ZWEITE FORTSETZUNG
MIT RÜCKSCHLÄGEN, ABER VORWÄRTS. AUS DER CHRONIK DER DEUTSCH-RUSSISCHEN BEZIEHUNGEN EINES JAHRES.
1.
Bekanntlich war das Jahr 2004 in Russland von Anschlägen des international agierenden Terrorismus überschattet. Die Liste seiner Verbrechen in Russland ist lang. Das schlimmste ereignete sich in der südrussischen Stadt Beslan. Hier wurden nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder ermordet oder verkrüppelt.
Von allen Ländern, die mit Russland gute Beziehungen pflegen, hat ein Land besonders überzeugend sein Mitgefühl zum Ausdruck gebracht. Es war Deutschland. Es bekundete seine Solidarität verbal und mit Taten. Sie spiegelte sich in der gemeinsamen Erklärung des deutschen Kanzlers und des russischen Präsidenten, die einen Katalog von Vorkehrungen gegen den Terrorismus enthielt. Sie war auch in Kundgebungen der deutschen Öffentlichkeit vor russischen Vertretungen in Berlin, München und anderen deutschen Städten erlebbar. Auch in der deutschen Hilfe bei der Bereitstellung von medizinischer Notversorgung unmittelbar am Ort der Tragödie. In der Aufnahme von verletzten Kindern aus Beslan in deutschen Kliniken. Und auch in Spendensammlungen für Opfer, zu denen Kirchen und karitative Vereinigungen aufgerufen hatten.
Der
Verfasser hat einer solchen Spendensammlung in einem uckermärkischen
Dorf beigewohnt, das wahrlich nicht zu den wohlhabendsten
in Deutschland gehört. Die Bauern, die hier spendeten, sind durch
Jahrhunderte gewöhnt, jeden Pfennig mehrmals umzudrehen, bevor sie ihn
ausgeben. Jetzt, wo hier wie auch anderswo im Lande wirtschaftlich schwere
Zeiten angebrochen sind, tun sie es erst recht. Trotzdem war das Spendengefäß,
das eine Kirchendienerin während des Erntedankgottesdienstes durch die Reihen
trug, schnell voll. Und wie der Verfasser feststellen konnte, indem er auf den
Inhalt schielte, nicht nur Münzen lagen drin, sondern auch viele Scheine.
Selbstverständlich ist Russland auf Spenden nicht mehr so stark angewiesen wie früher. Es geht im Land wirtschaftlich aufwärts. Der russischen Regierung steht genug Geld zur Verfügung, um alles nach Beslan herbeizuschaffen, was die schwer betroffene Stadt braucht. Trotzdem war die deutsche Hilfe alles andere als überflüssig. Denn sie war ein Beweis der Freundschaft, die in der Stunde der Not durch nichts zu ersetzen ist.
Übrigens erwies Deutschland damit nicht nur den Russen einen guten Dienst, sondern allen in der Welt, die sich wünschen, dass Russlands Weltoffenheit erhalten bleibt. Dass in Russland nicht jene Kräfte die Oberhand gewinnen, die sich von der Mentalität einer belagerten Festung viel versprechen. Kräfte, die darauf hinarbeiten, dass sich Russland einigelt, in Verbitterung verharrt, dem Fremdenhass verfällt.
Die tatkräftige Solidarität Deutschlands unterstützte jene politischen Kräfte in Russland, die sich nach den grausamen Terroranschlägen erst recht um internationale Kooperation, um die Konsolidierung konstruktiver Kräfte im Inland und Ausland bemühen. Um eine Politik, die Russlands Wandlung nach der Abschaffung des Sowjetsystems fortsetzt. Eine Politik, die der Wandlung in Europa beiträgt. Einer Wandlung, die ihren markantesten Ausdruck im Entstehen eines geeinten und souveränen, Russland freundlich gesinnten Deutschlands fand und alle einst unüberwindbar scheinenden Hindernisse fürs Zusammengehen beider Staaten aus dem Weg räumte.
Die Solidarität Deutschlands mit Russland in der Stunde der Not trug zur positiven Entwicklung in Russland bei. Im Unterschied zu den lauten Angriffen auf die russische Regierung in einigen deutschen Medien, die mitunter zu Angriffen auf Russland ausarteten. Diese Angriffe offenbarten ein Defizit der europäischen Werte nicht in Russland, sondern eher bei den Lehrmeistern selbst. Denn zu diesen Werten gehört Toleranz, die voraussetzt, dass man nicht voreilig bei der Verteufelung des anderen ist.
Man kann sich darüber nur freuen, dass in Russland eine gereizte Reaktion ausblieb. Bewies dies doch die Stabilität der deutsch-russischen Beziehungen in einer instabilen Welt.
2.
Im Jahr 2004 fanden in Deutschland wieder viele Begegnungen mit der russischen Kultur statt. Erfreulicherweise setzte sich damit der Trend des Jahres 2003 fort, als sich unzählige russische Theater-, Musik- und Tanzproduktionen in Deutschland präsentierten. Die Ensembles kamen nicht nur aus den Metropolen Moskau und Sankt- Petersburg, sondern auch aus der tiefsten russischen Provinz, sogar aus Gegenden weit hinter dem Ural. Insgesamt widerspiegelten alle Auftritte die Höhen und Tiefen der gegenwärtigen russischen Kulturlandschaft.
Die
russische Kunst präsentierte sich nicht nur auf großen Bühnen Deutschlands
und in bekannten Galerien. Kein
populäres Tanzcafe versäumte es, sein Stammpublikum mit einer russischen
Rockband zu erfreuen. Kaum eine Bibliothek,
die keine Lesung russischer Autoren
veranstaltete. Buchstäblich jeden Tag traten in Deutschland
bedeutende und weniger bedeutende Künstler aus Russland auf. Und
dies geschah nicht nur unter
der Regie entsprechender
Ministerien in Moskau und Berlin, sondern auch außerhalb der festgelegten Pläne.
Quasi im Selbstlauf. Die Regierungsinstanzen sorgten nur für die Zündung eines
Feuerwerks, das jetzt- etwas pathetisch gesagt- dem Himmel des Kulturlebens in
Deutschland neue farbige Lichter verleiht.
Allerdings denkt der Verfasser insgeheim, dass es besser gewesen wäre, hätten die deutschen Veranstalter weniger den Gurus der russischen Postmoderne, sondern eher den Künstlern Vortritt gewährt, die in der Tradition der russischen Klassik stehen. In der Tradition von Lew Tolstoi, Anton Tschechow, Alexander Ostrowski und anderer aus der Kohorte. Sie sind in einem Deutschland, in dessen Werteskala die Menschlichkeit obenan steht, keinesfalls unzeitgemäß geworden.
Aber man will nicht meckern. Wenn auf den Bühnen und in Galerien Deutschlands nicht nur das wertvollste Kulturgut Russlands präsent war, sondern auch umtriebige Popstars aus Russland ihre Kunst feilboten, ist das kein Unglück. Die Popkunst hilft, zwischen der deutschen und der russischen Jugend eine Brücke zu bauen. Unter diesem Gesichtspunkt trägt auch die Musik aus Russland, die einen Peter Tschaikowski entsetzt hätte, einer guten Sache bei.
Allerdings kam die russische Klassik in Deutschland im Jahre 2004 nicht zu kurz. Um sich davon zu überzeugen, reicht es im Spielplan der Staatsoper Unter den Linden zu blättern oder sich das Programm des Tschechow- Festivals im Sterbeort des Dichters, in Badenweiler, anzugucken, das übrigens unter der Teilnahme des berühmten Moskauer Künstlertheaters lief.
Besonders erfreulich findet der Verfasser, dass der moderne russische Film in die deutschen Kinos kommt. Vorläufig sind es nur erste Schwalben, aber es ist zu hoffen, dass sie einen Frühling verkünden.
Die russischen Filmproduktionen werden, auch wenn es vorläufig eher Glücksfälle sind, immer russischer. Neben der billigen Unterhaltung sind es Streifen, die die Sehnsüchte und Erlebnisse der vielzitierten russischen Seele artikulieren. Und was den Verfasser bei den Vorführungen freudig überraschte, gerade diese Filme werden in Berlin gut besucht.
Wenn sich der Trend des Jahres 2004 fortsetzt, wird eine neue Qualität der Wahrnehmung Russlands in der deutschen Bevölkerung erreicht. Die in den Jahrzehnten der Entfremdung zwischen Deutschland und Russland geübte Zurückhaltung der Deutschen gegenüber den Kulturleistungen des großen Nachbarn im Osten wird endgültig der Aufgeschlossenheit weichen. Darauf ist zu hoffen, weil der Anfang vielversprechend ist.
3.
Also, hat sich das Jahr 2003 als das Jahr der Begegnungen mit der russischen Kultur in Deutschland erfreulicherweise ins Jahr 2004 verpflanzt hat. Und zwar ohne, dass die Kulturbürokratie in beiden Ländern dafür viel Mühe aufwenden musste. Denn vieles geschah quasi im Selbstlauf. Auf Initiative der von der Staatsmacht unabhängigen Kultureinrichtungen. Also so, wie es sein soll, da der Staat zwar die Kultur zu unterstützen, aber nicht an der Leine zu führen hat.
Bleibt nur zu wünschen, dass derselbe Trend auch in Russland einsetzt, wo das Jahr 2004 den Begegnungen mit der deutschen Kultur gewidmet wurde. Mögen auch diese Begegnungen eine Initialzündung bewirken. Eine gute Voraussetzung ist geschaffen. Die Präsentation deutscher Kunst und Kultur fand bei den Russen ein lebhaftes Echo. Sie fügte sich gut in eine Tradition ein, die Jahrhunderte zählt und mit ihren Wurzeln in die Zeit Peters des Großen reicht.
Zurück zur Wahrnehmung Russlands in Deutschland, will der Verfasser dieser Sendereihe noch etwas hervorheben. Im Jahr 2004 war Russland in den deutschen Medien, besonders im öffentlich- rechtlichen Fernsehen, aber auch im Hörfunk oft im Programm. Die Kollegen aus den elektronischen Medien räumten Russland mehr Sendezeit als jedem anderen Land in der Welt ein.
Das heißt nicht, dass das Bild Russlands in den deutschen Medien einen Russen immer glücklich macht. Man hört im Kreise der russischen Kollegen immer wieder, dieser oder jener Bericht stelle das Geschehen in Russland tendenziös dar. Diese Äußerungen sind nicht von der Hand zu weisen. Es ist zum Beispiel wahr, dass die Reporter aus Deutschland mit Vorliebe russische Regionen bereisen, wo sich die Eisbären gute Nacht sagen. Regionen mit florierendem Wirtschafts- und Kulturleben bleiben dagegen oft links liegen. So finden Fortschritte Russlands wenig Beachtung. Erfreulich ist es nicht. Aber verständlich. Die deutschen Medienkollegen müssen den Rahmenbedingungen ihrer Berufsausübung Rechnung tragen. Es ist eben so, dass der Zuschauer und der Zuhörer in Deutschland darauf getrimmt ist, viel mehr über Missstände als über die Erfolge aus den Medien zu erfahren. Vor allem im Hinblick aufs Geschehen im eigenen Land, aber auch im Ausland. Wird es von Medienmachern nicht berücksichtigt, gehen die Einschaltquoten und Auflagen zurück. Das gefährdet die Berufsexistenz.
Es
ist schon viel damit getan, dass Russland in
den Medien ständig präsent ist. Mit der Zeit wird ihr
Publikum schon lernen, auch in der Berichterstattung aus Russland
die Körner der Wahrheit von
der Hülse der Sensationshascherei zu trennen.
4.
Es soll hier die Rolle gewürdigt werden, die eine besondere Bevölkerungsgruppe 2004 bei der Entfaltung der Kommunikation zwischen Russland und Deutschland spielte. Es ist die russischsprachige Bevölkerungsgruppe in Deutschland. Sie zählt jetzt bedeutend mehr als drei Millionen.
Die meisten sind Menschen deutscher Abstammung. Sie sind Nachfahren jener Deutschen, die vor Jahrhunderten aus dem Vaterland nach Russland kamen. Zu den Russischsprachigen gehören auch andere Einwanderer aus dem ehemaligen sowjetischen Raum, seien es Russen und Juden, Usbeken und Armenier oder Angehörige anderer Völker der 1991 aufgelösten Sowjetunion, die ihre Heimatländer verließen, um in der Fremde ihr Glück zu suchen.
Sie sind loyale Bundesbürger geworden. Sie empfinden für Deutschland, sein politisches System, seine Zivilisation eine Affinität. Aber das heißt nicht, dass die russische Kultur, die sie alle verbindet, ihnen fremdgeworden ist. Obwohl sich die meisten nicht als Russen identifizieren, sprechen sie oft ein ausgezeichnetes Russisch und pflegen ihre, tief im russischen Kulturboden verwachsenen Wurzeln. Sie lesen russische Zeitungen und Bücher, führen sich russisches Fernsehen und Hörfunk zu Gemüte, besuchen russische Konzerte und Theateraufführungen. Ihre kulturelle Verbundenheit mit Russland äußert sich aber nicht nur in ihrem Kulturkonsum. Sie gründen in Deutschland Kunst- und Sprachschulen, Verlage und Zeitungen, unterhalten Fernsehsender und Hörfunksender, Theater. Drehen Filme. Hegen und pflegen also die russische Kunst- und Kulturlandschaft in Deutschland.
Was
sie nicht daran hindert, die deutsche Kultur zu absorbieren.
Übrigens
sind diese Menschen oft ein
lebendiger Beweis der guten Verträglichkeit der deutschen und russischen
Kultur, da sie diese beide intus haben oder haben wollen.
Und leiden dabei nicht unter Persönlichkeitsspaltung.
So
sind sie von ihren Lebensläufen, aber auch von ihrem derzeitigen
Lebenswandel her dafür prädestiniert,
sich als Brückenbauer
zwischen der alten und der neuen Heimat zu
engagieren. Viele tun es auch. Vor allem in der letzten Zeit, wo sie ihre
Hemmungen ablegen, mit ihren russischen Wurzeln
aus dem Schatten zu treten.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Wirtschaftsschwierigkeiten sieht ein Teil der deutschen Bevölkerung in dieser bunten Gemeinde eher eine Belastung für Deutschland. Vor allem, weil die Einwanderer bei der Arbeitsplatzsuche als Mitbewerber empfunden werden. Sollte sich aber das Blatt wenden, wird offensichtlich, dass die Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion mit ihrer guten Bildung, einzigartigen Erfahrung und Unternehmungslust eine Bereicherung für ihre neue Heimat sind. Wie einst die Hugenotten für Preußen.
Wie dem auch sei, hat jetzt Deutschland viele Stützpunkte russischer Kultur. Wie Russland viele Stützpunkte deutscher Kultur hatte, nachdem seine Herrscher Scharen von deutschen Fachleuten in ihr Reich geholt hatten. Ohne Zutun deutscher Einwanderer wäre Russland ärmer. Es wird sich zeigen, dass dasselbe spiegelverkehrt auch für Deutschland gilt.
5.
In letzter Zeit besucht der Verfasser , obwohl er kein Volksökonom ist, gern Veranstaltungen mit russischen Geschäftsleuten. Denn hier kann man nicht nur die Veränderungen im russischen Wirtschaftsleben, sondern auch den Mentalitätswandel der Russen erkennen. So war es auch, als unlängst eine große Gruppe von Wirtschaftsleuten aus Sibirien Deutschland besuchte. Sie kamen aus dem Gebiet Nowosibirsk, das in mancher Hinsicht, vor allem nach seinem wissenschaftlichen und technologischen Potential, in Sibirien eine ähnliche Bedeutung hat wie Bayern in Deutschland.
Die Industriellen und Ingenieure aus Nowosibirsk erschienen in Deutschland, um hier Investoren und Partner zu werben. Allerdings bettelten sie nicht darum. Die Zeit der Appelle an die Hilfsbereitschaft der Deutschen ist vorbei. Jetzt sind die Russen, die sich auf Partnersuche begeben, selbstbewusst. Sie sind nicht nur darauf aus, zu nehmen, sondern auch bereit, zu geben, viel zu geben. Sie verfügen über zukunftsträchtige Technologien, engagieren sich in lukrativen Marktnischen, kontrollieren Zugänge zu begehrten Rohstoff- und Energiequellen. In ihrem Verhalten spiegelt sich das Bewusstsein wider, aus einem Land zu kommen, das seine Schulden vorzeitig tilgt, in seiner Außenhandelsbilanz dicke schwarze Zahlen schreibt und von Jahr zu Jahr seine Wirtschaft voran bringt.
Die Wirtschaftsleute aus Russland sind deshalb wählerischer als früher geworden. Glücksritter, Blauendunstmacher, Luftikusse haben bei ihnen jetzt wenig Chancen.
Deswegen
schätzen sie deutsche Geschäftspartner besonders. Als ausgesprochen solid. Als
jene, die verstehen, dass die
Russen nicht wie die Wilden von der
Elfenbeinküste zur Zeit der
kolonialen Expansion der Westmächte mit Glasperlen
zu gewinnen sind. Diese Einstellung gegenüber den Deutschen zu pflegen und zu mehren, heißt, die vorrangige
Stellung der deutschen Wirtschaft in
Russland abzusichern. Und im Wettlauf ums russische Geschäft die Konkurrenz
hinter sich zu lassen.
Die deutsch-russische wirtschaftliche Zusammenarbeit wird von beiden Regierungen unterstützt. Aus Gesprächen mit den in Sachen Wirtschaft reisenden Russen und ihren deutschen Partnern gewann der Verfasser dieser Beitragsreihe die Erkenntnis, dass auch die in den deutschen Medien so gern zerpflückte Entscheidung des Kremls, eine strengere Kontrolle über die Tätigkeit örtlicher Machthaber einzuführen, unter den Geschäftsleuten eine andere Bewertung als in den Medien findet. Die Geschäftsleute hoffen nämlich auf geregeltere, weitgehend entkriminalisierte Rahmen der Wirtschaftstätigkeit.
6.
Der Generalsekretär der im russischen Parlament dominierenden Partei Einheit Russlands, Waleri Bogomolow, nutzte eine Konferenz in Berlin, um sein Befremden über die westliche Russlandpolitik zum Ausdruck zu bringen. Dieser Politik hafte ein Widerspruch an, sagte er sinngemäß. Zwar wird von ihren Urhebern immer wieder beteuert, man sei an einem starken Russland interessiert. Aber die auf Erstarkung Russlands gerichteten Handlungen der russischen Führung werden abgelehnt. Das lasse sich nicht unter einen Hut bringen.
Diese Äußerung des verärgerten russischen Gastes in Deutschland mag als sachgerecht oder übertrieben empfunden werden, aber sie steht nicht allein im Raum. So oder ähnlich äußern sich auch andere russische Politiker. Und nicht nur Politiker. Wie Umfragen zeigen, glauben immer weniger Russen daran, dass die westlichen Eliten Russland einen Wiederaufstieg gönnen. Sie würden nur so tun.
Man kann wohl nicht umhin, festzustellen, dass es keine ganz aus der Luft gegriffenen Verdächtigungen sind. Indem der Westen die Terroranschläge in Russland nicht immer als gemeine Verbrechen bewertete, gab er den Russen Anlass zu Misstrauen. Erst recht, als auf Moskau starker Druck ausgeübt wurde mit dem Ziel, die russischen Ordnungshüter zurück zu pfeifen.
Das war eine Quelle der 2004 in den Beziehungen zwischen Russland und dem Westen aufgetretenen, bedauerlichen Irritationen. Erfreulicherweise tangierten sie die deutsch-russischen Beziehungen am wenigsten. Denn die deutsche Führung ließ sich nicht durch ihre westlichen Partner und die Opposition im eigenen Lande zu einer Politik verleiten, die den in den letzten Jahren in den Beziehungen zu Russland erzielten Fortschritt beeinträchtigen könnte. Was übrigens jenen Staatsmännern im Westen gar nicht unwillkommen käme, die Deutschland gern seine außenpolitische Bewegungsfreiheit nehmen möchten und denen die vertrauensvollen Beziehungen zwischen Berlin und Moskau ein Dorn im Auge sind.
In diesem Zusammenhang wurde den deutschen Staatmännern 2004 vorgeworfen, den russischen Partnern nach dem Mund zu reden. Soviel dem Verfasser dieser Beitragsreihe aber bekannt ist, geht dieser Vorwurf an der Realität vorbei, denn die Deutschen führen mit den Russen durchaus offene Gespräche. Sie vermeiden aber Belehrungen von oben herab. Sie wollen nicht den Eindruck erwecken, als würde das heutige Deutschland auf ein vererbtes Recht pochen, sich in Russland als Lehrmeister aufzuspielen.
Manch ein anderer europäischer Politiker könnte sich von den Deutschen in dieser Hinsicht eine dicke Scheibe abschneiden.
Allerdings muss man Auseinandersetzungen um die Russlandpolitik in Europa nicht tragisch nehmen. Sie gehörten hier schon immer zum politischen Alltag. Auch heute dienen sie eher dem Schlagabtausch zwischen rivalisierenden Parteien als der Justierung der außenpolitischen Linie.
Letztendlich bleibt Europa für das Zusammengehen mit Russland nur eine Alternative. Sie heißt Gängelung durch eine Supermacht erdulden, die nicht nur geographisch, sondern, wie die jüngsten Ereignisse zeigen, auch mental weit entfernt von Europa liegt.
7.
Also, fragte ein dem Kreml naher russischer Politiker auf einer Konferenz in Berlin seine EU- Kollegen , welches Russland wollt Ihr denn? Ein starkes, handlungsfähiges, was auch heißt als Verbündeter handlungsfähiges, oder ein schwaches Russland, ein Objekt nicht aber ein Subjekt der europäischen Politik?
Verbal wird die Frage meistens so beantwortet, dass die Russen mit der Antwort ganz zufrieden sein könnten. Die EU- Taten sind aber weniger eindeutig. Mal handelt die EU im Einklang mit ihren Absichtserklärungen und den mit Russland bestehenden Abkommen. Ein anderes Mal so, dass man in Moskau an deren Absichten zweifelt. Auch und erst recht, wenn manche EU-Staaten die Russenfeindlichkeit in den mit Russland angrenzenden Regionen des postsowjetischen Raumes wie Kaukasus oder Baltikum unterstützen.
2004 hat leider keine volle Klarheit darüber gebracht, welches Russland die EU will. Mit der EU- Osterweiterung ist die Gretchenfrage nicht leichter zu beantworten. Jetzt gehören zur EU manche osteuropäischen Länder, die sehr reserviert zur Entfaltung der Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland stehen.
Sicherlich grämt mancher osteuropäische EU- Novize Russland aus Gründen, die weit in der Vergangenheit liegen. Obwohl Russland diese Vergangenheit bereits lange bewältigt hat.
Aber es sind nicht nur die eigenen Ressentiments , die mitunter in Brüssel der Entscheidungsfindung im Wege stehen. Manches geschieht hier leider auch unter dem Einfluss außereuropäischer Kräfte, die das geeinte Europa, das eng mit Russland zusammenarbeitet, beargwöhnen. Davon zeugt die absurde These eines einflussreichen amerikanischen Politikers vom neuen, guten und dem alten, schlechten Europa.
Russland wünscht sich dagegen ein handlungsfähiges und geeintes Europa und vertraut auf konstruktive Kräfte sowohl in den alten, als auch in den neuen EU- Ländern. Russland setzt auf existenzielle Interessen aller seinen europäischen Partner.
8.
2004 traten in den Beziehungen zwischen der EU und Russland einige Irritationen auf. Das blieb nicht ohne Einfluss auf die Einstellung der russischen Führung, aber auch der einfachen Russen zur EU. Man war enttäuscht von Europa. Dennoch vertraut die russische Öffentlichkeit und die etablierte Politik weiterhin auf die Entfaltung der Kooperation. Sie baut dabei auf existenzielle Interessen der EU- Länder. Welche sind es?
Zuförderst die Sicherheitsinteressen. Die EU ist auf die Sicherheitspartnerschaft mit einem starken Russland angewiesen. Es gibt dafür keine annehmbare Alternative. Auch nach der EU- Osterweiterung zum 1. Mai 2004 nicht.
Nehmen wir die Abwehr des internationalen Terrorismus. Nur ein starkes, innerlich gefestigtes und geeintes Russland kann es verhindern, dass er vom Osten her die EU gefährdet. Indem Russland sich selbst vor ihm schützt, schützt es gleichzeitig auch das EU- Europa. Auch wenn Russland es mitunter mit recht drastischen Mitteln tut, die in den Ländern der Europäischen Union die Liberalen empören und die auch viele Russen, darunter übrigens auch der Verfasser dieser Beitragsreihe, nicht glücklich machen.
In einem Punkt liegen die Sicherheitsinteressen der EU und Russlands besonders eng beisammen. Gemeint ist die Sicherheit der russischen nuklearen Arsenale. Bis jetzt ist es keinem terroristischen Übeltäter gelungen, sich daran zu vergreifen. Vielleicht ist es gerade jener Sicherheits- und Ordnungspolitik des Kremls zu verdanken, die im Westen oft als zu rigoros und unangemessen hart zerpflückt wird. Es ist aber die Frage zu stellen, was passiert wäre, hätten die Terroristen eine Atomwaffe in der Hand gehabt. Wenn man daran denkt, verliert man die Lust, der russischen Führung immer wieder zuviel Härte vorzuwerfen.
In der Welt, die nach dem 11.9.2001, als die Türme des World - Trade- Center wie ein Kartenhaus zusammenbrachen, immer bedrohlichere Konturen annimmt, wäre es angebracht, sich noch mehr um eine Kooperation zwischen der EU und Russland zu bemühen. Eine Kooperation fürs gemeinsame Überleben.
Und-
nota bene- ist es denn nicht so, dass eine solche Kooperation dem erwünschten
Wandel des Partners viel mehr beitragen würde, als
politischer Druck und Mediengeschrei? Erst recht, wenn dabei die Eigenständigkeit
Russlands, sein wieder erwachendes Selbstbewusstsein, die
Mentalität der Russen nicht ignoriert
werden?
9.
Zur stabilen Interessenlage, die Russland und die EU zusammenbringen müsste, gehört auch die Sphäre der Energieversorgung. Der Versorgung mit Erdöl und Erdgas.
Bekanntlich ist sie für Deutschland sehr wichtig.
Der liebe Gott hat nämlich Deutschland viel gegeben: die günstige Lage in der europäischen Mitte, supertüchtige Menschen, aber eine wichtige Ressource hat er ihm versagt. Die Quellen von Erdöl und Erdgas. Das, was Russland reichlich beschert wurde.
Vielleicht hat der liebe Gott sich so entschieden, damit es eine wirtschaftliche Klammer gibt, die Russland und Deutschland zusammenhält. Weil er, wie der Verfasser dieser Beitragsreihe überzeugt ist, das Zusammengehen beider Länder wünscht. Wie kann es anders sein? Insbesondere nach dem, was sich Deutschland und Russland in der Vergangenheit gegenseitig angetan haben?
Zurück von den spirituellen Dingen zur Prosa des Lebens, muss man daran erinnern, dass der Weltverbrauch der Energie rapide steigt und nach allen Prognosen steigen wird. Das heißt, dass Öl und Gas auf dem Weltmarkt weiter verknappen.
In der Uckermark, wo der Verfasser dieser Sendereihe seine Ferien verbringt, konnte er beobachten, wie viel in Deutschland unternommen wird, um andere Energiequellen zu erschließen. Die herrliche Landschaft wird den Windrädern geopfert, die Felder werden mit Raps bestellt, der sich zur Spritersatzproduktion eignet. Aber auch die optimistischsten Experten erwarten relevante Ergebnisse erst in mehreren Jahren.
Inzwischen können sich die Ranglisten der Industriestaaten ändern. Nach oben kommen jene, die über Öl- und Gasquellen verfügen. Oder wenigstens mit stabilen Lieferungen der Energieträger aus dem Ausland rechnen können . Die anderen Länder dagegen, die sowohl keine eigenen Erdölquellen, als auch keine zuverlässigen Partner unter den erdölreichen Ländern haben, werden abfallen.
Deutschland hat aber einen zuverlässigen Erdöl- und Erdgaslieferanten . Er heißt Russland.
Bereits jetzt deckt Russland einen sehr beträchtlichen Teil des deutschen Energiebedarfs. Auch in Zukunft kann Deutschland auf russische Erdöl- und Erdgas- Lieferungen mehr Vertrauen setzen als auf Lieferungen aus dem arabischen Raum, dessen Erdöl- und Erdgasquellen von amerikanischen und britischen Konzernen kontrolliert werden.
Auch wenn eine noch schärfere Verknappung der Energieträger eintritt, bleibt Russland, dessen Erdölförderung in etwa zehn Jahren die Dimensionen von der Saudi- Arabiens erreichen soll, ein zuverlässiger Lieferant der Energieträger nach Deutschland. Allerdings erwarten die Russen die Unterstützung der Deutschen bei der Erweiterung der Erdölförderung und beim Ausbau der Pipelines.
Viele diesbezügliche Abmachungen sind schon in Sack und Tüten.
Die
deutsche Wirtschaft kann sich über diesen Sachverhalt nur freuen. Wie über die
Tatsache, dass der russische Markt ihr offen steht.
Deswegen meinte unlängst ein deutscher
Russlandexperte, Putin sähe in der deutschen Wirtschaft die wichtigste Stütze
Russlands in Europa. Mag sein, dass es so ist. Jedenfalls aber
setzen die Russen nicht nur auf die
deutsche Wirtschaft. Nicht weniger rechnen sie mit der Unterstützung der deutschen Öffentlichkeit. Damit,
dass diese, richtig informiert, eine richtige Wahl zwischen den Befürwortern
und den Gegnern der Zusammenarbeit mit
Russland trifft.
10.
Der Fall der Berliner Mauer, der sich 2004 zum 15. Mal jährte, markierte eine Zäsur nicht nur in der deutschen, sondern auch in der russischen Geschichte. Indem die Führung der damaligen Sowjetunion den Fall der Mauer hinnahm, unterschrieb sie, ohne sich vielleicht der ganzen Tragweite dieses Schrittes bewusst zu sein, das Todesurteil des sowjetischen Reichs. Seitdem war es nur eine Frage der Zeit, wann die Teilrepubliken der Sowjetunion und die osteuropäischen Länder ihre Souveränität erlangen. Ihrer Bevölkerung das zu verwehren, was der DDR- Bevölkerung zugestanden wurde, also die Freiheit, über die eigene Zukunft selbst zu entscheiden, wäre nicht möglich.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion erwarteten die Russen, wie immer etwas blauäugig, dass die Machtverschiebung nicht missbraucht wird, um Russland zu bedrängen. So führten sie die Öffnung ihres Landes bis zum Ende. Auch den Staaten jenes Staatenbundes gegenüber, mit dem Russland davor im Clinch lag. Den NATO- Staaten gegenüber.
Leider kam es anders, als die Russen erhofften.
Die Reaktionen der russischen Führung darauf mögen nicht immer die feinsten gewesen sein. Aber auch in den Fällen, wo der Kreml alles tat, um die Probleme einvernehmlich aus der Welt zu schaffen, fand er mitunter wenig Entgegenkommen.
Zu einer vorgeschobenen Begründung der unkooperativen Verhaltensweise gehören Hinweise auf den Unterschied zwischen der Innenpolitik des gegenwärtigen russischen Präsidenten und jener seiner Vorgänger im Kreml. Tatsächlich pflegten Gorbatschow und Jelzin, den Wünschen der westlichen Partner vorauszueilen. Auch in der russischen Innenpolitik. Putin tut es nicht.
Aber die meisten Russen billigen diese Haltung. Sonst wäre Putins Popularität in der Bevölkerung wohl nicht so hoch. Unvergleichlich höher als die Akzeptanz von Gorbatschow und Jelzin, die am Ende ihrer Karrieren auf Null tendierte.
Die Pille der hohen Zustimmung der Russen zur Kremlpolitik mag für manche im Westen recht bitter schmecken. Aber sie muss geschluckt werden. Schließlich geht es in den Beziehungen zwischen Russland und seinen europäischen Partnern nicht um Personen, sondern um viel Wichtigeres. Um die Kooperation zwischen Europa und Russland. Diese ist jetzt mehr denn je aktuell. Beiden Seiten mehr denn je wichtig.
Wie man zwischen Personen und Sache unterscheiden muss, um vorankommen zu können, wissen die Deutschen gut. Sie haben einschlägige Erfahrungen.
Als
vor 35 Jahren Willy Brandt und seine Umgebung die neue Ostpolitik Deutschlands
durchsetzten, richteten sie sich auch nicht danach, wer gerade im Kreml
residierte. Sonst
hätte die europäische Geschichte vielleicht einen anderen, viel ungünstigeren
Verlauf genommen. Es wäre nicht so schnell zur deutschen Wiedervereinigung
gekommen. Vielleicht etwas später auch zur Wende in Russland.
Daraus gilt es, wenn man 2005 weiter vorankommen will, zu lernen.
27.10.04
Zum deutschen Echo auf die Terrorwelle in Russland.
Mit Hilfsbereitschaft reagiert die deutsche Öffentlichkeit auf das Geiseldrama in Beslan in Nord-Ossetien.
Unter den wohltätigen Organisationen fühlte sich vor allem UNICEF Deutschland angesprochen. Unmittelbar nach dem Ende der Geiselnahme stellte es 100.000 Euro Soforthilfe zur Verfügung. Es wurden Antibiotika, Schmerzmittel, Lösungen zur Behandlung von Verbrennungen und andere Medikamente für Kinder bereitgestellt.
UNICEF- Transporter starteten von Moskau mit medizinischen Überwachungsmonitoren, Verbandszeug, Skalpellen, Infusionsbeuteln, Spritzen, Bettwäsche, Decken, Matratzen sowie höhenverstellbaren Betten nach Beslan und die umliegenden Krankenhäuser.
Die überlebenden Kinder und Eltern der Geiselnahme brauchen auch langfristige psychologische Betreuung. Nach der tagelangen Geiselhaft und der blutigen Befreiungsaktion stehen viele Kinder und Eltern unter Schock. Mit seinen Partnern bereitet UNICEF die Hilfe für traumatisierte Kinder vor. In mehreren deutschen Städten entstehen Initiativen, die den traumatisierten Kindern von Beslan einen Erholungsaufenthalt verschaffen möchten.
Die Botschafterin von UNICEF, die allen deutschen Fernsehzuschauern bekannte Sabine Christiansen, verurteilte den Anschlag auf die Schule in Beslan als abscheuliches Verbrechen. Sie bat die deutsche Öffentlichkeit um Spenden für die Opfer der Tragödie.
Ähnlich äußerten sich in Hamburg, wo die diesjährige Runde des deutsch- russischen Diskussionsforum stattfand, die führenden deutschen Politiker Wolfgang Schäuble und Fritz Erler. Sie sprachen sich für tätige Solidarität mit Russland in diesem schweren Augenblick seiner Geschichte aus.
Während in Hamburg ehrwürdige Berufspolitiker und etwas betagte Staatsmänner a.D. darüber dozieren, wie wünschenswert Bürgergesellschaft und ihre Initiativen sind, dauern in Deutschland Solidaritätskundgebungen auf der Strasse an, oft spontan zustande gekommen. Eine der beeindruckendsten fand in München statt. Die Münchener brachten ihre Trauer und ihren Schmerz mit einem Kerzenzug zum Ausdruck. Sie folgten dem Aufruf der Vereinigung „MIR“, (Frieden).
In einem Interview sagte die Vorsitzende von „MIR“, Tatjana Lukina, dass viele Deutsche das Bedürfnis hatten, mit dem Marsch durch München ihr Mitgefühl mit den Russen, ihr Entsetzen über die Erschießung unschuldiger Kinder und ihren Willen zur Unterstützung des Kampfes gegen den Terror in Russland zum Ausdruck zu bringen. Deswegen kamen zur Demonstration Diplomaten und Geistliche, Künstler, Schriftsteller und Journalisten. Vor allem aber einfache Münchner, die sonst am Wochenende mit anderem beschäftigt sind. Die Hauptstrasse der bayerischen Stadt wurde für den Verkehr gesperrt, damit der Zug ungehindert stattfinden konnte. Den Höhepunkt bildete ein Totengebet, zelebriert vom Priester der russischen-orthodoxen Kirche im Ausland, Nikolai Artjomow, begleitet von einem Frauenchor. Der russisch-orthodoxe Geistliche Erzbischof Eftifij schloss die Kundgebung mit einem ergreifenden Gebet für die Opfer.
Zu
den Kundgebungsteilnehmer sprach der
russische Generalkonsul in München. In seiner Rede hob er hervor,
dass Russland das schreckliche Verbrechen der Terroristen, das gegen
wehrlose Kinder gerichtet war, nie vergessen und nie verzeihen wird.
An der Vorbereitung der Solidaritätsveranstaltung war außer Würdenträgern
der katholischen und russisch- orthodoxen Kirche
auch ein muslimischer Schriftsteller beteiligt. Tatjana Lukina, die mit ihren
deutschen und russischstämmigen Mitstreitern
sehr viel für Verbreitung
des Wissens über die russische Kultur in Bayern tut, berichtet
von bewegten Szenen der Solidarität mit Russland und der Trauer um die
Opfer der Terroristen während und nach der Demonstration.
Fernsehen und Zeitungen in München informierten ihr Publikum über diese Aktion, die in ihrem Anliegen und mit ihrer
Gestaltung dem Namen der veranstaltenden Vereinigung „MIR- Frieden“ voll und
ganz entsprach.
12.9.04.
Der Botschafter der Russischen Föderation in Deutschland, Wladimir Kotenew, traf sich in Berlin mit deutschen und russischen Journalisten.
Seine Ausführungen galten den deutsch-russischen Verhandlungen auf höchster Ebene am 20. und 21. Dezember in Hamburg und Schleswig. In den letzten vier Jahren ist es das 28. Treffen auf dieser Ebene zwischen Deutschland und Russland. Das letzte fand im vorigen Jahr in der Uralstadt Jekaterinburg statt. Die Erfüllung der damals getroffenen, weitgehenden Abkommen in mehreren Sphären der Zusammenarbeit steht auf der Agenda des neuen Treffens. An ihm nehmen übrigens viele hochrangige Vertreter der Exekutive teil. Eine nationale Auswahl, bemerkte Botschafter Wladimir Kotenew scherzend.
Er skizzierte die Vereinbarungen, die in Hamburg und Schleswig abgeschlossen werden sollen. Außer der Erweiterung der wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen beider Länder sehen sie unter anderem einen neuen großen Schritt im Jugendaustausch vor. Es ist die Ausbildung junger Leute geplant, die später in deutsch- russischen Joint- Venture- Firmen tätig werden sollen. Das besondere Augenmerk gilt dem Erlernen der russischen Sprache in Deutschland und der deutschen Sprache in Russland. In diesem Zusammenhang erwähnte der Botschafter, dass viele Russischlehrer der ehemaligen DDR nach der deutschen Wiedervereinigung auf Englisch und Französisch umsteigen mussten. Jetzt macht sich das bemerkbar, wenn es darum geht, in Deutschland den Russischunterricht zu sichern.
Selbstverständlich wird es beim Summit um russische Energieträgerlieferungen nach Deutschland gehen, bekanntlich eine Voraussetzung für die störungsfreie Tätigkeit der deutschen Industrie. Allerdings soll ein umfassendes Energielieferungsabkommen erst im nächsten Jahr abgeschlossen werden.
Einige Journalisten schnitten in ihren Fragen Meinungsverschiedenheiten über die Ukraine an. Der Botschafter Kotenew plädierte dafür, die Debatte darüber nicht zu dramatisieren. Beide Regierungen sind sich darin einig, die ukrainische Krise im Einklang mit dem Willen des ukrainischen Volkes und im Rahmen der ukrainischen Verfassung zu lösen. Auf die etwas aufgeregte Berichterstattung der deutschen Presse eingehend, schlug Wladimir Kotenew einem der anwesenden deutschen Kollegen vor, sich vorzustellen, was wäre, wenn in Berlin ähnliches passierte wie in Kiew. Also Zeltlager in der Stadtmitte, die Blockade der Regierungsgebäude usw. Er sprach der Opposition das Recht ab, ihre Taten als Revolution zu bezeichnen. Dafür sind die Aktivitäten zu perfekt organisiert und erhalten zu viel Unterstützung von außen. Im übrigen äußerte er die Überzeugung, die unterschiedlichen Gesichtspunkte zu den Ereignissen auf die Ukraine lassen sich mit der Zeit annähern. Ein Trend in diese Richtung sei bereits zu verzeichnen.
Die Gesamtwertung der deutsch-russischen Beziehungen hieß trotz einiger vorübergehender Irritationen: Sehr gut. Der Botschafter zweifelte nicht daran, dass das bevorstehende Treffen der sehr repräsentativen Teams mit Bundeskanzler Gerhard Schröder und Präsident Wladimir Putin an der Spitze weitere Fortschritte bringt.
16.12.04.
SIE TREFFEN SICH WIEDER
Am
10. und 11. September 2004 finden die 7. Deutsch-Russischen
Regierungskonsultationen in Hamburg und Schloss Gottorf bei Schleswig
statt. Bundeskanzler Gerhard Schröder und Präsident Wladimir Putin
nehmen daran teil.
Themen der Konsultationen: die deutsch-russischen Beziehungen
und Fragen der europäischen und internationalen Politik .
Außerdem werden Schröder und
Putin am
10. September, in Hamburg an der Plenarsitzung des Petersburger
Dialogs teilnehmen.
KURZ VOR DEM TREFFEN BRACHTE DAS RUNET (POLIT.RU) EINEN BEITRAG VON ALEXANDER RAHR, BEACHTETEN DEUTSCHEN RUßLANDEXPERTEN.
Unter
der Überschrift „Schröder trotz Kritik engster Partner Russlands“ ist in
diesem Beitrag (davor veröffentlicht in ROSSIJA
W GLOBALNOI POLITIKE, d.h. Russland in der Globalpolitik) zu lesen, dass
Bundeskanzler Schröder der Meinung
ist, die Beziehungen zwischen
Deutschland und Russland momentan besser als jemals zuvor im
vergangenen Jahrhundert seien. Mit dem russischen Präsidenten Putin
verbindet ihn ein freundschaftlicheres und sogar vertrauensvolleres
Verhältnis, als er es zum Chef des Weißen Hauses, George Bush jr.,
hat. Noch vor einigen Jahren wäre diese Vorstellung undenkbar gewesen.
... Im Bereich der Außenpolitik haben Deutschland und Russland,
gemeinsam mit Frankreich, 2003 eine "weiche" Opposition gegen den von
den Amerikanern begonnenen Irak-Krieg gebildet und damit, freilich
sehr vorsichtig, ein neues Kapitel in der Geschichte Europas nach dem
Krieg eröffnet. Die Irak-Krise destabilisiert den Aufbau einer neuen
Weltordnung ... Berlin und Moskau haben sehr ähnliche Ansichten
darüber, wie diese neue Weltordnung aussehen sollte.
Der Machtantritt Putins, dessen frühere Tätigkeit mit Deutschland zu
tun hatte, hat zusätzliche Perspektiven für die Partnerschaft zwischen
beiden Ländern eröffnet. Leider wird das Potenzial bislang bei weitem
nicht ausgeschöpft. Dies liegt daran, dass viele in Deutschland und überhaupt
in Europa einige Aspekte im Vorgehen des russischen Präsidenten nicht
akzeptieren. So teilt Vizekanzler und Außenminister Joschka Fischer die
Euphorie Kanzler Schröders in Bezug auf Russland
ganz und gar nicht; er ist besorgt darüber, dass Putins Russland vom
Weg der liberalen Werte abweicht.
Die deutschen Medien verurteilen Schröder für seine Annäherung an
"KGB - Russland" hart, dafür, dass der Kanzler bei seinen häufigen
Treffen mit dem russischen Führer diesen nicht wegen seiner Verstöße
gegen die Menschenrechte in Tschetschenien kritisiert, wegen seiner
selektiven - und daher politischen - Verfolgung von Oligarchen und
wegen der Einschränkung der Meinungsfreiheit. Journalisten und
Öffentlichkeit in Deutschland haben so beharrlich gegen Pläne
protestiert, Putin den Titel eines Ehrendoktors der Hamburger
Universität zu verleihen, dass die Zeremonie auf unbestimmte Zeit
verschoben wurde.
Beispiel dafür, wie gegenseitiges Unverständnis und Unterschiede in
den Planungen beider Seiten die Umsetzung wichtiger Initiativen
bremsen können, ist der Petersburger Dialog. Dieses auf Initiative
Putins und Schröders bereits 2000 geschaffene Forum ist bisher nicht
zur Brücke für Russlands Eintritt ins Europa des 21.
Jahrhunderts geworden. Die deutschen Teilnehmer wollen den Russen ihre
Sehweise in Bezug auf den Aufbau einer Zivilgesellschaft aufdrängen,
wobei sie sich auf die reiche historische Erfahrung Deutschlands nach
dem Krieg berufen. Die russischen Teilnehmer wollen derartige
Belehrungen jedoch nicht. Sie brauchen den Dialog, um mit seiner Hilfe
pragmatische Ziele zu erreichen, beispielsweise die Wahrung der
gemeinsamen strategischen Interessen beim Aufbau der künftigen
Architektur Europas, die Organisierung des Handels, die Erweiterung
der Energiepartnerschaft, die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der
Hochtechnologie ..., die erleichterte Visumerteilung zwischen beiden
Staaten und die gegenseitige Anerkennung von Universitätsdiplomen.
Außerdem sind die Veranstaltungen im Rahmen des Petersburger Dialogs
von übermäßiger Bürokratie gekennzeichnet, denn die meisten seiner
Teilnehmer sind nicht Vertreter der Zivilgesellschaft...
Die Politik der "harten Hand", also die Verstärkung autoritärer
Tendenzen in Russland, erschwert den Annäherungsprozess ernsthaft.
Schröder ist freilich der Meinung, dass die deutsche Presse und die
Bürokratie in der Beurteilung der russischen Situation zu ungerecht
sind und dass ihre Haltung Hindernisse schafft. Während die meisten
europäischen Politiker besorgt waren über das Scheitern der liberalen
Ideen bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Russland,
beeilte sich der deutsche Kanzler, als erster der ausländischen
Staatschefs Putin in Moskau zu seiner Wiederwahl zu gratulieren.
Während die Europäische Union der "autoritären Modernisierung"
Putins
mit immer größerem Misstrauen gegenübersteht ..., wird der
deutsch-russische Bund zum neuen Antrieb für die
Stabilisierungsprozesse im Osten des europäischen Kontinents ...
Freilich gibt sich Moskau in Bezug auf einen EU-Beitritt keinen
Illusionen hin. Den gegenwärtigen Entwicklungen der EU und Russlands
liegen unterschiedliche, zuweilen sogar gegensätzliche
zivilisatorisch-kulturelle Werte zu Grunde. Russland stärkt seine
Staatlichkeit durch eine harte Zentralisierung der Macht. Deutschland
und die anderen europäischen Länder dagegen kehren sich nach und nach
immer mehr von der Idee des Nationalstaates ab und übertragen dem
gesamteuropäischen Zentrum in Brüssel einen Teil der souveränen
Rechte. Auch aus diesem Grund können Moskau und Berlin bei der
Entwicklung gemeinsamer Strategien und Konzepte nicht so eng
zusammenarbeiten, wie es Deutsche und Franzosen zum Wohle ganz Europas
tun. Die gemeinsamen Schritte Russlands und Deutschlands führen
unverzüglich zu einer Welle von Befürchtungen seitens der
osteuropäischen Staaten, der neuen Bündnispartner des Westens. Sie
verfolgen eifersüchtig, wie sich die Beziehungen zwischen Berlin und
Moskau entwickeln.
Und dennoch ist klar erkennbar: Russland und die EU sind so eng
miteinander verbunden, dass sie sozusagen zum aktiven Zusammenwirken
verurteilt sind. In den Prozessen, die auf dem europäischen Kontinent
vor sich gehen werden, braucht Russland zuverlässige Partner und
Verbündete. Nicht von ungefähr hat Präsident Putin in einer Rede im
russischen Außenministerium kürzlich Deutschland, Frankreich und
Italien als europäische Länder hervorgehoben, die ehrlich an einer
Freundschaft mit Russland interessiert sind. Und in dieser Gruppe wird
Deutschland zweifellos die führende Rolle spielen ... Russland hört
auf seinen deutschen Partner. Aufrufe deutscher Banken, vor Russlands
Beitritt zur WTO eine Bankenreform durchzuführen, sind nicht ignoriert
worden ... Beobachter, die die deutsch-russischen Beziehungen für
besser halten als die Beziehungen zwischen der EU und Russland
insgesamt, haben Recht.
Leider sind viele Politiker im Westen, enttäuscht durch die
Geschehnisse in Russland, zu der Überzeugung gelangt, dass der Plan
der Europäisierung Russlands, auf dessen Erfolg sie in den neunziger
Jahren so sehr gehofft haben, gescheitert oder seine Verwirklichung
zumindest in eine unbestimmte Zukunft verschoben worden ist. Die
Russland-Politik Schröders zeugt davon, dass der Bundeskanzler zu den
weitsichtigen westlichen Führern gehört, die die wahre Bedeutung eines
starken, aber gleichzeitig auch demokratischen und stabilen Russlands
für das Europa des 21. Jahrhunderts begreifen und die Hände nicht in
den Schoß legen, wenn sie sehen, dass nicht alles so gelingt, wie es
zunächst geplant war. Die Frage, welchen Platz Russland im künftigen
Europa einnehmen wird, ist in ihrer historischen Bedeutung zu
vergleichen mit der Frage, welche Rolle die Vereinigten Staaten in der
Welt spielen werden.
In Moskau gibt man Berlin unzweideutig zu verstehen: Russland ist das
stabilisierende Element in Eurasien und ein "Fenster" für Deutschland
in diese Region. Russland vertraut Deutschland und hofft, dass die in
Berlin entwickelte außenpolitische Linie nicht auf das wirtschaftlich
unentwickelte Russland ausgerichtet ist, sondern auf den künftigen
starken Partner in Eurasien, der an die Europäische Union grenzt und
mit ihr eng zusammenarbeitet.
Die deutsch-russischen Beziehungen haben Perspektiven, wenn sie nicht
auf Antiamerikanismus aufbauen. Versuchte Putin, einen Keil zwischen
Europa und Amerika zu treiben - die Führer der UdSSR wollten das
seinerzeit -, wäre Deutschland nicht auf einen so engen Kontakt zu ihm
eingegangen. Schröder braucht kein antiamerikanisches, sondern ein
proeuropäisches Russland. Ihm ist bewusst, dass die anstehenden
Probleme bei der Energieversorgung aus den Ländern des Persischen
Golfs, die Konflikte mit islamischen Fundamentalisten, in die Europa
hineingezogen werden wird, für die Zukunft der Alten Welt so
gefährlich sind, dass es notwendig ist, einen Rückhalt zu finden, auch
in Russland mit seinen enormen Naturressourcen.
Leider ist noch nicht vollständig auszuschließen, dass Russland sich
noch vom proeuropäischen Weg abkehrt. Dennoch ist die Tiefe der
positiven Veränderungen nach dem Fall des Kommunismus eher ein Zeichen
dafür, dass politische Komplikationen dort nicht sehr wahrscheinlich
sind. Es ist sehr gut möglich, dass die derzeitige deutsch-russische
Annäherung den Boden für die Schaffung eines mächtigeren und
stabileren "Motors" nach dem Vorbild des deutsch-französischen
bereitet, der bei der Bildung der Europäischen Union und beim
Aufblühen der westeuropäischen Zivilisation insgesamt eine historische
Rolle gespielt hat.
25.8.04
In Berlin wurde das zehnjährige Bestehen der Stiftung West- Östliche Begegnungen feierlich begangen.
Die Feier fand im Palais am Festungsgraben in Berlin- Mitte statt. Der Ort ist geschichtsträchtig. In der Nachkriegszeit gehörte das Palais der deutsch-sowjetischen Freundschaftsgesellschaft der DDR. Hier trafen sich Berliner und andere DDR- Bürger mit sowjetischen Politikern, Wissenschaftlern und Künstlern. Hier wurde die Geschichte der deutsch-russischen Bürgerkontakte mitgeschrieben, die vielen Deutschen halfen, die Kultur der Völker der Sowjetunion kennen zu lernen.
In Erinnerung daran wurde das Palais auserkoren, hier den zehnten Jahrestag der Gründung der Stiftung „West- Östliche Begegnungen“ zu feiern. Denn die Stiftung versteht sich als Erbe der DDR- Freundschaftsgesellschaft, ohne allerdings die ideologische Verbrämung der Tätigkeit ihres Vorgängers zu übernehmen. Wie schon der Name der Stiftung sagt, widmet sie sich den Kontakten zwischen den Deutschen und den Angehörigen der Völker der ehemaligen Sowjetunion, vor allem des russischen Volkes.
Im
Unterschied zu zahlreichen anderen einschlägigen Vereinen in Deutschland, verfügt
die Stiftung über beträchtliche
Geldmittel. In einem nach der deutschen Wiedervereinigung geführten
Gerichtsprozess setzte sie
das Recht durch, ihre Tätigkeit aus
dem Vermögen der DDR-
Freundschaftsgesellschaft zu finanzieren. So kommt das, was
in der DDR-Zeit als DSF-
Mitgliederbeiträge in die Kasse der Freundschaftsgesellschaft
floss, auch im
wiedervereinigten Deutschland seiner
Bestimmung zugute. Und zwar indem nicht nur die eigenen Projekte der Stiftung,
sondern auch die Projekte anderer einschlägiger
Vereine sowohl aus dem Osten, als auch aus dem Westen der Bundesrepublik gefördert werden. Darunter
der Schüleraustausch, Begegnungen von Künstlern und anderen
Kulturschaffenden, Erholungsaufenthalte, Treffen
der Bürger, die sich für Menschenrechte engagieren.
Mittelpunkt der Veranstaltung im Palais am Festungsgraben war die Festrede von Professor Doktor Gesine Schwan, Präsidentin der Viadrina- Universität in Frankfurt an der Oder. Unter anderem berichtete sie von umfangreichem Vorhaben der Universität, die Beziehungen mit den russischen Hochschulen zu pflegen und zu erweitern. Die Feier endete mit der Verleihung des Förderpreises 2004 durch Dr. Franz von Hammerstein, Ehrenvorsitzender der Stiftung.
30.10.04
Das deutsche Medienecho zur 55. Wiederkehr des Gründungstags der DDR fällt heuer stärker als sonst nach der Wiedervereinigung aus. Vermutlich erklärt sich dies dadurch, dass sich viele Deutsche, mit dem absinkenden Lebensniveau konfrontiert, nach mehr sozialer Stabilität sehnen. Und da die DDR im Ruf steht, ihren Bürgern zwar einen sehr bescheidenen Wohlstand, dafür aber eine umfassende soziale Fürsorge gesichert zu haben, gewinnt ihr Bild in den Köpfen positive Züge. Die Medien tragen diesem Bildwandel Rechnung.
Was aber in den Pressebeiträgen fast immer fehlt, ist der Hinweis auf die Rolle der Sowjetunion dem Werdegang und der Abschaffung der DDR. Auch bei der Gestaltung ihrer sozialen Belange. Das Letztere vermutlich deswegen, weil dieses Phänomen mit der gängigen Vorstellung von der Ausbeutung der DDR durch die Sowjetunion schwer unter einen Hut zu bringen wäre.
Dabei hat die Sowjetunion, deren Bevölkerung sich immer mit einem viel schlechteren Lebensstandard als dem in der DDR abfinden musste, zur relativen wirtschaftlichen Prosperität der DDR längere Zeit auf verschiedene Art und Weise beigetragen. Nicht weil man im Kreml unbedingt das letzte Hemd mit den DDR- Deutschen teilen wollte, sondern weil die DDR als Frontstaat des Kalten Krieges betrachtet wurde. Ein Frontstaat, der Westdeutschland etwas entgegenhalten sollte.
Deshalb genoss die DDR mehrere Jahre lang zum Beispiel das Privileg, sowjetisches Erdöl und Erdgas zu Preisen unter dem Weltniveau beziehen zu dürfen. Was die DDR- Führung übrigens auch nutzte, um einen Teil der Lieferungen unter der Hand weiter westlich zu verkaufen. Der Unterschied zwischen dem Kauf- und dem Verkaufpreis blieb selbstverständlich in der DDR.
Die auf diese Weise geleistete Alimentierung des ersten Arbeiter- und Bauernstaates in der deutschen Geschichte, wie es damals hieß, wurde erst dann zurückgenommen, als man im Kreml die Aussichtslosigkeit der Konfrontation mit dem Westen begriff und daran ging, dieser ein Ende zu setzen. Zwar versuchte Ostberlin, sonst dem Kreml gegenüber eher servil, die neue sowjetische Westpolitik zu unterlaufen, aber das verärgerte nur die sowjetische Führung. Für die Auflehnung gegen den Meister wurde der Zauberlehrling bestraft. Unter anderem damit, dass die Sowjetunion die wirtschaftliche Bevorzugung der DDR abbaute. Das hatte Folgen für die großzügige soziale Politik der DDR. Und trug letztendlich zu jener Revolte der DDR- Bevölkerung gegen die Mächtigen bei, die das Ende der DDR herbeiführte.
Den endgültigen Schlussstrich unter die DDR-Geschichte zog der Unwille des Kremls, gegen die rebellierende DDR- Bevölkerung die in der DDR stationierte Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte einzusetzen.
So hat die Sowjetunion nicht nur bei der Geburt des separaten ostdeutschen Staates 1949, sondern auch bei der Wiedervereinigung Deutschlands 1989 Pate gestanden. Woran am 55. Jahrestag der DDR auch deswegen zu erinnern ist, weil diese Rolle der Russen bei der Überwindung der Teilung Europas, deren Kern die Teilung Deutschlands war, oft verschwiegen wird.
29.9.04
Und jetzt ein kurzes Post Skriptum, um Missverständnissen vorzubeugen. Mag es für die ehemaligen DDR- Bürger und erst recht für die Sowjetbürger schwierig gewesen sein, sich den neuen Verhältnissen anzupassen, ist das sicherlich noch kein Grund, das Wichtigere in den Schatten zu stellen. Man darf nicht vergessen, dass es infolge der Wiedervereinigung Deutschlands und der Systemtransformation in Russland einen großen Zuwachs von Freiheit, übrigens auch im Konsum gab. In der sogenannten sozialistischen Ordnung bis aufs Minimum reduziert, ermöglicht diese Freiheit ein ganz anderes Lebensgefühl. Zwar nur in dem Fall, wenn man die neugewonnene Freiheit tagtäglich in Anspruch nimmt. Sowohl im Westen, als auch im Osten. Es ist ein gemeinsames Anliegen der Menschen im Westen und im Osten- und zwar im breiten Sinn der Wörter- die Freiheit maximal zu nutzen, ihren Raum ständig zu erweitern. Ein Anliegen, das die Menschen im Westen mit denen im Osten einigen kann.
27.4.04
Mit zahlreichen Veranstaltungen und Medienberichten wird der sechzigste Jahrestag der Militärrevolte gegen Hitler in Berlin begangen.
Was dabei hervorhoben wird, sind die patriotischen Beweggründe des waghalsigen und tragisch ausgegangenen Unternehmens. Tatsächlich fühlten sich Graf Stauffenberg und seine Kombattanten zum Handeln berufen, nicht weil sie Deutschland zu einem Ebenbild eines anderen Landes machen wollten, ob England, die USA oder, erst recht, die stalinistische Sowjetunion. Sie wollten, dass Deutschland Deutschland bleibt. Ohne nationalistische Militanz, aber auch ohne Demut und Minderwertigkeitskomplexe. Gerade deswegen wollten sie das verbrecherische Hitlerregime beseitigen, indem sie seine Symbolfigur umzubringen versuchten. Unter den Umständen der Zeit war das eine Tat, großartig genug, um ihr Andenken zu ehren. Auch sechzig Jahre nach ihrem Tod unter den Kugeln der Hitlerschergen.
Die gegenwärtigen Veranstaltungen gewinnen an Bedeutung auch deshalb, weil in den Jahren der ideologischen Auseinandersetzung zwischen der kommunistischen und der kapitalistischen Welt die Verschwörung der Helden vom 20.Juli 1944 selten eine adäquate Darstellung erfuhr. Dieses Datum ließ sich schwer in die damals gängigen Weltbilder einfügen. Auch und vor allem in die Weltbilder der beiden, damals existierenden und konfrontierenden deutschen Staaten, wo die deutsche Vaterlandsliebe nur insofern akzeptiert wurde, wie es gegen den anderen deutschen Staat verwendet werden konnte. Für die einen war nur der Verschwörer wirklich gut, der den Werten der westlichen Gesellschaft huldigte. Für die anderen - nur ein Kommunist oder mindestens ein Mitläufer.
Da viele Verschwörer weder zur einen noch zur anderen Kategorie gehörten, versuchte man, sie zurecht zu frisieren oder in ihrer Nähe passendere Figuren zu finden.
Nach der Einstellung der ideologischen Grabenkämpfe wurde der Weg zu einem realitätsgerechten Geschichtsbild frei. Für Deutschland ist es wichtig, weil es noch auf der Suche nach seiner Identität ist.
Übrigens steht auch Russland vor einer ähnlichen Aufarbeitung seiner Geschichte, einschließlich die der Sowjetzeit. Auch Russland ringt um ein ausgewogenes Bild seiner Vergangenheit mit ihrem Licht und Schatten. An die Stelle der Selbstverleugnung, die mitunter sehr aufgesetzt wirkte und nicht ganz ohne Hintergedanken aus dem Ausland geschürt wurde, kommt auch in Russland der Patriotismus zu seinen Rechten.
Es ist eine gute Voraussetzung der wieder wachsenden internationalen Rolle Russlands. Denn nur selbstbewusste, aus freien Stücken handelnde Partner, sind gute Partner beim Aufbau einer zuverlässigen Friedensordnung in Europa und in der Welt. Deshalb verdient übrigens die hiesige Würdigung der Revolte gegen Hitler im Ausland mit Verständnis und Genugtuung registriert zu werden.
20.7.04
ALEXANDER RAHR SPRICHT ES AUS...
Im
Vorfeld des Petersburger Dialogs und der deutsch-russischen
Regierungskonsultationen wird in Hamburg zum Teil heftig diskutiert, ob die
Entscheidung der Hamburger Universität richtig ist, Wladimir Putin die
Ehrendoktorwürde zu verleihen. Alexander Rahr, Mitglied im Lenkungsausschuss
des Petersburger Dialogs, ist dafür – zum Wohle der deutsch-russischen
Beziehungen.
FRAGE: Vorweg ganz kurz die Frage, die in Hamburg diskutiert wird: sind Sie dafür
oder dagegen, dass Wladimir Putin die Ehrendoktorwürde der Hamburger Uni
verliehen bekommt ?
RAHR: Ich bin dafür. Er hat sich Verdienste gegenüber der Stadt Hamburg
erworben, besonders in der Entwicklung der Beziehungen zu St.Petersburg. Sie
liegen etwa 15 Jahre zurück, aber nichtsdestotrotz hat er es gemacht. Und ich
glaube, dass eine solche Geste den deutsch-russischen Beziehungen auf jeden Fall
vom Nutzen sein könnte.
FRAGE: Aber belastet die Diskussion in Hamburg jetzt nicht eher die Beziehungen
? Putin wird von den Kritikern vorgehalten, er sei schuld am
Tschetschenienkrieg, unterdrücke die Medien und jetzt auch noch liberales
Unternehmertum.
RAHR: Der Hintergrund, auf dem sich heute die deutsch-russischen Beziehungen
abspielen, ist in der Tat leider katastrophal geworden. Katastrophal negativ,
was die deutsche Berichterstattung über Russland angeht. Es werden Floskeln und
Halbwahrheiten gebraucht. Man steigt, aus meiner Sicht, journalistisch gar nicht
wirklich hinter die tatsächlichen Inhalte der Chodorkowski-Affäre. Man benutzt
stattdessen einfach den Fall Chodorkowski, um mit der Keule auf Putin
einzuschlagen.
Genauso interessiert die westliche Öffentlichkeit herzlich wenig, wie Russland
heute in Tschetschenien versucht, nach der Ermordung von Kadyrow eine politische
Lösung durch freie Präsidentschaftswahlen herbeizuführen. Statt dessen wird
diese Tatsache völlig ignoriert. Und man spricht davon, was man seit 10 Jahren
immer wieder sagt, dass Menschenrechte in Tschetschenien von Putin mit Füssen
getreten werden.
Dasselbe mit der Pressefreiheit: man steigt gar nicht dahinter, warum im Sender
NTW das eine oder andere Programm geschlossen oder reduziert wurde. Sei es
vielleicht weil die Zuschauerquoten weg brechen oder weil es eine Programmreform
gibt. Stattdessen wird hier auch wiederum die Keule eingesetzt, Putin trete die
Pressefreiheit in Russland mit Füssen.
Ich sage nicht, dass in Russland alles ruhig und in Ordnung ist. In Russland
gibt es in der Tat bedenkliche Entwicklungen in Bezug auf Demokratie und
Meinungsbildung. Allerdings sind die Probleme, die es in Russland gibt, eher in
der Gesellschaft selbst verankert und gar nicht mal so sehr in der Führung.
Das alles wird hier ignoriert, und ich befürchte einfach, dass der Protest, der
von einigen Hamburger Universitätsprofessoren jetzt so lauthals geäußert
wird, hier darauf basiert, dass diese Personen zu wenig Informationen darüber
haben, was in Russland passiert. Sie lassen sich von Klischees leiten, die mit
den tatsächlichen Entwicklungen in Russland wenig zu tun haben.
FRAGE: Wladimir Putin ist bereits Träger von insgesamt sechs Ehrendoktorhüten.
Gerhard Schröder wurde vor einem Jahr in Anwesenheit Putins zum Dr. hc. der
Uuniversität Petersburg. Willy Brand war Ehrendoktor der Moskauer
Lomonossow-Universität. Halten Sie es für sinnvol, dass in der internationalen
Praxis Ehrendoktorwürden zur persönlichen Aufwertung guter staatlicher
Beziehungen eingesetzt werden ?
RAHR: Ich bin nicht der Spezialist, um diese Frage so zu beantworten. Aber diese
Praxis hat sich seit dem 2.Weltkrieg eingebürgert. Als eine besondere Geste an
bestimmte Staatchefs und Minister, Aussenminister vor allen Dingen, die für die
Beziehungen zweier Staaten viel getan haben. Damit hat nicht Russland
angefangen, auch nicht Deutschland. Das ist halt gängige Praxis.
FRAGE: Boris Jelzin wurde seinerzeit in Baden-Baden der "Deutsche
Medienpreis" 1996 verliehen. Helmut Kohl persönlich wohnte der Zeremonie
bei - zu einem Zeitpunkt, als Jelzin den Tschetschenien-Krieg schon begonnen und
die russischen Medien schon gnadenlos für seinen Wahlkampf instrumentalisiert
und korrumpiert hatte. War das damals richtig ?
RAHR: Ich weiss wirklich nicht, ob man gerade die russischen Ehrentitel so gross
herausbringen sollte. Vielleicht ist die Verleihung solche Titel an Politiker
unsinnig. Natürlich geht es hier nicht immer mit rechten Dingen zu. Aber ich
sage nochmals, dass es meistens eine politische Geste ist, um den Aufbau von
strategisch wichtigen Beziehungen voranzutreiben. Man will hier bestimmte
Politiker ganz besonders ehren und eine andere Art der Ehrung als die Verleihung
von Preisen, ist in der Tat noch nicht erfunden worden.
Vielleicht wäre es innenpolitisch klüger gewesen, Putin mit einer
Goethe-Medaille auszuzeichnen, wie man es mit Politikern aus Weissrussland
gemacht hat. Eine Ehrendoktorwürde der Universität Hamburg hat ihre
Berechtigung. Sie hat ja auch übrigens viele Fürsprecher gefunden bei vielen
Wirtschaftsorganisationen, die mit Hilfe Putin Anfang der 90er Jahre ihren Weg
über St.Petersburg auf den russischen Markt gefunden haben.
Ich sehe in dieser Verleihung des Ehrendoktorwürde kein rechtstaatliches und
auch kein zivilgesellschaftliches Problem. Das Problem, das ich hier sehe ist,
dass diese Sache jetzt teilweise künstlich hoch gekocht wird und eher
innenpolitische Dimensionen bekommt. Natürlich könnte die Opposition in
Deutschland den Versuch unternehmen, die Außenpolitik Schroeders in Richtung
Russlands aus innenpolitischen Gründen zu kritisieren. Die Sache schaukelt sich
so hoch, dass der gesamte Petersburger Dialog und die Regierungskonsultation,
die für beide Länder wichtig sind – weil wir jetzt am Beginn der konkreten
Durchführung von energiepolitischen und anderen Projekten stehen - gefährdet
sein könnten, weil Putin sich möglicherweise verschnupft abwendet. Projekte
die tatsächlich auf dem aufsteigenden Ast sind, können durch solche Aktionen
noch gefährdet werden.
FRAGE: Sie meinen, Putin wird geschlagen, weil man Schröder meint ?
RAHR: Das wollte ich damit auch sagen, dass es nicht nur um Putin, der gnadenlos
kritisiert wird, sondern gerade auch um Schroeder geht.
FRAGE: Was würden Sie denn jetzt zur Schadensbegrenzung raten ?
RAHR: Ich glaube, dass Schroeder überhaupt nicht reagieren sollte. Man sollte
den Dingen den Lauf lassen. Die Entscheidung ist ja mehr oder weniger gefallen,
ich glaube nicht, dass der Protest wirklich Erfolg haben wird. Er hat die Öffentlichkeit
sensibilisiert. Für die Kritik am Tschetschenien-Krieg. Für Kritik am Kampf
Putins gegen Grossunternehmer, die dabei waren, ihr Business zu stabilisieren.
Es wurde darauf aufmerksam gemacht, dass es in Russland wirklich noch keine
freie Presse gibt.
Der Protest ist laut geäußert worden. Das hat auch teilweise seine
Berechtigung, aber nun sollte man in der Tat, nachdem alle gemacht haben, was
sie wollten, zur Tagesordnung übergehen und schauen, dass die so wichtigen
strategischen Beziehungen zu Russland damit nicht gefährdet werden.
Es ist schwierig genug. Deutschland ist zur Zeit fast das einzige Land, dass
sich innerhalb der EU wirklich um eine Integration Russlands in den Westen bemüht.
Viele Osteuropäer haben eine anti-russsiche Haltung eingenommen. Es wird sehr
schwierig werden, die Russland-EU-Politik so fortzusetzen, wie vor der großen
EU-Erweiterung 2004. Wobei Deutschland aus historischen Gründen, die wir alle
kennen, eine besondere Verantwortung hat. Deutschland verbindet eine
Schicksalsgemeinschaft mit Russland.
FRAGE: Welche Rolle spielt dabei der Petersburger Dialog, der von Putin und Schröder
initiiert wurde – aber eben darum auch von manchen als „nicht
zivilgesellschaftliche genug“ gescholten wird ?
RAHR: Ich finde diese Kritik absolut ungerecht. Es ist in der Tat so, dass
dieser Dialog jetzt am Anfangsstadium steckt und eher von Persönlichkeiten
lebt, die an diesem Dialog teilnehmen müssen. Es gibt viele potenzielle
Teilnehmer des Dialogs, die zu den anfänglichen Sitzungen vielleicht nicht
sofort eingeladen wurden, und deswegen jetzt einen gewissen Frust äußern.
Aber auch viele Journalisten, die sehr kritisch über den Dialog schreiben, müssen
aus meiner Sicht einfach verstehen, dass Russland in einem anderen Zeitfenster
lebt. Die Zivilgesellschaft ist dort völlig anderes, als z.B. in Polen oder in
Tschechien, wo die Zivilgesellschaft ein westliches Model aufnimmt.
In Russland ist das nicht der Fall. Wir haben hier eine ganz andere Entwicklung
erlebt. Und eben deshalb führen wir gerade diesen Dialog, weil er so schwierig
ist. Ansonsten würden wir uns doch hier nicht die Mühe machen, diesen großen
und kostspieligen Dialog mit einem schwierigen Land durchzusetzen, wenn alles
schon reif für eine Zivilgesellschaft in Russland wäre.
Wir haben nicht das Recht, die Russen zu belehren, aber die Verantwortung, sie
in einen Dialog mit uns zu verwickeln. Wobei man hier sagen muss, dass von
russischer Seite nicht nur Offizielle dran teilnehmen, sondern in der Tat auch
Journalisten und Vertreter nicht-offizieller Kreise. Vielleicht nicht in der Größenordnung,
wie auf der deutsche Seite, aber nichtsdestotrotz bemüht man sich auch in
Russland sehr um Ausweitung des Dialog.
Bei allen Defiziten, die der Dialog sicherlich hat - und das darf man nicht
unter den Tisch kehren - er hat vieles angestoßen.Es geht in der Tat wirklich
um mehr, als um offiziöses deutsch-russisches Palaver.
(WWW.PETERSBURGER
DIALOG.DE)
Wie jedes Jahr brachten die deutschen Medien auch heuer viele Beiträge zur Wiederkehr des Tages, an dem die Berliner Mauer gefallen war. Ein Zeitzeuge möchte seinen Senf dazu liefern. Er schreibt:
Das möchte ich tun, weil mir in der Flut von Veröffentlichungen etwas auffällt, was ich mit meinen Erinnerungen nicht unter einen Hut bringen kann. Ich meine die Darstellungen, bei denen die Massenproteste gegen die Mauer zu wenig gewürdigt, die Vorgänge hinter den Kulissen dagegen überbewertet werden. Mal ist es ein Komplott in der DDR-Führung. Oder eine Intrige in Moskau. Ein fein eingefädeltes Ränkespiel in Bonn oder in westlichen Metropolen. Je nachdem, wer sich äußert und wem ein Lorbeerkranz geflochten werden soll.
Viel wird aus der Interna der Geheimdienste kolportiert. Amüsantes und Langweiliges. Glaubhaftes und nicht. Im Endergebnis läuft es aber auf das Gleiche hinaus. Die großartige friedliche Revolution des Jahres 1989, die in Deutschland im Mauerfall gipfelte und in Russland Perestroika hieß, wird zum Produkt geschickter Regie herabwürdigt. Der Mensch von der Straße zu einer Marionette, mit der die Drahtzieher tun konnten, was sie wollten.
So war es aber nicht. Es war zwar Herbst, aber es roch nicht nach trockenem Laub, sondern nach frischem Grün. Nach Frühling, Aufbruch, Erneuerung.
Gewiss blieben die Staatsmänner, Politiker, Geheimdienste nicht untätig. So viel, wie sie es konnten, mischten sie mit. Bemühten sich, den Lauf der Ereignisse zu lenken. Wie eh und je. Aber sie befanden sich im Zugzwang. Reagierten mehr als agierten. Die Initiative ergriffen die anderen. Die einfachen Leute. Die Straße, wie es etwas verächtlich bei den Funktionären aller Couleurs hieß.
Das spürte man, wohin man in Berlin auch ging und mit wem man auch sprach. Das war das Erhebende, was man erlebte. Doppelt erhebend, weil es in Deutschland passierte, dessen Menschen ein Kadavergehorsam gegenüber der Obrigkeit oft angedichtet wurde. Und davor in Russland, obwohl es im Westen oft heißt, die Russen lassen alles mit sich machen.
Das
Geschehen von 1989 war eine Überraschung, weil Jahrzehnte lang der Mensch von der Straße
an der Leine geführt wurde. Wie ein Hund. In den sogenannten
sozialistischen Ländern mit würgendem, in den kapitalistischen mit zierlichem
Halsband. Aber überall mit
Halsband und an der Leine.
Und da stellte sich heraus, dass der Mensch von der Straße doch nicht zum folgsamen Hund geworden ist. Dass er doch einen eigenen Willen hat. Und nicht verlernte, diesen zu melden. Sogar durchzusetzen.
Es war eine Überraschung für alle, die beanspruchten, Herr des Geschehens zu sein. In einigen Äußerungen zum fünfzehnten Jahrestag des Mauerfalls klingt das mit.
Sicherlich erfüllten sich bei weitem nicht alle Hoffnungen der tatsächlichen Urheber der friedlichen Revolution. Nicht in Deutschland und auch nicht in Russland. Und auf anderen Schauplätzen auch nicht.
Aber die Geschichte hat einen langen Atem. Der Frühling im Herbst 1989 war gewiss nicht ihre letzte Überraschung.
9.11.04
Am 6. August 1945 warfen die USA- Luftstreitkräfte eine 4,5 t schwere Uranbombe mit dem makabren Namen "Little_Boy" auf die japanische Stadt Hiroshima ab.
Hiroshima wurde zum Symbol einer Bedrohung, die in den letzten Jahren dadurch akuter wurde, dass der Zugriff des internationalen Terrorismus auf die Atomwaffe nicht ausgeschlossen werden kann. In diesem Zusammenhang verdient eine von der russischen Botschaft an die Presse in Berlin übergebene Dokumentation über die russisch- deutsche Zusammenarbeit bei der Entsorgung der Atomwaffen und Sicherung des Spaltmaterials besondere Beachtung. Diese Zusammenarbeit konzentriert sich vor allem auf zwei Aufgaben. Die eine besteht darin, die Sammelstellen des atomwaffenfähigen Materials lückenlos zu schützen. Die andere darin, die ausgedienten oder der Vernichtung preisgegebenen Atomwaffen vollständig zu entsorgen, ohne die natürliche Umwelt zu belasten. Seit mehreren Jahren setzen Deutschland und Russland ihre technisch- wissenschaftliche Potentiale ein, um diese Aufgaben zu lösen, und investieren dafür beträchtliche Mittel.
In der erwähnten Dokumentation wurde unter anderem die deutsche Unterstützung bei der Realisierung eines russischen Projekts zur Entsorgung von Atombooten dargelegt, die entweder ausgedient haben oder im Rahmen eines internationalen Abrüstungsabkommens ausrangiert werden sollen. Die Dimensionen des Projekts werden dadurch sichtbar, dass Russland seit den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts 193 Atom- Unterwasserboote aus dem Bestand seiner Seestreitkräfte außer Dienst gestellt hat. Vorwiegend durch Einsatz russischer Haushaltsmittel sind bereits 96 U-Boote entsorgt worden. Deutschland unterstützt Russland vor allem, wenn es um die Entsorgung in den extra dafür von Russland aufgebauten Betrieben im Norden des Landes geht. Die hier angewendeten Entsorgungstechnologien minimieren die Risiken für die natürliche Umwelt und für Leben und Gesundheit der Menschen in den umliegenden Regionen, darunter in der Ostseeregion.
Das von den Regierungen beider Länder genehmigte Projekt der Entsorgung der U-Boote sieht eine vielseitige und langfristige Kooperation vor. Russische und deutsche Techniker sind im ständigen und engen Kontakt vertrauensvoll tätig. Eine Vielzahl von Leistungen werden in wissenschaftlich-technischen Einrichtungen sowohl in Russland, als auch in Deutschland erbracht.
Das gilt auch für die Sicherung der russischen Lager waffenfähiger atomarer Substanzen vor Diebstahl und illegaler Verbreitung auf Schwarzmärkten. Die russische Seite gewährte den deutschen Experten Zugang zu den Objekten, deren Schutz zusammen mit russischen Fachleuten überprüft und modernisiert wird. Damit wird zusätzlich gegen Missbrauch, vor allem durch den internationalen Terrorismus, vorgesorgt. Zum Beispiel mit Einsatz von Nachtsichtgeräten, Installation von modernen Durchfahrsperren und ähnlichen technischen Mitteln. Außerdem stellt Deutschland der russischen Seite nützliche Informationen über Neuentwicklungen im Westen auf diesem Gebiet zur Verfügung.
In der von der russischen Botschaft in Berlin zugeschickten Dokumentation wird der russisch-deutschen Zusammenarbeit viel gegenseitiges Verständnis und guten Willen bescheinigt. Beide Länder tragen zusammen dazu bei, die Folgerisiken des atomaren Waffenwettlaufs zu minimieren, der mit dem Abwurf der amerikanischen Atombombe vor 59 Jahren auf Hiroschima starken Auftrieb erhalten hat.
6.8.04
WLADIMIROWKA
IN HANNOVER?
Die Berichterstattung der Deutschen Medien über die Teilnahme des russischen Präsidenten Wladimir Putin und seiner Gemahlin an der Geburtstagsparty in Hannover müsste, nach Meinung unseres teams, etwas ergänzt werden.
Denn
die meisten Berichte beschäftigten sich fast ausschließlich mit der Geburtstagsüberraschung der Partygäste aus Moskau.
Gemeint ist der vom Ehepaar Putin
mitgebrachte sechzigköpfige
Kosakenchor, dessen Auftritt einen
Sturm der Begeisterung auslöste. Auch deswegen, weil die russischen
Kosaken in Deutschland eine besondere Aura umgibt. Das hat seinen Ursprung noch
in den Zeiten des Befreiungskrieges gegen die napoleonische Fremdherrschaft. In
diesem Krieg kämpfte ein russischer Kosakenkorps mit den Deutschen Seite an
Seite. Daran erinnert die am Anfang des XIX. Jahrhunderts, also bald nach
den Ereignissen angelegte Siedlung Alexandrowka in Potsdam. Dort hatte
ein auf Einladung des preußischen Königs
aus Russland eingereister Kosakenchor einst sein Zuhause. Die malerische
Siedung wurde inzwischen zum Anziehungspunkt
für die Besucher der Residenzstadt aus ganz Deutschland.
Insofern verdiente die gelungene Geburtstagsüberraschung des Ehepaars Putin, die der Mentalität der Deutschen Rechnung trug und dem Jubilar Schröder und seiner Gattin offensichtlich gefiel, die Aufmerksamkeit der Presse. Aber damit erschöpfte sich nicht die Bedeutung des Besuchs. Der russische Präsident nutzte ihn nämlich, um seine vertrauensvolle Beziehung zum deutschen Bundeskanzler hervorzuheben. Wie Putin betonte, verstünden die ersten Staatsmänner der beiden Länder einander gut. Das wirke positiv auf das Verhältnis zwischen den Staaten. Ein Verhältnis, das in der Amtszeit Schröders an Intensität gewonnen hat.
Der russische Präsident stellte fest, dass sich Schröder als ein Politiker empfohlen habe, der fähig ist, nicht immer populäre, aber sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Deswegen findet Deutschlands Stimme in der von Krisen geschüttelten Welt immer mehr Beachtung. Wahrlich eine Einschätzung, die nur als Rückendeckung für Gerhard Schröder verstanden werden kann, der vielen Anfeindungen in Deutschland selbst und im westlichen Ausland, insbesondere in Übersee ausgesetzt ist. Übrigens war Wladimir Putin unter den zahlreichen Gästen der Geburtstagsparty der einzige ausländische Staatschef.
Auch wenn die Visite des russischen Präsidenten einem privaten Anlass galt, hat sie auch in einer anderen Hinsicht politische Bedeutung gewonnen. Nämlich trug sie dazu bei, den in der deutschen Medienlandschaft wild ins Kraut schießenden Spekulationen über eingetretene Probleme in den russisch- deutschen Beziehungen entgegenzuwirken. Zwar steht es leider außer Zweifel, dass bei der NATO- und der EU- Osterweiterung die russischen Interessen nicht gebührend berücksichtigt werden. Aber alle Fürsprecher des engeren Schulterschlusses zwischen Russland und Deutschland hoffen darauf, dass die Verantwortlichen an der Spree und an der Moskwa auch weiterhin nach einvernehmlichen Lösungen suchen werden. Das sind sie der russisch- deutschen strategischen Partnerschaft schuldig, die durch vorübergehende Schwierigkeiten nicht beeinträchtigt werden darf. Das gute persönliche Verhältnis zwischen Schröder und Putin, das so überzeugend bei den Feierlichkeiten in Hannover zum Ausdruck kam, kann nur als eine Gewähr dafür begriffen werden.
PS. : Unser Redaktionsmitglied, Iwan Matrjoschkin, Esq. besteht darauf, dass zusätzlich zu dem obenstehenden sachlichen Bericht auf unserer Seite ein Gerücht Platz findet, das wir für indiskutabel halten. Und zwar will er in Erfahrung gebracht haben, dass in Hannover eine Siedlung entstehen wird, wo die russischen Kosakensänger untergebracht werden, die der russische Präsident als Freundschaftsbeweis zum deutschen Kanzler demnächst abkommandiert. Die Siedlung soll zu Ehren von Wladimir Putin Владимировка (Wladimirowka - wie einst Alexandrowka zu Ehren des Zaren Alexander). genannt werden.
Wir kennen die Quelle dieses unhaltbaren Gerüchtes. Das ist die durch maßlosen Bierkonsum in der Gaststätte „Sonnenschein“, Berlin, Prenzlauer Berg, erhitzte Fantasie des Herrn Matrjoschkin. Aber als Anhänger der uneingeschränkten Pressefreiheit gaben wir seinem Drängen auf Veröffentlichung nach.
18.4.04
PUTINA IN BERLIN
Im
Bundesfinanzministerium in Berlin fand eine Veranstaltung statt, deren Anlass
die Herausgabe einer neuen, der Freundschaft zwischen der Jugend Deutschlands
und Russlands gewidmeten Briefmarke war, deren Anliegen aber weit darüber
hinaus ging. Vor allem, weil daran Ljudmila Putina und Doris Schröder- Köpf
teilnahmen.
Es
ist zum Usus geworden, dass sich die Ehefrauen der ersten Staatsmänner um
Belange der Wohltätigkeit kümmern. Aber Ljudmila Putina und Doris Schröder- Köpf
tun viel mehr. Seit Jahren unterstützen sie sich gemeinsam der
Entfaltung der Freundschaftsbande zwischen
der deutschen und russischen Jugend.
So
kam es in der vom Deutsch-
Russischen Forum betreuten Veranstaltung zu einer ausführlichen Erörterung der
Wege zur besseren Verständigung
zwischen den jungen Menschen Russlands
und Deutschlands. In den Ansprachen der
Präsidenten- und der Kanzlergattin sowie anderer Persönlichkeiten des öffentlichen
Lebens aus Russland und Deutschland wurden die historische Bedeutung dieses
Anliegens erörtert.
Auf die gleichzeitigen Feierlichkeiten in der Normandie zum sechzigsten
Jahrestag der Landung der
westalliierten Truppen in Europa anspielend, erinnerte der Hausherr,
Bundesfinanzminister Hans Eichel, an den Spruch eines deutschen Denkers: „Zwischen Russland und Amerika
liegen Ozeane, zwischen Russland und Deutschland aber eine große Geschichte“.
Wie der Ozean trennt die Geschichte, auch eine sehr kontroverse,
nicht nur, sondern verbindet auch. Vor allem verpflichtet sie zu immer
neuen Bemühungen um die Festigung der
Partnerschaft, die nicht von ungefähr von beiden Ländern als eine strategische
definiert wird. Als eine, die sich nicht nur auf die Gegenwart, sondern auch auf die nähere
und entferntere Zukunft erstrecken soll und deshalb in den Händen der jungen Menschen liegt. Ihre
Annäherung ist der Faustpfand des Friedens und des vertrauensvollen
Zusammenwirkens von
Deutschland und Russland, das der Völkervereinigung
in den Grenzen des gesamten Kontinents dient. Der historisch entstandene Fundus
der deutsch-russischen Gemeinsamkeiten, vor allem im kulturellen Bereich ist groß,
er muss aber ständig wachsen und bereichert werden, um den immer neuen Ansprüchen
der Zeit standzuhalten.
Der
künstliche Rahmen der Veranstaltung, der von jungen Menschen aus Russland und
Deutschland bestritten wurde, zeugte vom guten Willen der Jugend, dieser
Verpflichtung nachzukommen. Sie sangen jeweils in der Sprache des anderen
Landes, rezitierten und tanzten. Es wurde von der angebahnten
Zusammenarbeit der Schuleinrichtungen berichtet. Allerdings
liegt noch ein weites Feld der Annäherung vor der Jugend der beiden Länder,
deren Krönung ein deutsch- russisches Jugendwerk
sein soll, wie es zum Beispiel zwischen
Deutschland und Frankreich bereits seit Jahren existiert und wie es auch
von Deutschland und Russland angestrebt wird.
7.6.04
ZWEI
PRÄSIDENTEN, ZWEI BOTSCHAFTEN AN DIE VÖLKER
Eine
Vergleichanalyse des Forschungszentrums „Iwan Matrjoschkin, Esq.“
Am
Mittwoch, dem 26.5.04, richtete der russische Präsident Wladimir Putin eine
Botschaft an die russische Staatsduma. Davor tat George W. Bush in etwa das Ähnliche.
Der
Ami wollte dem Russen die Schau stehlen. Das ist ihm nicht gelungen!
Denn
die Bushbotschaften waren ein einziger kläglicher Rechtfertigungsversuch. Nach
dem Reinfall der USA im Irak, durch Publizierung der von der US- Soldateska
gedeckten Folterungen offensichtlich geworden, blieb ihm nichts anderes übrig,
als durch Zerreden sein Versagen zu vertuschen.
Schäbig!
Das Verhalten erinnert an seinen Vorgänger Clinton. Doch was sind
die Liebesspiele, auch recht
animierende, im Vergleich zu den
Vorgängen im Irak? Was ist Monika Lewinski mit ihrer flinken Zunge im Vergleich
zu Bin Laden und seinen Scharen von Selbstmordattentätern?
In
Gegensatz zu Bush brauchte Wladimir
Putin keine unbeholfenen Rechtfertigungsversuche. Tschetschenien? Ach was! Das
ist doch ein russisches Territorium. Genau gesagt der Hinterhof Russlands im
Kaukasus. Ein Krieg in Tschetschenien ist, völkerrechtlich gesehen, eine
Polizeiaktion. Und die Polizisten neigen eben zu Übergriffen, das sehen wir
immer wieder im „Tatort“.
Und
überhaupt hat Putin keinen Grund zur Rechtfertigung. Denn er hat seine Wahl
bereits hinter sich. Und zwar hat er diese so hoch gewonnen, wie Bush gar nicht
träumen kann.
So
hat Putin das Thema Tschetschenien ausgelassen. Und kein Russe wird ihm
das übel nehmen. Ausgenommen vielleicht die notorischen
Menschenrechtler. Aber auf diese dürfen wir pfeifen, wie er in seiner Botschaft
an die Staatsduma hervorhob. Denn
es sind zumeist bezahlte Handlanger
von gewissen ausländischen Klüngeln, darauf
aus, den bevorstehenden Aufstieg
Russlands zu den Gipfeln der Macht und der Würde in der Welt zu verhindern.
An
der Stelle seiner Rede schien es mir, als hätte er den Missetätern den Vogel
gezeigt oder vielmehr die in Russland gängige Figur aus drei Fingern mit
derselben, aber etwas energischer vorgezeigten Bedeutung.
(Die
Figur wird gebildet, wenn man den Daumen zwischen dem Zeige- und Mittelfinger
platziert und den Arm dann dem Opponenten entgegenstreckt. Vor die Nase).
Aber
es war sicherlich eine Halluzination, dass Putin den Opponenten einen russischen
Vogel gezeigt hatte.
Denn
mein Freund ist ein feiner Mensch.
Wie
ich selbst, dem das englische Oberhaus, von dem ehemaligen NATO- Generalsekretär
Lord Robertson von Port Ellen vertreten,
den Titel Esquire verliehen hat.
Aber
zurück zur vergleichenden Analyse von Bush- und Putins Botschaften.
Der
Ami stand auch deswegen kläglich da, weil sich die USA unter seiner Führung
auf ein riesiges Außenhandelsdefizit eingelassen haben. Nüchtern gesehen sind
sie bereits pleite. Und je weiter, desto mehr. Vorsorglich
habe ich mein kleines
Dollarvermögen (fünf USD) in Euro transferiert. Was ich auch allen
matrjoschka- Lesern empfehle.
W.
W. Putin konnte sich in Gegensatz zu Bush gegenüber seinem Volk und der Weltöffentlichkeit
in Zuversicht üben. Denn Russlands Devisenvorräte sind hoch wie nie. Und die
Handelsbilanz top positiv! Kauft Rubel, liebe matrjoschka – Leser. Auch weil
sie so billig wie lange nicht geworden sind.
Vor
dem Hintergrund der russischen
Prosperität hat Russland, betonte mein Freund, alle Chancen, seine
langfristigen Wirtschaftsziele vorzeitig zu erreichen. Zum Beispiel, Portugal
einzuholen!
Zwar
geht es den Amis vorläufig noch etwas besser als den Russen, aber das wird sich
ändern. Ich bin sicher, dass nach Portugal auch die USA zurückgelassen werden.
Besonderes
Augenmerk widmete mein Freund der Gesundheits- und der Hochschulbildungsreform.
Nicht umsonst kommt er immer wieder nach Berlin.
Besonders
ergiebig verspricht die
Bildungsreform zu sein. Ihr Kern: Studenten, die sich nach dem Abschluss
weigern, die vorgeschlagene Tätigkeit anzunehmen, werden demnächst die
Aufwendungen des Staates für ihr Studium zurückzahlen müssen. Richtig so! In
Russland darf der Unfug wie in Deutschland nicht stattfinden, wo die Bengel
viele Jahre studieren und dann als Arbeitslose ihr Leben genießen dürfen.
Und im Übrigen hat sich W.W.P. wohl von den deutschen Arbeitsämtern
inspirieren lassen, wie man Stützeempfänger und ähnliche Schmarotzer
behandelt.
Von
Deutschland lernen, heißt siegen lernen!
Dagegen
hat Bush keine frischen Ideen in
seinen Botschaften präsentiert. Einfallslos wie er ist.
Das
bezeugt Ihr ergebener Iwan Matrjoschkin. Esq.
27.5.04
Liebe
Holzpuppe,
Also,
hatten wir in Moskau die Ehre, Euren Bundeskanzler wieder mal zu erleben. Er
machte auch jetzt eine gute Figur, weil er den Stimmen in der Heimat nicht
Gehör schenkte, die ihm
dringend anrieten, in Moskau Fragen aufzuwerfen, die nur für Verdruss
auf beiden Seiten sorgen könnten. Vielleicht , ertönten die Aufforderungen so
laut, weil seine Rivalen ihm nicht unbedingt einen Erfolg gönnten. Da haben sie
sich aber verrechnet. Der Erfolg blieb nicht aus. Der Gast aus Berlin
und sein Gesprächspartner, unser Präsident
Putin, hielten nämlich an der vorher vereinbarten
Tagesordnung fest.
Somit hatte der Meinungsaustausch in
der knapp bemessenen Zeit nicht vorübergehende Vorgänge
in Russland zum Gegenstand , sondern Fragen, die das wirtschaftliche
Zusammenwirken beider Länder auf Jahre, wenn
nicht Jahrzehnte hinaus beeinflussen.
Die Verhandlungen wurden von
Unterzeichnung wichtiger
Kooperationsabkommen gekrönt.
Die
Kooperation sichert vor allem die Versorgung Deutschlands mit russischen
Energieträgern. Um diese weiter
anzukurbeln, wird Ausbau der Erdgasförderung in Russland und eine entsprechende
Erweiterung der Transportkapazitäten für
Energieträger nach Deutschland, auch über die Ostsee, geplant. Die
Wirtschaftsexperten messen den Vorhaben eine elementare Bedeutung für die
Abdeckung des zusätzlichen Bedarfs und der
Sicherheit der Energieversorgung der Bundesrepublik Deutschland und ganz
Europas bei.
Von
der Energieversorgung Deutschlands hängt aber seine gesamte Wirtschaftsleistung
ab. Da es aber der wichtigste Handelspartner Russlands und ein großer
Investor in die russische Wirtschaft ist,
liegt es in unserem eigenen wohlverstanden Interesse, den Deutschen
über ihre derzeitigen Schwierigkeiten, zum Teil durch die Verknappung
der Energieträger verursacht,
zu helfen. Umso mehr, dass
die Verschiedenheit der Wirtschaftsstrukturen
eine Kollision beider Länder auf dem Weltmarkt ausschließt, was übrigens nicht für alle anderen wirtschaftlichen Partnerschaften
Deutschlands zutrifft.
Soviel
ich weiß, sind die
Chancen der
deutschen Geschäftsleute, die übrigens in einer ansehnlichen Zahl dem
Bundeskanzler nach Moskau folgten, in Russland zu verdienen, in Russland gut zu
verdienen nie so rosig wie heute
gewesen. Ihnen spielt nicht
nur der russische
Wirtschaftsaufschwung in die Hand, sondern die endlich in Russland eingekehrte
politische Stabilität. Dazu gehört die Vereinheitlichung und Straffung der
russischen Gesetzgebung in der gesamten Russischen Föderation, was das Niveau
der Rechtssicherheit für ausländische
Unternehmer erhöht. Vor
allem für jene, die sich in entfernten Regionen des
Landes betätigen wollen.
Also gerade dort, wo die russischen Erdgas- und Erdölvorkommen liegen.
Trotzdem
verstummen nicht kritische
Äußerungen in Deutschland über die russische Innenpolitik und auch zu
Schröders Einstellung dieser gegenüber . Vor allem, was Chodorkowski betrifft.
Dazu muss ich sagen, dass der Großteil der hiesigen Öffentlichkeit
es schwer
nachvollziehen könnte, wenn sich der deutsche Bundeskanzler, anstatt sich in
Moskau auf das Wesentliche zu konzentrieren,
für einen wegen Steuerhinterziehung
belangten russischen Erdölmagnaten verwandt hätte. Noch dazu
bevor ein zuständiges
Gericht seine Schuld oder Unschuld festgestellt hat.
Schließlich
fällt es niemandem in Russland ein, in Berlin zu Gunsten der gerade in diesen
Tagen vor deutschen Richtern stehenden Konzernmanager
zu intervenieren. Denn die Russen meinen, Gesetze müssen wohl auch für die Superreichen gelten.
Es
genügt uns, dass sich die russischen Neureichen mit dubiosen Praktiken im Nu
gemausert haben. Das geschah in den Jahren der wilden Privatisierung der
mit Blut und Tränen des Volkes geschaffenen Wirtschaftsgüter der Sowjetunion.
Die Gesetzeshüter guckten hilflos zu, weil sie, in der Sowjetzeit
verwurzelt, verunsichert wurden. Müssen die Spekulanten
auch jetzt so behandelt werden, als gäbe für sie weiterhin keine
Gesetze?
Als
die sowjetische Industrie geplündert wurde,
klatschte der Westen Beifall den Plünderern und ihren Partnern aus der
sowjetischen Hochnomenklatura wie Gorbi und Zar Boris. Jetzt geht es darum, dass
die Neureichen wenigstens einen geringen Teil der Beute über Steuern zurückgeben.
Und wieder finden sie Unterstützung im Westen.
Ich
habe gehört, im deutschen
Grundgesetz stünde einen schönen Satz über die Verpflichtungen des Eigentums.
Bei welchem Eigentum gilt das Gebot
nicht mehr? Von einer Million? Von
einer Milliarde?
Oder
gilt es nur in Deutschland?
Mit
Liebe aus Russland,
K.K.,
Moskau, 9.7.04.