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RUSSLAND IN DER GESCHICHTE (FORTSETZUNG)

1968- 2003

Vor 35 Jahren marschierten Truppen von fünf Ländern des Sowjetblocks in die Tschechoslowakei ein, um den Prager Frühling, den Reformversuch des Kommunismus, abzuwürgen.

Sowohl die UdSSR, die an der Spitze des Einmarsches stand, als auch das Opfer, die Tschechoslowakei, und auch die anderen teilnehmenden „volksdemokratischen“ Staaten gibt es nicht mehr. In der Vergangenheit versunken ist der Sozialismus sowjetischen Typs, der 1968 mit Panzern verteidigt werden sollte. Nicht viel länger überlebte ihn der  Traum vom „Sozialismus mit menschlichem Gesicht“. Doch die Politik, die einen Überfall erlaubt, erlebt ein Renaissance. Und wieder beruft sie sich darauf, dass ein undefinierbares Allgemeinwohl wichtiger ist als die Souveränität dieses oder jenes Staates.  

1968 meinte der Westen, diese Politik zeige das aggressive Wesen des sowjetischen Regimes. Heute sagen sogar die Verfechter des Völkerrechts, Punkt sieben, Artikel zwei der UNO-Charta, in dem die Unantastbarkeit der staatlichen Souveränität deklariert wird, sei veraltet und müsse nachgebessert werden.  

Die sowjetische Führung erklärte 1968, jede kommunistische Partei trage Verantwortung nicht nur für das eigene Volk, sondern auch für alle Länder des Sozialismus und die ganze kommunistische Weltbewegung. Das hieß, wenn der Sozialismus irgendwo in Gefahr ist, muss eingeschritten werden. Der Schutz des Sozialismus kann nicht als Angelegenheit eines einzelnen Staates angesehen werden, das ist die Pflicht aller sozialistischen Staaten.

Ersetzen wir  "Schutz des Sozialismus" durch "Schutz der Menschrechte“ und „Weltsozialismus“  durch "Freiheit und Demokratie" – was ergibt das?   

Die sowjetische Doktrin der beschränkten Souveränität, die den Einfall in souveräne Staaten rechtfertigte, verband man mit dem Namen des damaligen sowjetischen Staatschefs Leonid Breschnew. Der aber konnte nicht einmal die Doktrin und Souveränität richtig aussprechen. Durchaus möglich, dass der amerikanische Staatschef, mit dessen Namen die Doktrin der humanitären Intervention verbunden wird, auch so seine Probleme hat mit der Aussprache dieser Worte. Doch nicht das ist der Punkt, sondern die Tatsache, dass er eine ganze Interventionsarmada in Bewegung setzen kann. Wie Breschnew die Panzer in die Tschechoslowakei schickten konnte. Ohne Rücksicht auf irgendetwas.

Natürlich wäre ein Gleichheitszeichen zwischen dem sowjetischen expansionistischen und gegenwärtigen amerikanischen Vorgehen übertrieben. Der Unterschied zwischen dem Ersticken erster zerbrechlicher Triebe des Liberalismus in einem friedlichen europäischen Land und dem gewaltsamen Sturz eines grausamen Diktators liegt auf der Hand. Doch ist die Parallele zwischen 1968 und 2003 nützlich, um die Zukunft vorherzusagen. Sie erinnert nämlich daran, dass jede Intervention Hass auf die Angreifer provoziert. Die Menschen wollen keine  von außen aufgezwungenen Regierenden.

Auf keinen Fall wollen wir die Tschechen mit den radikalen Moslems in einen Topf werfen. Doch für die Muslime im Irak oder in Afghanistan ist Amerika genau so ein aggressives, grausames und verhasstes Imperium wie es die Sowjetunion für die Tschechen war. Keine Intervention ist für die Opfer humanitär.

Zwanzig Jahre dauerte in der Tschechoslowakei die Epoche der „Normalisierung“. Sie endete, als der „große Bruder“ schwach wurde. Nun war er außerstande, die Souveränität seiner Vasallen zu beschneiden. Und die Tschechen jagten seine Statthalter davon. Amerika ist weitaus stärker als es die Sowjetunion war. Trotzdem ist nicht ausgeschlossen, dass es in der muslimischen Welt so weit kommt wie in der Tschechoslowakei. Nur dass die Afghanen und Iraker etc. anders beschaffen sind als die vom Charakter her friedlichen und kompromissbereiten Landsleute des braven Soldaten Schwejk. Leider!
 
Nach „Gazeta. ru“  25.08.03

AUSSTELLUNG IN PEENEMÜNDE 

Die bereits in mehreren  deutschen Städten gezeigte und großes Aufsehen erregende Ausstellung von Dokumenten über die Verbrechen der  deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg ist zur Zeit  in einem Ostseestädtchen zu sehen. In Peenemünde, dem in der Geschichte des Zweiten Weltkrieges eine besondere Rolle zukommt. Hier wurden die schärfsten Waffen der deutschen Wehrmacht mitentwickelt,  erprobt und zum Teil stationiert. Vor allem die Raketen V-1 und V-2, um Vergeltung für die Luftwaffenangriffe der Westmächte auf deutsche Städte zu zelebrieren. Daraus wurde zwar wenig, aber die Hightechwaffen  repräsentierten trotzdem  das hohe technische Niveau der Arsenale des nationalsozialistischen Reichs.  

Es war sinnvoll, die Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg auch in Peenemünde zu zeigen. Denn zwischen dem hohen Stand der Kriegstechnik   und den Verbrechen der Wehrmacht  bestand ein innerer Zusammenhang. Zwar streiten die Historiker noch, ob die martialische Politik  das Wettrüsten oder umgekehrt der hohe Stand der Rüstungen die martialische Politik nach sich zieht. Aber was auch zuerst kommt, das Ei oder die Henne, das Eine und das Andere sind nicht zu trennen. Einen Angriffs- und Vernichtungskrieg, einschließlich   brutale Kriegsverbrechen,  leistet sich  nur das Militär, das sich unbesiegbar wähnt  und deshalb auch keine Strafe fürchtet. Wie die Wehrmachtsgeneräle, die in der Sowjetunion gewütet haben. Hätten sie   geahnt, dass sie einmal dafür gerade stehen müssen, was ihre Truppen im "Ostfeldzug" verbrochen haben, wäre die Ausstellung in Peenemünde an aussagekräftigen Dokumenten ärmer. Aber sie verfielen der Arroganz der Macht.  

Übrigens eine verbreitete Verirrung des Geistes.  Wir wissen heute, dass auch  ein ganz anders geartetes Militär, das amerikanische, mit  überwältigender Kriegstechnik ausgerüstet, vorm selben Wahn nicht gefeit ist.  Deswegen wird die Welt hellhörig, wenn die Supermacht USA ihr Militärpotential weit über die Erfordernisse der Sicherheit  steigert.  

Zur  Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht zurück, ist festzustellen, dass in ihrem Mittelpunkt die ausführlich belegten Untaten auf dem Gebiet der Sowjetunion stehen. Es ist kein willkürlich gesetzter Akzent. So war es in der Realität. Die schlimmsten  Verbrechen hat die Wehrmacht an den  Russen, Ukrainern und Belorussen  verübt. Nicht nur, weil sie in den Augen der Befehlshaber halbe Barbaren  waren. Und nicht nur, weil zur rassistischen Verseuchung auch ein wütender Antikommunismus kam. Sondern  weil das Kriegsziel die Ausrottung dieser Völker einschloss. Da ihr Lebensraum begehrt war, sollten sie dezimiert werden. Die Wehrmacht hatte den Auftrag, einen Vernichtungskrieg zu führen.  

So müssen die Völker der ehemaligen Sowjetunion  dem lieben Gott dafür danken, dass dem Hitlermilitär  zwar ferngesteuerte Raketen, aber keine atomaren Sprengköpfe dazu zur Verfügung standen. Und das deutsche Volk müsste eigentlich auch dem Herrgott  danken. Und zwar dafür, dass der Vormarsch der Roten Armee den Krieg in Europa verkürzte und dieser zu Ende ging, bevor  die neue Waffe in den USA erprobungsreif wurde. Sonst wäre sie womöglich im Dresdener oder Hamburger Raum zum Einsatz gebracht worden, wie es in Japan im Raum von  Hiroschima und Nagasaki im  Herbst geschah. Und vor dem Hintergrund  ihrer Tötungs -und Zerstörungskraft erscheinen die V-1 und V-2 aus  Peenemünde  wie Spielzeug.  

Jedes Mal, wenn die Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht auf Reise ging, entbrannten in Deutschland Debatten über die Frage " Was soll es?" Diesmal aber sind sie bei weitem nicht so hitzig wie sonst. Man möchte hoffen, dass eine gewisse Zurückhaltung der Opponenten der Ausstellung nicht nur dadurch zu erklären ist, dass die Schau diesmal  in der tiefen Provinz stattfindet, sondern auch durch Fortschritte im öffentlichen Bewusstsein. Dadurch also, dass sich die Deutschen in jüngster Zeit überzeugen konnten, dass das Verbrechen des Krieges und die Kriegsverbrechen nicht aus der Welt sind. Ergo, sind  gut recherchierte Analysen der schlimmsten Verbrechen des Zweiten Weltkrieges, von wem sie auch begangen wurden, nicht überflüssig. Und man hat keinen Grund, sich dagegen aufzulehnen. 

14.8.03

BEUTESTÜCKE  

Mit einer  Ausstellung unter diesem Titel  wagte sich das Deutsch-Russische Militärmuseum in Berlin- Karlshorst auf ein kaum erschlossenes  Terrain. Es geht um den Propagandamissbrauch der sowjetischen Kriegsgefangenen in Deutschland  und der deutschen- in der Sowjetunion während des Zweiten Weltkrieges.  

Das Los der einen, aber auch  der anderen konnte ihre Kameraden, die weiterkämpften, gewiss nicht verlocken, in Gefangenschaft zu gehen.  Von den  fünf Millionen gefangengenommenen Angehörigen  der Sowjetstreitkräfte überlebten drei Millionen die deutsche Kriegsgefangenschaft  nicht. Von den drei Millionen der kriegsgefangenen deutschen Soldaten überlebte eine Million die sowjetische Kriegsgefangenschaft nicht. Ein schlagender Beweis für die besondere Unmenschlichkeit dieses Krieges, der von Anfang an alle Normen der zivilisierten Kriegführung missachtete.  

Aber die Kriegspropaganda kümmerte sich wenig um Tatsachen. Ihre Meister auf beiden Seiten taten ihr Bestes, um die Kriegsgefangenschaft dem Gegner schmackhaft zu machen. Die feindlichen Stellungen wurden mit Millionen Flugblättern beworfen. Außer dem Text, der die gute Behandlung der sich ergebenden Soldaten pries, enthielten sie zumeist mehrere Fotos. Ein glücklich lachender Kriegsgefangener, der eine riesige Portion aus der Gulaschkanone vertilgt oder, nach einer guten Mahlzeit, die Ziehharmonika (wenn ein Russe) oder Mundharmonika (wenn ein Deutscher) spielt. Die Kriegsgefangenen in  fröhlicher Runde beim Witzeerzählen. Und so weiter und so fort. Keine Spur von Hunger, Sklavenarbeit und anderen Bescherungen der Kriegsgefangenschaft.         

Die Fotos wurden von gutgeschulten Fachleuten gemacht, die die volle Unterstützung der Kommandanten der Kriegsgefangenenlager hatten.  Kriegsgefangene, die ihrem Typus nach den Erfordernissen der Propaganda entsprachen und, aus welchen Gründen auch immer, jede zugewiesene Rolle zu spielen bereit waren, wurden als Statisten ausgewählt.  

In der Ausstellung des Deutsch-Russischen Militärmuseums in Berlin- Karlshorst sind auch andere Propagandafotos zu sehen. Sie wurden nicht für die Frontpropaganda gemacht, sondern für den Einsatz im eigenen Hinterland. Sie sollten der eigenen Bevölkerung das hässliche Gesicht des Feindes vorführen.  

Hier beschritten die deutsche und die sowjetische Propaganda, insbesondere in den ersten Monaten nach dem Überfall  Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion, verschiedene Wege. Die sowjetische Propaganda war darauf aus, die deutschen Soldaten  als irregeführte und missbrauchte Klassenbrüder darzustellen. Demnach auch die Kriegsgefangenen als jene zu zeigen, die die Irreführung erkannt haben. Das entsprach den in der sowjetischen Praxis leider nicht immer befolgten Grundfesten der sowjetischen Ideologie, die davon ausging, dass nicht die ethnische Herkunft, sondern die soziale Stellung für die Mentalität des Menschen und sein Verhalten maßgebend sind. Die deutschen Kriegsgefangenen erschienen auf den sowjetischen Propagandabildern der ersten Kriegszeit   mitunter als sympathische Menschen.  

Der Verfasser dieses Beitrages erinnert sich noch daran, wie er und seine Kameraden sehnsüchtig darauf warteten, dass die deutschen Arbeiter und Bauern in Wehrmachtuniform ihren Generälen den Gehorsam verweigern und dem Krieg ein Ende machen. Die „Irregeführten“ marschierten aber brav immer tiefer nach Russland hinein und hinterließen eine furchtbare Spur. So wurden die Illusionen zerstört, was sich letztendlich auch in der Behandlung der deutschen Kriegsgefangenen reflektierte.  

Die deutsche Propaganda leistete sich keinen Firlefanz. Deshalb  sahen die sowjetischen Kriegsgefangenen auf den deutschen Propagandabildern für die eigene Bevölkerung fast immer wie Untermenschen aus.   Die Fotografen, dem Auftrag folgend, gaben sich Mühe, die Unglücklichen  so darzustellen, dass beim Betrachter kein Mitleid, sondern Furcht und Ekel geweckt wurden. In etwa: Sieh da, so sind die Asiaten, die Deutschland bedrohen, in die Hölle mit ihnen.  

So erinnert die Ausstellung an eine Vergangenheit, die sich jüngere Menschen kaum  mit allem drum und dran vorstellen können. An eine  Vergangenheit, die hoffentlich nie wiederkehrt.

14.8.03

GEGEN DIE UNGERECHTIGKEIT  

In den Jahren des  Zweiten Weltkrieges  wurden bis zu fünf Millionen sowjetischer Soldaten und Offiziere von der deutschen Wehrmacht gefangengenommen.  Drei ein halb  Millionen bis drei Millionen neunhunderttausend  haben die  Gefangenschaft nicht überlebt. Bis zu 80 Prozent. An diese Zahlen erinnerten sich die Teilnehmer einer Pressekonferenz im Kanzleramt der deutschen Hauptstadt.  

Die Pressekonferenz gab die Staatsministerin Christina Weiss. Sie stellte eine Dokumentation über das schwere Los der sowjetischen Kriegsgefangenen vor, besonders schwer, weil die gefangengenommenen Rotarmisten zumeist gezielt vernichtet wurden. Besonders schwer,  weil unter allen Kriegsgefangenen sie, auch wenn sie am Leben bleiben durften, den schlechtesten Stand in den Lagern hatten. Ihr Schicksal war besonders hart auch aus einem anderen Grund, der nicht mit der Absicht der nationalsozialistischen Führung zusammenhing, die „Untermenschen“ zu dezimieren. Denn als sie die Ungeheuerlichkeiten überstanden hatten und ins Heimatland zurückkehrten, wurden sie von den sowjetischen Behörden nicht mit Blumen empfangen. Im Gegenteil. Ein Rotarmist, auch ein kampfunfähiger, galt, wenn er sich gefangen gab, als Vaterlandsverräter. Entsprechend wurde er behandelt. Das ganze ihm verbliebene Leben lang. Keine gute Arbeitsstelle, keinen guten Wohnraum, keine finanzielle Unterstützung vom Staat. Und in vielen Fällen- neue Gefangenschaft. Diesmal in Lagern in der Heimat und deshalb besonders bitter.  

Sogar nach der  Entstalinisierung Russlands dauerte die Diskriminierung an, auch wenn sie weniger grausam wurde. In der Historiographie des Zweiten Weltkrieges blieb das Thema oft ausgeklammert. Mitunter  deswegen, weil man die zu Freunden gewandelten Deutschen nicht verstimmen wollte. Wozu  Zündstoff in die vertrauensvollen Beziehungen schütten? Soll Gras über die schlimme Vergangenheit  wachsen!  

Vor diesem Hintergrund erscheint es doppelt anerkennenswert, dass Deutschland selbst die Initiative ergriff, um  gegen die Ungerechtigkeit  vorzugehen. Das Amt von Kulturstaatsministerin Weiss  initiierte ein   deutsch-russisches Forschungsprojekt, das inzwischen  auch von Weißrussland und der Ukraine unterstützt wird.
Erste Ergebnisse der Forschungsarbeiten liegen jetzt in
dem Buch "Für die Lebenden. Der Toten Gedenken." vor, das Christina Weiss  im Beisein der Botschafter der Russischen Föderation, der Ukraine und von Belarus
vorgestellt hat. Die Autoren  haben versucht, aus den Akten der ehemaligen deutschen Wehrmachtsauskunftsstelle die Schicksale
sowjetischer Kriegsgefangener in Deutschland nachzuvollziehen.

Das Buch steht am Anfang des Forschungsvorhabens, das insgesamt zehn Jahre dauern soll, da bis zu einer Million Unterlagen in den Archiven vermutet werden. Bei der Durchsicht arbeiten die deutschen Historiker und Archivare mit ihren Kollegen in Russland, Belarus und jetzt auch der Ukraine zusammen. Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien und das Bundesministerium des Innern fördern das Projekt mit jeweils 80.000
Euro jährlich.
In den nächsten Jahren werden Tausende Familien in Russland und den anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion eine Nachricht über das
Schicksal der bislang Vermissten erhalten können.

Es ist nicht zu unterschätzen, dass auch der diskriminierten Opfergruppe des national-sozialistischen und kommunistischen Terrors gedacht  und den bis jetzt Namenlosen und Vergessenen ihre Würde wenigstens postum zurückgegeben wird. Noch tröstender wäre es allerdings, könnten sich die wenigen noch am Leben gebliebenen Kriegsgefangenen ihre letzten Lebensjahre durch ein bisschen Wohlstand verschönern. Einige russische Initiativgruppen und ihre deutschen Partner versuchen,  die ehemaligen Sklaven des Hitlerreiches in  Soldatenmänteln der Roten Armee in den Kreis der Entschädigungsberechtigten  einzureihen. Bis jetzt erfolglos. Vielleicht aber ist das Buch  "Für die Lebenden. Der Toten Gedenken"  ein erster Schritt auf dem Wege zu diesem lohnenswerten Ziel. 

 18.11.03  

EIN AMBIVALENTER JAHRESTAG    

Am 9. Mai wird in Russland der Tag des Sieges gefeiert. Der 59. Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht am Ende des Zweiten Weltkrieges, die vorwiegend unter den Schlägen der Roten Armee zerbrach.   

Die Russen wollten diesen Krieg nicht. Auch in der Zeit, als Hitler in Deutschland regierte, gab es im Lande  keinen ausgeprägten Hass auf die Deutschen. Aber zurückschlagen mussten die Russen, wer kann es ihnen übel nehmen?  Und sie haben es mit jener, etwas chaotischen, aber schier unversiegbaren Energie getan, die sie schon immer  in den Schicksalsstunden entfalteten. Woher sie kommt, weiß der Kuckuck!    

Und jetzt zur  im Titel dieser Stellungnahme des Konzerns matrjoschka-online.de  apostrophierten Ambivalenz des Datums. Sie  besteht darin, dass die martialische Tat der Sowjetunion zwar Deutschland von der braunen Barbarei  erlöste  und Europa  rettete, aber die Sowjetunion selbst dem Untergang weihte. Wie oft in der Geschichte, trug der Triumph den Kern des späteren Desasters in sich. Die Kriegsführung , die wohl allein den Zusammenbruch   Deutschlands herbeiführen konnte, war zu aufwendig. Sie untergrub das Fundament des siegreichen Staates. Ein Pyrrhussieg eben!    

So waren die Verluste der Sowjetunion an Menschen etwa drei Mal so hoch wie die des Kriegsgegners.  Auch die von Russland in Kauf genommenen Verwüstungen  ließen sich  durchaus mit denen Deutschlands vergleichen.   

Deshalb blieb die Sowjetunion im Nachkriegswettbewerb mit der übrigen Welt  immer weiter zurück. Trotz einzelner spektakulärer Erfolge wie die beim Durchbruch ins Weltall oder der Produktion der modernsten Waffen.

Vor allem aber wurden die Russen nie mehr das Gefühl los, dass die anderen  überlegen sind. Trotz des Stolzes, den ihnen die Führung  mit aller Unverschämtheit der Propaganda einzuimpfen versuchte. Bis zur unsinnigen, aber bezeichnenderweise gerade nach dem Krieg in Umlauf gebrachten Mär von Russland als alleinige Wiege der modernen Zivilisation.

Aber der nolens-volens immer stärkere Verkehr mit den in Ost- und Mitteleuropa eroberten Provinzen des Sowjetimperiums vermittelte den Russen was ganz anderes. Sie sahen, dass sogar „наши немцы“, das heißt die  Deutschen in der DDR, eigentlich zum Stamm der Besiegten gehörend, es viel besser als sie selbst, die Sieger, hatten.

So wurde die Sowjetunion, die unvergleichlich mehr  als die Westmächte für die Vernichtung Hitlers geopfert hatte,  wie Hitlerdeutschland,            wenn auch zeitversetzt, zum Verlierer des Krieges. 1991, als sie auseinanderbrach,  wurde das ein Faktum. Die Russen  büßten die gute Hälfte ihres in Jahrhunderten entstandenen Reiches ein. Was sind dagegen schon die Randgebiete Deutschlands, die es als Folge des Krieges abtreten musste!

Die Russen auf den dem Reich abgegangenen  Gebieten erfahren jetzt die ganze Unbill, die den Deutschen nach dem Krieg widerfuhr. Vertreibung, Diskriminierung usw. Ehemalige Verbündete und  heutige Gönner gucken zu. Manche reiben im Stillen die Hände. 

Auch der Zerfall der französischen und englischen Kolonialreiche war ein Kriegsergebnis.  Der einzige wahre Sieger sind die Vereinigten Staaten von Amerika. Hip, hip, Hurrah! Die Großmacht, die am wenigsten Menschenleben auf den Altar des Sieges opfern musste und  seine  Wirtschaft im Krieg aufblasen konnte. Logischerweise etablierte sich der Dollar nach dem Krieg  als der feisteste Kriegsgott! Die Kriegtrophäe wurde die monopolare Welt, in der wir leben.

Es ist eine Welt, wo die Amis, eigentlich, wie Herr Bush feststellte, sehr  nette Leute, sich viel leisten können. Praktisch alles! Bis zu den Exzessen im Irak, die in diesen Tagen über die Fernsehschirme flimmern.

Ach, die Weltgeschichte kann einen zur Verzweiflung bringen, seufzen die Holzpuppen. Nur Iwan Matrjoschkin, Esq., ihr männlicher Kollege, bleibt standhaft.  Am Tag des Sieges, dem 9.5., zieht  er die sowjetische Militäruniform an, heftet sich  sowjetische Kriegsauszeichnungen an die Brust und marschiert so in seine Stammkneipe „Sonnenschein“, Berlin, Prenzlauer Berg. Soll der Geizhals, der perfide Kneipier,   der ihm jeglichen Kredit verweigert,  erzittern! Wie vor 59 Jahren Adolf Hitler in der Reichkanzlei in Berlin...

5.5.04 

WIE   VIEL VATERLÄNDISCHE KRIEGE FÜHRTE RUSSLAND?

Drei! Mindestens. Der erste Vaterländische Krieg, also ein Krieg, bei dem es darum ging, ob das russische Vaterland überlebt, führte Russland unter Alexander dem Ersten, als es 1812 von der Grand Armee  Napoleons angegriffen wurde. Die napoleonische  Truppe kam bis Moskau, obwohl es noch keine Fahrzeuge gab, wurde aber aufgerieben, in die Flucht geschlagen  und von den Russen bis Paris verfolgt.   

Der zweite Vaterländische  Krieg begann 1914 und wurde gegen die Mittelmächte, Deutschland  und Österreich- Ungarn, geführt. Warum er von Nikolaus dem Ersten als solcher deklariert wurde, konnten viele Russen damals und auch später nicht nachvollziehen. Denn die Mittelmächte,   Deutschland und Österreich- Ungarn, wollten zwar die  Geschichte korrigieren, die   es ihnen verwehrte, Kolonialreiche,  mit dem Britischen und dem Französischen vergleichbar,  zu haben, aber von Russland wollten sie eigentlich nichts.  Russland hatte selbst keine Kolonien, wenigstens keine in Übersee. Und ihm Sibirien zu nehmen, beabsichtigten die Teutonen und ihre Verbündeten nicht.    

Alle zaristischen Minister mit Weitblick und Verantwortungsgefühl  beschworen den Zaren, sich den Kriegseintritt gut zu überlegen und es dem Cousin, dem deutschen Kaiser Wilhelm dem Zweiten zu gönnen, die Engländer und die Franzosen zu schlagen. Sie erinnerten ihn an den kurz davor von Russland verlorenen Krieg gegen Japan und auch an die schlimmen Zustände im  von der sozialen Revolution bedrohten Reich. Der missratene Herrscher aber pochte auf die russischen Verpflichtungen gegenüber Paris und London und auch darauf, dass Russland den slawischen, von Österreich- Ungarn angegriffenen Brüdern in Serbien  beistehen müsse. Er ließ Russland in den Krieg eintreten.  Seine Untertanen konnten  nicht verstehen, warum sie sterben sollten. Sie meuterten,  sahen ihr Vaterland nicht bedroht und nannten den Krieg eine große Schweinerei der Herrschenden.   

Im Endeffekt wurden die Kolonialreiche Englands und Frankreichs  gerettet, Deutschland kam der Griff nach der Weltmacht teuer zu stehen, aber den höchsten Preis mussten die Russen, die Retter der Entente, entrichten.  Denn sie büßten  nicht nur Territorien im westlichen Vorfeld des Reiches ein, die zu selbständigen, wenn auch von Deutschland beziehungsweise von den Westmächten dominierten Staaten wurden, sondern kamen in die Teufelsmühle  der von Deutschland mitbezahlten sozialen Revolution in Russland. Blutig, großartig und tragisch zugleich, wie fast alles, was die Russen anrichten, wenn sie außer Rand und Band geraten. Hütet Euch davor, meine Freunde, es soweit kommen zu lassen. Gebt den Russen, was sie haben wollen. Viel ist es nicht.   

Zurück in die Vergangenheit, stellen wir fest, dass auch die deutsche Invasion von 1941 eigentlich zu den Folgen des mit seinem eigenen und mit dem seiner Familienmitglieder Leben bezahlten   Fehlers des letzten russischen Zaren zählt. Hätte er vom Eintritt in den (Ersten) Weltkrieg Abstand genommen und die Deutschen, Engländer und Franzosen einander umbringen lassen,   wäre   Hitler nie Hitler geworden. Wer hätte ihn gebraucht, den grimassenschneidenden  Gefreiten, wenn Deutschland  die Rivalen im Westen bereits im ersten Anlauf bezwungen  und die heiß begehrten  Kolonien eingeheimst hätte. Dann gäbe es auch keinen Anlass,   1939 noch einmal dasselbe wie 1914 zu versuchen und erst recht nicht, Russland 1941 zum dritten   Vaterländischen Krieg zu zwingen, den einzigen in der russischen Geschichte übrigens, der dieses Prädikat voll und ganz verdient und der damit endete, dass die russischen Truppen bis an die Elbe kamen und vierzig Jahre später der russische Präsident Jelzin, besoffen wie immer, das Berliner Polizeiorchester vor dem Roten Rathaus dirigieren durfte...   

Auch die Geschicke Russlands hätten sich anders gestaltet. Im Moskauer Kreml  (oder im Petersburger Winterpalais) säße jetzt ein Zarenenkel oder vielmehr  Urenkel und die ungekrönten,  aus irgendwelchen dunklen Ecken hergelaufenen  Lenin, Stalin, Gorbatschow  und wie sie alle hießen*, von anderen weniger markanten Personen abgesehen, blieben Russland erspart.    

Allerdings muss  auch eine andere mögliche Folge der ganz anders verlaufenen Geschichte Russlands in Erwägung gezogen werden. Diese betrifft  den Verfasser dieses Essays, Iwan Matrjoschkin, Esq. Denn er wäre vielleicht nicht zum Stammgast der Kneipe „Sonnenschein“ in Prenzlauer Berg zu Berlin geworden,  wo er  sich, trotz Meinungsverschiedenheiten mit dem Kneipier, dem perfiden Bierverdünner, sehr wohl fühlt. Also, bleiben wir dabei, dass, wie ein Held des französischen Philosophen  Voltaire zu sagen pflegte, in dieser besten aller Welten  alles zum Besten stehe. Am 90. Jahrestag des Ausbruchs des (Ersten) Weltkrieges mit seinen 20 Millionen (?) Toten ein durchaus angebrachter Trost. Sonst wird man noch verrückt...   

*Nota bene: Meinen Freund, Wladimir Putin, nehme ich aus der Auflistung ausdrücklich raus. Denn ihm wird eine hocharistokratische, wenn nicht gar kaiserliche Herkunft nachgesagt, was auch meinem Eindruck von unseren Begegnungen entspricht. Zwar fehlt ihm noch die richtige Krone, aber das lässt sich nachholen  und er ist, wie ich glaube, dem besten Wege dahin.   

Geschrieben am 01.8.04. Eingetroffen mit etwas Verspätung in die Konzernzentrale „matrjoschka- online.de“ aus der Kneipe „Sonnenschein“ am 02.08.04.                 

Es jährt sich zum 65. Mal der Tag, an dem sich Europa in die Hölle des Zweiten Weltkrieges geworfen hat. 

Mit recht dominiert der Kontrast  zwischen Europa anno 1939 und dem gegenwärtigen Europa die deutschen Veröffentlichungen zu diesem traurigen Jahrestag  . Damals Zerrissenheit und Sprachlosigkeit auf dem Kontinent , die schließlich zum Krieg führten, heute der Trend zur Integration  und intensive Kommunikation, die eine Wiederholung der Tragödie ausschließen. Eine Wiederholung, die der europäischen Zivilisation den Garaus machen würde.    

Tatsächlich ist Europa viel weiser als je in seiner Geschichte geworden. Es lernte nationale Egoismen zu bändigen, die vergessen ließen, dass es, trotz  der höchst produktiven Vielfalt seiner Kulturen, eine zivilisatorische Einheit bildet. Und dass alle europäischen Völker aufeinander angewiesen sind, weil  sie nur zusammen überleben können. Vor allem angesichts der neuen Gefahren, sei es der internationale Terrorismus oder der wirtschaftliche Druck der Globalisierung.     

Vom russischen Standpunkt  her wäre es aber verfrüht, dem neuen europäischen Geist, der seine Verkörperung in der Europäischen Union gefunden hat, ein Hosanna  zu singen. Denn die EU umfasst  nicht das ganze Europa. Das mindert das Gewicht des Kontinents  in der Weltpolitik und der Weltwirtschaft. Vor allem deswegen, weil außerhalb   der Europäischen Integration das größte europäische Land, Russland, steht.   

Es geht hierbei nicht um die formelle EU- Mitgliedschaft, die Russland bekanntlich nicht anstrebt. Es geht um etwas, was viel  größer ist als die Kompetenzgrenzen der Brüsseler Bürokratie. Und zwar um eine strategische Partnerschaft, die aber nicht zu einer Floskel verkümmern darf, sondern  alle  Sparten der internationalen Beziehungen  umfassen muss.     

Darauf hat der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder dieser Tage  hingewiesen, als er über die Perspektiven  Europas sprach. Er hob  hervor, dass das  Europaprojekt auf Dauer nur gelingt,  wenn die Europäische Union in eine wirklich strategische
Beziehung oder auch Partnerschaft zu Russland kommt und umgekehrt. Das heißt, sowohl ökonomisch als vor allen Dingen auch politisch wird die
Frage, wie richtet die EU das Verhältnis zu Russland ein,  über sehr
viel in Europa mitentscheiden.    

Bei dieser Gelegenheit erinnerte Schröder daran, dass   aufs Konto  von Nazi-Deutschland mehr als 20 Millionen im Zweiten Weltkrieg umgekommene Russen gehen. Vor diesem Hintergrund gewinne die Tatsache, dass es der Bundesrepublik gelungen ist , die Beziehungen zu Russland  im politischen, ökonomischen aber auch im kulturellen Bereich so eng wie möglich zu gestalten, eine gewaltige historische Dimension.  

Entgegen dem  zynischen Bonmot, dass sich die Lehren der Geschichte nur dafür eignen, sie schnellstens zu vergessen,  nimmt man in Berlin, wie übrigens auch in Moskau,   diese Lehren  ernst. Darunter auch diejenigen, die mit dem schwarzen Datum vom September 1939 verbunden sind. Das Datum der Entfesselung des Krieges in Europa, der zum Prolog des Zweiten Weltkrieges wurde. 

28.8.04

DAS ECHO 

Es wäre falsch zu sagen, das Echo  in Deutschland auf die Feierlichkeiten in der Normandie zum 60. Jahrestag der Landung von Invasionstruppen der Westmächte sei ungeteilt. Neben Äußerungen wie in jedem anderen Land gibt es vereinzelt  auch solche, die  daneben geraten. So kommt aus der rechten Ecke, wo sich die insgesamt im Land verbreiteten antiamerikanischen Ressentiments        manifestieren, die Meinung, Deutschland hätte nichts zu feiern. Es sei von den USA und England, besonders in der von der Landung eingeleiteten  Schlussphase des Krieges, zu hart angefasst worden, um dem Ereignis zu huldigen. Auch 60 Jahre danach.      

Auch die Linken melden sich zu Wort.  Sie bemängeln die  Einseitigkeit in der Beurteilung des Beitrags der Alliierten zur Zerschlagung  Hitlerdeutschlands. So heben sie hervor, dass zum Zeitpunkt der Landung in der Normandie die deutschen Streitkräfte unter den Schlägen der Roten Armee bereits außerstande gewesen sind, im Westen starken Widerstand zu leisten. Abgesehen davon, dass die Hauptkräfte der Wehrmacht an der Ostfront gebunden  blieben.    

Gewiss sind beide Meinungen nicht aus der Luft gegriffen. Tatsächlich spricht die von keinen militärischen Erwägungen her zu rechtfertigende Vernichtung der historischen Kerne vieler deutscher Städte nicht für die   in der Normandie gelandeten Westalliierten. Auch die in diesen Tagen immer wieder aufgestellte  Behauptung, die Befreiung Deutschlands hätte mit der Landung begonnen, ist zumindest übertrieben. Die Befreiung begann lange davor. Sie begann, als die Hitlerwehrmacht in Russland ihren verlustreichen Marsch zurück zur Reichgrenze antreten musste. Vielleicht sogar zu der Zeit, als sich die  Blitzkriegpläne der deutschen Angreifer nicht verwirklichen ließen.    

Trotzdem ist der 60.Jahrestag des D-Days der schlechtmöglichste Anlass, alte Rechnungen vorzulegen. Die Tatsache steht fest, dass die Landung  eine sorgfältig geplante und perfekt durchgeführte Operation  war, die, obwohl nicht ohne Rückschläge, mit verdientem Erfolg  gekrönt wurde. Das Dritte Reich wurde endlich in die Zange genommen. Danach waren seine Tage gezählt.   

Als ehemaliger russischer Soldat und Teilnehmer  der fulminanten Offensive der Roten Armee in Belorussland im Juni 1944,  kann der Berichterstatter aus eigenem Erleben bestätigen, dass seine Kameraden die Kunde aus der Normandie mit großer Freude vernommen haben. Auch weil sie verstanden, dass ihre eigene militärische Leistung entscheiden zum Erfolg der Westalliierten beiträgt. Jetzt durften sie darauf hoffen, dass die Zeit bis zum entgültigen Sieg und zur Wiederherstellung des Friedens in Europa verkürzt wird. Und diese Hoffnung trog nicht.   

Die mit viel Mühe herbeigeführte strategische Partnerschaft zwischen den Westmächten und der gewesenen Sowjetunion muss jeden Kriegsveteranen, egal wo er  gekämpft hat, mit der Hoffnung erfüllen, dass auch jetzt ein breites  Bündnis zur Sicherung des Friedens möglich ist. Selbstverständlich  unter Teilnahme Deutschlands, das, abgesehen von einigen Ewiggestrigen, mit jenem Staatswesen, das unter den Schlägen der Alliierten zusammenbrach, nichts zu tun hat.   

7.6.04 

Im Deutsch-Russischen  Museum Berlin-Karlshorst hat eine neue Ausstellung eröffnet.

Die Ausstellung „Mordfelder“ zeigt Fotos des deutschen Fotographen Henning  Langenheim, der sich zum Ziel gesetzt hat, einen seiner Meinung nach in Deutschland wenig bekannten Aspekt des Zweiten Weltkrieges in der Sowjetunion darzustellen. Und zwar die an den sowjetischen Zivilisten  unter dem Schild der deutschen Streitkräfte verübten Massenmorde. Henning Langenheim ging davon aus, dass die „Mordfelder“, wie er die Lokalitäten  des Verbrechens nannte, den neuen Generationen der Deutschen viel weniger bekannt sind,  als ähnliche  anderswo, zum Beispiel in  Polen. Tatsächlich  sind Auschwitz, Majdanek, Treblinka zu Chiffren geworden, die jedem geschichtsbewussten Deutschen das jetzt schwer vorstellbare Grauen in Erinnerung rufen. Sie stehen für das industriemäßig  organisierte Morden von Millionen Zivilisten und Kriegsgefangenen. Viel weniger können dagegen die Zeitgenossen in Deutschland  mit Ortschaftsnamen wie Babij Jar anfangen, obwohl sich auch hier der Fleischwolf  des nazistischen Rassenwahns auf hohen Touren drehte und viele Tausende von Leben verschlang.

Die Bilder von Henning  Langenheim lassen den Betrachter erschaudern. Auch einen, der im Fernsehen oder in  anderen Medien  auf  authentischen Fotos  die Leichenberge gesehen hat. Denn dem begabten, unlängst verstorbenen Fotographen  ist es gelungen, das Infernalische    des Geschehens vor mehr als sechzig Jahren auf seine Weise zu vermitteln. Mit künstlerischen Mitteln nämlich, die auch eine, auf den ersten Blick harmlose Landschaft aussagekräftig machen. 

Es sei in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, dass in keinem anderen Land, im Zweiten Weltkrieg zum Opfer der nationalsozialistischen  Militärmaschine geworden,  eine solche  Blutspur wie in der Sowjetunion hinterlassen wurde. Hier stellte sich die Führung des Hitlerreiches eine besondere Aufgabe. Sie bestand nicht nur darin, das angegriffene Land niederzuringen, sondern auch darin, dieses zu entvölkern. Es durften hier nur so viele am Leben bleiben, wie die Ausbeutung der Schätze des eroberten Landes erforderte. Alle anderen Einwohner waren dem Tode geweiht. Das Geschehen  auf den „Mordfeldern“, wo die Feuerwaffe eingesetzt wurde, gab nur einen Vorgeschmack auf das Geplante, das unter Einsatz von Hunger und  Seuchen zum Ende geführt werden sollte.

Das Museum Berlin- Karlshorst, das sich der historischen Wahrheit verpflichtet fühlt und wertvolle pädagogische Arbeit leistet, berücksichtigt in  seiner Tätigkeit, wie der Museumsleiter, Dr. Peter Jahn,  in einer Presskonferenz erläuterte, den im Mai 2005 bevorstehenden sechzigsten Jahrestag der Beendigung des Zweiten Weltkrieges. Die Ausstellung der Fotos von Henning  Langenheim erinnert daran, wovor der Zusammenbruch   des Dritten Reiches unter den Schlägen der Alliierten  die Völker Europas   bewahrt hat. Die einen- vor der Vernichtung, die anderen-  vor der Schande der Täterschaft. 

4.11.04     

 

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