Auf
der diesjährigen internationalen Sicherheitskonferenz in München hielt der
russische Verteidigungsminister Sergei Iwanow eine
Ansprache.
Bis jetzt fanden Iwanows Ausführungen nicht viel Beachtung in den deutschen Medien. Es ist schade. Denn der russische Verteidigungsminister schnitt Fragen an, die unter anderem auch eine, für die Sicherheit der Bundesrepublik sehr wichtige Region tangieren. Gemeint ist die in den russischen Medien als "Grauzone“ in der europäischen Sicherheitslandschaft bezeichnete Region.
Es geht darum, dass vier neue NATO-Kandidaten formell nicht in die europäische Sicherheitsstruktur eingebunden sind. Und zwar Litauen, Lettland, Estland und die Slowakei. Sie haben es bis jetzt versäumt, die für andere Europäer verpflichtenden militärischen Sicherheitsbestimmungen einzuhalten und sich den diesbezüglichen Kontrollen zu unterwerfen.
Zwar geht es hierbei um Staaten, die zu keiner Gefahr für ihre Nachbarn werden können und wollen. Trotzdem gibt das Loch im europäischen Sicherheitsgeflecht Russland Anlass zur Sorge. Denn unter Umständen können andere, viel mächtigere Staaten dieses nutzen, um ihre Militärstützpunkte näher an Russland zu rücken. Vor allen die USA, die bis jetzt jede Gelegenheit ergriffen haben, sich an die russischen Grenzen heranzutasten. Besonders im südlichen Vorfeld Russlands, wo sie militärische Stützpunkte einrichteten, um der Gefahr des internationalen Terrorismus Herr zu werden. Im Falle Ost -und Nordeuropas würde allerdings ein ähnliches Vorgehen gar keine Glaubwürdigkeit besitzen.
Die Schlupflöcher im europäischen Sicherheitsgeflecht dicht zu machen, heißt auch einer anderen Gefahr vorzubeugen. Der Gefahr einer laschen Behandlung der auf dem europäischen Kontinent bestehenden Sicherheitsbestimmungen. Diese müssen aber von allen europäischen Staaten ohne wenn und aber eingehalten werden. Und selbstverständlich ohne Rücksicht auf den Druck, den eine um die europäische Sicherheit nicht unbedingt sehr besorgte Weltmacht ausüben kann. Sonst würden die Sicherheitsvorkehrungen der Europäer, in Jahrzehnten mühsamer Verhandlungen entstanden, ausgehöhlt.
Zwar haben die europäischen Spitzenpolitiker mehrmals beteuert, dass die NATO- Osterweiterung der russischen Sicherheit nicht abträglich sein wird. Eigentlich läge es im eigenen Interessen der Europäer. Darunter und vielleicht vor allem auch der Bundesrepublik. Besonders in dem vom russischen Verteidigungsminister angesprochenen Fall. Geht es ja um eine, an ihr Territorium angrenzende Region, wo sie sich noch weniger als anderswo eine Anhäufung von Waffen etc. wünschen kann.
Somit würde die Beseitigung der Schlupflöcher im europäischen Sicherheitsgeflecht einen evidenten Beweis für die Berücksichtung nicht nur der russischen Interessen bei der NATO- Osterweiterung liefern. Es wäre ein guter Beitrag zur weiteren Verbesserung des internationalen Klimas auf dem gesamten Kontinent, insbesondere aber in Mittel- und Nordeuropa.
9.2.04
SIND DIE GEGEN DIE USA- TRUPPEN IM IRAK GERICHTETEN ATTENTATE ZU BILLIGEN?
Keineswegs,
meint russischer Außenminister Sergej L a w r o w in seiner jüngsten
Stellungnahme zur Situation im Irak. Andererseits meint er aber, dass die
Amis selbst die Schuld dafür tragen, dass sie jetzt in der Falle sitzen.
Trotzdem sieht Russland mit Unbehagen, wie sich
die Lage in Irak ständig verschlechtert. Es ist
der Meinung, dass die wichtigste Aufgabe zurzeit darin besteht, die
Besetzung Iraks schnellstmöglich zu beenden und seine
Souveränität und die Rechte des irakischen Volkes wiederherzustellen. Gerne
hilft es den Amis, das zu tun, wenn sie sich endlich dazu entschließen sollen.
Wir werden niemandem, sagt Herr Lawrow, unsere
Ratschläge aufzwingen, doch unsere Einschätzungen und Prognosen zur
Entwicklung der Lage in Irak finden jeden Tag ihre Bestätigung. (Unsere auch-
PS. von matrjoschka-online.de)
Wir
kennen dieses Land (wir auch !- PS. von matrjoschka-online.de). Wenn die UNO auf
Bitte der Iraker die zentrale Rolle bei der politischen Regelung im Irak übernimmt-
und dies wird nach der Einstellung der Besetzung der Fall sein,
wird Russland
sich daran beteiligen. (Iwan
Matrjoschkin, Esq. versicherte, er stünde Gewehr beim Fuß und nehme das Amt
des UNO- Hochkommissars an, sollte dieses ihm angeboten werden.)
22.03.04
ZUM
VERHÄNGNISVOLLEN JAHRESTAG
Der Jahrestag des Beginns des amerikanischen Krieges gegen Irak gibt Gelegenheit
zu der Feststellung, dass der einzige Sieger in diesem Krieg der
internationale Terrorismus ist, dessen Bekämpfung angeblich der Grund für den
Feldzug der USA war. Zwar ist das irakische Volk von der grausamen Diktatur
Husseins befreit worden, Was hat er
aber bekommen? Nur Gerede über
Demokratie, reales Chaos und einen immer näher kommenden
ethnischen und konfessionellen Bürgerkrieg. Am Ende kann das
Land auseinanderbrechen oder eine
theokratische Diktatur entstehen, die noch grausamer ist als die Husseins - die
wenigstens eine weltliche war. Außerdem war Irak früher für Terroristen tabu,
während heute die Türen sperrangelweit
offen stehen.
Die amerikanische Armee hat ihren militärischen Feldzug glänzend gewonnen,
aber die Militärs zahlen wie immer für die Fehler der Politiker. Die mächtigste
Armee der Welt ist nun auf Leben und Tod an Irak und Afghanistan gebunden, wo
sie in einen hoffnungslosen, endlosen
Krieg verwickelt ist . Aus Irak wird indessen weder ein mustergültiges
demokratisches Land noch ein
Schauplatz für Schläge gegen Iran und Syrien und nicht einmal ein Reservoir für
Erdöl. Die Amerikaner haben bekommen, was sie nicht erwartet haben und was sie
nicht wollten, nämlich eine Brutstätte des
Terrorismus, einen würdigen Nachfolger für das Afghanistan der Taliban.
Die von den Amerikanern unter enormen Schwierigkeiten
zusammengezimmerte Anti-Terror-Koalition bricht zusammen. Nach den Anschlägen in Madrid haben
die Spanier kapituliert. Der Sieg
der pazifistischen Sozialisten bedeutet, dass Europa grundsätzlich nicht in der Lage ist, sich der Gewalt zu
widersetzen. Den "alten Kontinent" kann man abschreiben,
bald wird er Vereinigten Europäischen
Emiraten heißen.
Die
Achillesferse der europäisch-amerikanischen
Zivilisation, die Uneinigkeit und zweierlei
Standards, werden diese zugrunde richten.
(Nach IMA-PRESS. Ru.22.3.04 )
EINE RUNET- ZEITUNG ÜBER DIE NATO-OSTERWEITERUNG
1.
Auf
der einen Seite hat Moskau zur NATO-Erweiterung ziemlich gemäßigte Kommentare
abgegeben. So erklärte der Präsident Russlands, dass
Russland "keinerlei Befürchtungen im Zusammenhang mit der NATO-Erweiterung
hat" ... Gleichzeitig wurden aber mit Billigung des Kremls
sehr scharfe Erklärungen der Staatsduma abgegeben . Es sieht so aus, als
ob diese ambivalente Haltung Russlands zwei Ziele verfolgt: Es soll gezeigt
werden, dass Russland von der NATO-Erweiterung und ihren möglichen Folgen zwar
beunruhigt ist, die Beziehungen zur Allianz aber nicht
verdorben werden sollen, umso mehr, als sich unter dem früheren Generalsekretär
George Robertson die Beziehungen zwischen Russland und der NATO ernsthaft
verbessert haben.
Dabei muss man zugeben, dass die Haltung Russlands die Ausdehnung der Allianz
auf das Territorium der ehemaligen UdSSR nicht verhindern
kann. So hat der Präsident der
Ukraine, Leonid
Kutschma, das vom Parlament ratifizierte Memorandum unterzeichnet, das eine zügige
Zugangsberechtigung von NATO-Truppen zum Territorium der Ukraine vorsieht. Das
Memorandum enthält die rechtlichen Grundlagen einer Unterstützung der Ukraine
für die Durchführung von militärischen oder friedensstiftenden Operationen
der NATO im Rahmen des Abkommens
der "Partnerschaft für den Frieden". Es sieht vor, dass die Ukraine
der NATO Hilfe in vielerlei Form
leistet und Informationen zur Verfügung stellt. Die Art
und die Mittel der Unterstützung von NATO-Operationen durch die Ukraine sollen
durch separate Abkommen festgelegt werden. Überdies
legt das Memorandum fest, dass diese Hilfe gegen Bezahlung erfolgt ...Damit schlägt
die Ukraine gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Sie bekommt zusätzliche
Finanzierungsquellen und setzt im Rahmen des übergreifenden Prozesses ihre
Integration in die Europäische Union
fort.
In
dieser Situation löst das Vorrücken der NATO an die Grenzen Russlands größte
Beunruhigung aus. Schon heute wird der Luftraum des Baltikums
von Kampfjets der Allianz kontrolliert. Wenn dann noch in der Ukraine Militärstützpunkte
der NATO errichtet werden, ist der Westen Russlands
von Streitkräften des stärksten Militärblocks der Welt eingekreist.
Offensichtlich bleibt uns nichts anderes übrig, als eine Annäherung an die NATO. Erstens braucht Russland,
solange es Atomwaffen besitzt, eine Aggression von außen kaum zu
befürchten. Zweitens kann es aus zwei Gründen die NATO-Erweiterung nicht
aufhalten, und zwar aus dem Mangel an eigenen Ressourcen sowie
wegen des strategischen Interesses der Europäer an der Erweiterung der Allianz,
denn ohne Einbeziehung der Länder Ost- und Mitteleuropas in die NATO ist ihre
Integration in der Europäischen Union nicht möglich.
Das
Thema Terrorismus versucht Russland zu einer
Akzentverschiebung bei der NATO-Strategie zu nutzen, was eine solide Grundlage für
eine Annäherung an die Allianz schafft. Allerdings ist
einstweilen nicht klar, inwieweit diese Taktik Russlands aufgehen wird. Noch läuft
die Terrorismusbekämpfung unter dem Diktat der USA
ab, die diese für die
Legitimierung der eigenen
militärischen Kampagnen nutzen.
2.
Der Besuch des NATO-Generalsekretärs Jan de Hoop Scheffer in der russischen
Hauptstadt soll endlich einen Punkt unter die unerwartet
ausgebrochene Polemik zwischen Russland und der Allianz setzen. Unerwartet
deshalb, weil die Erweiterung der NATO rechtzeitig geplant
war; und die russischen Politiker sollten sich nicht gerade an dem Tag gegen die
Erweiterung polemisieren, an dem die Erweiterung
vollzogen wurde, sondern sie hätten es vielmehr tun sollen, als in Brüssel die
entsprechenden Beschlüsse militärisch-technischer Art gefasst wurden. Man könnte
natürlich annehmen, dass sämtliche Proteste
gegen die Erweiterung rein rhetorischer Natur sind ...
Die
Zusammenarbeit zwischen der NATO und Kiew kann die Illusionen von dem
Wiedererstehen irgendeines einheitlichen Raumes auf den Relikten
der ehemaligen UdSSR durchkreuzen. Denn selbst im Fernsehen wird man den
russischen Werktätigen nur schwer erklären können, wieso Russland einen
gemeinsamen Wirtschaftsraum oder ähnliches mit einem Land schaffen soll, das
NATO-Mitglied ist. Die nach Osten vorrückende Allianz beginnt die Illusionen
Russlands zu gefährden. Und für die russische politische Elite war das Hegen
von Illusionen immer
wichtiger als die Realität. (nach Politkom.ru) 8.4.04
Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik ermöglichte ihren Mitgliedern und Gästen eine Begegnung mit dem russischen Vier-Sterne- General Walentin Warennikow.
Er gehört zu der in Russland wenig verbreiteten Spezies des in der großen Politik gerne mitmischenden Militärs. 1991 nahm er aktiven Anteil an der gescheiterten Verschwörung der Gegner der damaligen russischen Führung. Auch heute ist der Einundachtzigjährige felsenfest davon überzeugt, dass er als russischer Patriot nicht anders handeln durfte. Denn mit anderen Verschwörern hätte er versucht, den Zerfall der Sowjetunion abzuwenden. Wäre das gelungen, käme es der Stabilität nicht nur im sowjetischen Raum, sondern auch auf dem ganzen euroasiatischen Kontinent zugute.
Allerdings meinte der General, jetzt habe es wenig Sinn, zurück zu blicken. Der Wiederherstellung der Sowjetunion sei unwahrscheinlich. Jetzt gehe es darum, den russischen Nachfolgestaat zu stärken, damit diesem nicht dasselbe Schicksal widerfährt wie dem zerfallenen Unionsstaat. Seine Hoffnung darauf verbindet er mit der Tätigkeit des neuen russischen Präsidenten, Wladimir Putin. Als Mitglied der russischen Staatsduma und einer der Mitbegründer der neuen parteipolitischen Vereinigung „Rodina“, Heimat, bescheinigt er Putin ganz anders als die Vorgänger in Kreml zu sein. Und zwar sachlich, konsequent, einem guten Rat offen. Vor allem aber darauf aus, das unselige Erbe der letzten Jahre zu überwinden und dem russischen Volk eine Existenz in Wohlstand und Würde zu ermöglichen.
Auf diesem Wege, meinte Warennikow, hätte der derzeitige russische Präsident bereits erhebliche Erfolge zu verbuchen. Es seien wichtige Voraussetzungen zur Bekämpfung des Separatismus, der bürokratischen Willkür und Korruption geschaffen . Die von Putin kurz vor seiner jüngsten Wiederwahl eingesetzte neue Regierung bestehe aus kompetenten Menschen, fähig und willens, Russlands Wiederaufstieg zu sichern.
Der General, der seine ersten Sporen noch in den Jahren des Zweiten Weltkrieges verdient hatte, gab sich Europa freundlich. Er sähe mit Freude, dass die Europäische Union voran kommt, wovon ,seiner Meinung nach, der starke Euro zeugt. Von der strategischen Partnerschaft der EU, vor allem Deutschlands mit Russland gewinnen beide Seiten. Es sei das Gebot der Zeit, sie zu stärken. Insbesondere angesichts des Strebens Amerikas nach einer monopolaren Welt.
Es ist anzunehmen, dass die Ausführungen des Generals nicht bei allen Zuhörern gut ankamen. Manches in seinen Gedankengängen und vor allem die barsche Ausdrucksweise waren geeignet, Widerspruch zu wecken. Nicht von ungefähr versuchte der Dolmetscher, seine Ausfälligkeiten an die Adresse Michail Gorbatschows und Boris Jelzins dem in der ehrwürdigen Gesellschaft üblichen, korrekten Ton anzunähern.
Nichtsdestoweniger reihte sich die Begegnung mit General Warennikow in die Veranstaltungsreihe der DGAP, die sich dankenswerter Weise bemüht, der deutschen Öffentlichkeit alle Facetten des bunten politischen Spektrums Russlands vorzustellen.
22.4.04
Am 8. Mai, dem Tag, an dem vor 59 Jahren der große Krieg in Europa zu Ende ging, bietet das Deutsch-Russische Museum in Berlin Karlshorst ein reichhaltiges Veranstaltungsprogramm.
Das Museum ist die einzige Einrichtung in der Welt, wo die ehemaligen Kriegsgegner Hand in Hand daran arbeiten, die Ursachen, den Verlauf und die Begleitumstände des schlimmsten Krieges in der Geschichte Europas zu klären und dem breiten Publikum zu vermitteln. Es musste viel geschehen, damit in dem Gebäude, in dem 1945 die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht besiegelt wurde, eine Institution entstehen konnte, wo der Krieg von beiden Seiten betrachtet und als das aufgefasst wird, was er war. Kein Exerzierfeld des martialischen Ruhmes, sondern ein überaus leidvoller Weg, den die Russen und die Deutschen unter schrecklichen Entbehrungen und riesigen Verlusten durchmachten.
Auch die Jahrestage der deutschen Kapitulation werden hier in diesem Sinne begangen. Auch der 59. Jahrestag. Den Besuchern des Museums (übrigens ist der Besuch gratis) werden an diesem Tag mehrere Filmvorführungen, Vorlesungen, Diskussionsrunden angeboten. Die Musik besorgt die Combo der U.S. Forces Europe. Zusammen mit Solisten des berühmten russischen Alexandrow- Ensembles wird auf diese Art und Weise an den gemeinsamen Kampf Russlands und der USA gegen den nationalsozialistischen Aggressor in Europa erinnert (leider durch den kalten Krieg zwischen den Siegermächten bald nach dem Kriegsende 1945 abgelöst).
Ein Schwerpunktthema der Museumsausstellungen ist in diesem Jahr die Leningrader Blockade, eine der grausamsten und opferreichsten Episoden des Feldzugs der deutschen Wehmacht in Russland. Der russische Schriftsteller Daniil Granin, in den Tagen der Belagerung Leningrads unter den Verteidigern der von Peter dem Großen gegründeten Stadt an der Newa (heute wieder Sankt Petersburg), in der Nachkriegszeit ein Chronist der Tragödie, wird sich den Fragen des Publikums stellen.
Selbstverständlich werden die Besucher des Museums an diesem Tag russische Leckerbissen konsumieren können, darunter Pelmeni, Piroggen und besonders empfehlenswert russische Eierkuchen (Bliny) mit echtem russischem Kaviar. Und hoffentlich auch den echten russischen Wodka, im Krieg ein zuverlässiger Stimmungsaufheller der russischen Soldaten.
7.5.04
In Berlin ging eine zweitägige Konferenz des Deutsch- Russischen Forums zu Ende. Hochkarätige Experten aus Deutschland und Russland erörterten die Vorgänge in Russland vor dem Hintergrund der Globalisierung.
Bundesminister a.D. Egon Bahr begann seinen Vortrag mit einer Einschätzung des soeben in der deutschen Presse erschienenen offenen, äußerst kritischen Briefes mehrerer europäischer Intellektueller über die Politik des russischen Präsidenten Putin. Der Architekt der neuen deutschen Ostpolitik, der sie einst zusammen mit Willy Brandt durchsetzte und dadurch Deutschland zur Wiederherstellung seiner Souveränität verhalf, ging mit den im Brief geäußerten Ansichten scharf zu Gericht. Er widersprach entschieden der Meinung, Putin führe Russland zu den Zuständen der Sowjetära zurück. Vielmehr bemühe sich der russische Präsident um die Stärkung der Einheit und der Handlungsfähigkeit der Russischen Föderation. Im Augenblick gehe es in Russland nicht so sehr um Demokratie, sondern um Rechtsstaatlichkeit. Vor allem um die Bekämpfung der ausufernden Korruption. Diese sei die Voraussetzung dafür, dass Russland eine konstruktive Rolle in Europa spielt.
In diesem Zusammenhang hob Egon Bahr hervor, dass die Globalisierung sehr wohl mit der Stärkung der nationalen Staatlichkeit zusammengehen kann. Dem Prozess der wirtschaftlichen Globalisierung seien nationale Kulturen nicht zu opfern. Denn der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Er darf seine Wurzeln nicht aufgeben.
Deswegen sei der Anspruch, Russland vorschreiben zu dürfen, wie es seine Angelegenheiten zu regeln hat, abzulegen. Damit wird nur die Gefahr einer erneuten Entfremdung zwischen Russland und Europa beschworen. Der sich integrierende Kontinent braucht aber Russland. Insbesondere unter den Bedingungen des verschärften globalen Wettbewerbs.
Den russischen Standpunkt dazu legte auf der Konferenz der Generalsekretär der am stärksten im russischen Parlament vertretenen Partei “Russlands Einheit“, Waleri Bogomolow dar. Auch er sagte, es sei falsch, der russischen Administration das Korsett der westlichen Demokratienormen anlegen zu wollen. In diesem Zusammenhang plädierte er für die gelenkte Demokratie, wie sie der russische Präsident ansteuert. In Russland gebe es zu dieser nur eine einzige Alternative. Sie heißt Chaos.
An Europa richtete der maßgebende russische Politiker die Frage, welches Russland es denn wolle. Ein schwaches, zerstückeltes Land oder einen starken Verbündeten mit geordneten Zuständen? Bogomolow bedauerte die Neigung der westlichen Medien, jenen in Europa herumreisenden Russen bevorzugt das Wort zu erteilen, die, niemanden außer sich selbst vertretend, Schauermärchen über Russland von sich geben.
Russland sei ein europäisches Land und will es bleiben. Aber es will auch Russland bleiben und damit muss man sich abfinden, sagte Bogomolow.
Die Ausführungen des etablierten russischen Politikers ergänzte ein radikalerer Experte aus Russland, der Direktor des Instituts für Globalisierungsprobleme in Moskau, Michail Deljagin. Auch er sprach sich dagegen aus, Russland eine Demokratie mit westlichen Spielregeln aufzwingen zu wollen. Dies würde einem Versuch gleichen, Russland einen Fremdkörper zu implantieren. Dagegen sei Putins Politik der Lage im Land angemessen.
Bogomolow behauptete, Russland fehle eine Elite, die sich um das Gemeinwohl kümmert. Obwohl die Oligarchen, an der Plünderung des sowjetischen Wirtschaftserbes reich geworden, etwas zurückgedrängt wurden, steuern sie hinter den Kulissen weiterhin die Vorgänge in Russland. Ihre Abwehr erfordere eine harte Hand an der Spitze des Staates.
Summa summarum bot die Konferenz, im Unterschied zu manch einer anderen Veranstaltung des Deutsch- Russischen Forums, der deutschen Öffentlichkeit eine gute Gelegenheit, auch jene Ansichten zur Kenntnis zu nehmen, die in den deutschen Medien, insbesondere in der letzten Zeit, eher selten artikuliert werden. Umso mehr ist zu bedauern, dass der Besuch diesmal zu wünschen übrig ließ.
1.10.04
Im Deutschen Historischen Museum zu Berlin wurde eine, von der Öffentlichkeit viel beachtete Ausstellung unter dem Titel „Mythen der Nationen“ geöffnet.
Wie aus dem Titel hervorgeht, gilt die Ausstellung nicht den eigentlichen Ereignissen der Geschichte, sondern ihrer Spiegelung in der Propaganda der involvierten Staaten. In den Mythen der Propaganda, die im Gedächtnis der Menschen tiefe Wurzel schlagen können und die wahre Realität durch die virtuelle verdrängen. Die Ausstellung dokumentiert, wie das tastsächlich Geschehene zu Mythen verdichtet und verzerrt wird.
Besonders stark wucherten die Mythen in den Jahren des Zweiten Weltkrieges und des nachfolgenden kalten Krieges. Die Kriege erforderten von den beteiligten Staaten die totale Mobilisierung aller Ressourcen, auch der psychologischen Ressourcen der Bevölkerung. Die Mythenbildung stellte ein wirksames Instrument dafür bereit. Insbesondere in den Staaten, die ihre Legitimierung nicht aus den demokratischen Prozeduren , sondern eben aus den Mythen schöpften.
Ein großer Teil der Ausstellung ist den sowjetischen Mythen vorbehalten. Hier sind viele Plakate und andere Druckerzeugnisse, aber auch Medaillen und Gedenkmünzen und vieles andere mehr aus der Sowjetzeit zu sehen. Besonders einprägsame Zeugnisse von den Mythen der Zeit legen aber die auf den Monitoren laufenden Ausschnitte aus sowjetischen Filmen ab.
Sie hinterlassen einen gespaltenen Eindruck. Manche wirken grotesk. Darunter der Streifen „Der Fall von Berlin“ eines seinerzeit hochdekorierten Filmemachers. Sogar einem russischen Zeitgenossen fällt es heute schwer, zu glauben, dass der sowjetische Diktator Stalin in den nicht sehr lange zurück liegenden Jahren so maßlos wie in diesem Schinken angehimmelt wurde. Und zwar als der alleinige, über dem Volk thronende Schmied des Sieges der Sowjetunion im Krieg gegen den deutschen Angreifer. Eines Sieges, der mit Blut und Schweiß von vielen Millionen Russen und den Angehörigen anderer Völker der Sowjetunion errungen und vom ganzen Volkes herbeigeführt wurde.
Zwischen der damaligen und heutigen Wahrnehmung der dramatischen Zeit liegen in Russland Welten. Das lässt begreifen, wie bedeutsam der von den Russen nach der Abkehr vom Kommunismus zurückgelegte Weg der Erkenntnis ist. Es ist eine Gewähr dafür, dass die Russen einer Neuauflage der Mythen nie mehr auf den Leim gehen werden.
Aber auch etwas ganz anderes wird in der Ausstellung des Deutschen Historischen Museums sichtbar. Und zwar auch in den Fragmenten aus den russischen Filmen der Sowjetzeit. Aus solchen wie „Die Kraniche ziehen“ oder „Iwans Kindheit“, die übrigens in diesen Tagen in einem dem Museum angeschlossenen Kino laufen. Von wahren Künstlern wie der berühmte Andrei Tarkowski gedreht und von Liebe zum russischen Volk und Mitleid mit ihm erfüllt, enthüllen sie die Quelle der Standhaftigkeit der Russen während des Krieges. Diese Quelle war nicht die offiziöse Mythologie, sondern die tiefe Verbundenheit mit dem arg bedrohten Land der Väter, die Liebe zur Heimaterde.
Zum Schluss ist zu erwähnen, dass die bei der offiziellen Ausstellungseröffnung angesprochene steigende Macht der Massenmedien die Gefahr der Verführung durch die Mythen erhöht. Nota bene auch im Westen. Und zwar durch Mythen des kalten Krieges, die sehr intensiv kultiviert wurden und noch nicht ganz abgestorben sind.
So betrachtet, hat die Ausstellung im Deutschen Historischen Museum einen aktuellen Bezug. Ihren Veranstaltern ist dafür zu danken.