzählt, hat in der mentalen Sphäre große und bleibende Schäden hinterlassen. Bekanntlich ist jeder Krieg nicht gerade förderlich für die Annäherung der auf verschiedenen Seiten der Front kämpfenden Völker. Und schon gar nicht ein totaler Krieg, der die Mobilisierung der Massen voraussetzt, die sich im Gleichschritt mit ihrer Verhetzung vollzieht.
So kam es, dass in Deutschland die Eliten, politische wie wirtschaftliche, die sich eindeutig für die vertiefte Zusammenarbeit mit Russland einsetzen, ein viel fundierteres und positiveres Russlandbild haben als die Durchschnittsdeutschen. Denn das Russlandbild der letzteren ist viel mehr von der Überlieferung beschädigt, vom Erbe des unseligen vorigen Jahrhunderts, in dem sich Russen und Deutsche unendlich viel Leid zugefügt haben.
Vor diesem Hintergrund ist zu begrüßen, dass im Laufe des russischen Kulturjahres in Deutschland, das in der Hauptsache der Gegenwart galt, auch Veranstaltungen zur jüngsten Geschichte Russlands, darunter der sowjetischen Geschichte, liefen. Hier möchte der Verfasser besonders die Ausstellung „Traumfabrik des Kommunismus“ in Frankfurt am Main hervorheben.
Warum gerade diese?
Weil die sowjetische Geschichte Russlands in Deutschland nicht selten fehlinterpretiert wird. In vielen Büchern, Filmen und in öffentlichen Foren wird dieses Kapitel nur unter dem Aspekt des Terrors der Stalinzeit dargestellt. Dabei geraten Historiker und Publizisten in Erklärungsnot. Denn um das Verhalten der Russen in dieser tatsächlich schrecklichen Zeit zu erklären, müssen sie diese als von der Erbmasse her grausam oder sklavisch schildern. Als ein Volk, das entweder die Knute schwingt oder sich der Knute beugt und deshalb nicht nach Europa passt. Kurzum, als halbwildes asiatisches Volk, freiheits- und demokratieunfähig.
Die Ausstellung in Frankfurt am Main widerlegt diese Auffassung. Sie zeigt, dass sich die Russen dem als Kommunismus ausgegebenen Regime nicht deswegen unterwarfen, weil seine Praxis ihnen zusagte oder aus fatalistischer Ergebenheit. Sie folgten ihm viel zu lange in dem guten Glauben, es verwirkliche ihren Traum von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Einen Traum, der in den Bildern von russischen Malern der Sowjetzeit seinen Ausdruck fand.
Der Verfasser glaubt, viele deutsche Ausstellungsbesucher werden animiert, sich erneut Gedanken zu machen über das national-sozialistische Kapitel der deutschen Geschichte. Denn nicht nur die Russen erlagen den Produkten einer staatlich kontrollierten Traumfabrik, sondern auch die Deutschen. Wenn beide Völker etwas gemeinsam haben, dann ist es wohl ein gewisser Idealismus. Freilich barg er die Gefahr der Verführung zu schrecklichen Missetaten.
3.
Die Mammutausstellung der sowjetischen und russischen Kunst in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts im Berliner Gropius Bau unterscheidet sich von jener in Frankfurt durch den chronologischen Rahmen, aber vor allem dadurch, dass hier viele dem Sowjetstaat nicht genehme Kunstwerke besichtigt werden können. Kunstwerke, die unter die Begriffe Modernismus und Postmodernismus fallen. Jetzt fragt sich mancher Besucher, was die sowjetischen Zensurbehörden bewog, die Bilder, Skulpturen und Installationen dieser Kunstrichtungen gehässig abzulehnen und die Kunstschaffenden erbittert zu verfolgen, als wären sie der Hölle entstiegen. Vermutlich, meint der Verfasser, war es dieselbe Angst , die zur Verdammung der Genetik, Kybernetik, Wahrscheinlichkeitstheorie, Psychologie und manch anderes Zweiges der modernen Wissenschaft führte. Die Angst vor Erkenntnissen, die sich nicht in Dogmen zwingen lassen.
Die Ausstellung im Gropius Bau dokumentiert das totale Fiasko dieser Politik. Vor allem in der Sphäre der Kunst. Sie dokumentiert, dass auch zu Zeiten der stalinistischen Diktatur und erst recht danach in Russland unter der Kruste der offiziellen Kunst eine rege Suche nach neuen Ufern stattfand. Die daran beteiligten Künstler riskierten dabei nicht nur brotlos zu werden. Das riskiert jeder innovative Künstler überall in der Welt. In der Sowjetunion riskierte er viel mehr. In den schlimmsten Jahren sogar seine physische Existenz. Und trotzdem forderten die russischen Künstler die Staatsmacht heraus. Denn sie wollten ein Teil der globalen Kulturlandschaft werden und verabscheuten die ihnen verordnete Provinzialität.
Das macht die Ausstellung „Moskau-Berlin. 1950- 2OOO“ im Berliner Gropius Bau sehr deutlich, denn sie zeigt auch deutsche Kunstwerke der Zeit. Und als Besucher staunt man darüber, wie parallel die Entwicklung verlief. Man staunt darüber, weil in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts der Kultur- und Kunstaustausch zwischen Deutschland und Russland unter dem Kuratel der engherzigen Zensur stand und Auslandsreisen nicht etablierter russischer Künstler so gut wie ausgeschlossen waren.
Trotzdem hielten die Russen Schritt mit der Entwicklung außerhalb der Sowjetunion. Auch wenn das mitunter Opfer und Mühe erforderte, von denen ihre Zunftkollegen im Westen keine Ahnung hatten.
Auch deswegen findet der Verfasser die Debatten im Westen darüber, ob das dem sowjetischen Republikverband entstammende Russland zum europäischen Kulturkreis gehört oder nicht, verletzend. Die Zweifler sollten sich die Ausstellung im Gropius Bau aufmerksam anschauen. Die liefert ihnen die Antwort. Und zwar nicht mit dem üblichen Hinweis auf die unvergängliche europäische, ja weltweite Bedeutung der Dichter wie Tolstoi und Dostojewski, oder Maler wie Repin und Serow, oder Komponisten wie Tschaikowski oder Rachmaninow und anderer russischer Klassiker. Denn auch Zeugnisse aus den späteren Zeiten, als Russland hinter dem Eisernen Vorhang schmoren musste, sprechen eine beredte Sprache.
Eigentlich zeugen die meisten Begegnungen mit der russischen Kultur in Deutschland davon. Begegnungen, die Deutschland einen privilegierten Zugang zu den russischen Kulturschätzen öffnen.
4.
Die im Verlauf des zu Ende gehenden Jahres in Deutschland präsentierten Zeugnisse des gegenwärtigen russischen Kulturlebens unterscheiden sich von den früheren, denen der Sowjetzeit, unter anderem durch eine breite Stimmungspalette. In der Sowjetzeit galt das Gebot des Optimismus. Etwa nach dem Refrain eines, damals immer wieder im Radio abgespielten Liedchens, der lautete, „Heute leben wird fröhlich, morgen werden wir noch fröhlicher leben“. Es erübrigt sich wohl zu sagen, dass dieses vorgeschriebene Lebensgefühl wenig mit der Realität zu tun hatte. Die Dichtkunst , die seit jeher viel mehr mit Kassandrarufen als mit Frohlocken zu tun hatte, wurde aber durch den verordneten Optimismus ihrer wichtigen Funktion beraubt. Und zwar, Signale des eventuell kommenden Unheils auszusenden, die von woanders nicht kommen können.
Wie zahllose literarische und andere Veranstaltungen des russischen Kulturjahres in Deutschland bezeugen, hat die russische Kunst inzwischen eine andere Schlagseite. Wie in den Werken Fjodor Dostojewskis oder Alexander Bloks, die gewaltige, opferreiche und zerstörerische soziale Erschütterungen in Russland prophezeiten, findet sich auch in Manifestationen der gegenwärtigen russischen Kultur selten Optimismus, Pessimismus aber zuhauf. Und glaubt man den düsteren Vorahnungen, sieht es mit Russlands Zukunft nicht gerade rosig aus. Denn zuviel wurde seit der Wende den eigennützigen, partikulären Interessen geopfert. Deswegen erhöhte die Systemtransformation soziale Spannungen, wie sie Russland seit dem Bürgerkrieg 1918- 1922 kaum erlebte.
Daran erinnert zum Beispiel der neue Streifen des renommierten russischen Filmmachers Wadim Abdraschitow „Magnetstürme“, der im Berliner Russischen Haus seine Deutschlandpremiere erlebte. Ohne sich der Sprache eines Plakats oder einer Tageszeitung zu bedienen, erzählt er in beeindruckenden Metaphern, wie der Raub am nationalen Eigentum während der kriminellen Privatisierung der Wirtschaft der Sowjetunion vor 10- 15 Jahren nicht nur das Lebensniveau der Russen, sondern auch ihre zwischenmenschlichen Beziehungen schwer belastete. Der Film erzählt, wie unter dem Einfluss rivalisierender Clans der Neureichen anstelle der Arbeitersolidarität in einem großen Betrieb Neid und Hass traten. Abdraschitow zeigt einen Bürgerkrieg en miniature, besonders hässlich, weil er den russischen Traditionen des Zusammenhalts zuwiderläuft. Schade, dass die russischsprachige Vorführung fast ausschließlich von in Berlin lebenden Russen besucht wurde. Denn auch dem deutschen Publikum könnte der Film die Augen darauf öffnen, mit welchen Gefahren die aus dem Westen ständig angemahnten Reformen in Russland schwanger gehen, wenn sie gegen das Volk oder mindestens am Volk vorbei gestaltet werden.
Als ein anderes Beispiel der sozial engagierten russischen Kunst sei hier eine szenische Lesung im Studio des renommierten Berliner Gorki-Theaters angeführt. Meisterhaft gelesen wurde ein Stück der Uraler Dramatiker, der Gebrüder Pressnjakow. Betitelt „Europa-Asien“, führt es dem Zuschauer eine lustige Gaunerbande vor. Sie spezialisiert sich darauf, am Obelisk an der Grenze zwischen Europa und Asien im Ural die westlichen Touristen auszunehmen, indem sie ihnen eine russische Hochzeit vortäuscht und um Geschenke für die Neuvermählten bettelt. Die Gauner sind keine arbeitsscheuen Penner, sondern aus der Bahn geworfene Universitätsprofessoren, die im neuen Russland überflüssig , weil hier nach der Wende andere Qualitäten als fundiertes Wissen gefragt wurden.
Der schwarze Humor des Stückes kam beim diesmal fast ausschließlich deutschen Publikum gut an. Es genoss jeden Dialog, jede Wendung des dynamischen Geschehens. Und als die szenische Lesung, übrigens von dem jungen Regisseur Andrej Lasarew in wenigen Stunden bühnenreif gemacht, zu Ende ging, gab es viel Applaus. Vielleicht kehrten manche Zuschauer mit ein paar Klischees über Russland weniger nach Hause zurück. Was übrigens dem Anliegen der Begegnungen mit russischer Kultur in Deutschland gar nicht zuwiderläuft.
5.
Das Jahr der Begegnungen mit der russischen Kultur in Deutschland geht seinem Ende entgegen. Da ist die Frage angebracht, was hat es bewirkt?
Hat es die Distanz zwischen den zwei größten Völkern Europas verkürzt? Hat es uns dem Ziel nähergebracht, das der seiner Zeit berühmte russische Dichter Iwan Turgenjew, ein großer Freund und Bewunderer Deutschlands, vor anderthalb Jahrhunderten in einem Vierzeiler ins Visier fasste? Er reimte:
„Einander fremd, obwohl sie sich gleichen,
sie wandern getrennt, so wie jeder es muss,
doch werden recht bald sie ein Ziel erreichen,
wo der Deutsche als Bruder umarmet den Russ“.
Der Verfasser dieser Beitragsreihe kann sich gut vorstellen, dass das Pathetische, vielleicht sogar das Sentimentale dieses Verses einem Zeitgenossen etwas übertrieben vorkommt. In den Beziehungen zwischen Russland und Deutschland wird gegenwärtig Pragmatismus groß geschrieben. Ihr Stand wird an der Dynamik politischer und wirtschaftlicher Zusammenarbeit, nicht an der Lautstärke poetischer Liebeserklärungen abgelesen. Und das ist gut so. Denn in den verflossenen Jahren tarnten die Letzteren gelegentlichen Stillstand oder sogar Rückschläge der Zusammenarbeit.
Und trotzdem, und nichtsdestoweniger... Pragmatismus in allen Ehren, doch geht es hier nicht um den mit Zahlen messbaren Güteraustausch oder um spitzfindige UNO- Resolutionen. Es geht um die Verständigung nicht nur zwischen den Eliten, sondern auch zwischen den sogenannten Menschen von der Strasse. Einer Verständigung, die auch dann Bestand haben soll, wenn die heutigen Handelsabkommen und UNO- Resolutionen in den Archiven landen.
Gewiss ist dieses Ziel auf Anhieb nicht zu erreichen. Aber angesichts des internationalen Gewichts Russlands und Deutschlands und ihres Beitrags zum Fortschritt der Weltzivilisation, ist keine Mühe zu groß, um ihm näher zu kommen. Ob am Ende der Deutsche den Russ als Bruder umarmet, wie Iwan Turgenjew es erträumte, wollen wir dahingestellt lassen. Ein kräftiger Händedruck wie zwischen zwei guten Freunden reicht auch.
Nur wenn wir diese Zielstellung im Auge behalten, erfassen wir die historische Bedeutung der Kulturbegegnungen mit Russland in Deutschland und der Kulturbegegnungen mit Deutschland in Russland- im nächsten Jahr.
Sie tragen zur Vergangenheitsbewältigung besonderer Art bei. Sie sollen die Defizite wettmachen, im Laufe von zwei, nein von drei Weltkriegen, wenn der kalte Krieg mitgezählt wird, entstanden, in denen sich Deutsche und Russen bekämpften. Und die Spuren von zwei Diktaturen beseitigen, die zwar verschiedenartig gestaltet, beide der Verständigung zwischen den Völkern nicht gerade von Nutzen waren.
Es gab auch früher Anläufe, eine tragfähige Kulturbrücke zwischen beiden Ländern zu bauen. Sie scheiterten aber daran, dass Deutschland und Russland konträre Vorstellungen von einer begehrenswerten Lebensweise hatten. Deswegen verkam der Kulturaustausch oft zu Bekehrungsversuchen und die Brücke stürzte ab.
Jetzt ist es anders. Jetzt gibt es keinen Grund, sich vor dem Schmuggel fremder Werte zu fürchten. Die Grundwerte sind dieselben geworden. Die Visionen der Zukunft schließen sich nicht mehr einander aus. Die russischen Kulturveranstaltungen in Deutschland haben es überzeugend bekräftigt.
Es besteht kein Zweifel daran, dass die kommenden Veranstaltungen der deutschen Kultur in Russland davon ein gleich lebendiges Zeugnis abgeben werden, wie es das russische Kulturjahr in Deutschland leistete.
Die Chance der tiefgreifenden und dauerhaften Verständigung ist einmalig. Es wäre eine Sünde, sie nicht zu nutzen. Eine Sünde gegen die Lebensinteressen beider Völker, des gesamten Europas, der ganzen Welt.
28.10.03
Was den Spätaussiedlern, den Deutschen aus Russland, auf der Seele brennt.
Man
mahnt uns, schneller Hochdeutsch zu lernen, uns ins Leben der deutschen
Gesellschaft einzufügen.
Es stimmt, ohne Kenntnis der Sprache des Landes, das uns aufgenommen hat, kann
es keine echte Integration geben. Aber wo
die Sprache lernen? In den letzten
acht Jahren ist der Zeitraum für Sprachkurse halbiert worden, Deutschland hat
kein Geld mehr dafür. Die Sprache Goethes oder Schillers lässt sich in so
kurzer Zeit wohl kaum erlernen. Es ist auch kein Geheimnis, dass die Lehrer der
Sprachkurse nur über eine einzige linguistisch-pädagogische Fähigkeit verfügen
– sie sind in Deutschland geboren. Aber das kann doch nicht das Ziel des
staatlichen Integrationsprogramms sein, so den Arbeitslosen wieder eine Beschäftigung
zu geben. Eigentlich geht es aber gar nicht so sehr um die Sprachkurse. Einige
Äußerungen verschiedener maßgeblicher Persönlichkeiten über unser
notwendiges schnelles Einleben in
die Gesellschaft wirft unwillkürlich die Frage auf, ob da einige Beamte
vielleicht Integration mit Assimilierung verwechseln?
Allen ist sicher der Aufruf des Fraktionsvizes der CDU-CSU Fraktion im Budestag Friedrich März noch erinnerlich, alle Kulturen im Lande der Leitkultur, will heißen, der deutschen Kultur, unterzuordnen. Darüber wurde damals heiß diskutiert. An welche Kultur sollen wir uns eigentlich anpassen? Ich kenne Aussiedler, die sich am ersten Tag ihres Lebens in der neuen Heimat zur Regel gemacht haben: zu Hause kein Wort Russisch, keinerlei Kontakte zu ehemaligen Landsleuten, alles Zurückliegende ausradieren und ganz von vorn beginnen. Und? Halten die Alteingesessenen sie für Deutsche? Weit gefehlt. Denn sie haben eine ganz andere Mentalität.
Hier einen Schüler zu verpetzen, der von seinem Nachbarn abschreibt, ist völlig normal, eignet der sich doch unentgeltlich fremde Arbeit an. Aufzustehen und seinen Platz anzubieten, wenn Ältere in die Straßenbahn oder in den Bus einsteigen, das kommt nicht in Frage, denn der Schüler saß ja zuerst. Doch anstatt den Schülern elementare Verhaltensregeln beizubringen, halten die Schulen Sexualaufklärung mit Vorführung an ausgestopften Puppen für weitaus wichtiger. Nimmt man noch die Präservativautomaten in den Schulen, die allgegenwärtige Tamponwerbung hinzu, muss man sich dann wundern, dass der Halbwüchsige in den Mädchen seiner Klasse nicht das Objekt der Bewunderung sieht, sondern nur des... Hier bleibt einem sogar die Sprache weg. Auch muss die tägliche Dusche nicht als große Errungenschaft der westlichen Kultur gepriesen werden. Sicher, Körperreinigung ist gut. Aber wo bleibt die Seelenreinigung?
Der hiesige evangelische Pastor findet es nicht gotteslästerlich, die Kirche mit Damenslips und Büstenhaltern zu schmücken, um so die Jugend zur Christenlehre Kirche zu locken. Mit seinen Predigten, Homoehen zu tolerieren, schockiert der Gottesdiener die „zurückgebliebenen“, nicht mehr ganz jungen Russlanddeutschen, die in letzter Zeit zunehmend aus den Kirchengemeinden austreten und ihre eigenen gründen, wo noch die alten christlichen Werte gepredigt werden, oder sie reisen nach Kanada aus. (Die deutschen Behörden verweigern übrigens manchmal solchen Gemeinden, leer stehende Kirchengebäude zu nutzen und überlassen sie lieber den Muslimen als Moschee). Etc. pp.
Die Integration ist ein auf gegenseitiger Annäherung beruhender Prozess. Aber wie kann davon die Rede sein, wenn z.B. die deutschen Medien regelmäßig und mit einer gewissen Genugtuung auf dem Thema „schreckliche Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion“ herumreiten und damit bei einem Millionenpublikum ausländerfeindliche Stimmungen anheizen?
Den Entschluss, nach Deutschland zu emigrieren, hat jeder der Russlanddeutschen für sich gefasst. Jetzt müssen wir auch selber entscheiden, ob wir den Weg der Anpassung an die moderne deutsche Gesellschaft gehen oder uns in die Notwendigkeit der Assimilierung schicken wollen, d.h. die Verschmelzung mit den hiesigen Deutschen und das Aufgeben der Kultur unserer Vorfahren, die Hunderte von Jahren in Russland lebten. Keine Frage, Verlust ist immer schlecht. Ist aber Gewinn immer gut?
Und noch etwas zu diesem Thema.
Ein
ambivalentes Liebesverhältnis
Russlanddeutsche könnten eine Brücke nach Europa schlagen
Der deutsche Verleger und Autor Waldemar Weber machte sich im deutschen
Sprachraum prangerte in seinem Buch „Die Zone der totalen Ruhe“
die organisierte Tötung der Wolga-Deutschen in Russland der Kriegsjahre
an.
In einem Referat ging er unlängst auf ihr, bzw. ihrer Nachfahren das gegenwärtige
Schicksal ein. Die Zahl der nach Deutschland gekommenen
Russlanddeutschen beziffert er samt den mittlerweile in Deutschland
geborenen Kindern mit sechs Millionen. „Sie alle könnten Verbindungen
zwischen Russland und Europa schaffen und somit zuverlässig eine Brücke
werden,“ schreibt er. Den Exodus führt er darauf zurück, dass die Hoffnung
der Wolgadeutschen auf Rehabilitierung und Autonomie sei trotz eines 1991
getroffenen Abkommens zwischen dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl und dem
russischen Präsidenten Boris Jelzin enttäuscht worden. Jelzin habe durch sein
Angebot, die Russlanddeutschen auf militärisch kontaminiertem Gebiet ansiedeln
zu lassen, diese regelrecht verhöhnt.
Und wie leben sie nun in den Weiten zwischen Garmisch und Flensburg, wie geht es ihnen, wie beurteilen sie die aktuelle deutsche (Minderheiten-)Politik? Die Antwort ist differenziert: Zwar sei diese nationale Gemeinschaft Deutschland heute sehr dankbar für deren Aufnahme in den letzten Jahren, die Politik Deutschlands könne man allerdings nicht begreifen. Russlanddeutsche würden immer noch verleumdet, ihr intellektuelles Potenzial nicht gefördert, sondern eher unterdrückt.
23.11.03
DIE KONFERENZ
In Berlin fand die zweitätige Jahreskonferenz des Deutsch- Russischen Forums statt, der einflussreichen gesellschaftlichen Vereinigung zur Pflege der deutsch- russischen Beziehungen und Vertiefung der Verständigung zwischen beiden Ländern.
Das besondere an der Konferenz war die sonst nicht immer bei solchen Anlässen vorgebrachte Unterschiedlichkeit der Meinungen, vornehmlich zu ihrem Thema, der Rolle der Bürgergesellschaft in Russland und Deutschland. Die russischen Teilnehmer verwahrten sich gegen die im Westen verbreitete Meinung, Russland stehe erst am Anfang der Geschichte einer Gesellschaft, die sich mit der Staatsmacht nicht deckt und fähig ist, diese notfalls in die Schranken zu weisen. Juri Piwowarow, Direktor des Moskauer Instituts für wissenschaftliche Information über die Geisteswissenschaften, vertrat den Standpunkt, sogar in der Epoche der Selbstherrschaft brachten es die Russen fertig, die Willkür des Staates zu bändigen und Urformen einer Bürgergesellschaft einzuführen, auch wenn diese wenig von den westlichen Institutionen hatten. In diesem Zusammenhang erwähnte er die russische Dorfgemeinschaft, den sogenannten „Mir“, der dem russischen Bauernideal der sozialen Gerechtigkeit entsprach. Erst recht spielte die in Institutionen nicht organisierte Öffentlichkeit eine Rolle bei der Erneuerung Russlands am Ende des vorigen Jahrhunderts. Prof. Piwowarow wurde vom Präsidenten der russischen Geisteswissenschaftlichen Universität, Juri Afanassjew, einem der aktivsten Teilnehmer der Perestroika, unterstützt. Dieser verwies darauf, dass sich die westlichen Begriffe dafür wenig eignen, die anders geartete russische Geschichte und die Gegenwart zu analysieren und deswegen oft zu Fehldeutungen der westlichen Kollegen führen. Professor Afanassjew hob hervor, dass es nicht darum geht, Russlands Standort außerhalb Europas zu begründen, sondern, im Gegenteil, diesen Standort zu finden, ohne die Besonderheit Russlands als eventuelle Bereicherung der europäischen politischen Kultur zu unterdrücken.
Zustimmung der Teilnehmer fand das Grundsatzreferat von Jewgenij Jassin, Wirtschaftsminister Russlands a.D. Er sprach zum Thema „Freier Bürger ein Motor der Wirtschaftsentwicklung“. Jassin bezeichnete die Wirtschaftsentwicklung Russlands in der Amtszeit Putins als erfolgreich und führte dies darauf zurück, dass es dem Präsidenten gelungen ist, den Kurs auf liberale Reformen in Russland beizubehalten.
An der Konferenz in Berlin nahmen namhafte deutsche Wissenschaftler teil, darunter der sächsische Ministerpräsident a.D. Kurt Biedenkopf und Prof. Klaus Segbers vom Osteuropa- Institut der Freien Universität Berlin. Den angeregten und zum Teil kontroversen Meinungsaustausch moderierte Prof. Heinrich Vogel von der Stiftung Wissenschaft und Politik. In seinem Schlusswort hob er hervor, dass die Ausführungen der russischen Teilnehmer seine deutschen Kollegen bewegen werden, die eingewurzelte Vorstellung, Russland müsse sich vorbehaltlos an westlichen Mustern orientieren, zu überdenken.
Insgesamt verlief diese Jahreskonferenz des Deutsch- Russischen Forums nicht nur in einer freundschaftlichen Atmosphäre, sondern stellte diesmal auch einen echten Diskurs über grundsätzliche Probleme des Gedanken- und Erfahrungsaustausches zwischen den zwei großen Nationen unseres Kontinents dar, der Kreativität der Russen und Deutschen angemessen.
26.9.03
An zwei Tagen in Folge fanden in Berlin zwei Veranstaltungen statt, die in einem gewissen Zusammenhang standen.
Die erste wurde vom Deutsch-Russischen Forum und von der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit bestritten. Die eingeladenen deutschen Russlandforscher, lauter bekannte Namen, versuchten eine Antwort auf die Frage zu finden, warum die Transformation Russlands den im Westen gehegten oder wenigstens zum Ausdruck gebrachten Hoffnungen nicht entsprach. Sie meinten, es läge daran, dass Russland die abendländischen Ideale der Demokratie und der Menschenrechte verschmähte. Besonders enttäuschend fanden sie die Ergebnisse der letzten russischen Parlamentswahl.
Die unbefriedigende Entwicklung Russlands lasteten die Russlandforscher der russischen Urmentalität an. Die Russen hingen von jeher dem Traum von einem gerechten, alles regelnden Staat nach und scheuten die individuelle Verantwortung fürs Wohlergehen des Heimatlandes. Die Wurzeln dieser Haltung machten die Forscher in der tiefsten Vergangenheit aus, als Russland die christliche Orthodoxie von Byzanz übernommen hatte. Seit dem seien die Russen vom Byzantinismus so geprägt worden, dass die ganze Mühe des Westens, ihr Land zu modernisieren, nichts bringt. So hörte sich, trotz einiger Meinungsverschiedenheiten in Details, das harte Urteil der deutschen Professoren an.
Die andere Veranstaltung fand tags davor in der Berliner Residenz der Deutschen Bank statt. Sie lief unter dem etwas zugespitzten Motto „Ist Ostdeutschland noch zu retten?“
Die vom Märkischen Presseklub eingeladenen führenden Experten aus Politik und Wirtschaft, darunter Bundesminister Manfred Stolpe, lange Zeit für den Aufbau Ost verantwortlich, boten dem Publikum ein deprimierendes Panorama der Zustände in den neuen Bundesländern. Wirtschaftliche Stagnation. Eine fast doppelt so hohe Arbeitslosigkeit wie in den alten Bundesländern. Notleidende Kommunen. Bevölkerungsflucht in den Westen. Kurzum ein Bild der Verwahrlosung, das in keiner Weise an die bei der deutschen Wiedervereinigung versprochenen blühenden Landschaften erinnert. Obwohl die alten Bundesländern den neuen mehr als 1500 Milliarden D-Mark zukommen ließen.
Man fragte sich, was ist denn daran Schuld? Das falsche Erbgut der Ostdeutschen bestimmt nicht. Sie haben kein anderes als die Westler. Der Traum von einem alles einrichtenden Staat lähmte hier das Individuum nicht. Bekanntlich, wurde im ehemaligen Preußen die protestantische Ethik großgeschrieben, wonach jeder seines Glückes eigener Schmied sein sollte. Dennoch hat man hier jetzt große Schwierigkeiten. Im Kern fast dieselben wie Russland.
Deshalb ist es wohl verständlich, dass manche Zuhörer im GTZ daran zweifelten, dass die Probleme der Transformationsländer und -gegenden im alten unabänderlichen Erbgut wurzeln. Eher, meinten sie, liegen die Ursachen der Misere in den politischen und sozialen Begleitumständen der vollzogenen Systemtransformation. Diese haben sich nicht gerade als günstig erwiesen. Sie sind aber nicht nur von Russland oder Ostdeutschland verschuldet.
26.1.04
In Berlin hielt ein ranghoher deutscher Diplomat einen Vortrag über die deutsch-russischen Beziehungen.
Es geschieht hier wie andernorts nicht oft, dass Beamte des Auswärtigen Amtes in die Öffentlichkeit gehen. Vermutlich tun sie es nur, wenn der Gegenstand der Erörterung eindeutig ist. Wie im Referat des Botschafters Dr. Norbert Baars über die deutsch-russischen Beziehungen. Er hielt es im Spittelkolonnadenclub Berlins vor einem zahlreich erschienen Publikum.
Nach seiner Einschätzung hat kein anderes europäisches Land ein derart intensives und konstruktives Verhältnis zu Russland wie die Bundesrepublik Deutschland. Und zwar in allen Dimensionen der beiderseitigen Beziehungen. Regelmäßig finden politische Konsultationen auf allen Ebenen, einschließlich der höchsten, statt. Die Standpunkte seien zumeist kompatibel. Wenn nicht, werden sie offen ausdiskutiert, wobei die Diplomaten sich mit Erfolg um einen akzeptablen Kompromiss bemühen.
Gedeihlich entwickelt sich die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Deutschland ist der größte Handelspartner Russlands und der größte Investor in die russische Wirtschaft. Nicht nur die Bundesregierung, sondern auch die deutschen Geschäftsleute sind mit den Ergebnissen des Engagements in Russland zufrieden. Zumal angesichts der gegenwärtigen Stagnation auf dem Weltmarkt, die Russland offensichtlich nicht so hart trifft wie Deutschland.
Von Jahr zu Jahr erweitert sich der Kulturaustausch. Bei der jüngsten Zusammenkunft des deutschen Bundeskanzlers und des russischen Präsidenten in der Uralstadt Jekaterinburg wurden neue Vereinbarungen in dieser Sphäre erzielt. Zum Teil sind sie bereits in Gesetze und Verordnungen umgesetzt.
Besonders hob Dr. Baars die Übereinkunft über die Eröffnung des deutschen Generalskonsulats in Kaliningrad (früher Königsberg) hervor. Nach seiner Auskunft zögerte die russische Seite, dem diesbezüglichen deutschen Verlangen entgegenzukommen. Dennoch ist jetzt alles in Sack und Tüten. In wenigen Wochen reist der Amtschef des Referenten, Außenminister Joschka Fischer, nach Kaliningrad, um sich an einer Ehrung des prominentesten Königsbergers, Immanuel Kant, zu beteiligen und gleichzeitig das Generalkonsulat einzuweihen.
Die russisch-deutschen Beziehungen will Dr. Baars im Schoß der Europäischen Union gut aufgehoben wissen. Mit Genugtuung stellte er fest, dass Russland nicht der Versuchung nachgab, das Verhältnis zu Deutschland auszuspielen, um einen Druck auf die EU zu üben. Das wäre konterproduktiv. Insbesondere zu einem Zeitpunkt, da durch die anstehende Osterweiterung auf die Union große Probleme zukommen.Eine engere Anbindung Russland die EU braucht Zeit, aber sie kommt wie das Amen in der Kirche.
Der deutsche Diplomat schätzte das gemeinsame Handeln Russlands, Deutschlands und Frankreichs während der Irak-Krise positiv ein. Die Troika sei kein Kind der politischen Konjunktur. Sie spiegelte die Nähe strategischer Positionen der beteiligten Länder wider. Jetzt kommt es darauf an, die mehrmals verkündete strategische Partnerschaft im politischen Alltag zu verankern.
Einen Teil des Vortrags widmete der Referent der deutschen Interessenlage in Zentralasien und im Kaukasus. Hier gilt es, einen Wettlauf um Einfluss zwischen Ost und West zu vermeiden. Obwohl die Medien gern auf ein angeblich vorhandenes Konfliktpotenzial mit Russland in diesen Regionen spekulieren, sah er hier die wachsende Übereinstimmung der anvisierten Ziele. Wie in anderen Krisenregionen der Welt übrigens auch. Bis auf Tschetschenien, da Deutschland sich eine zuverlässige friedliche Regelung in dieser nordkaukasischen Autonomie wünscht. Es bemüht sich, Russland vor einem Übermaß an Gewalt im Vorgehen gegen die tschetschenischen Terroristen abzuhalten.
Dr. Baars betonte die Bedeutung der gemeinsamen Wertvorstellungen als ideelle Grundlage des Zusammenwirkens beider Länder. Dennoch sprach er sich für ein realistisches Herangehen an diese Voraussetzung der stabile Partnerschaft aus. Russland wird nie ganz so sein wie westeuropäische Länder und hat das Recht auf die geschichtlich gewachsene Eigenart. Aber wenn die EU der Reformpolitik der russischen Regierung weiterhin mit Verständnis und Unterstützung begegnet, wird sich Russland Europa weiter nähern.
Das dem Referat folgende Frage- Antwort- Spiel zeigte, dass die Zuhörer Dr. Baars wie wohl auch viele andere Berliner über die deutsch-russischen Beziehungen gut im Bilde sind und sich ihre weitere Festigung aufrichtig wünschen.
28.1.04
Im Berliner Hotel „Adlon“ fand die Jahresversammlung des Deutsch-Russischen Forums statt.
Als Festredner lud der einflussreiche Verein zur Pflege der Beziehungen zwischen Deutschland und Russland den Stellvertretenden CDU-Fraktionsvorsitzenden Dr. Wolfgang Schäuble ein. Um dem bekannten Politiker zuzuhören, der seiner Zeit maßgeblich an der Einleitung neuer Beziehungen zwischen Deutschland und Russland beteiligt war, kamen einige hundert Zuhörer in den geräumigen Palaissaal des Hotels „Adlon“. Zumeist Berlins politische Prominenz. Die hohen Erwartungen wurden nicht enttäuscht. In einer Zeit, wo sich ein beträchtlicher Teil der deutschen Medien mit kleinkarierten Spekulationen über die Zusammensetzung des Parlaments oder den Ablauf der Präsidentschaftswahl Russlands beschäftigt, sprach Dr. Schäuble über Dinge, die weit über das politische Tagesgeschäft hinausgehen. Vor allem über die grundlegenden Voraussetzungen zur weiteren Festigung der Beziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union im allgemeinen, Russland und Deutschland im besonderen. Einer Festigung, die er als ein Muss für Europa bezeichnete, wenn es seine Probleme im XXI. Jahrhundert lösen, seine Sicherheit gewährleisten und im internationalen Wettbewerb bestehen will.
Unter anderem hob Wolfgang Schäuble die Notwendigkeit hervor, die russische politische Kultur zu respektieren und an Russlands Demokratie keine realitätsfernen Forderungen zu stellen. Forderungen, die, wie er etwas bitter vermerkte, in Deutschland selbst noch nicht erfüllt sind. Mehrmals wiederholte er die Aufforderung an die politische Klasse Deutschlands, Russland gegenüber auf die arroganten, wie er sich ausdrückte, Lehrmeisterallüren zu verzichten und die russische Eigenart zu akzeptieren. Die durch die Geschichte entstandene besondere Prägung Russlands, wie auch die der anderen europäischen Länder sei kein Hindernis bei der europäischen Integration. Vielmehr ist die Vielfalt eine Quelle der Bereicherung Europas, betonte der nicht nur in seiner Partei geachtete Politiker. Ein grenzübergreifender Konsens über die Grundwerte sei zwar unverzichtbar, aber das berechtigt nicht dazu, ständig nach Haaren in der Suppe zu suchen.
Sollten die Berichte über die derzeitige Einengung der Freiräume in Russland oder über die Unverhältnismäßigkeit der von ihm im Kampf gegen die Terroristen in Tschetschenien angewendeten Mittel auch stimmen, ist es noch kein Grund, sich in Selbstgerechtigkeit zu üben und ständig die Leviten zu lesen.
Auch die gegenwärtigen, von den Medien hochgespielten Meinungsunterschiede über die Gestaltung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Russland und den neuen EU- Mitgliedern aus Osteuropa und dem Baltikum dürfen nicht überbewertet werden. Es gehe hier darum, einen fairen Interessenausgleich zu finden.
Quasi als Fazit seiner Sicht der Dinge mahnte Dr. Schäuble, der Versuchung zu widerstehen, aus der momentanen Schwäche des strategischen Partners im Osten Nutzen ziehen zu wollen. Man darf keinen Augenblick aus den Augen verlieren, dass Deutschland vitales Interesse an einem starken Russland habe.
Gleichzeitig befürwortete Dr. Schäuble die weitere Festigung der transatlantischen Eingebundenheit der EU, die seiner Meinung nach der vertrauensvollen Partnerschaft mit Russland nicht im Wege steht.
Nach dem mit Applaus aufgenommenen Vortrag fand die alljährliche Verleihung des Haass-Preises des Deutsch- Russischen Forums statt. Diesmal erhielt den nach dem in Russland des XIX. Jahrhundert tätigen deutschen Philanthropen benannten Preis der Hamburger Theologieprofessor Erzbischof Georg Kretschmar, ehrenamtlicher Leiter der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Russland. In der Würdigung seiner Verdienste fand der von ihm mitgepflegte Dialog mit der russisch-orthodoxen Kirche Erwähnung. Nicht zuletzt dank seiner Gesprächsbereitschaft und Verhandlungskunst sei es ihm gelungen, beim Aufbau von lutherischen Gemeinden in Russland erfolgreich mitzuwirken.
Erzbischof Kretschmar reihte sich zu den früheren Preisträgern des Deutsch-Russischen Forums, die sich um die Entwicklung der deutsch-russischen Beziehungen verdient gemacht haben. Das waren der Publizist Thomas Roth, der Kosmonaut Sigmund Jähn, der Wirtschaftsmanager Otto Wolff von Amerongen, der frühere Brandenburger Ministerpräsident Manfred Stolpe. Unter den Russen waren es der Schriftsteller Wladimir Woinowitsch und der Moskauer Bürgermeister Jurij Luschkow.
Der festliche Abend klang mit einem Konzert aus. Absolventen renommierter russischer, weißrussischer und deutscher Hochschulen trugen u.a. Werke von Haydn, Tschaikowski und Prokofjew vor.
5.3.04
Auf diese Formel brachte ein Teilnehmer des Podiumsgesprächs in den Berliner Räumen der Deutschen Bank die Meinungen der deutschen Öffentlichkeit über die Ergebnisse der russischen Parlamentswahlen. Schockiert zeigten sich über das Scheitern der liberalen Parteien in Russland westliche Medien, Geschäftskreise dagegen, vor allem die unmittelbar betroffenen, das heißt die in Russland engagierten, blieben gelassen.
Die Scheidungsgrenze zeigte sich deutlich auch im Podiumsgespräch selbst, veranstaltet von der Vereinigung deutscher und russischer Ökonomen „Dialog“, gesponsert von Daimler-Benz und einigen anderen deutschen Konzernen. So sprach der Moskauer Korrespondent der „Welt“ in einem dramatischen Tonfall darüber, dass sich Russland wiederum von den im Westen üblichen Spielregeln der Demokratie entfernte. Aus der Tatsache, dass der Kreml im Weißen Haus keine starke Opposition mehr zu erwarten hat, schlussfolgerte er die Schwächung des politischen Fundaments der freien Marktwirtschaft und in einem weiteren Gedankenflug auch die Gefährdung des Investitionsgeschäftes in Russland. Dabei führte er die skandalträchtige Affäre mit dem Ölkonzern JUKOS als Alarmzeichen an, die bekanntlich in der Verhaftung des schwerer Steuerhinterziehung beschuldigten Konzernchefs Michail Chodorkowski gipfelte.
Obwohl der Warner seine Stimme nicht in der Wüste, sondern in einem dicht besetzten Konferenzsaal erhob, fand er wenig Echo. Andere Teilnehmer des Podiumsgesprächs (Vertreter der Moskauer Repräsentanzen der Weltbank, der Continental AG, der Vereinigung der deutschen privaten Bausparkassen u.a. ), vom Vorgehen gegen JUKOS alles andere als begeistert, taten nichtsdestoweniger die Affäre als Episode ab. Die Wogen würden sich glätten und schließlich siegt das Business as usual. Sogar besser „as usual“, da das Wählervotum die bevorstehende Wiederwahl Putins signalisiert, auf den Geschäftsleute große Stücke halten. Schließlich fallen in seine Amtszeit die Überwindung des Reformstaus, die Herabsetzung der Unternehmensbesteuerung, die Erleichterung des Gewinnstransfers, die Belebung des Immobilienmarktes und vieles andere, was gute Geschäfte verspricht. Da er den Provinzfürsten mehr Respekt gegenüber den Entscheidungen des Kremls abverlangte, ist das Geschäftsumfeld auch außerhalb der Metropolen viel besser geworden.
Dagegen nehmen sich die gegenwärtigen Demokratiedefizite wie die Gleichschaltung der Fernsehprogramme, massive Beeinflussung der Wähler durch die Exekutive u.s.w. nicht sehr bedeutend aus. Man dürfe Russland nicht mit der westlichen Meßlatte messen. Das sei geschäftsschädigend. Nur eine hart durchgreifende Exekutive, deren Repräsentanten nicht unbedingt mit dem Gesetzbuch unterm Arm herumlaufen, kann in Russland die Sabotage der eigensinnigen Bürokratie brechen. Es wäre töricht, den liberalen Dogmen des Abendlandes die Interessen des Russlandgeschäfts zu opfern. Noch dazu in einer Zeit der weltweiten Flaute, die Russland anscheinend verschont.
In Übereinstimmung mit dieser Erkenntnis stand die von den meisten Firmenvertretern zum Ausdruck gebrachte Absicht, das Engagement in Russland nicht nur nicht runterzufahren, sondern zu erweitern. Den Fuß in der Türspalte zu halten, genügt nicht mehr, jetzt gilt es, energisch hineinzugehen. Mögen die derzeitigen Dividenden noch bescheiden sein, die Zukunft werde die Risikobereitschaft belohnen. Russland ist groß und reich, auch wenn seine Reichtümer noch weitgehend brach liegen. Es verfügt über hoch qualifizierte, aber billige Arbeitskräfte. Da Putin sich offensichtlich bemüht, die Einkünfte der Bevölkerung zu heben, darf man getrost auf die Erweiterung des russischen Marktes spekulieren.
In einem Russland, das aus dem Tal der Tränen hinauskommt, lautet die Devise, den Konkurrenten, insbesondere denen aus Übersee, den Vortritt streitig zu machen.
Dahingehende Äußerungen wurden durch makroökonomische Daten untermauert. Mit Hinweisen auf Russlands Wirtschaftswachstum von 6,7 Prozent, drei bis vier Mal höher als der europäische Durchschnitt. Die abnehmende Kapitalflucht, die zwischen 2000 bis dato von 25 Milliarden USD auf 6,7 Milliarden USD pro Jahr zurückging. Die gestiegenen Gold- und Devisenrücklagen des Staates (ums Sechsfache seit 2000). Die rapide sinkende Außenverschuldung (auf 27 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, also viel niedriger als in den meisten, sogar prosperierenden Ländern, von den USA schon gar nicht zu sprechen).
Vor diesem Hintergrund verblassten die in Presseberichten immer wieder strapazierten, auch von den Teilnehmern des Podiumsgesprächs durchaus nicht verschwiegenen Troubles des deutschen Geschäftsalltags in Russland: die Korruption der Beamten, die Neigung der russischen Unternehmer zu Vertragsbrüchen, das unausgereifte Schlichtungswesen, die zweifelhafte Justiz. Diese Missstände sollten dennoch die Lust am Russlandgeschäft nicht verderben. Umso weniger, da ein gewiefter und kreativer deutscher Geschäftsmann durchaus Wege findet, die Riffe zu umschiffen. Insbesondere, wenn er zu den Geheimnissen der russischen Seele vorstößt.
Das Publikum des Podiumsgesprächs, vorwiegend Studenten, die Wirtschaftswissenschaften mit Hinblick auf Russland oder Russistik mit Hinblick auf das Geschäft studieren, lauschte gespannt den Äußerungen, die sich von den einschlägigen Pressebeiträgen oder Professorenvorlesungen dem Inhalt und der Tendenz nach wesentlich unterschieden.
18.1.04
Konferenz russischer und deutscher Städtebauer in Halle
350 Experten kamen in Halle zusammen, um Erfahrungen auszutauschen. Leicht fanden sie eine gemeinsame Sprache, da sie das gleiche Anliegen haben. Sowohl in Ostdeutschland als auch in Russland geht es darum, in möglichst kurzer Zeit für viele Millionen Menschen eine neue Wohnumgebung zu schaffen und dabei nicht nur den historisch bedingten Rückstand zu überwinden, sondern auch den modernsten Anforderungen zu entsprechen.
Wie führende Architekten und Kommunalpolitiker aus Russland in Halle ausführten, hat Russland auf diesem Wege beträchtliche Fortschritte zu verzeichnen. Besonders in Moskau, wo in verhältnismäßig wenigen Jahren der Stadtkern saniert und modernisiert wurde. Jetzt ist die russische Hauptstadt in vielerlei Hinsicht eine der beeindruckendsten Metropolen Europas geworden.
Auch in Sankt Peterburg ist viel geschehen, insbesondere im Zuge der Vorbereitung zu den Feierlichkeiten der 300-Jahrfeier der Stadt. So hat der für den Städtebau zuständige deutsche Bundesminister Manfred Stolpe wohl nicht übertrieben, als er hervorhob, dass nicht nur die deutschen Erfahrungen für Russland, sondern auch die russischen für Deutschland wertvoll sind.
Ein anderer Aspekt der russisch-deutschen Zusammenarbeit bei der Sicherung der nachhaltigen Entwicklung der Städte besteht in der Kooperation der einschlägigen Industrien. Die deutschen Teilnehmer der Konferenz in Halle verheimlichten nicht, dass der in einer permanenten Krise befindlichen deutschen Bauindustrie viel an russischen Aufträgen liegt. Auch wenn vieles bereits zufriedenstellend läuft, könnten noch mehr Reserven ausgeschöpft werden, denn Russland hat ein Mammutprogramm zur Städtesanierung beschlossen, zu dessen Realisierung deutsche Lieferungen eine Menge beitragen können. Vor allem für Bauprodukte, moderne Heizungstechnologie und den Anlagenbau aus Deutschland eröffnen sich hiermit neue Chancen.
Auf der Konferenz wurden die Partnerschaftsbeziehungen der deutschen und russischen Städte lobend erwähnt. Bis auf wenige Ausnahmen gehen sie über die üblichen Freundschaftsbekundungen weit hinaus. In vielen Fällen entwickelt sich eine sachliche Zusammenarbeit, die sowohl der russischen, als auch der deutschen Wirtschaft nutzt.
Eine gemeinsame Erklärung zum Abschluss der Konferenz schafft einen festen Rahmen für gemeinsame Projekte. Eine neue Internet-Plattform soll es ermöglichen, Informationen schnell und unbürokratisch auszutauschen. "Mit den jetzt in Angriff genommenen organisatorischen Maßnahmen werden wir den Sanierungs- und Bauvorhaben in Russland und der Zusammenarbeit der beiden Länder einen kräftigen Anstoß geben", erklärte Stolpe. Eine Folgekonferenz wird im Juni diesen Jahres in St. Petersburg stattfinden.
27.2.04