1.Politische
Kultur
2.Petersburger
Dialog 2001- 2002.
3.Auf höchster
Ebene - heute und in der Geschichte
4.Hand in Hand oder Rücken
an Rücken?
5.Entschädigung
6.Medien:
Trennwand oder Brücke?
7.Institutionalisierte
Freundschaft
8.Wiedervereinigung
und Russland
9.Leserforum
1.POLITISCHE
KULTUR
PUTINA
IN LÜBECK
Lübeck
empfing die Teilnehmer des Internationalen Jugendforums
„Baltischer Stern“. Aus elf Ländern waren sie auf einem
Schiff angereist. Das Forum findet
unter dem Dach
des
Moskauer Zentrums zur Förderung der russischen Sprache unter
Schirmherrschaft der Gattin des russischen Präsidenten statt.
Ljudmilla
Putina besuchte das Stadthaus. Am Eingang wurde
sie von Doris Schröder-Köpf mit einem großen Strauß
rosaroter Blumen begrüßt, auch die Ministerpräsidentin von
Schleswig-Holstein Heide Simonis begrüßte sie.
Ljudmilla Putina dankte der first lady Deutschlands und der
Premierministerin für den freundlichen Empfang. Die Gattin des
russischen Präsidenten sagte, durchaus nicht in allen Ländern
zeigen die einfachen Bürger so reges Interesse für das
Weltgeschehen wie in Deutschland. „In anderen Ländern geht man
in der Menge unter, in Deutschland ist das unmöglich, was davon
spricht, dass jeder Bürger dieses Landes am politischen Leben
teilnimmt,“ sagte Ljudmilla Putina.
Sie dankte auch Doris Schröder-Köpf für die Unterstützung
solcher Aktionen wie „Baltischer Stern“. Die Begegnung der
first ladies fand in sehr freundlicher Atmosphäre statt. Zuletzt
sahen sich beide Damen eine Woche davor bei der
Dreihundert-Jahrfeier Sankt Petersburgs in der Newa-Stadt. Die
Gattin des deutschen Bundeskanzlers kam aus Hannover nach Lübeck,
um Putina zu treffen.
Im
Rathaus trug sich Frau Putina ins Goldene Buch der Stadt ein. Hier
überreichte ihr der deutsche Wissenschaftler Peter von der
Ostensacken sein Buch „Offene Worte“ in russischer Sprache.
Darin schildert der vierundneunzigjährige Wissenschaftler seinen
Lebensweg. Er versucht, die Ereignisse des 20. Jahrhunderts zu
analysieren und zu Verständigung aufzurufen.
Zum
Abschluss der Begegnung erhielt Ljudmilla Putina von der Stadt
eine Vase mit Lübecker Symbolik und Lübecker Marzipan als
Geschenk. Anwesend war der russische Botschafter in Deutschland,
Sergej Krylow.
Strana.ru.
7.6.03
PS.
matrjoschka-online.de verabscheut Hofberichterstattung.
Spekulierend darauf, votierte Iwan Matrjoschkin, Esq., gegen die
Veröffentlichung des
Berichtes auf der site. Aber die weiblichen Holzpuppen stimmten
geschlossen dafür. Erstens, gefällt ihnen die
echte russische Weiblichkeit von Ljudmila. Zweitens, sind
sie dafür, dass Frauen in der Politik möglichst viel zu sagen
haben. Auch als first ladies. Sicherlich ist Wladimir Putin ein
Macho. Aber vielleicht knackt
Ludmilla auch diese harte Nuss. Dagegen ist Doris eher eine
zarte Pflanze...
---------
Bersarin
wieder Ehrenbürger
Der
erste sowjetische Stadtkommandant in Berlin, Nikolai Bersarin,
wurde wieder in die
Liste der Ehrenbürger der Stadt aufgenommen.
Obwohl
die Verdienste des sowjetischen Generaloberst Bersarin als erster
Kommandant Berlins nach der Befreiung der Stadt von der
nationalsozialistischen Herrschaft nicht ernsthaft bestritten
werden konnten, entschied der Berliner Senat nach der
Wiedervereinigung der Stadt, wurde
das
Andenken eines Mannes
Zeitgeist
geopfert, eines, der die Berliner 1945 nicht etwa
als Täter, sondern als Leidtragende des von Hitlerdeutschland
verschuldeten Krieges sah und behandelte. Eines Generals, der große
Leistungen nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch im Kampf
gegen Hunger, Seuchen und Kriminalität auf deutschem Terrain
vollbrachte. Eines Berufsmilitärs der Roten Armee, dessen
von seinen Vorgesetzten nicht immer gebilligter Einsatz der
Wiedereröffnung Berliner Theater nach dem Krieg,
der bevorzugten Verpflegung
von hungernden deutschen Künstlern und Dichtern und der
Aufnahme des Schulunterrichts
in Berlin galt. Nicht jeder General und Offizier der Roten
Armee, von hochgestellten Angehörigen anderer Streitkräfte ganz
zu schweigen, konnte sich so wie er in die Lage einfacher Menschen
versetzen, egal welcher Nationalität. Der Sohn eines russischen
Schlossers stand den
Klagen und Wünschen der Berliner Bevölkerung
offen. Immer für seine Muschkoten da, kannte er kein
Pardon, wenn es um ihre Übergriffe gegen die Berliner ging.
Als
er unter nicht ganz geklärten Umständen am 16. Juni 1945
einundvierzigjährig tödlich verunglückte, war es ein schwerer
Schlag nicht nur für seine Kameraden, sondern auch für jene
Deutsche, die ihn näher kennen gelernt hatten. Es vergingen dreißig
Jahre, bevor ihm in Ost- Berlin die Ehrenbürgerschaft
verliehen wurde. Um
fünfzehn Jahre später von politischen
Konjunkturrittern in der wiedervereinigten Stadt aberkannt zu
werden.
Jetzt
ist die Ungerechtigkeit aus der Welt. Alle, die ein Zusammengehen
von Russen und Deutschen gutheißen und deswegen für die restlose
Beseitigung der Relikte des Kalten Kriegs sind, werden gewiss die
Entscheidung des Berliner Senats begrüßen.
11.2.03
ДРУЗЬЯ
ПОЗНАЮТСЯ
В БЕДЕ (FREUNDE ERKENNT MAN IM
UNGLÜCK)
In
Deutschland trafen Angehörige der verunglückten
Kinder und Jugendlichen aus Baschkortostan ein.
Die
deutsche Presse hebt das Entgegenkommen der deutschen Behörden
hervor, das die zügige Abwicklung aller Formalitäten für die
Eingeflogenen ermöglicht hat. Auch in jeder anderen Hinsicht wird
hier alles getan, um die Folgen des Unglücks am Bodensee, soweit
überhaupt möglich, aufzufangen. Am Ort der Flugzeugkatastrophe
ist eine große Gruppe von deutschen Ermittlern tätig, die im
Schulterschluss mit russischen Kollegen den Ursachen des
Geschehens nachgeht. Die in einer Sitzung der Bundesregierung
beschlossenen Maßnahmen werden ohne Verzögerung in Angriff
genommen. Die Verantwortlichen sind im ständigen Kontakt mit
baschkirischen Behörden und der russischen Botschaft in Berlin.
In
den deutschen Medien fand die Stellungnahme von Bundeskanzler Gerhard Schröder gebührende Beachtung, der sofort nach dem Eintreffen
der Hiobsbotschaft mit
dem russischen Präsidenten Wladimir Putin
telefonierte und ihm
die Erschütterung sowie das Mitgefühl der
Bundesregierung ausdrückte. Der Kanzler bot Putin an, die
sterblichen
Überreste der Opfer der Flugzeugkatastrophe in deren Heimat
überführen zu lassen.
Auch in der deutschen Öffentlichkeit schlägt den Opfern
eine Welle des Mitleids und der Solidarität entgegen. Dies
widerspiegelt die neue Einstellung der
Deutschen auch im Westen des Landes zu Russland. Die
Entwicklung der mannigfaltigen Kontakte auf allen Ebenen bewirkte,
dass Russland auch in ihrem Weltbild nicht mehr ein fernes und
exotisches, mitunter sogar ein feindseliges
Land ist, wie es als Folge der früheren Teilung Europas
und Deutschlands noch vor wenigen Jahren war.
Die beiden Länder verbinden jetzt nicht nur gemeinsame
Anliegen in der Politik, Wirtschaft und Kultur, sondern auch unzählige
Bekanntschaften und Freundschaften zwischen einfachen Bürgern.
Auch
Baschkortostan, eine russische Teilrepublik an der Wolga, in der
Geschäftwelt Deutschlands durch
ihre reichen Erdölvorkommen bekannt, ist für die Deutschen längst
kein weißer Fleck auf der Weltkarte . Unter anderen hat dazu
der Verein „Freunde Baschkortostans“ beigetragen, der in
Halle, Würzburg und in
anderen Orten für die Republik an der Wolga wirbt, gegenseitige
Besuche vermittelt, baschkirische
Gäste empfängt und das Magazin „Baschkirien heute“
herausgibt.
Auf
die Flugzeugkatastrophe, die Kinder und Jugendliche aus
Baschkortostan in den Tod riss,
reagierte der Verein mit einer Erklärung. In dieser
versichert er den
baschkirischen Freunden das Mitgefühl seiner Mitglieder, die umso
mehr trauern, da es sich bei den Opfern
um Kinder und Jugendliche aus der Partnerstadt Ufa, der
Hauptstadt
Baschkortostans, handelt. Liebe Freunde in Ufa, die Ihr
Söhne, Töchter, Geschwister und Freunde verloren habt, wir sind
in dieser schweren Stunde mit den Gedanken bei Euch!, heißt es in
der Erklärung.
4.7.02
2.PETERSBURGER DIALOG 2002 u. 2001
PETERSBURGER DIALOG IN WEIMAR
In Weimar tagte eine neue Runde des Petersburgers Dialogs, einer ständigen Einrichtung zum Meinungsaustausch und zur Kooperation zwischen der russischen und deutschen Öffentlichkeit.
Im
weiteren wird darüber berichtet. Und zwar zuerst von
Verhandlungen über russische Schulden.
Russland
zahlt
...
Vorwort
von Matrjoschka:
Wir,
die Holzpuppen, schämen uns wegen der Undankbarkeit unserer ehemaligen
Landsleute. Kaum erließ Deutschland ihnen ein Gutteil der Altschulden,
speien sie Gift und Galle im Runet. So bringt die Seite presscenter.ru
folgenden Beitrag eines gewissen Iwan Mitritschs.
In
Berlin und Moskau wird frohlockt: Das Schuldenproblem ist gelöst,
Friede, Freude, Eierkuchen!
Auf
den ersten Blick tatsächlich ein Durchbruch. Anstatt der geforderten
sechs Milliarden Dollar muss Russland "nur" 500 Millionen Euro
zahlen, und auch das in drei Jahren - Peanuts.
Warum
aber hat Schröder sich plötzlich erweichen lassen? Noch vor einem Jahr
forderte er sechs Milliarden und keinen Pfennig weniger. Jetzt hat er sich
mit einem Zwölftel der Summe abspeisen lassen.
Vielleicht
hat das Entgegenkommen einen einfachen Hintergrund. Vielleicht hat der
Bundeskanzler begriffen, dass die viel beschrieenen russischen Schulden
eine Seifenblase sind. Eine Seifenblase, die die Deutschen selbst
aufgeblasen haben, und zwar in der DDR, kurz vor der Wiedervereinigung.
Der
Handel zwischen der DDR und der Sowjetunion, die Quelle der vermeintlichen
Schulden, war kein Handel im üblichen Sinn. Die Maschinen und andere
DDR-Waren bezahlte die Sowjetunion nach normalen Preisen, die Energieträger
und die Rohstoffe aus der Sowjetunion bezahlte die DDR nach stark
reduzierten Preisen. Wie auch im Handel mit anderen Bruderländern, war es
ein Honorar für Liebesdienste. Ein Drahtseil, an dem die DDR gehalten
wurde, sonst wäre vielleicht das, was 19 89 passierte, viel früher
geschehen.
Als
man im Kreml begriff, dass die DDR trotzdem heim ins Reich will, wurden
die sowjetischen Lieferungen gestoppt. Etwa nach dem Motto: Wenn Ihr so
gemein seid, seht selbst zu, wie Ihr zurecht kommt.
Die
Maschinen und alles andere aus der DDR wurden trotzdem weiter geliefert.
Verständlicherweise: Wo sonst hätten sie Absatz gefunden?
Gemein
daran war, dass die fehlenden Lieferungen als Schulden aufgeschrieben
wurden und doppelt gemein: in Geld ausgedrückt, nicht nach den alten
reduzierten sowjetischen, sondern nach den aktuellen Weltmarktpreisen. So
schnellte die angebliche Schuld in
die Höhe.
Selbstverständlich
hätte Gorbi, als er mit Kohl über die deutsche Wiedervereinigung
verhandelte, als Vorbedingung Schuldenerlass fordern können, aber er
hatte keine Lust dazu. Er dachte ja nur daran, wie er möglichst schnell
den Nobelpreis bekommen kann und den Titel des besten Deutschen.
1992
hat sein Nachfolger die Schuldenlast von sechs Milliarden Dollar
anerkannt. Auch er wollte die Freundschaft mit Helmut Kohl nicht mit
Feilschen trüben. Und wann sollte er feilschen? Zwischen den Saufgelagen
hatte er starken Kater.
Der
legendäre Kohl übte Mäßigung, sonst hätte er vom großzügigen Zaren
Boris nicht sechs, sondern 60 Milliarden Dollar verlangt. Die gemeinsamen
Saunabesuche und das Saumagenessen waren dem Freund Boris auch den Haufen
Geld wert.
Sonst
hätte er Freund Helmut eine lange Gegenrechnung vorlegen können: Flugplätze,
Brücken und Strassen, Panzer und Flugzeuge. Das ganze sowjetische Erbe in
Deutschland, das die Hals über Kopf abziehende Westgruppe der russischen
Streitkräfte hinterließ, und was zum Teil auch jetzt von der
Bundesrepublik genutzt wird. Vielleicht hätte dann nicht Russland an
Deutschland, sondern Deutschland an Russland zahlen müssen.
Wir
wissen nicht, wie über die russischen Schulden verhandelt
wurde. Das Witzige dabei ist, dass an dem "schicksalhaften" und
"historischen" Treffen Michail Gorbatschow teilnahm, derjenige,
der das Schuldnerproblem erst entstehen ließ. Der beste Deutsche aller
Zeiten. Er stand zwischen Putin und Schröder und strahlte glückselig:
wieder war er dabei!
...Ende
gut, alles gut. Deutschland erhält Geld, allerdings viel weniger als
gefordert. Russland kann auch zufrieden sein. Die Liebesabenteuer seiner
Oberen kosteten es weniger als befürchtet.
Das
ist die nüchterne Bilanz. Wir dürfen zufrieden sein. Aber
frohlocken? Worüber eigentlich?
15.04.02
JALTA? RAPPALLO? WEIMAR!
NOCH
EINE STELLUNGNAHME DER MATRJOSCHKA-ONLINE-MEDIEN-HOLDING
In
Weimar gingen das jüngste russisch-deutsche
Treffen auf höchster Ebene und das Petersburger Forum zu Ende. Aus allen
berufenen Mündern tönt es, sie seien erfolgreich verlaufen.
Wie
schön!
Wohin
aber soll der in Weimar
eingeschlagene Weg führen?
Unsere
Medien-Holdung hat eine bestimmte Vorstellung
darüber.
Bevor
wir diese vermitteln, möchten wir aber daran erinnern,
dass die jüngste Geschichte zwei
Grundmodelle der deutsch-russischen Beziehungen kennt.
Ra ppallo.
In dieser italienischen Stadt wurde nach dem Ersten Weltkrieg ein Abkommen
zwischen den zwei Kriegsverlierern Deutschland und Russland
geschlossen, das einer Frontbildung gegen die Siegermächte
gleichkam. So durfte die deutsche Reichswehr an der Wolga die ihm von den
Siegermächten verbotenen Waffen erproben und das Personal trainieren.
Jalta.
Als sich der Sieg der Antihitlerkoalition
im Zweiten Weltkrieg abzeichnete, sprachen in diesem Kurort
auf der Krim die zukünftigen Sieger die Behandlung des Besiegten
ab. Nach dem Vollzug sollte Deutschland klein, schwach und zerrissen sein.
Dass es anders kam, verdankte es dem nächsten, dem Kalten Krieg zwischen
den Siegermächten.
Sowohl
Ra ppallo als auch Jalta bekamen Russland schlecht. Die deutsche Panzer- und
Luftwaffe, die dank Rappallo entstand, ermöglichte der aus der Reichswehr
hervorgegangenen Wehrmacht den Marsch bis zur Wolga. Und die Behandlung
Deutschlands nach Jalta-Maßgabe trug zur Niederlage Russland im Kalten
Krieg bei.
Deshalb
lehnen wir beide Modelle- „Ra ppallo“ und „Jalta“- entschieden ab.
Seine
global vernehmliche Stimme erhebt
unser Medienkonsortium für
das dritte Modell. Weimar. Das Modell der deutsch-russischen Beziehungen,
die zwar besonders eng und vertrauensvoll sind, sich dennoch
in das breite Geflecht der gewachsenen internationalen Integration
des Abendlandes nahtlos einfügen.
Hoffen
wir, dass der Prozess in Weimar- wie Gorbi sagt- „пошел“,
also bereits in Gang gesetzt ist.
Hoffen wir darauf, aber nicht mit gefalteten Händen.
Unser
Vorstand hat alle Mitarbeiter aufgerufen, in einen Wettbewerb um den
besten Beitrag zur weiteren Stärkung der russisch-deutschen Beziehungen
innerhalb der EU und NATO zu treten.
P.S.
Alle nahmen die Herausforderung begeistert an. Außer Iwan Matrjoschkin,
Esq., der einen Vorschuss auf den ausgelobten Preis verlangte.
14.04.02
Offizielle
Stellungnahme des matrjoschka-Konzerns
Das
matrjoschka-team freut sich über
die Ergebnisse der deutsch-russischen Konsultationen auf höchster Ebene
und des Petersburger Dialogs in Weimar. Tatsächlich scheint alles paletti
zu sein.
Das Problem der sogenannten
Transferrubelschulden Russlands aus dem Handel der
Sowjetunion mit der DDR
gelöst. Russland hat sich verpflichtet, 500 Millionen Euro an
Deutschland zu zahlen. Im Gegenzug erhöhte Deutschland den
Umfang der Hermes-Bürgschaften für den Handel mit Russland auf eine
Milliarde Euro. Das soll
den kleinen und mittelständischen Unternehmen in Deutschland den Handel mit Russland erleichtern. Und das Herz der
Holzpuppen schlägt nun mal für
die Kleinen und die Mittleren und
nicht für die Haifische des Großkapitals, die auf Bürgschaften nicht
angewiesen sind.
Das Problem der sogenannten
Transferrubelschulden Russlands aus dem Handel der
Sowjetunion mit der DDR
gelöst. Russland hat sich verpflichtet, 500 Millionen Euro an
Deutschland zu zahlen. Im Gegenzug erhöhte Deutschland den
Umfang der Hermes-Bürgschaften für den Handel mit Russland auf eine
Milliarde Euro. Das soll
den kleinen und mittelständischen Unternehmen in Deutschland den Handel mit Russland erleichtern. Und das Herz der
Holzpuppen schlägt nun mal für
die Kleinen und die Mittleren und
nicht für die Haifische des Großkapitals, die auf Bürgschaften nicht
angewiesen sind.
Noch
besser sieht die politische Bilanz aus.
Deutschland versprach, Russlands
Annäherung an die NATO und die
Europäische Union vorbehaltlos
zu unterstützen.
Auch das Mitspracherecht Russlands in der NATO, natürlich nur wenn es
nicht gerade um die intimen Angelegenheit der Allianz geht.
Die Vertiefung der Beziehungen beider Länder und der partnerschaftlichen
Beziehungen Russlands zu Europa sei von existenzieller Bedeutung,
weil es ohne enge Partnerschaft zwischen
Russland und der NATO und der EU keinen dauerhaften Frieden in
Europa geben könne, tönte von ganz oben.
Der deutsch-russischen Partnerschaft komme dabei
eine Vorreiterrolle zu.
"Hier
beginnt der Aufbau einer neuen
Sicherheitsarchitektur in Europa", sagte
der russische Präsident- und die Holzpuppen stimmen ihm zu. Sogar
Iwan Matrjoschkin , Esq., der behauptet, mit dem NATO- Generalsekretär
Lord Robertson auf du und du zu stehen, was sicherlich Quatsch ist.
Auch
sind wir sehr mit den Ergebnissen zufrieden, die auf
zweithöchster Ebene erzielt wurden. Wir meinen die Ministerebene.
Die Außenminister Deutschlands (der in Turnschuhen) und Russlands (der
korrekt gekleidete und beschuhte) erörterten in Weimar
unter anderem internationale Strategien zur Entschärfung der Lage im
Nahen Osten. Sehr aktuell! Die Innenminister stimmten
ihre Aktivitäten zur Bekämpfung der internationalen Kriminalität sowie
des Terrorismus ab. Auch gut! Finanzminister Eichel versprach
seinem russischen Kollegen die
Unterstützung Russlands bei Bewerbung
für die
Welthandelsorganisation. Überfällig! Die Wissenschaftsstaatssekretäre
vereinbarten Zusammenarbeit
in der Biotechnologie.
Stop!
Aber nein, auch hier haben wir keine Bedenken. Wir glauben nicht, sie
wollen die Menschen klonen.
Und wenn! Wir vermehren uns
anders und zwar so wie die Bäume und Sträucher. Also durch Knospen. Da fürchten
wir kein Klonen!
Kurzum, wir sind sehr zufrieden! Das einzige, was uns zur vollen Glückseligkeit
fehlt, ist die Gewissheit, dass die innige deutsch-russische Freundschaft
jene Nachhaltigkeit erfährt, die in Deutschland zu anderen Anlässen
immer wieder beschworen wird. Dass das Ganze kein Strohfeuer ist. Dass die
Deutschen wegen des Alleinganges, der eigentlich gar nicht stattfand,
keine Abreibung kriegen. Und dass sie, wenn ihnen die Abreibung
erteilt wird, standhaft bleiben. Wie wir, die russischen
Holzpuppen.
10.04.02
-------------------------------------------------------------
Bericht
aus Weimar
Seit gestern verläuft der deutsch-russischer Dialog in Weimar auf zwei Ebenen. Die eine erlaubt den ca. hundertfünfzig Politologen, Wirtschafts- und Kulturexperten und, last noch least, Kollegen aus Massenmedien- einen Meinungsaustausch, bei dem kein Wort auf die Goldwaage gelegt werden muss. Parallel dazu laufen Konsultationen zwischen Bundeskanzler Schröder und Präsident Putin. Die gegenwärtigen deutsch-russischen Beziehungen machten den fließenden Übergang von einem Dialog zum anderen möglich. So beschäftigten die Probleme, die von den Repräsentanten der Öffentlichkeit zum Teil kontrovers erörtert wurden, auch Putin und Schröder, die natürlich viel mehr Möglichkeiten haben, diese zu lösen oder mindestens der Lösung näher zu bringen. Was auch gut gelingt, wovon die einvernehmliche Entwirrung des komplizierten Knotens der russischen Schulden an Deutschland zeugt, einer von der ehemaligen Sowjetunion geerbten Belastung Russlands.
Allerdings wurden auch die Verhandlungen zwischen den very important persons in aufgelockerter Atmosphäre geführt, die besonders fruchtbar ist, wenn die Wünsche einer Seite nicht nahtlos ins Konzept der anderen passen. Dazu gehört zum Beispiel die Integration Russlands in die westlichen Staatengemeinschaften, wie die
E U, die NATO, die Welthandelsorganisation. Es ist kein Geheimnis, dass den Wünschen Russlands hier gewisse Bedenken des Westens entgegenstehen. Umso mehr ist zu schätzen, dass Deutschland, wie Schröder unmissverständlich zum Ausdruck brachte, in seinen Gesprächen mit den Bündnispartnern das Bestmögliche tun will, damit Russland nicht außen vor bleibt. Nach den Äußerungen der deutschen Seite,
versteht sich Deutschland als Impulsgeber und Motor der
Russlandpolitik der Europäischen Union und der NATO. Die
Bundesregierung unterstützt die Integration Russlands als gleichberechtigter Partner in die
internationalen Strukturen. Eigentlich ist es folgerichtig, weil gerade Deutschland aus eigener Erfahrung die Verlässlichkeit und den guten Willen Russlands besser als jedes andere Land des Westens kennt. Insbesondere nach dem Wechsel im Kreml vor zwei Jahren.
Wie gut die wichtigsten Repräsentanten beider Länder einander verstehen, mehr noch- wie sie sich mögen, konnte ganz Deutschland am Dienstag Abend erleben, als sie an einer populären Talkshow im ersten Programm des Deutschen Fernsehens teilnahmen. Die Talkshow, die sonst eher der Privatsphäre der Prominenten gilt, wurde diesmal zu einem Politikum. Nicht etwa deswegen, weil sie ihrem Genre untreu wurde, sondern weil die gegenseitige Sympathie auf eine Weise sichtbar wurde, die keinen Zweifel an ihren tiefen Wurzeln ließ. Und im Zusammenhang damit musste auch Putins Versicherung überzeugen, dass die Russen überhaupt den Deutschen gegenüber positiv gestimmt sind. Sie erinnern sich gut ans deutsche Engagement in Russland im Laufe von Jahrhunderten und vertrauen darauf, dass die tragischen Abschnitte der gemeinsamen Vergangenheit endgültig bewältigt sind.
Wie wirksam die mentalen und emotionalen Momente der stattfindenden Gespräche auch sein mögen, es gibt natürlich auch handfeste Gemeinsamkeiten, die beide Länder zusammenschweißen sollen. Vor allem die nationale Sicherheit, die, wie auch mehrmals zur Sprache gebracht wurde, nur miteinander gewährleistet werden kann. Auch die Abwehr des internationalen Terrorismus fällt darunter, dessen tschetschenisches Areal mit all seiner Gefährlichkeit Putin in dem erwähnten Fernsehauftritt beschrieb. Auch auf ein anderes von den deutschen Medien gern behandeltes Thema ging er ausführlich ein, und zwar aufs Verhältnis zwischen der Staatsmacht und den Massenmedien in Russland. Im Übrigen gingen die Russen auch in der Weimarhalle, wo sich die Öffentlichkeit traf, auf die Prozesse ausführlich ein, die in der deutschen Berichterstattung aus Russland für die meisten Schlagzeilen sorgen. Insofern erwiesen sich die in den deutschen Massenmedien vielfach geäußerten Vermutungen als gegenstandlos, die russischen Gäste in Weimar würden den heiklen Fragen ausweichen.
Einen Schwerpunkt des letzten, des heutigen Tages des Petersburger Dialogs wie auch der Konsultationen auf höchster Ebene bildet die Erörterung von Wirtschaftsfragen. Bereits in ihrem Vorfeld brachte der Vorsitzende des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft, Klaus Mangold, seine Genugtuung darüber zum Ausdruck, dass der Stau im beiderseitigen Handel überwunden ist. Tatsächlich stieg das Volumen in den letzten zwei Jahr um ca. 80 Prozent. Ein Ergebnis, das vor dem Hintergrund der weltweiten Rezession besonders beeindruckt und die Bedeutung der deutsch-russischen Wirtschaftskooperation für die Bekämpfung der steigenden Arbeitslosigkeit in Deutschland unterstreicht. Weniger erfreulich entwickeln sich die direkten Investitionen Deutschlands in die russische Wirtschaft, sie bleiben weit unter dem Niveau der deutschen Beteiligung in anderen Ländern Osteuropas.
Der Grund dafür liegt, wie in der Arbeitsgruppe des Petersburgers Dialogs für Wirtschaft festgestellt wurde, im mangelnden Vertrauen der deutschen Unternehmer in die
russischen
Reformen. Auch in dieser Hinsicht kann die Weimarer Runde Fortschritt bringen, weil sie den Deutschen die Gelegenheit gab, sich den neuen russischen Eliten auf Tuchfühlung zu nähern. Eine Voraussetzung der weiteren Fortschritte in den Beziehungen. Und nicht nur in der Wirtschaft.
10.4.02
-----------------------------------------------------------
Der erste Tag der Veranstaltung in Weimar zeigte sowohl die Stärke als auch die Defizite des Petersburgers Dialogs. Die Stärke besteht darin, dass zu den in Weimar angereisten Delegationen viele wichtige Repräsentanten beider Länder gehören. Sie sind in Arbeitsgruppen eingeteilt, die nahezu alle wichtigen Bereiche der staatlichen Aktivitäten abdecken. Das bezeugt, welche große Bedeutung der Entwicklung der Zusammenarbeit in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und
informative r
Tätigkeit beigemessen wird.
Dennoch besteht die eigentliche Aufgabe des Petersburger Dialogs nicht so sehr darin, dass die von der Politik engagierten Experten, seien sie noch so kompetent, ein zusätzliches Dach für ihre Gespräche finden. Viel mehr ging es von Anfang an darum, eine neue, für die breite Öffentlichkeit zugängliche Brücke zwischen Deutschland und Russland entstehen zu lassen. Das ist wichtig. Nur wenn die gegenseitigen Sympathien gestärkt, aber auch die noch vorhandenen Vorurteile zurückgedrängt werden, erhält die deutsch-russische Kooperation eine breite Grundlage. Die Launen des politischen Wetters sollen durch die tiefe Verwurzelung der Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg in der Bevölkerung beider Länder notfalls konterkariert werden können. Deshalb stieß die Initiative des deutschen Bundeskanzlers und des russischen Präsidenten auf eine einhellige Zustimmung der Öffentlichkeit.
Dieses Ziel ist aber vom Petersburger Dialog
bei weitem nicht erreicht
worden. Das zeigte gleich der erste Tag der Weimarer Runde, dessen sehr knapp bemessene Tagungszeit durch Stellungnahmen mehr oder weniger bekannter Profis ausgefüllt wurde. Selbstverständlich schadet es nicht, ein übriges Mal darauf hinzuweisen, dass Deutschland und Russland alle Voraussetzungen für ein Zusammengehen beim Ausbau des vereinten Europas haben und große Verantwortung für Frieden und Sicherheit, Demokratie und Menschenrechte, Liberalisierung der Wirtschaft und Wohlergehen der Länder auf unserem Kontinent tragen. Auch der Austausch von Einwänden, zum Beispiel gegenüber dem russischen Vorgehen in Tschetschenien oder der NATO- Osterweiterung ist hilfreich für die bessere Verständigung.
Neues ließ sich dennoch am ersten Tag der Weimarer Runde nicht vernehmen. Verständlicherweise, da die Redner auch vorher reichlich Gelegenheit hatten, ihre Standpunkte in der Presse oder auf Konferenzen darzulegen.
So gab es auch viel Kritik an der Gestaltung dieses wichtigen Treffens. Sowohl in der Weimarhalle selbst, als auch in den deutschen Medien wurde Bedauern darüber geäußert, dass es unter den Teilnehmern wenig neue Gesichter gab. Vor allem aus den Nichtregierungsorganisationen, die, obwohl nicht immer konstruktiv und erst recht nicht immer bequem, nun mal in einer zivilen Gesellschaft ihren Platz haben müssen.
Von einigen Teilnehmern des Weimarer Treffens und Berichterstattern in deutschen Medien wurde allerdings die Ansicht geäußert, dass die Defizite nicht überbewertet werden dürfen. Wie der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses Peter Boenisch hervorhob, ist der Petersburger Dialog keine Eintagsfliege, sondern für viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte gedacht. Wie die Zivilgesellschaften selbst, ist er ausbau- und korrekturfähig. Die tatsächlichen oder auch vermeintlichen Mängel dürfen nicht dazu missbraucht werden, die
konstruktive Idee selbst in Verruf zu bringen. Leider aber lassen manche Äußerungen in den deutschen Medien darauf schließen, dass es nicht ausgeschlossen ist.
Insgesamt aber überwog am ersten Tag der Weimarer Runde die optimistische Sich auf die deutsch-russischen Beziehungen, auf die Entwicklung in Russland und in diesem Zusammenhang auch auf die Zukunft des Petersburger Dialogs. Wie Peter Boenisch sagte, wird der Sonnenschein in den gegenwärtigen deutsch- russischen Beziehungen vor dem Hintergrund der düsteren internationalen Atmosphäre insgesamt besonders deutlich wahrgenommen.
9.4.02
UNSERIÖS
Unseren lieben Lesern haben wir bereits die Seite www.Petersburger-Dialog.de
wärmstens empfohlen. Informativ, objektiv, unterhaltsam.
Ich
möchte das Augenmerk auf
einige besonders positiv auffallende Gedankengänge auf der site lenken.
Als
erstes in einem Gespräch, das der deutsche Botschafter in Moskau mit
einem deutschen Journalisten führte. Der Gespräch ist betitelt: „Am
Ende von Weimar steht nicht Königswinter.“
Wie wahr! Tatsächlich herrscht in Königswinter, wo sich die
britische und die deutsche Öffentlichkeit bereits mehrere Jahre
ein Stelldichein gibt, eine ganz andere Atmosphäre als die beim
Petersburger Dialog. Die
unterkühlten Eierköpfe aus England reden so, dass kein normaler Mensch
sie versteht. Lauter Intellektualismus. Lauter Understatemens.
Dagegen
ist zu hoffen, dass sich die Atmosphäre
der deutsch-russischen Gespräche
allmählich lockert. Dass in den Sitzungen die Rufe „Druschba-
Freundschaft!“ ertönen. Dass
umarmt und dreimal geküsst wird. Und
Wodkagläser immer wieder aufgefüllt werden.
Das bringt Völker viel näher, als die intellektuellen
Spinnereien.
Also
steht am Ende von Weimar tatsächlich kein Königswinter. Dafür aber ein
Königsfrühling! Und wir
freuen uns mächtig darauf.
Den
zweiten Höhepunkt liefert
Herr Michail Margelow aus Moskau. Er ist nicht irgendwer. In Weim ar ist er
russischer Koordinator der
außenpolitischen Debatte, sonst der
außenpolitische Sprecher des Oberhauses des russischen Parlaments. In
einem Gespräch für die site unter dem Titel „Die USA schützen die
Südgrenze Russlands“ äußert er sich sehr zufrieden darüber, dass die
USA an der Südgrenze Russlands eine Kette von Militärstützpunkten
errichteten. Die Zufriedenheit ist leicht nachvollziehen. Ist doch das
USA- Militär dafür bekannt, dass es fremde Grenzen schützt.
Insbesondere im Orient.
Es
wäre angebracht, würde sich Herr Margelow dafür einsetzen, dass
Russland sich dankbar erweist. Zum Beispiel mit
dem Schutz der Südgrenze
der USA. Bekanntlich haben die
USA auf ihrer Südgrenze dieselbe Probleme wie Russland: illegale
Einwanderung, Drogenschmuggel u.s.w. So haben sich die russischen Boys
(vor allem die mit
Tschetschenienerfahrung) im Grenzschutz
gut geübt.
Wenn
Herr Margelow in Weimar meine Anregung aufgreift,
braucht er mich nicht zu erwähnen. Gott behüte! Soll er selbst
alle Lorbeeren ernten.
Den
dritten Gedankenblitz von der Seite www.Petersburger-Dialog.de
fand ich in den Ausführungen von Michail Gorbatschow. Die Wahl Weimars
als Tagungsort führte er, seine Sympathie für die neuen Bundesländer
hervorhebend, darauf zurück, dass die
neuen Bundesländer in den Prozess der Erweiterung deutsch-russischer
Beziehungen einbezogen sein sollen. Wie
großzügig!
Wenn
die Russen den neuen Bundesländern
lukrative Aufträge erteilen, damit sich die am Boden liegende
Wirtschaft aufrappeln kann,
ist das Glück
Ostdeutschlands perfekt. Es
wird nämlich gemunkelt, die Aufträge machen einen Bogen um die neuen
Bundesländer. Wenn sie überhaupt kommen.
Trotzdem
zweifle ich nicht im geringsten daran, dass Gorbis Äußerungen
in den neuen Bundesländern viel Zustimmung
finden. Hier lodert
die Liebe zu ihm besonders hoch. Schließlich ist nicht vergessen, wie
viel er als Präsident der Sowjetunion geleistet hat, damit bei der
deutschen Wiedervereinigung Ostdeutschland
nicht zu kurz kam. Seine hervorragenden Leistungen auf dem Gebiet können
nur mit der exzellenten Absicherung der russischen Interessen in seiner
Amtszeit verglichen werden...
Zuletzt
will ich nicht verschweigen, dass mein Standpunkt
in unserem Team nicht nur auf Zustimmung stößt. Eigentlich teilt
ihn nur Iwan Matrjoschkin, Esq., vermeintlicher
Freund des Lord Robertson of Port Ellen...
Mit
herzlichen Grüssen,

PUTINS
GASTGESCHENK
Die russische
Staatsduma nahm ein Gesetz an, das vielleicht einen Durchbruch im alten
deutsch-russischen Streit über
Beutekunst andeutet. Sie billigte die Rückgabe der
mittelalterlichen Buntglasfenster aus der Marienkirche in Frankfurt/Oder.
Bis dato weigerten sich die russischen Gesetzgeber grundsätzlich,
der Restitution zuzustimmen. Sie
beriefen sich auf große
Verluste Russlands im Zweiten Weltkrieg, als die Sonderkommandos, der
vorrückenden Wehrmacht auf der Spur, russische
Kunstschätze raubten. Am Ende des Krieges taten die „Kunstfreunde“ in
russischer Uniform auf Stalins Befehl dasselbe. So kamen Schätze von
unermesslichem Wert aus Russland nach Deutschland und umgekehrt. Wobei
Deutschland als Verlierer des Krieges viel größere Verluste erlitt.
So landeten
auch die Fenster aus Frankfurt/Oder in der
Petersburger Eremitage.
Die
erbeutete Malerei aus den Dresdener Kunstsammlungen wurde allerdings
bereits nach dem Krieg an die DDR
als Geste der Freundschaft zurückgeführt.
Mit
der Rückgabe der Fenster aus
Frankfurt sichert sich Putin eine glaubwürdige
Ausgangslage bei den anstehenden Verhandlungen über die Beutekunst
in Weimar. Die von ihm
jetzt stärker denn je kontrollierte
Duma wird wohl nach ihrem „a“ auch „b“ sagen müssen und den
weiteren Restitutionen zuzustimmen.
P.S. Das kunstbegeisterte matrjoschka-team freut sich.
Die Spitzenleistungen der
Kunst dürfen nicht hin und her geschoben werden und für die Untaten
kriegslüsterner Staatsmänner haften.
Allerdings wäre die Freude noch größer,
würde 1) Russland mit einer angemessenen Gegenleistung gedankt
werden und 2) die Amis die in Deutschland nach dem Krieg
geraubte Kunst auch rausrücken.
6.4.02
PRESSEKONFERENZ
IN BERLIN ZUM PETERSBURGER DIALOG
In
einer Pressekonferenz in Berlin erläuterte Michail Gorbatschow seine
Sicht auf den Petersburger Dialog, ein Forum der deutschen und russischen
Öffentlichkeit, dessen nächste Runde am 8. April in Weimar beginnt und
drei Tage dauert. Seinen Auftritt leitete
Michail Gorbatschow, der dem russischen Lenkungsausschuss des Petersburger
Dialogs vorsteht, mit einer
Einschätzung der Entwicklung in Europa seit Beendigung des Kalten
Krieges und Überwindung der Ost- West Konfrontation ein. Er meinte, die
durch die Wende eröffneten Aussichten auf ein engeres Zusammenrücken
Russlands und der anderen europäischen Staaten
werden recht zögerlich wahrgenommen. Der Annäherungsprozess
vollzieht sich zu langsam. Die politischen Taten halten mit begrüßenswerten
Absichtserklärungen nicht immer Schritt. Das führt zu beträchtlichen
Defiziten in der internationalen Zusammenarbeit, insbesondere zwischen
Deutschland und Russland. Wäre auf beiden Seiten mehr Mut und Initiative
vorhanden, könnte viel mehr erreicht
werden.
Gorbatschow
plädierte für ein neues Format der Beziehungen zwischen Russland und der
EU und auch zwischen Russland und der NATO.
Die Überwindung der unbegründeten Zurückhaltung würde unter
anderem auch die globale Position Europas stärken.
In
diesem Zusammenhang wies Gorbatschow darauf
hin, wie wichtig es ist, dass nicht nur Staatsmänner und Parteipolitiker,
sondern Vertreter der Zivilgesellschaften beider Länder am Petersburger
Dialog teilnehmen. In den Meinungsaustausch soll besonders die Jugend
einbezogen werden.
Geschehe
dies nicht, würde der Petersburger Dialog zu einem Altersheim für
Staatsmänner a.D. degenerieren, sagte Gorbi.
Die
Gedanken unterstützte der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses
Peter Boenisch. In seiner Stellungnahme auf der Pressekonferenz hob
er besonders hervor, dass das
Forum von seinen Gründern für Jahrzehnte hinaus gedacht worden
ist. Es soll immer mehr Bürgerinitiativen, darunter auch
Nichtregierungsorganisationen, in seine Tätigkeit
integrieren und somit dem Verständnis zwischen Russen und
Deutschen gute Dienste leisten. Peter Boenisch stellte zufrieden fest,
dass die weitere Annäherung zwischen Russland und Deutschland von der
deutschen Bevölkerung zunehmend für wünschenswert und realisierbar
gehalten wird.
Die
Weimarer Runde des Petersburger Dialogs, die der Petersburger Runde vom
vorigen Jahr folgt, sieht den Meinungsaustausch in sechs Arbeitsgruppen
vor. Es wird ein breites
Spektrum von Fragen diskutiert. Darunter die wirtschaftliche und
kulturelle Zusammenarbeit und die Rolle der Medien.
Auch Bundeskanzler Schröder und Präsident Putin kommen nach
Weimar. Den deutsch-russischen
Konsultationen auf höchster Ebene wird in Deutschland viel Bedeutung
beigemessen. Es wird die Hoffnung geäußert, dass
die Atmosphäre einer
Stadt , die mit Recht als Wiege des deutschen Humanismus gilt, die bevorstehenden
Verhandlungen beflügelt. In den Verhandlungspausen werden die beiden
Staatsmänner Sehenswürdigkeiten
Weimars besichtigen, die an
die Weimarer Tradition der Hochschätzung der
russischen Kultur erinnern, und Darbietungen unter Teilnahme
russischer Künstler beiwohnen.
26.3.02
VORURTEILE
Ein
wenig tiefer berichtet Ihre zuverlässige Informationsquelle www.matrjoschka-online.de
über die vom 8. bis 10. April bevorstehende neue Runde des Petersburger
Dialogs. Hier möchten wir uns aber schnell zu einem Anliegen
des Dialogs äußern. Dieses ist der Abbau von Vorurteilen, die in
Russland über Deutsche, in
Deutschland über Russen noch vorhanden sind. Eigentlich existierten sie
immer, wurden über große Zeitstrecken sogar angeheizt, wenn es den
Absichten der Herrschenden entsprach und eine noch längere Zeit blühten
sie, weil es zwischen Deutschen und Russen wenig menschliche Kontakte gab.
Diese aber sind der beste Weg, Vorurteile
auszuräumen. Heutzutage verlangt die Politik nicht das Schüren, sondern
die Beseitigung von Vorurteilen. Die Vorurteile sitzen jedoch tief und
ihnen ist nicht auf Anhieb beizukommen. Doch genug philosophiert. Gehen
wir so an die Sache, wie die Holzpuppen es immer tun. Anschaulich und
engagiert.
-
Die
Petersburger Kommunikationsagentur startete vor wenigen Tagen eine
Umfrage. Die Russen sollten sich darüber äußern, wie sie die
Deutschen sehen. Wie sehen sie also die Deutschen? Gesetzestreu,
sparsam, arbeitsam, pedantisch, aber auch unternehmungslustig.
Alles
Eigenschaften, die bereits der russische Dichter Gontscharow Mitte des 19.
Jahrhunderts dem deutschen Helden seines schönen Romans „Oblomow“ als
typischem Deutschen in Russland zuschrieb. Vielleicht wurzelt dieses
russische Bild von den Deutschen noch in den Erfahrungen, die die Russen
vor hundertfünfzig Jahren, als die Eliten des Landes, aber auch die
Handwerker stark eingedeutscht waren. Kein Wunder, da um die Zeit in den
Adern der russischen Zaren mehr deutsches als russisches Blut floss.
Es
wäre sicherlich nicht überflüssig, unter den Russen, die jetzt in
Deutschland leben, eine ähnliche Umfrage durchzuführen. Vielleicht hätte
sie ein weniger positives Bild des Deutschseins zutage gefördert
angesichts der skandalösen Vorfälle der letzten Jahre.
Aber
kein soziologisches Institut in Deutschland macht solche Umfragen. Und das
ist gut so.
Zurück
zur Petersburger Umfrage. Die daran beteiligten Russen haben nicht nur Lob
über die Deutschen von sich gegeben, denn sie meinten, die Deutschen
seien zu egoistisch, stellen die geistigen Werte hinter die materiellen,
seien selbstgerecht, achten andere Völker zu wenig und kennen wenig
Mitleid.
Wenn
die positiven Einschätzungen vielleicht in die Kategorie der positiven
Vorurteile gehören, denn solche gibt es auch, dann sind die negativen
Einschätzungen eindeutig negative Vorurteile. Eben Vorurteile. Das
matrjoschka-team will hier klar zu Protokoll geben, dass es die Deutschen
anders kennen gelernt hat. Uneigennützig, vergeistigt, entgegenkommend,
ausländerfreundlich und hilfsbereit. Wir, die Holzpuppen, bestehen
darauf, dass den Russen beim Treffen in Weimar vorgeschrieben wird –
schließlich nimmt Präsident Putin am Treffen teil- von nun an den
Deutschen diese Eigenschaften auszumachen.
Doch
zurück zur Petersburger Umfrage. Sie enthielt auch die Aufforderung, sich
über sich selbst zu äußern. Also wie sieht Iwan Normalverbraucher
seinen typischen Landsmann. Stellen Sie sich vor: gastfreundlich,
kommunikationsfreudig, optimistisch und uneigennützig. Schön wäre es...
Selbstkritisch
ist Iwan auch. Er kreidet seinem Landsmann an, die Obrigkeit zu
missachten, schlampig und verschwenderisch zu sein.
-
Wie gesagt,
sind uns, den Holzpuppen, keine soziologischen Untersuchungen in
Deutschland bekannt, die die hier vorhandenen Vorurteile gegen die
Russen auflisten. Es gibt sie sicherlich. Wahrscheinlich werden sie
aber der Öffentlichkeit vorenthalten. Und das ist gut so. Doch wir
verfügen über die Reportage
unserer russischen Kollegin Anna Lagutina, die in einer bekannten
Berliner Zeitung hospitierte. Sie schreibt:
In
meinem ganzen Leben habe ich nur einmal Wodka probiert. Er hat mir nicht
geschmeckt. Ich habe auf der Strasse in Russland noch nie einen Bären
gesehen. Ich trage keinen blonden Zopf bis zu den Fersen, kann nicht
Balalaika spielen und beim Lied „Kalinka-Malinka“ wird mir übel.
Deswegen guckten mich meine deutschen Kollegen ein wenig verwirrt an. Nach
ihrer Vorstellung muss eine russische Frau dick sein, Wodka trinken und
Kaviar dazu essen, und zu tanzen beginnen, sobald sie eine Harmonika
hört...
In
der Redaktion, in der ich hospitierte, saß mir gegenüber ein netter,
gebildeter und kluger Kollege. Doch das erste, was ich von ihm hörte,
war: „Die Russen kommen nach Deutschland, um Frauen und Waffen zu
verkaufen.“ Montags fragte er, wie ich das Wochenende verbrachte. „Sehr
erfolgreich, ich habe einen Panzer und einige Kalaschnikows verkauft,“
antwortete ich.
Als
ich von einem Empfang in der
russischen Botschaft kam und für die Zeitung eine Notiz darüber schrieb,
wurde diese vom Chefredakteur mit folgendem Titel versehen: „Russland
feiert, Kaviar und Wodka satt...“ Mein Einwand, dass Kaviar und Sekt
beim Empfang nicht auf den Tischen standen, fand kein Gehör. Mir wurde
erklärt, das deutsche Publikum hätte ein dringendes Bedürfnis zu
erfahren, wie viel Sekt geflossen
und wie viel Kaviar verzehrt wurde und wie viele Russen am Ende unter dem
Tisch lagen. Mir fiel nur noch Tucholsky ein: „Liebes Publikum, bist du
wirklich so dumm?“
Eine
Freundin arbeitet als Fremdenführerin und begleitet deutsche
Touristengruppen in einer russischen Stadt. Sie wird mit Fragen
konfrontiert wie:“ Wo sind denn die Bären?
Wir wollen sie sehen!“ Die Freundin fuhr mit einer Gruppe in den Zoo.
Die Leute wollten die Bären aber auf der Strasse und frei laufen sehen,
nicht hinter Gittern. So wie sie in den Wohnungen unserer Hochhäuser
russische Bauernöfen sehen wollen. Und nicht Elektroherde und
Zentralheizung.
Es
wird oft gesagt, Sprache verbindet. Ja, wenn man sie kennt. Eine deutsche
Kollegin beschrieb unsere Sprache mit den Worten: „Melodisch, aber
irgendwie dem Chinesischen ähnlich.“ Vielleicht hat sich in ihrem Kopf
eine Vorstellung von Russland als von einem exotischen Land festgesetzt.
Weit weg, wie China.
-
Schade, dass
der menschliche Umgang zwischen Deutschen und Russen nach wie vor
unterentwickelt ist. In fast jedes
andere europäische Land fährt ein Deutscher
ohne weiteres. Er muss nur die Entfernung überwinden, nicht
die bürokratischen Hindernisse, die in unserer Zeit schwerer als jede
Entfernung zu überwinden sind. Wir,
die Holzpuppen, wissen nicht, ob Herr Putin vor einem deutschen
Konsulat in Moskau stehen muss, wenn er nach Deutschland will, und ob
er mehrere Bescheinigungen vorweisen muss, die den Verdacht aus zuräumen,
er möchte nach Deutschland, um hier für ewig als Illegaler zu
bleiben. Wir wissen auch nicht, ob Herr Schröder, wenn er nach
Russland will, sich im russischen Konsulat in Berlin einer ähnlichen
Prozedur unterziehen muss. Wir wissen aber, dass die bürokratischen
Schranken ächzend und sehr schleppend
hoch gehen. Und je weiter die Freizügigkeit zwischen den übrigen
europäischen Staaten voranschreitet, desto langsamer öffnen sie sich
für die Russen, die nach Deutschland wollen, oder für die
Deutschen, die nach Russland wollen.
Ein
russischer Freund, der sich dienstlich in Berlin aufhält, wollte sein
Enkelkind zu sich holen. Nein, sagte die deutsche Behörde. Drei Monate, höchstens,
keinen Tag länger. Warum, wollte er wissen. Weil wir sonst alle
Schengenstaaten um ihre Bewilligung ersuchen müssen. Das Kind ist aber
erst fünf Jahre alt, sagte der Freund. Spielt keine Rolle, sagte die Behörde.
Ob fünf oder fünfzig, wir brauchen die Bewilligung. Und der Aufwand ist
uns zu hoch...
So
appelliert www.matrjoschka-online.de
an die Staatsmänner, die sich demnächst in Weimar treffen, die Schranke
ein wenig zu ölen, damit sie weniger krächzt und sich leichter hebt.
Geschieht es, werden die beiderseitigen Vorurteile schneller verschwinden,
als wenn nur Bla-Bla auf höchster Ebene geredet wird.
PS.
Unser versoffener Kumpane Iwan Matrjoschkin Esq. bestand darauf, dass wir
eine kleine Ergänzung zum oben Geschriebenen anfügen. Er will unbedingt
noch ein Vorurteil ins Gespräch bringen. Er meint, dass dazu die in
Deutschland verbreitete Vorstellung gehört, alle Bomber der
amerikanischen Airforce seien Rosinenbomber. Wir, die weiblichen Puppen,
erteilten Iwan eine Abfuhr. “Kein Antiamerikanismus in unserer Mitte!“
24.03.02
Vorwort
Bekanntlich
sind wir, die Holzpuppen, sehr darauf erpicht, unsere Unabhängigkeit zu
wahren. Alles, was auf unserer Seite erscheint, ist auf unserem eigenen
Mist gewachsen. Auch Übernahmen aus dem Runet, die wir nur dann und nur
so bringen, wie wir es für richtig halten.
Erst
recht, wenn es um Infos aus amtlichen, halbamtlichen oder
andersgearteten institutionellen Quellen geht. Da sind wir besonders auf
der Hut.
Es
gibt aber Veranstaltungen, denen wir unsere Seite und unsere ein wenig
vertrockneten Herzen uneingeschränkt
öffnen. Zu denen gehört der Petersburger Dialog, ein mehradriger Draht
zwischen Deutschland und Russland. Demnächst findet die neue Runde des
Dialogs in Weimar statt.
So
haben wir uns entschlossen, viel darüber zu bringen.
Wie wir es gemacht haben, als die erste Runde des Dialogs in Sankt
Petersburg lief. (Siehe in
unserem Archiv die Sparte „Russen und Deutsche).
In
den Berichten zum „Petersburger Dialog in Weimar“ nutzen wir neben
eigenen Quellen auch
Infos der WWW-Seite www.petersburger-dialog.de,
die wir hiermit den
matrjoschka-Freunden empfehlen.
1.
Petersburger
Dialog:
Что
это такое? Was ist
das?
PS.
Was ist das? Weckt in meinem Gedächtnis eine Erinnerung. In den Jahren
meiner leider weit zurückliegenden Moskauer Schuljahre pflegten wir
Lausejungs die Frage mit der
russischen Antwort zu
begleiten:
Was
ist das?
Кислый
квас!
Saurer
Kwas ( russisches Brotgetränk).
Unglücklicherweise
gebrauchte unsere Deutschlehrerin, Marija Iwanowna, die der deutschen
Sprache zwar nicht sehr mächtig war, diese aber sehr liebte, immer
wieder die Frage. Und immer wieder ertönte darauf im Chor: Вас
ист
дас?
Кислый
квас!
Das ärgerte sie bis zu Tränen.
Die
arme Marija Iwanowna! In den ersten Wochen des großen Krieges geriet ihr
einziger und heißgeliebter Sohn in deutsche Kriegsgefangenschaft. Vom
Hunger gepeinigt, erklärte
er sich einverstanden, in der Bauorganisation Todt im besetzten Frankreich
als Dolmetscher mitzumachen. Nach dem Krieg wurde er dafür (Kollaboration
mit dem Feind) in der Sowjetunion zu
25 Jahren KZ verurteilt. Fast wurde sie wahnsinnig und schwor sich, nie
mehr ein Wort der Sprache in den Mund zu nehmen, die ihrem Sohn zum Verhängnis
wurde...
ZURÜCK
ZUR SACHLICHEN BERICHTERSTATTUNG. ZUERST ÜBER......
2.
Ziele und Vorgeschichte des Petersburger Dialogs:
Der
Petersburger Dialog wurde auf Initiative des russischen Präsidenten
Wladimir Putin und des Bundeskanzlers Gerhard Schröder ins Leben gerufen.
Er leitet etwas Neues in den seit vielen Jahrhunderten intensiven
Beziehungen zwischen den Ländern ein: regelmäßige und breitgefächerte
Gespräche zwischen den
Eliten der Politik, Wirtschaft und Kultur. Das Ziel: Verständigung
zwischen Deutschland und Russland zu fördern und Vorurteilen
entgegenzuwirken.
Das erste Treffen im Rahmen des Petersburger
Dialogs fand im April 2001
unter dem Motto "Russland
und Deutschland an der Schwelle des 21. Jahrhunderts - Ein Blick in die
Zukunft" statt.
PS.
Wie fast alles, was von Funktionären dirigiert wird, ist auch der
Petersburger Dialog vor Erstarrung nicht gefeit. Gottseidank gibt es aber
noch „matrjoschka-online.de“, die dieselbe Zielsetzung hat, aber, da
unabhängig, nicht die Gefahr läuft.
Die
neue Runde des Petersburger Dialogs
wird vom 8.-10. April 2002 in Weimar stattfinden. Sie trägt das
Motto: "Deutschland und Russland in einer sich neu ordnenden
Welt".
In Weimar sollen Themen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur
im offenen Gespräch behandelt werden.
Matrjoschka
wird berichten. Ohne Ansehen der Personen.
3.Über
Russen und Weimar.
Wir
beschränken uns auf eine Episode. Viel mehr ist dazu auf der erwähnten
WWW- Seite www.petersburger-dialog.de
zu
finden.
Also...
„Goethe
habe ich nur gestern im Vorbeigehen am Fenster gesehen“, notierte der
seinerzeit berühmte
russische Dichter Nikolaj
Karamzin, als er 1789 in Weimar weilte. Karamzin
reiste bald aus Weimar ab. Fünfzehn Jahre später zog eine
Russin in Weimar ein, der er als Erzieher der Zarenkinder
Unterricht geben durfte. Sie verweilte länger als ein halbes Jahrhundert
in Weimar. Die Tochter des Zaren Paul I., Marija Pawlowna, in Weimar Maria
Paulowna genannt, heiratete 1804 den Erbprinzen von Weimar Karl Friedrich.
In Weimar hat sie 1859 ihre letzte Ruhe gefunden.
PS.
Bereits vor Jahren brachte www.matrjoschka- online.de einen Bericht über
dieses bemerkenswertes, aber fast vergessenes Weib,
der später auch als Büchlein erschien. Den Bericht holten
wir aus unserem Archiv und Sie können ihn ein wenig tiefer lesen. Vorläufig aber
weiter aus der Chronik „Russen in Weimar“.
In
Weimar gibt es eine schöne russisch-orthodoxe Kapelle, deren Bau auf Anregung von Maria
Paulowna zurückgeht.
PS.Das Matrjoschka-
team besuchte die Kapelle, wurde vom zuständigen Popen gesegnet und zu
weiteren Taten für Russland und Deutschland ermuntert.
Der
– neben Goethe- größte
Dichterfürst in Weimar, Friedrich Schiller, zeigte damals, dem
Zeitgeist huldigend,
ein auffallendes Interesse für Russland. Nicht ohne Hintergedanken. Den
in Weimar versammelten Poeten und Philosophen
drohte immerzu die Gefahr, am Hungertuch nagen zu müssen, da der
Zwergstaat kaum Einnahmen hatte und dadurch
nicht reicher wurde, dass die deutschen Duodezfürsten gerne Soldaten
spielten. Das riesige Land im
Osten mit seinen unermesslichen Reichtümern faszinierte die Weimaraner
und sie hatten nichts dagegen, von ihm ausgehalten zu werden.
Anm. Verdammt noch mal! Jetzt ist es
ganz anders. Die russischen Dichter und anderen Intellektuellen müssen
oft Schlangen an fremden Kassen stehen. Und die Wohltäter erweisen
sich oft viel knauseriger als Maria Paulowna in Weimar.
Aber www.matrjoschka-online.de
ist- toi-toi-toi!- finanziell unabhängig und sogar imstande,
Iwan Matrjoschkin, Esq. Kneipentouren
zu spendieren. Ab und zu, aber immer wieder.
Die
Hoffnung wurde nicht enttäuscht. Maria Paulowna sorgte dafür,
dass die Heimstätte der deutschen Kultur erhalten blieb. Dichter
dichteten, Philosophen philosophierten, russische Besucher kamen und
gingen. Sogar die erlauchten Petersburger Verwandten von Maria Paulowna
gaben sich an der Ilm ein Stelldichein.
Goethe
als Staatsmann verstand es, die Russen nach Weimar zu locken. Zu einem
Geburtstag von Maria Paulownas veranstaltete er einen russischen
Maskenzug. Mit einem Schlag wurde er in Russland, wo er davor weit hinter Schiller rangiert hatte, berühmt. Puschkin
nannte Goethe einen allgegenwärtigen Vater der Dichtkunst.
PS.
Wenn sich nun eine so exklusive russische Dame im provinziellen Weimar
wohl fühlte und gestützt auf deutsche und
russische Literaten, Musiker, Maler, Architekten, Bildhauer, dem
Weiterleben und der Erneuerung des klassischen
Weimar viel beitragen konnte,
dann soll uns um die Zukunft
des russisch- deutschen Kulturaustauschs nicht bange sein. Maria Paulowna
hat mit ihrem Wirken in Weimar bewiesen, dass beide
große Kulturen sehr wohl kompatibel sind. Trotz aller
Unterschiedlichkeit, die, richtig gehandhabt,
nicht stört, sondern produktive Spannung erzeugt.
UND
JETZT, WIE VERSPROCHEN, DER ALTE, ABER AKTUELL GEWORDENE BERICHT ÜBER
EINE RUSSIN IN WEIMAR
Es ist allgemein bekannt, welchen Beitrag Weimar zur
Kulturentwicklung Deutschlands leistete. Jedes fleißige Schulkind
weiß, dass die thüringische Stadt die Wiege der deutschen klassischen
Literatur war, die Heimstätte von Goethe und Schiller und auch von
anderen, nicht ganz so bedeutenden Dichtern wie zum Beispiel Wieland.
Weniger bekannt ist allerdings die Tatsache, dass zum
Weltruhm Weimars eine Russin einiges beigetragen hat. Die Russin war
weder Dichterin noch Künstlerin.

Obwohl sie durchaus eine musische Ader
besaß und für den Hausgebrauch ganz nette Gedichte schrieb, bestand
ihr Beitrag darin, dass sie Dichtern und Künstlern das gab, was diese
am dringendsten brauchen, um richtig produktiv zu sein. Es ist
bekanntlich das liebe Geld. Sie war nämlich sehr spendabel und
förderte aus ihrer Privatkasse die Weimarer Kultur. Und die Kasse war
prall gefüllt, denn die Dame gehörte zur russischen Zarenfamilie, war
eine russische Großfürstin, Tochter des russischen Zaren Pawel des
Ersten und Lieblingsschwester der russischen Zaren Alexander des Ersten
und Nikolaus des Ersten.
Das russische Geld war für Weimar besonders wichtig,
da der kleine Staat, eines der im vorigen Jahrhundert zahlreichen
deutschen Duodezfürstentümer, tief in den roten Zahlen steckte. Seine
Staatskasse wurde durch die bereits damals wuchernde Bürokratie so
stark in Anspruch genommen, dass für die Kultur kaum etwas übrig
blieb. Dem thüringischen Herzog fehlte ständig das nötige Kleingeld
für Dichter, Philosophen und Schauspieler, die er großzügig nach
Weimar und Jena einlud und die auch danach strebten, im Refugium der
deutschen Klassik tätig zu werden. Er erhöhte zwar ständig die
Steuern, wie es eben die Herrschenden zu allen Zeiten und allerorten zu
tun pflegen, um die Geldsorgen loszuwerden. Doch aus einer Bevölkerung
von etwa sage und schreibe dreizehnzehntausend Seelen konnte kein
Steuereintreiber viel herauspressen. Und mindestens ein Drittel der
Bevölkerung stellten in Weimar die Privilegierten - Beamte, Höflinge,
Militär, die keine Steuern zahlten. Damals war es eben ein Privileg
nicht der Reichen, sondern der Adligen, von den Steuern befreit zu
werden.
Aber der liebe Gott ließ den thüringischen Hort der
schönen Künste nicht im Stich. Durch Vermittlung des preußischen
Königs erhielt der Sohn des fast mittellosen Großherzogs eine sehr
vermögende Ehefrau. Sie wurde von ihren erlauchten Verwandten in Sankt
Petersburg mit einer riesigen Mitgift ausgestattet und kam nach
Weimar mit viel mehr Geld als ihr junger Gemahl je gesehen hatte. Auch
und besonders, als er 1828 den Vater beerbte und die Regierung in Weimar
übernahm.
Respektvolles Staunen erweckte Maria, geborene
Romanow, bereits beim Brauteinzug 1804 in Weimar. Achtzig Wagen, von
kleinen, zottigen Pferden gezogen und von Kosaken geleitet, brachten
ihre Aussteuer von der Newa an die Ilm.
Die Großfürstin und später auch die Großherzogin
von Weimar-Sachsen Maria Pawlowna oder Paulowna, wie sie in Deutschland
halb russisch und halb deutsch genannt wurde, besaß aber nicht nur viel
Geld, sondern auch eine echte Zuneigung zur dichtenden,
philosophierenden und theaterspielenden Zunft. So erblickte sie ihre
Aufgabe in Weimar darin, den durch Goethe und Schiller begründeten Ruf
der Stadt zu erhalten und die Dichtung, Philosophie und Theaterkunst
nicht versauern zu lassen. Dabei tief in die eigene Schatulle zu
greifen, war für sie selbstverständlich. Es ist eben so, dass den
russischen Zaren vieles vorgeworfen werden konnte, bloß geizig waren
sie selten. Zwar galt die Freigebigkeit der Majestäten aus Sankt
Petersburg meistens dem Militär, dennoch gab es in diesem Punkt auch
Ausnahmen. Und Maria Paulowna war eine solche. Sie wollte Weimar und dem
ganzen Deutschland zeigen, wozu eine russische Prinzessin in punkto
Kulturförderung fähig ist. Und der deutschen Kultur fühlte sie sich
sowieso verbunden. Schließlich hieß ihre Oma väterlicherseits
Prinzessin Sophie – Friederike - Auguste von Anhalt - Zerbst, mehr
unter dem Namen Katharina die Zweite, bzw. die Große bekannt. So
betrachtete Maria Paulowna Deutschland als ein Land, mit dem Russland
für immer zusammen gehen sollte und dessen Geist, mit der russischen
Stärke vereint, viel ausrichten könnte. Wie es die große Katharina
der ganzen Welt bewies.
Für Weimar und - wenn man weiterdenkt - für die
ganze deutsche Kulturlandschaft war Maria Paulowna ein richtiger Segen.
Denn das Geld aus Sankt Petersburg floss in viele Einrichtungen, die mit
dem Ziel ins Leben gerufen wurden, das Erbe von Goethe und Schiller zu
erhalten und zu mehren. Dazu gehörten Archive, Museen,
wissenschaftliche Forschungsstellen, aber auch das Weimarer Theater,
später mit Recht das Nationaltheater genannt, wo viele dramatische
Dichtungen von in der Stadt beheimateten Dichtern zuerst aufgeführt
worden waren.
Erwähnt sei, dass die Großfürstin Maria ein für
ihr Elternhaus erstaunliches Fingerspitzengefühl im Umgang mit den
launischen Poeten und Philosophen besaß. Geerbt haben konnte sie es
kaum, höchstens von der Oma. Der Vater, der bereits erwähnte Pawel der
Erste, hatte nur seine nach preußischem Muster bezopften Soldaten im
Sinn, die er von früh bis spät exerzieren ließ.
Marias älterer Bruder Alexander der Erste, übrigens
Michail Gorbatschow äußerlich und nach dem Gehabe sehr ähnlich,
verkündete zwar, er sei ein Freund der schönen Künste, verschärfte aber die Zensurbestimmungen in
Russland und verschrieb sich nach den
ersten misslungenen Reformversuchen den Dunkelmännern. Das denkende und
kunstschaffende Russland war richtig erleichtert, als er 1825 starb.
Sein und der Großfürstin Marias Bruder Nikolaus, der daraufhin in Sankt
Petersburg den Thron bestieg, erwarb sich mit seinen Demütigungen des
russischen Nationaldichters Puschkin und grausamen Verfolgungen anderer
freidenkender Literaten einen höchst zweifelhaften Ruhm. So war Maria ein
weißer Rabe in dieser Familie von Despoten und Ignoranten. Sehr
belesen, für alles Schöne empfänglich, füllte sie die selbstgewählte
Rolle der guten Fee der Dichter, Philosophen und Schauspieler in
Deutschland ohne Mühe aus. Deutsch beherrschte sie, wie manche andere
Fremdsprache, gut, so dass es für sie in der neuen Heimat
keine Sprachbarrieren gab, auch wenn ihr der Weimarer Dialekt nicht auf
Anhieb von der Zunge ging.
Kurzum, sie fühlte sich in dem fremden Lande, das
allerdings damals in Russland etwa so wie ein Vetter empfunden
wurde, heimisch. Doch nie
leugnete sie ihre russische Herkunft. Im lutherischen Weimar blieb sie
russisch-orthodox und ließ sogar eine orthodoxe Grabkapelle bauen, und
zwar auf eigens aus Russland herbeigeschaffter Erde, wo sie bestattet
werden wollte. Wenn sie eine unfreundliche oder unkorrekte Äußerung
über Russland hörte, meldete sie sich zu Wort und sorgte dafür, dass
das Bild ihres Vaterlandes zurechtgerückt wurde.
Allerdings war es damals in Deutschland weniger
üblich als später, über Russland zu lästern. Es wirkte noch die
Dankbarkeit für die opferreiche Tat der russischen Soldaten nach, die
die Grand Armee Napoleons 1812-1813 in die Flucht geschlagen und damit
Deutschland von einem Besatzungsregime befreit hatten. Gewiss waren die
Kosaken keine Engel, und als sie durch die deutschen Städte zogen,
haben sie sich einiges zuschulden kommen lassen. Aber - das sei hier
ganz unpolemisch angemerkt - im Vergleich mit der französischen
Besatzung erschienen die Kosakenübergriffe weniger schlimm. Für
mich, die ahnungslose Holzpuppe, war es übrigens neu, als ich in Weimar
viele Zeitzeugnisse der französischen Schandtaten - Morde an
Zivilisten, Raubzüge, Vergewaltigungen- las. Das hätte ich den
Söhnen des charmanten Volkes nie zugetraut.
Zurück zu Maria Paulowna. Obwohl sie sich ihrer
Zugehörigkeit zu der damals wohl mächtigsten Dynastie in Europa bewusst war, ließ sie sich keine Spur vor Hochnäsigkeit anmerken. Im
Inneren zog sie wohl Vergleiche zwischen der damaligen deutschen Enge,
im Zwergstaat Weimar besonders spürbar, und dem riesigen, sich auf zwei
Weltteile erstreckenden Russischen Reich, aber niemand hörte von ihr abschätzende
Meinungen über die Wahlheimat. Peu a peu übernahm sie die neuen
Aufgaben, die die Regierungsgeschäfte in Weimar erforderten, ohne
dadurch ihre Mäzeninnenrolle zu vernachlässigen. Um die
Staatsgeschäfte musste sie sich kümmern, weil ihr Herr Gemahl, der
Herzog, ein Träumer war und sich sehr gern zurückzog, um seine
umfangreiche Sammlung von Kitsch aus vielen Ländern zu pflegen.
Auch als die im Hintergrund mitregierende Person
eroberte sie die Herzen der Weimaraner, da sie die Staatsfinanzen sehr
vorausschauend und umsichtig verwaltete und sich bemühte, die niederen
Stände nicht zu sehr zu schröpfen.
Es gab in ihrem Leben auch Unangenehmes. Die
Atmosphäre in Deutschland wurde damals zunehmend vom aufkommenden
Nationalismus beeinflusst, der mitunter auch militante Formen annahm.
Bezeichnend dafür war der Mord an einem gewissen August von Kotzebue.
Er war ein gebürtiger Weimaraner, der wie viele Tausende anderer seiner
deutschen Landsleute im Befreiungskrieg gegen Napoleon, also 1812-1813,
in der russischen Armee gekämpft hatte. Bekannt machten ihn seine sehr
unterhaltenden Bühnenstücke. Zeitweise waren sie auf der Weimarer
Bühne häufiger zu sehen als die von Schiller. Zum Verhängnis wurde
ihm der Briefwechsel mit seinen alten Kameraden aus Sankt Petersburg. Die
Briefe wurden, wie es dem Hörensagen nach in wohleingerichteten Staaten
auch jetzt passieren soll, abgefangen. Die Menschen in Deutschland,
denen die guten Beziehungen zu Russland gegen den Strich gingen, sorgten
dafür, dass Kotzebue als russischer Spion verschrien wurde. Bald fand
sich ein halbverrückter Superpatriot, der gegen den Dichter ein
Attentat ausführte und ihn umbrachte. Eine Folge der Spionomanie, die
auch nicht erst heute erfunden wurde. Es war ein Schock für die
russische Prinzessin.
Doch zurück zu den angenehmen Seiten im Leben Maria
Pawlownas in Weimar. Es ist überliefert, dass die Prinzessin aus dem
Hause Romanow einen sehr ungezwungenen Umgang mit musisch veranlagten
Menschen pflegte, auch wenn sie keine "von" waren. In Weimar
fiel das stark auf, da hier, wie auch an den anderen Zwergfürstenhöfen
in Deutschland, die Etikette über alles ging. So durfte Goethe, obwohl
der erste Minister in Weimar, nicht an einer Tafel mit adligen
Höflingen speisen. Ihm wurde an einem Nebentisch gedeckt. Erst als der
berühmte Dichter geadelt worden war, durfte er an demselben Tisch mit
dem Herzog und seiner Hofkamarilla sitzen.
Im Inneren ihrer Seele fand Maria Paulowna die
Etikette lächerlich. Auch wenn sie selbst den Konventionen folgte, um
jeden Skandal zu vermeiden, ließ sie sich privat, ohne dies an die
große Glocke zu hängen, ein bisschen gehen. Sie lud geistreiche
Menschen ein, ohne auf die Herkunft zu achten, rezitierte mit ihnen
Gedichte, sang nach Herzenslust, spielte damals übliche
Gesellschaftsspiele. Die Partys zogen sich bis tief in die Nacht hinein.
Öfter fand die Bedienung die Herzogin und ihre Gäste schlafend,
aneinandergelehnt neben Weinflaschen. Schurke ist, wer dabei an Unzucht
denkt. Einer Prinzessin Di ähnelte die Prinzessin Maria nicht. Sie
hielt ihrem schwächlichen Gemahl die Treue und hatte keine Liebhaber.
Eine russische Prinzessin eben, erzogen nach den strengen Grundsätzen
der Orthodoxie.
Es gab natürlich auch am Zarenhof ganz andere Fälle
- denken wir wieder an die Katharina - doch im allgemeinen herrschten in
Sankt Petersburg strengere Sitten als in Paris oder Rom.
Maria Paulowna regierte dreißig Jahre in Weimar, und
ihre Zeit, die an die Blütezeit des Weimarer Geisteslebens anknüpfte,
setzte die Tradition fort und festigte sie sogar. Weimar wäre nicht
Weimar, hätte es nicht das Glück gehabt, von der russischen Prinzessin
regiert und zum Teil auch ausgehalten zu werden.
ALS 1945 DIE AMERIKANER AUS WEIMAR ABZOGEN, UM
GEMÄSS DEM ABKOMMEN MIT DER SOWJETUNION THÜRINGEN DER SOWJETISCHEN
BESATZUNGSMACHT ZU ÜBERLASSEN, KAM NACH WEIMAR DER SOWJETISCHE
HEERFÜHRER, MARSCHALL TSCHUIKOW. ER VERNEIGTE SICH VOR DEM GRAB MARIA
PAULOWNAS, INZWISCHEN IN RUSSLAND VERGESSEN, IN DEUTSCHLAND ÜBRIGENS
AUCH, OBWOHL ES DAMALS NICHT GERADE ZUM USUS IN DER SU GEHÖRTE
PRINZESSINEN AUS DEM HAUSE ROMANOWS ANZUHIMMELN.
DAS MATRJOSCHKA- TEAM REGT HIERMIT EINEN BESUCH
VON PUTIN UND SCHRÖDER AUF DEM AN DIE RUSSISCHE KAPELLE ANSCHLIESSENDEN
FRIEDHOF UND EINE ÄHNLICHE EHRENBEZEUGUNG AN. AUCH WÄRE ES SCHÖN,
WÜRDE MARIA PAULOWNA POSTHUM MIT DER EHRENBÜRGERWÜRDE DER STADT
WEIMAR GEEHRT.
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Wohlgefallen...
So lautet das Fazit des ersten Petersburger Dialogs,
der zweite soll nächstes Jahr (in Weimar?) stattfinden.
1. Die Verschuldung Russlands. Insofern diese mit der
Abwicklung der sowjetischen Schulden an die DDR zusammenhängt, soll die
Summe in den nächsten drei Monaten festgestellt und später mit
russischen Aktien getilgt werden. Die realen Schulden Russlands an
Deutschland werden als ein extra Kapitel abgerechnet. Um eine der
russischen Lage angemessene Zahlungsweise wird verhandelt.
2. Die sogenannte "Beutekunst" ( der
Begriff wird übrigens von beiden Seiten abgelehnt ). Da Russland im
Krieg viel von seinem Kulturerbe verloren hat und viele seiner
Kunstwerke im Ausland (auch in Deutschland) blieben, beeilt sich Putin
nicht, sie herauszurücken. Er stellte fest, Schröder drängt. Der aber
sagte, Eile sei unangebracht und die Geschichte darf nicht ausgeklammert
werden. Weniger Aufregung in den Medien wäre hilfreich.
3. Handel. Putin meint, der Rückgang sei
überwunden. 41 Milliarden DM im Jahr 2000 sind beachtlich.
4. Putin sprach lobend über die Ausbildung der
Russen in Deutschland. Darauf versprach Schröder, zehn Jahresstipendien
mehr für russische Funktionäre.
U.s.w.
Anm. v. m. Das Eis schmilzt, meine Herren
Geschworenen, hieß eine in der Sowjetzeit verbreitete Floskel.
11.04.01
DER ERSTE TAG DES DEUTSCH-RUSSISCHEN DIALOGS IN
PETERSBURG
Strana.ru hat sich was einfallen lassen. Und zwar
eine neue Version des alten russischen Sprichwortes "Was für den
Deutschen gesund ist, ist für den Russen tödlich". Im Hinblick
auf die (vorläufigen) Ergebnisse des Dialogs soll es jetzt heissen:
"Was für den Deutschen gesund ist, nutzt auch dem Russen ."
Die Berechtigung dafür zieht Strana.ru aus einer
Bilanz der in Petersburg gemachten Äußerungen Putins und Schröders.
P.: In den russisch-deutschen Beziehungen gehe es aufwärts, neuer Elan
sei aufgekommen (Vermutlich meinte er die Überwindung einer gewissen
Lustlosigkeit nach dem Antritt der rot-grünen Koalition in Berlin).
Die wirtschaftliche Zusammenarbeit stehe vor dem
Durchbruch. Russland sei bereit, Deutschland sein hightech- Potential,
auch in der Kosmostechnologie, zur Verfügung zu stellen. (Ein gutes
Angebot, die Amis geben bekanntlich ihre Erfahrungen nicht weiter).
Schröder versicherte, Deutschland und Europa
insgesamt wollen Russland überall helfen. Beide Länder seien Partner
geworden. In allem! Deutschland brauche ein starkes Russland.
Zwar verzichtete S. auf Höhenflüge (um die Nerven
der rappallobeschädigten Partner im Westen zu schonen?). Er rang sich
lediglich zu dem Vorschlag durch, eine "Russische Akademie" in
Berlin zu gründen (eine amerikanische gibt es schon lange). P. stimmte
euphorisch (insofern er euphorisch sein kann) zu. Die Klischees des
Kalten Krieges sollen endlich verschwinden.
Und da waren die beiden bei dem heiklen Thema NTV,
dem privaten regierungskritischen Fernsehsender, der jetzt durch die
feindliche Übernahme dem staatlich kontrollierten Gasprom und damit
auch der Zensur anheimfallen soll. P. entpuppte sich dabei als
glühender Anhänger des "heiligen" Rechtes eines Privatiers,
mit seinem Eigentum nach Belieben zu verfahren. Keine
Betriebsbelegschaft hätte das Recht, dem Eigentümer ins Werk zu
pfuschen. Der SPD-Chef deutete an, die Pressefreiheit wäre in Russland
trotzdem wünschenswert.
Der nicht ganz auszuschließenden Verstimmung
zwischen Deutschland und den USA, wo die rituelle deutsch-russische
Umarmung mit wachen Augen verfolgt wird, wirkten rituelle Versicherungen
Putins entgegen, Russland hoffe auf gute Beziehungen mit der führenden
Macht des Westens, insbesondere nach Bushs letzter Äußerung, er
betrachte Russland nicht als Gegner.
Neues gab P. über den Balkan von sich. Im Kosovo
erhalte Europa sein Tschetschenien oder ein kleines Afghanistan. Das sei
ein Sprungbrett im Herzen Europas nicht nur für Haschdealer, sondern
auch für Gewalttäter, deren erstes Opfer der europäische Mittelstand
sein werde. Umso mehr, dass es Europa schwer fällt, dagegen richtig
vorzugehen (Hilfsangebot des Judomeisters?).
Den deutschen Investitionen in Russland versprach P.
einen Rechtsrahmen nach europäischem Standard.
Entsprechend konstruktiv verhandelten auch die zwei
Verteidigungsminister: Iwanow (Sergej) und Scharping. Sie wollen einen
Militärtechnologieaustausch ankurbeln. (Auch in der Produktion
modernster Waffen?).
Kontroverser verliefen wohl Gespräche über die
Medien. Die Russen waren baff, als die deutschen Kollegen ihnen
berichteten, in Deutschland befinde sich keine einzige Zeitung, kein
einziger Rundfunkkanal in privater Hand. Hat das ausgerechnet Herr
Boenisch behauptet? Wenn Herr Kirch das erfährt, trifft ihn der Schlag.
Oder unterlief dem Dolmetscher ein Fehler?
Matrjoschka war vom auch erörterten Projekt eines
gemeinsamen Radios und der Eröffnung von gemeinsamen Pressezentren in
Moskau und Berlin besonders angetan. Man sollte darüber nachdenken, wie
auch Internetmedien der guten Sache dienlicher gestaltet werden können.
Dabei sind wohl die Erfahrungen von Matrjoschka-online.de unschätzbar.
Wir berichten weiter!
10.04.01
HIER FINDET DER HOFFENTLICH GENEIGTE LESER EIN VON
MATRJOSCHKA- ONLINE.DE ERSTELLTES KOMPENDIUM ZUM PETERSBURGER
DIALOG, AN DEM FÜHRENDE KRÄFTE RUSSLANDS UND DEUTSCHLANDS TEILNEHMEN.
DAS MEISTE WURDE DER REGIERUNGSNAHEN RUNET- ZEITUNG STRANA.RU ENTNOMMEN.
EIGENTLICH WOLLEN WIR KEINE REGIERUNGSNÄHE. ABER IN DEM FALLE IST ES
WOHL ANGEBRACHT, SICH DER QUELLE ZU BEDIENEN.
Die Vorgeschichte. Diese skizziert Strana.ru im
einleitenden Beitrag unter dem Titel:
UNSER NEUES FENSTER NACH EUROPA
Am 8. April beginnt in Sankt Petersburg das
russisch-deutsche Forum "Petersburger Dialog". Es steht unter
der Schirmherrschaft des russischen Präsidenten Wladimir Putin und des
Bundeskanzlers Gerhard Schröder. Die erste Veranstaltung im Rahmen
dieses Forums ist eine Konferenz, die unter Teilnahme der Schirmherren
vom 8. Bis 10. April in Sankt Petersburg stattfindet.
Wladimir Putin und Gerhard Schröder treten am 9.
April mit Grußworten vor die Konferenzteilnehmer. Das Thema dieses
ersten Treffens lautet: "Russland und Deutschland an der Schwelle
des 21. Jahrhunderts".
Die Idee zu diesem Forum entstand während des
Deutschlandbesuchs Wladimir Putins. Es war eine gemeinsame Initiative
der ersten Männer beider Länder. Auf dem Forum sollen nicht nur
führende Politiker und Wirtschaftsexperten, sondern auch Journalisten,
Kulturschaffende, Wissenschaftler und Vertreter der Öffentlichkeit
verschiedene für beide Länder aktuelle Fragen erörtern. Nach Meinung
Gerhard Schröders "sollten die Kontakte auf höchster Ebene durch
den intensiveren Kontakt zwischen den Völkern ergänzt werden".
Man kann also sagen, die Aufgabe des Forums ist es, die Beziehungen
zwischen beiden Ländern auf ein anderes Niveau zu heben.
Die Idee kam im November vorigen Jahres auf, aber die
Beziehungen zwischen unseren Ländern und die Voraussetzungen für das
Apriltreffen reichen in die Zeit Peters des Großen zurück. Auf den
Namen Peters I. ist auch die Wahl des Veranstaltungsortes
zurückzuführen. Sankt Petersburg war das Lieblingsprojekt des
russischen Zaren, der in Russland "die deutsche Ordnung"
einführen wollte (und daran scheiterte- Anm. v. M.). Außerdem ist
Petersburg Deutschland territorial und sogar architektonisch näher. Die
europäischste Stadt Russlands soll also ihren Beitrag leisten zur
Annäherung von Russen und Deutschen.
Covorsitzende des Forums sind der bekannte deutsche
Journalist Peter Boenisch (er war Chefredakteur der Zeitungen
"Bild" und "Die Welt", später Pressesekretär der
Regierung Helmut Kohl) und Boris Gryslow, bis vor kurzem Chef der
Fraktion "Jedinstwo" in der Staatsduma. Insgesamt nehmen
jeweils 50 Personen von jeder Seite am Forum teil. Insgesamt aber sollen
es über 500 Teilnehmer sein.
Interessanterweise bemühten sich die Organisatoren,
jene Fragen von vornherein aus der Diskussion auszuklammern, die das
Forum in eine Sackgasse führen könnten. Die deutsche Seite
vereinbarte, keinesfalls solche Fragen wie das amerikanische
Raketenabwehrsystem, die Zahlung der russischen Schulden und die
Rückgabe der im Zweiten Weltkrieg verbrachten Kunstschätze
anzusprechen, damit das Forum neue Impulse für die Entwicklung der
russisch-deutschen Beziehungen und neuer gemeinsamer Projekte gibt.
In der Gruppe Politik ist das Minimalprogramm die
Erörterung der russisch-deutschen Beziehungen im jetzigen
internationalen Koordinatensystem, das "Abgleichen der
Orientierungen".
In der Wirtschaftssektion wird es natürlich
hauptsächlich um deutsche Investitionen in die russische Wirtschaft
gehen , ebenso um Fragen der Diskriminierung russischer Waren in den
EU-Ländern (Antidumpingzölle usw.).
Die Gruppe Margelow – Boenisch wird die Rolle der
Massenmedien bei der Herausbildung von Bildern und Stereotypen Russlands
und Deutschlands analysieren und zu klären versuchen, was getan werden
kann, damit die positiven Tendenzen überwiegen.
Hier sei an die kürzlich stattgefundene Reise von Chefredakteuren
führender Fernsehkanäle und Zeitungen in die BRD erinnert, die zwar
nicht im Rahmen des Forums erfolgte, aber den Willen der deutschen
Führung zeigt, die negativen Stereotypen abzubauen, die die Presse in
den letzten Jahren verbreitete. Wahrscheinlich werden in den deutschen
Zeitungen realitätsnähere Publikationen über Russland erscheinen.
Die Beschlüsse des Forums sind keine Gesetzesakte,
die unbedingt ausgeführt werden müssen, doch die Teilnehmer sind nach
Auskunft der Organisatoren "einflussreiche Persönlichkeiten",
Politiker, Geschäftsleute, Staatsbeamte, denen es obliegt, "die
Beschlüsse zu realisieren".
Gerhard Schröder gab der führenden russischen
Nachrichtenagentur ITAR-TASS ein Interview
In den letzten Monaten habe ich Präsident Wladimir
Putin häufig getroffen und wir haben oft miteinander telefoniert. Eine
gute Zusammenarbeit mit ihm ist natürlich wichtig für die
deutsch-russischen Beziehungen, zumal der russische Präsident ein
Kenner und Freund Deutschlands ist, auch die deutsche Sprache gut
beherrscht.
Während des Weihnachtsbesuchs meiner Familie bei der
Familie Putin in Moskau hat mich die Gastfreundschaft mächtig
beeindruckt. Es waren unvergessliche Tage. In privater Atmosphäre
hatten wir Gelegenheit, nicht nur die Schönheiten Russlands zu
bewundern, sondern auch einen politischen Meinungsaustausch zu führen.
Solche Treffen sind äußerst wertvoll für unsere Staaten.
Zur Schaffung des Nationalen Raketenabwehrsystems der
Amerikaner meint Schröder, "dass man sich zunächst einmal eine
genaue Vorstellung vom Inhalt der USA-Pläne verschaffen muss."
"Hier sind noch viele Fragen offen",
erklärte er und hob hervor, "es ist wichtig, das
Bedrohungsszenarium, die technische Realisierbarkeit, die
Finanzierbarkeit und die Technologie zu klären. Alles, was im Bereich
der Rüstungskontrolle bisher erreicht wurde, muss erhalten bleiben,
ebenso die Möglichkeit weiterer einschneidender Schritte bei der
atomaren Abrüstung. Ich denke, ein weiterer Versuch der Einflussnahme
auf die neue amerikanische Administration macht Sinn."
"Wir unterstützen die europäische Orientierung
Russlands", unterstrich der Bundeskanzler. "Russland hat
eingesehen, dass ihm die bevorstehende Osterweiterung der EU Nutzen
bringt."
"Wir beide sind für die Stabilisierung der Lage
auf dem Balkan, arbeiten im Rahmen der dortigen Friedensmission eng
zusammen. Mit Sorge beobachten wir den anhaltenden Bürgerkrieg in
Afghanistan und die daraus entstehenden Folgen für die Stabilität der
zentralasiatischen Staaten."
Der Kanzler ist sicher, dass das Problem der
Rückgabe von im Zweiten Weltkrieg verbrachten Kunstschätzen auf der
Grundlage des internationalen Rechts gelöst werden kann.
"Nach dem 1992 unterzeichneten
deutsch-russischen Abkommen über kulturelle Zusammenarbeit ist Russland
verpflichtet, diese aus Deutschland verbrachten Kunstschätze
zurückzugeben. Allerdings spielen die Gesetzgebung der Russischen
Föderation und psychologische Faktoren hierbei auch eine Rolle.
In der allumfassenden, zukunftsorientierten
Partnerschaft zwischen Deutschland und Russland sollte dieses aus der
Vergangenheit erwachsene Streitfrage keinen Platz mehr haben. Die
zunehmende Verflechtung unserer Gesellschaften schafft dafür eine
günstige Atmosphäre."
Der weitere Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen
zwischen Deutschland und Russland "wird in entscheidendem Maße von
der Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Warenaustausch und die
Investitionen, vom Abbau bürokratischer Hindernisse und von der
Verbesserung der Rechtssicherheit abhängen."
Weiterhin sagte der Bundeskanzler, Deutschland setze
darauf, dass Russland die notwendigen Strukturreformen in Angriff nimmt.
"Die Zeit drängt. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die
hohen Erdölpreise ständig für ein hohes Wirtschaftswachstum
sorgen."
"Russland hat eine Schlüsselrolle bei allen
Bemühungen um die Sicherheit und Stabilität in Europa." Wichtig
sei, so führte Gerhard Schröder weiter aus, dass es gemeinsam mit
seinen NATO-Partnern "eine stabile, feste Partnerschaft in der
Sicherheitssphäre herstellt – gemeinsam mit ihm und nicht ohne oder
gar gegen Russland." "Elemente dieser gesamteuropäischen
Sicherheitsarchitektur sind die NATO, die europäische Sicherheits- und
Verteidigungspolitik sowie die OSZE."
Nach Worten Schröders ist die Mitgliedschaft
Deutschlands in der NATO das Ergebnis seiner Geschichte und das
Fundament seiner Sicherheit. "Im Jahr 2003 wird die Europäische
Union in der Lage sein, seine Tätigkeit zur Erhaltung des Friedens, zu
friedensstiftenden und humanitären Missionen aufnehmen zu können. Wir
sind bereit, dabei eng mit Russland zusammenzuarbeiten", sagte
Bundeskanzler Schröder. "Da die OSZE zur Entwicklung der
Demokratie beiträgt und dazu, dass Gesetz und Menschenrechte zum
obersten Gebot werden, kann sie eine besondere Rolle bei der Herstellung
eines stabilen Friedensordnung in Europa beitragen."
(Anm.v. m.: aus dem Russischen zurückübersetzt und
unwesentlich gekürzt).
Zusammenbruch des russischen Staatsetats unter der
Last der Devisenzahlungen (meint M.)
DER GRAUE KARDINAL ERLÄUTERT DEN HINTERGRUND
In einer Rede ging ein gewisser Gleb Pawlowski, der
sich gerne als der Vordenker der russischen Politik gibt, auf die neue
politische Philosophie Russlands ein. Auch für die deutsch-russischen
Gespräche sehr relevant (meint M.).
1.Er erinnerte daran, dass Russland dem Zusammenbruch
der Sowjetunion wesentlich beigetragen, indem es sich verselbstständigt
hatte. (Russland war zwar die mächtigste, aber trotzdem nur eine der
fünfzehn Unionsrepubliken). Schon deshalb verzichtet es aufs politische
Erbe der Sowjetunion. Die alten Feindschaften will sie nicht pflegen.
Auch wenn ein anderer Staat (wie die USA unter dem neuen Präsidenten)
es danach gelüstet.
2.Das Jalta-Abkommen der Verbündeten der
Antihitlerkoalition ist tot (das unter anderem die Nachkriegsgrenzen
vorbestimmte). Auch das von ihm prejudizierte Sicherheitssystem in
Europa funktioniert lange nicht mehr.
Und auch das Abkommen von Helsinki (1975), das gewissermaßen ein Enkelkind des Jalta- Abkommens darstellte. Vor allem
das Helsinki-Postulat über die Bestandkraft der Grenzen in Europa ist
durch spätere Ereignisse überholt.
3.Russland löste sich vom Weltherrschaftsanspruch
der Sowjetunion, die USA dagegen halten den antiquierten Anspruch
aufrecht. Die amerikanische Antwort aufs Verschwunden der Sowjetunion
ist archaisch : die Besetzung der frei gewordenen Räume. (Bravo, Gleb!
– ruft M. aus)
4.Die USA zwangen 1991 Russland die Rolle des Erben
der Sowjetunion auf, damit es die SU-Schulden bezahlt. Hätten sie es
nicht getan, gäbe es heute kein Schuldenproblem Russlands.
5. Washington beharrt auf
der Jalta- Philosophie. Ihr Kern ist das Kondominium der USA und der SU,
die die Welt aufteilten und einander Polizeigewalt im jeweiligen Teil
zubilligten. Das schuf die Grundlage einer verdeckten Zusammenarbeit der
Supermächte- trotz der Rhetorik der Konfrontation. Europa gelang unter
den Mühlsteinen. Es hatte keine Chance einer selbstständigen Politik.
(Gleb, Du bist Klasse!- M.)
6. Das 5. Kapitel ist abgeschlossen. Zwar wirkte auch
nach dem Zerfall der SU eine gewisse Trägheitskraft. Unter Gorbi und
Jelzin blieb Russlands Rolle in der Welt kein Fleisch und kein Fisch.
Unter Putin macht der Kreml eine klare Wahl. Zugunsten Europas. Das
eröffnet dem alten Kontinent eine Aussicht, kein USA- Anhängsel mehr
zu sein.
Anm. v. M.: die programmatische Rede gebe ich so
wieder, wie ich sie verstehe, aber nicht ganz so, wie sie gesprochen
wurde. Jedenfalls aber macht das Petersburger Dialog sie sehr aktuell.
WAS GIBT ES DENN IN EUROPA AUSSER DEN DEUTSCHEN?
Das fragt Michail Prusak,
Gouverneur aus Nowgorod. Beim Petersburger Dialog betreut er die Gesprächsrunde Wirtschaft.
Er plädiert dafür, die deutschen Erfahrungen in
Russland anzuwenden. 1. Bei der Reform des Bankwesens. 2. Bei der Rolle
des Staates in der Wirtschaft. 3. Bei der Bekämpfung der Korruption.
(Gut gemeint, Michael!
meint M. – Nur sollst Du nicht glauben, die Deutschen hätten den
perfekten Affen erfunden. Aus der Nähe sieht es etwas anders aus).
Prusak betreut die
Gesprächsrunde Wirtschaft zusammen mit Klaus Mangold (der Ostausschuss
der deutschen Wirtschaft). Er meint, die Deutschen kennen sich in
Russland aus. Es sei zwecklos, ihnen X für Y vormachen zu wollen.
Richtig ist dagegen, den Willen zu zeigen, Russland für die
Investitionen attraktiver zu machen. Auch dadurch, dass die steuerliche
Belastung zurückgenommen wird. Der Dialog mit den Deutschen sei
deswegen sehr wichtig.
Auf die Frage, warum gerade mit den Deutschen, sagte
Prusak (nomen est omen?): Was gibt es denn noch in Europa?
In der Entwicklung des Internets als Massenmedium ist
Russland Deutschland weit voraus"
Michail Margelow, Vertreter des Gouverneurs Michail
Prussak im Föderationsrat, wird beim "Petersburger Dialog"
die Arbeit der Sektionen "Massenmedien" koordinieren.
Im Westen, so sagt er, mag man den Druck des Kreml
auf die Pressefreiheit in Russland bedauern. Aber nicht der Kreml,
sondern die Provinzfürsten bedrohen die Freiheit des Wortes. Sie geben
sich wie echte Feudalherren: Sie zwingen die elektronischen und die
Printmedien in die Knie. Wir möchten unsere deutschen Partner darauf
aufmerksam machen, wie es mit der Pressefreiheit in den russischen
Regionen steht.
Sprechen werden wir auch über die Entwicklung von
Internet-Zeitungen. Hier ist Russland Deutschland weit voraus. Zur Zeit
konnten wir im deutschen Internet nur eine elektronische Zeitung als
solche identifizieren, alle anderen sind Internetversionen verschiedener
Printmedien. Diesbezüglich können unsere deutschen Partner von uns
lernen.
Auf dem Forum wird auch das Thema "Die Rolle der
Massenmedien unter den Bedingungen der Globalisierung " erörtert.
Vielleicht wird es dabei um die Gründung eines deutsch-russischen
Presseklubs gehen, um die Einrichtung eines deutsch-russischen
Fernsehkanals, um die Organisation von Informationsreisen für
Journalisten, den Austausch angehender Journalisten.
Für unsere Sektion konnten wir Prominente aus
deutschen Medien gewinnen, so Manfred Bifinger, Herausgeber der Zeitung
"Die Woche". Hans Kilz, Chefredakteur der "Süddeutschen
Zeitung", Berthold Kohler, Herausgeber der "Frankfurter
Allgemeinen" und andere. Ein wenig wunderten wir uns darüber, dass
sie alle schon ziemlich betagt sind, obwohl gerade die deutsche Seite
die Meinung vertrat, zur Teilnahme müssten unbedingt Vertreter der
neuen politischen Generation herangezogen werden. Unter den russischen
Teilnehmern ist die Zahl derer, die jünger als fünfundvierzig sind,
viel höher als bei der deutschen Seite.
Zum Fernsehsender NTW. Ich war und bin der Ansicht,
dass es hier hauptsächlich ums Geschäft geht und nicht um Politik.
Damit meine ich die undurchsichtigen und nicht genau abgesteckten
Wirtschaftsbeziehungen zwischen "Media-Most" und "Gasprom".
"Media-Most" stellt sich als Gejagter hin, pocht auf die
Verletzung der Menschenrechte und der Pressefreiheit. Eine Strategie der
propagandistischen Umkehrung der Begriffe wurde erarbeitet und
hervorragend realisiert.
In westlichen, darunter in deutschen Massenmedien
wird Russland mitunter verzerrt dargestellt. Was kann man dagegen tun?
Die einzige Möglichkeit, ein positives Bild von
Russland zu vermitteln, besteht darin, so viel wie möglich von dem
Positiven zu zeigen, was es in Russland gibt. Vermutlich werden die
Begegnungen und Gespräche im Rahmen des Forums "Petersburger
Dialog" für viele Journalisten aus Deutschland eine Entdeckung
sein. Denn die Vorstellung von dem, was sich bei uns tut, bildet sich in
Deutschland hauptsächlich aus den Klischees, die mitunter so nicht mehr
stimmen
Anm. v. M.: Herr Margelow sagte, im deutschen Netz
habe er nur eine Internet-Zeitung entdecken können. Meinte er "Matrjoschka-online.de"?
TROTZ DER TATSACHE, DASS DER VIELGEPRIESENE
PETERSBURGER DIALOG OFFENSICHTLICH NICHT ALLE HOFFNUNGEN ERFÜLLTE,
HABEN DIE RUSSISCH-DEUTSCHEN BEZIEHUNGEN VORRANG IN RUSSLAND. PUTINS
VERTRAUTER BORIS GRYSLOW SINNIERT ÜBER IHRE ZUKUNFT:
Von den russischen-deutschen Beziehungen hingen seit
Jahrhunderten Krieg und Frieden in Europa ab. So war es, so bleibt es.
Vieles verbindet uns heute mit Deutschland. Zum Beispiel die Suche nach
der eigenen Identität in der sich verändernden Welt. Beide Staaten
haben sich qualitativ gewandelt. Der eine im Ergebnis der
Wiedervereinigung, der andere durch Desintegration. Beide Gesellschaften
befinden sich in einem ähnlichen moralisch-psychologischen Zustand der
geistigen Suche.
Russland braucht Deutschlands Unterstützung in
internationalen Finanzorganisationen und in der G-8. Deutschland braucht
Russlands Rückendeckung zur Festigung seiner Position in der UNO.
Gemeinsame Aufgaben haben wir beim Umweltschutz, bei der Bekämpfung des
internationalen Terrorismus, der Kriminalität, der Drogendealer. Die
Zusammenarbeit in Kultur, Wissenschaft und Bildung haben Russen und
Deutsche über viele Jahrhunderte bereichert.
Es gibt auch Probleme. Von ihrer Lösung hängt es
ab, ob die deutsch-russischen Beziehungen zur "guten" oder zur
"schlechten" Seite kippen. Die den europäischen Ländern,
darunter Deutschland, aufgezwungene Konzeption der
"Friedensstiftung durch Gewalt" kann uns nicht gleichgültig
lassen. Die Folgen dieser gefährlichen Idee bekam Europa auf dem Balkan
bereits zu spüren. Das beeinträchtigt natürlich unser Verhältnis zu
Deutschland. Diffizile Probleme gibt es auch in der Schuldenfrage. In
unserer Zeit instabiler Finanzmärkte ist schwer zu sagen, wer mehr von
wem abhängt – der Schuldner vom Kreditgeber oder umgekehrt. Ich
erinnere daran, dass auf Deutschland fast ein Drittel unserer
Auslandsschulden entfällt.
Zu allen Zeiten war die russische Elite ein Teil der
politischen, kulturellen und wissenschaftlichen Elite Europas, deutschen
Politikern, Künstlern oder Wissenschaftlern in nichts unterlegen.
Allgemein bekannt ist die starke gegenseitige Durchdringung der
russischen und deutschen Kultur.
Die Europapolitik Russlands stand immer im
Zusammenhang mit Deutschland. Russland und Deutschland waren
militärpolitische Verbündete sowie Handels- und Wirtschaftspartner. Das
ist, trotz allem, bis heute so.
Nur durch die aktive Zusammenarbeit mit Deutschland
können wir unsere Lage in Europa festigen. Andererseits spielt Russland
eine große Rolle bei der neuen außenpolitischen Orientierung
Deutschlands. Das Wegbrechen ideologischer Auseinandersetzungen
eröffnet Perspektiven für eine enge Zusammenarbeit.
17.04.01
KATERSTIMMUNG?
1. Nach dem "Petersburger Dialog" unter
Teilnahme von Putin und Schröder breitet sich in den russischen Medien
(nach Polit.ru) Katerstimmung aus. Was hat das Treffen gebracht? Das
Lieblingsprojekt des Kreml, die russischen Schulden mit Aktien der
russischen Unternehmen zu tilgen, ist steckengeblieben, weil der Kreml
(vernünftigerweise) die russischen blue chips für die Verbindlichkeit
gegenüber der gewesenen DDR nicht hergeben will, Berlin aber zögert,
"schlechte" Aktien anzunehmen. Macht nichts, zitiert Polit.ru
eine liberale Zeitung: Da Putin Deutschland liebt, erstarkt die
Freundschaft. Vor dem Hintergrund der Spannung mit den USA ein nicht zu
verachtendes Ergebnis.
13.4.01
3. HEUTE
und in der GESCHICHTE - AUF HÖCHSTER EBENE
In
Berlin beginnen die „Moskauer Tage“.
Sie
finden im Rahmen der Städtepartnerschaft der zwei Metropolen statt.
Sie stehen unter
der Schirmherrschaft des Moskauer Oberbürgermeisters
Juri Luschkow und
des Berliner Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit. Vom 2. bis
29. Juli 2003 laufen zahlreiche Seminare,
Workshops und andere Projekte,
die den Berlinern
und Gästen Berlins viel Spaß bieten und viel Wissen über die russische Metropole vermitteln sollen. Hauptveranstaltungsorte
sind neben dem Roten Rathaus die Kulturbrauerei im Prenzlauer
Berg, das Russische Haus in der Friedrichstrasse und der Saalbau in
Neukölln.
In
seinem Grußwort an die Berliner erinnerte der Moskauer Oberbürgermeister
Juri Luschkow an viele Jahre Verbundenheit zwischen den zwei Hauptstädten,
die sich auf immer neue Lebensbereiche ausweitet- von der
Freizeitgestaltung bis zur Hochtechnologie.
Er versprach den Veranstaltungsgästen
eine virtuelle Reise in die
alte und immer neue Metropole
an der Moskwa.
An
der diesjährigen Veranstaltungen beteiligen sich sehr viele junge
Leute. Der größte Teil des Programms ist für die Jugend gedacht.
Angefangen bei einem Kindertheater unter der Leitung einer Erbin der
legendären Moskauer Zirkusdynastie Durow. Die Gala- Vorstellung des
Moskauer Clownarde Theaters Teresa Durowas findet am 4. Juli im
Russischen Haus in der Friedrichstrasse
statt. Der Eintritt ist frei.
Die
Rundtischgespräche der Jugendlichen bieten reichlich Gelegenheit zum
freien Meinungsaustausch. Auch ein Jugendsommerlager steht auf dem
Programm.
In
einer Pressekonferenz zur Eröffnung
der Moskauer Tage in Berlin hob der russische Botschafter in
Berlin, Sergei Krylow, die Beteiligung des berühmten russischen
Orchesters unter der Leitung von Wladimir Spivakow hervor, der am 9.
Juli im Rahmen eines
Classic Open Air Konzerts am
Gendarmenmarkt spielt.
Auch
das russische Berlin
präsentiert sich - Galerien, Kinos, Theater,
Gaststätten und
Clubs. Seit vielen Jahrzehnten beteiligt sich die zahlreiche
Sprachgruppe in der deutschen Hauptstadt
aktiv und kreativ an der Gestaltung der Vielfalt des Berliner
Kulturlebens und trägt zur wirtschaftlichen Prosperität in der
deutschen Hauptstadt eine Menge bei.
Gewiss
ist die Partnerschaft Moskau- Berlin nur ein Strang der vielfältigen
Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland. Aber ein sehr
wichtiger Strang, der Impulse für die weitere Intensivierung der
Zusammenarbeit ausstrahlt. Auch darin liegt die Bedeutung der
anlaufenden Tage Moskaus an der Spree, zu denen
das Radio „Stimme Russlands“
seine Hörer einlädt.
Im
nächsten Jahr finden „Berliner
Tage in Moskau“ statt. Im Namen aller Moskauer lud der OB Luschkow
alle deutschen Freunde schon jetzt dazu ein.
1.7.03
Die
Sozialdemokratische Partei Deutschlands feiert ihren 140. Geburtstag.
Die
SPD hat alle Gründe, den
Geburtstag zu feiern. Trotz gelegentlicher Rückschläge umschiffte sie
erfolgreich viele Klippen der hundertvierzig zurückliegenden Jahre,
gewann an Einfluss, etablierte sich als staatstragende Partei in einem
der größten und stärksten Länder
der Welt. Dass sie dabei einiges vom ideologischen Gepäck ihrer
Gründer über den Bord werfen musste, steht auf einem anderen
Blatt.
Besonders
überzeugend wirkt der Erfolg der SPD im
Vergleich mit dem Schicksal einer anderen Partei, die
dem gleichen marxistischen Schoß entsprungen war. Gemeint ist
die russische sozialdemokratische Arbeiterpartei, die spätere
Kommunistische Partei der Sowjetunion.
Diese missratene Schwester der SPD erlitt
wegen ihrer ungezügelten Radikalität
einen Schiffsbruch. Untolerant und gewalttätig, entfernte sie
sich von den
Verhaltensregeln einer demokratischen Gesellschaft. Letztendlich büßte
sie die Unterstützung der Russen ein, die sich mit ihrem schlimmen Erbe
bis heute herumplagen müssen.
Trotzdem
darf man wohl fragen, wo wäre heute
die SPD, hätten die Russen unter Führung der KPdSU nicht einen
mächtigen Staat aufgebaut? Einen, der sich fähig erwies, der
Hitlerdiktatur das Rückgrat
zu brechen?
Wie
dem auch sei: die
Geschichte hat ihr Urteil gesprochen. Und zwar zugunsten
jener Variante der Arbeiterbewegung, die von der SPD vertreten
war.
Das
heißt natürlich nicht, dass die Jubilarin, die heute Glückwünsche
aus der ganzen Welt entgegennimmt, mit sich
ganz zufrieden sein kann. Gerade
jetzt kehrt die
Bevölkerung Deutschlands peu a peu ihr den Rücken. Man gibt ihr
die Schuld dafür, dass
Deutschland in eine Rezession abgleitet und sein soziales System nicht
mehr zufriedenstellend funktioniert. Man wirft ihr
vor, keinen Mumm für große Würfe zu haben. Die Partei ist
zerstritten.
Bleibt
zu hoffen, dass die SPD ihre heutige Krise meistert. So, wie sie schon
viele Krisen gemeistert hat.
Das
ist umso mehr zu hoffen, weil die SPD viel zu den guten deutsch-
russischen Beziehungen beigetragen hat. Sie hat Männer wie Willy Brandt
hervorgebracht, die inmitten
des Kalten Krieges und trotz einem erheblichem Widerstand dem großen
Nachbarn im Osten die Freundschaftshand
ausstreckten. Die Annäherung unserer
Länder setzt sich
unter der gegenwärtigen deutschen Regierung fort.
Es
ist anzunehmen, dass der Trend unumkehrbar geworden ist , weil er den
langfristigen nationalen Interessen Russlands und Deutschlands
entspricht. Und weil immer mehr Deutsche, darunter
auch keine SPD-Anhänger, es erkannt haben. Das ist übrigens
auch ein großer Verdienst der SPD. Erst recht in den Augen der Russen.
23.5.03
Der
9. Februar wird in die Chronik der russisch-deutschen Beziehungen
als ein wichtiges Datum eingehen. An diesem Tag hebt um 10.30
der russische Dirigent Michail Pletnew im Konzerthaus am
Berliner Gendarmenmarkt seinen Taktstock. Vor der versammelten
Prominenz aus Deutschland und Russland
spielen die „Petersburger Philharmoniker“. Mit einem Konzert eröffnen
sie das Jahr der deutsch-russischen Kulturbegegnungen. Zu
dieser Veranstaltung werden
die Staatspräsidenten Wladimir Putin und Johannes Rau, sowie
Bundeskanzler Schröder
mit Ehefrauen erwartet. Nach dem Musikteil lädt Johannes Rau seinen
russischen Amtskollegen
und andere Gäste des Hauses zu einem Empfang in die Festsäle des prächtigen
Schinkelbaus.
Das
Programm der Veranstaltungen des Kulturjahres gewinnt allmählich
immer deutlichere Konturen. Es fängt
damit an, dass auf der in wenigen Tagen
beginnenden Berlinale
aktuelle und historisch bedeutsame russische Streifen präsentiert
werden. So gibt die abendliche Filmreihe New Russian Cinema einen Überblick über den zeitgenössischen russischen Film.
Der Eröffnungsfilm Shik von Bakhtyar Khudojnazarov erzählt die Geschichte von drei jungen Freunden, die dem
Konsumrausch verfallen sind. Zum Kurzfilmprogramm gehört ein
Dokumentarvideo, das tschetschenischen Kindern auf ihrer Fahrt durch
Moskau folgt (Home Video). Ein weiterer Abend zeigt
Fernsehproduktionen wie Brigade, eine der erfolgreichsten
russischen Serien, die Abenteuer von vier Freunden
nach ihrer Rückkehr vom
Militär ins zivile Leben schildert. Ein Abend ist dem letztes Jahr
verstorbenen Schauspieler und Regisseur Sergej Bodrov jun. gewidmet.
In „Ein Gefangener im Kaukasus“, einer Tolstoi-Adaption, kann man
ihn noch einmal in einer Hauptrolle
sehen.
Auf
der Frankfurter Buchmesse 2003 ist Russland diesmal zum Ehrengast
avanciert. Über hundert russische
Verlage präsentieren hier ihre Editionen.
Sie treffen eine Auswahl aus siebzig Tausend neuen Titeln, die in Russland jetzt
jährlich erscheinen, mehr als je in seiner Geschichte. Die Bücherpräsentationen
werden von verschiedenen anderen Ausstellungen flankiert. Eine davon
gilt dem 300. Jahrestag von Sankt –Petersburg, einem Jubiläum der
Newa-Stadt, das auch in Berlin gewürdigt wird. Etwa hundert russische
Autoren haben sich einverstanden erklärt, den Besuchern der
Frankfurter Buchmesse über das geistige Leben des modernen Russland
Auskunft zu geben. Auch in Berlin, in den Räumen der Akademie der Künste, sind russische Dichterlesungen
geplant.
Den
Höhepunkt des Jahres der russischen Kultur in Deutschland bildet die
Kunstausstellung „Moskau- Berlin“. Es ist die Fortsetzung
der Ausstellung, die vor Jahren unter demselben Namen mit großem
Erfolg in Berlin und dann in Moskau lief. Diesmal gilt
die Ausstellung der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts.
Ab September ist sie im Berliner Gropius- Bau zu sehen.
Das
Jahr der russischen Kultur in Deutschland geht auf eine 2001 auf höchster
Ebene erzielte Vereinbarung zurück, den Kulturaustausch zwischen Russland und Deutschland zu forcieren. Beiden Ländern geht es darum, über die sogenannte „dritte Säule“ der
zwischenstaatlichen Beziehungen, die Säule der Kultur, ein Zeichen zu
setzen. Ein Zeichen der Humanität, das die
durch Terror und Krieg
verunsicherte Welt jetzt mehr denn je braucht.
28.1.03
TJUTSCHEW
Aus
Moskau wird berichtet, dass der russische Präsident Putin einen Ukas
erlassen hat, wonach der 200. Geburtstag des russischen Dichters Fedor
Tjutschew feierlich begangen werden soll. Warum die Ehre? Matrjoschka-
Team glaubt, weil Tjutschew nicht nur ein
hervorragender Dichter, sondern auch ein großer Freund
Deutschlands war. So
wurde im Team einhellig die Entscheidung gefällt, Fedor Tjutschew
unseren Lesern vorzustellen. Lesen Sie bitte einen Beitrag über die
Beziehung des Dichters zu Deutschland.
Wie
sich der Verfasser
mehrere Male überzeugen konnte, sagt der Name Tjutschew vielen
Deutschen wenig oder gar nichts. Aber auch jene, die keine Zeile des
Dichters vor die Augen bekommen haben, kennen mitunter den folgenden
Vers, der im Westen oft
angeführt wird, wenn es um die Russen und Russland geht. Auf Russisch
heißt es:
Umom Rossiju ne objatj
Arschinom
oschtschim ne ismeritj.
U nei osobennaja statj.
W
Rossiju moshno toljko weritj.
Übersetzt
heißt es sinngemäß, dass Russland mit dem Verstand nicht zu
erfassen und mit der allgemeingültigen Messlatte nicht zu ermessen
ist. Es hat eine besondere Rolle in der Welt. Und an Russland muss man
einfach glauben.
Derjenige,
der sich diesen Vers einfallen ließ, hieß eben Fjodor Tjutschew. Er
lebte im vorvorigen Jahrhundert, verbrachte viele Jahre in Deutschland,
zumeist als Diplomat im Auftrag der russischen Regierung, und galt als
einer der besten, wenn nicht der beste russische Lyriker nach
Puschkin.
Sein
Vers wurde und wird nicht nur viel zitiert, sondern oft und auf die
verschiedenste Weise gedeutet. Es wurde immer wieder gerätselt, was
Tjutschew damit eigentlich sagen wollte. Wollte er die russische
Eigenart verherrlichen? Etwa so: Wir, die Russen, fallen aus dem
Rahmen, weil wir besser als die anderen sind? Oder brachte er die
russische Demut, den Minderwertigkeitskomplex der Russen zum Ausdruck?
Etwa so: Wir, die Russen, sind dazu verdammt, aus dem Rahmen zu
fallen, und es bleibt uns nur, daran zu glauben, dass
das Ausgefallene an uns einen besonderen Sinn hat. Welche
Deutung kommt der Absicht des Dichters wohl näher?
In
jüngster Zeit wurde der Vierzeiler
bemüht, um den besonderen Standort Russlands außerhalb des
vereinten Europas zu rechtfertigen, Sowohl von denjenigen, die
Russland in Europa nicht aufnehmen wollen, als auch von denjenigen,
die Russland nicht nach Europa gehen lassen wollen. Die einen meinen,
Russland muss draußen bleiben, weil es sich nicht anzupassen wisse.
Die anderen meinen, Russland soll draußen bleiben, weil es in Europa
nichts Gutes erwartet.
Zu
Tjutschews Zeiten hat sein Vers wenig Aufsehen erregt. Da war es noch
selbstverständlich, wenn man seine Eigenart behielt und pries. Da
wurde in jedem land anders gegessen, gebaut, eine andere Mode getragen
und anderes Theater gespielt, man malte andere Bilder, dichtete auf
seine eigene, unnachahmliche Art und bezahlte mit eigener Münze. Es
gab noch keine welterobernde Popkultur aus Übersee, nicht MacDonalds
und nicht den Euro. Eigenständigkeit wurde keineswegs mit Rückständigkeit
gleichgesetzt.
Schon
gar nicht im Königreich Bayern, wo Tjutschew Beamter an der
russischen Gesandtschaft war.
Später
trieb König Ludwig II. die bayerische Eigenständigkeit bis zum
Exzess. Er baute sich Schlösser, die einer alten deutschen Sage zu
entspringen schienen. Er vergötterte Richard Wagner samt seinen
Nibelungen. In München und Nürnberg siedelten sich die aufs
Deutschtum versessenen romantischen Maler und Dichter an.
Fjodor
Tjutschew kam 1821 nach München, als in Bayern noch Ludwig I. auf dem
Thron saß. Zwar hatte dieser nicht so skurrile Einfälle wie sein
Nachfolger, doch pflegte auch er die Eigenständigkeit Bayerns. Er
verteidigte sie sowohl gegen das immer mächtiger werdende Preußen im
Norden als auch gegen das Reich der Habsburger im Süden. Er hielt
Bayern für einen legitimen Miterben des Heiligen Römischen Reichs
deutscher Nation. Auf eine Verbindung mit Russland setzte er große Stücke.
Insbesondere, weil seine Rivalen, die Hohenzollern in Berlin,
ebenfalls ein gutes Einvernehmen mit Sankt Petersburg anstrebten. Und
weil die Habsburger in Wien mit dem osmanischen Reich, also mit den Türken,
liebäugelten, die in München als akute Gefahr galten.
Im
Gegensatz zu Berlin und Wien stand in München nicht nur das mächtige
Russische Reich hoch im Kurs. Hier fanden auch die slawischen Völker
Würdigung. Das hat Tjutschews Mentalität beeinflusst. Als Spross
eines sehr alten russischen Adelsgeschlechts kam er nach München,
ohne ein ausgeprägtes russisches, geschweige denn slawisches Selbstbewusstsein
zu haben. In seiner Jugendzeit war die Petersburger Gesellschaft stark
kosmopolitisch geprägt. Auch er wurde kosmopolitisch erzogen. Aber
als er 22 Jahre später endgültig in sein Vaterland zurückkehrte,
empfand er sich als Russe und Slawe par excellence. Er wurde zu einem
konsequenten Slawophilen.
Vor
Tjutschew und insbesondere nach Tjutschew gab es auch andere Fälle,
dass die Russen im Westen ihr Russentum entdeckten. Meistens geschah
es, weil sie sich wegen ihrer Herkunft im Ausland diskriminiert fühlten.
Im Falle Tjutschews war es ganz anders. Er kam in München glänzend
an. Er war am bayerischen Hof geschätzt. Er glänzte in den Salons.
Er eroberte im Nu die Herzen der begehrtesten jungen Damen der Münchner
High-Society. Drei Mal vermählte er sich mit bayerischen Schönheiten
(die ersten beiden Ehefrauen starben ihm weg). Außerdem gab es
Liebschaften, die in München für Klatsch sorgten. Die Münchner
waren perplex. Sie fragten sich, warum der schmächtige, kränkliche,
immer von Geldsorgen geplagte Russe so viel Erfolg bei der Damenwelt
hatte. Die Gescheitesten fanden die Antwort. Es war sein Geist, der
ihn unwiderstehlich machte. Und die Leidenschaftlichkeit. Jede neue
Angebetete umgab er mit einem Heiligenschein.
Auch
in jeder anderen Hinsicht fühlte sich Tjutschew in München wie zu
Hause. Er sprach und schrieb perfekt Deutsch. Er verkehrte mit
deutschen Dichtern und Künstlern. Vor allem mit Heinrich Heine, der
in seinem Münchner Haus oft zu Gast war. Bis Tjutschew merkte, dass
das deutsche Dichtergenie hinter einer Schwester seiner Ehefrau her
war. Da Tjutschew selbst zärtliche Gefühle für das viel jüngere, hübsche
und geistreiche Mädchen hegte, ärgerte es ihn. Er sorgte dafür,
dass Heine sein Haus nicht mehr so oft besuchte. Das hinderte ihn aber
nicht, einiges aus Heines Dichtung ins Russische zu übertragen. Es
waren mit die ersten und die besten Nachdichtungen des deutschen
Lyrikers.
Selbst
dichtete Tjutschew in München viel intensiver als später, in Sankt
Petersburg. Es ist hier zu vermerken, dass manche seiner poetischen
Naturbeschreibungen, in Russland
auf die russische Natur gemünzt, von der deutschen Natur
inspiriert war. So ein Gedicht, das jedes russische Kind kennt, in dem
es um das erste Frühlingsgewitter geht.
Der
Schwung und die Melodie seiner Gedichte sind hervorragend. Leider aber
gelang es bis jetzt keinem Nachdichter, sie in vollem Maße
wiederzugeben. Denn der Zauber seiner Dichtung wurzelt in der
russischen Sprache und ist schwer in eine andere zu übertragen.
Das
betrifft auch sein Gedicht über die Nacht, die im Folgenden gebracht
wird. Wie viele Romantiker liebte Tjutschew die Nacht. Ohne von
jemandem gestört zu werden, gab er sich Gedanken über Gott und die Welt
hin. Obgleich die ersten Flüge in den Kosmos erst anderthalb
Jahrhunderte später stattfanden, flog sein Geist bereits damals, in
den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts zu den Sternen.
In
stiller, dunkler Nacht,
Wenn
auf dem Erdenrunde
Rings
alles schweigt,
Wenn
längst erlosch der Tagesschein,
Dann
rollt das All der Welt
In
heiliger Geisterstunde
Ein
lebendes Gefährt-
Ins
Himmelstor hinein.
Und
finster wird's und öd,
Wie's
war im Weltenraum,
Bevor
das Chaos wich vor Gottes Machtbefehl,
Und
nur der Muse jungfräuliche Seele
Wird
von den Göttern heimgesucht im Traum.
Wenn
man das Gedicht liest, beziehungsweise hört, wird einem klar, warum
Fjodor Tjutschew so viel von Goethe ins Russische übersetzte. Das
Philosophische in den Werken
des deutschen Dichterfürsten musste ihn faszinieren. Auch bei den
deutschen Dichtern nach Goethe suchte er immer die weitfliegenden
Verse. So war es eben in seiner Zeit. Die Dichter fanden die damalige
Welt so schlimm, so katastrophengeladen, dass sie am liebsten ins All
ausgewandert wären. Was hätten die wohl heute, zu Beginn des dritten
Millenniums gesagt?
Doch
zurück zu Tjutschew.
Der
russische Diplomat und Lyriker kam also in München gut an und hatte
dort keine Schwierigkeiten, ausgenommen die, die er sich selbst durch
sein ungestümes Liebesleben bereitete. Trotzdem wurde er in München
zum ausgeprägten russischen Patrioten und Slawophilen. Aber in keinem
Brief, in keiner Aufzeichnung, in keinem Gedicht Tjutschews findet
sich eine Spur des Deutschenhasses. Ganz im Gegenteil. Er liebte nicht
nur mehrere deutsche Frauen leidenschaftlich. Das wäre noch kein
Beweis für seine Deutschfreundlichkeit. Er liebte Deutschland überhaupt.
Jedenfalls jenes Deutschland, das er in Bayern, in Süddeutschland
erlebte. Illustrieren möchte ich dies mit noch einem Gedicht von
Tjutschew. Er schrieb es, als er eine schöne Gegend in der Nähe von
Stuttgart besuchte. Unter dem dort gewonnenen Eindruck dichtete er:
Im
Tal der Fluss. Auf steilen Hügeln,
An
seinen Ufern wächst der Wein,
Und
auf des Abendwindes Flügeln
Zieh'n
Wolken hell im Sonnenschein.
Des
Wandrers Blick, emporgehoben
Vom
grünen Tal ins Himmelblau,
Sieht
auf dem Bergesgipfel droben
Der
runden Kirche lichten Bau.
Hier
kam zur Ruh der Strom des Lebens,
Hier
ist der Toten ernste Gruft,
Hier
ist das Ziel des Erdenstrebens,
Und
leicht und rein ist hier die Luft.
Still
scheint hier die Natur zu lauschen
Auf
ihres eignen Herzens Schlag,
Und
Wind und Fluss und Bäume rauschen
Ein
Lied vom ewigen Feiertag.
Übrigens
wurde in der "runden Kirche", die im Gedicht erwähnt wird,
eine russische Großfürstin begraben, die Gemahlin eines württembergischen
Königs. Die deutschen Fürsten heirateten damals gern russische
Prinzessinnen. Ob da immer Liebe im Spiel war, wollen wir
dahingestellt sein lassen. Dagegen war Machtstreben bestimmt mit im
Spiel. Jeder Souverän eines deutschen Landes träumte davon, eine
verwandtschaftliche Beziehung zum mächtigsten Herrscherhaus Europas
zu knüpfen. Die württembergischen Könige waren da besonders tüchtig.
Drei Mal nacheinander holten sie Prinzessinnen aus dem Hause Romanow
nach Stuttgart. Ach, wie sich auch auf dem Gebiet die Sitten änderten!
Jetzt holen zumeist die Könige des Rotlichtmilieus russische Mädchen
nach Deutschland. Aber - Schwamm drüber...
Zu
Tjutschew zurückgekehrt, müssen wir feststellen, dass er ein Mann
mit zwei Seelen war. Mit einer russischen und mit einer deutschen .
Und wenn es noch eines Beweises dafür bedarf, dass sich russische und
deutsche Vaterlandsliebe keineswegs ausschließen, dann hat der
Dichter ihn geliefert. Zeitlebens blieb der waschechte Russe, Patriot
Russlands ein Freund und Bewunderer Deutschlands. Und als er nach Petersburg zurückkehrte,
hatte Deutschland, genauer gesagt Bayern, keinen besseren Fürsprecher
am Zarenhof.
LUSCHKOW
IN BERLIN
Den
eigenen Worten nach betrachtet sich der
Moskauer OB Juri Luschkow nicht
so sehr als Politiker, sondern eher als Mann der Wirtschaft. Tatsächlich
sorgte er auch während des jüngsten Besuches in Berlin
dafür, dass seine Visite etwas auf der wirtschaftlichen Schiene
bewegte. Diesmal dafür, dass
der geplante Start einer
neuen riesigen Handelskette
in Moskau erfolgreich verläuft. Die Handelskette Real soll
den Moskowiten mit kleinen Einkünften ermöglichen, ihre Einkäufe
in zivilisierterem Ambiente zu tätigen. Jenen, die jetzt auf
Straßenhändler angewiesen sind, weil die bestehenden Supermärkte
westlicher Provenienz ihnen zu teuer sind. Den Straßenhandel will
aber Luschkow, immer darauf
erpicht, Moskau noch mehr Glanz zu verleihen,
aus der Stadtmitte vertreiben.
Das
Anliegen kommt den Wünschen der deutschen Geschäftsleute sehr entgegen.
Der Einzelhandel gehört bekanntlich
zu den von der gegenwärtigen Flaute am meisten gebeutelten deutschen
Wirtschaftszweigen. Es ist nur logisch, dass der Aufbau der Handelskette
Real von den deutschen
Investoren mitfinanziert wird. Verspricht er doch den deutschen Partnern
lukrative Aufträge Der deutsche Massenkonsum, durch Ketten wie
Aldi oder Lidl repräsentiert, kann seine Erfahrungen in Moskau gut
anbringen.
Nach
den Worten des OB Luschkow ist die Zusammenarbeit mit der deutschen Geschäftswelt
auch auf anderen Feldern zu
einer bedeutenden Triebkraft der Moskauer Wirtschaft geworden. Diese aber
entwickele sich gut. Im ausklingenden
Jahr wuchs das BNP in
Moskau um 10 Prozent. Die Arbeitslosigkeit in der russischen Hauptstadt
fiel auf 0,6 Prozent, das heißt sie
existiert praktisch nicht mehr, berichtete der russische Gast. Der
Wohnungsbau hat neue Höhen erklommen. Alles Ergebnisse einer
Wirtschaftsentwicklung, die man gerade in Berlin zu schätzen weiß.
Das
hohe Niveau des Wirtschaftslebens in der schwierigen Zeit
brachte Luschkow in Zusammenhang
mit der energischen Förderung des Handwerks und der kleinen Firmen durch
die von ihm geleitete Stadtregierung. Zwar bleibt Moskau mit seinen 233
Großbetrieben und mit 1,5 Millionen Industriearbeitern weiterhin ein
Schwerpunkt der russischen Hightech, trotzdem aber ist etwa die Hälfte
der Moskauer Bevölkerung im Handwerk und kleinen Dienstleistungsbetrieben
beschäftigt, also gerade in jenen Gefilden, die in Berlin mit wachsenden
Schwierigkeiten konfrontiert sind. Der immer auf Erfahrungsaustausch
bedachte Luschkow hob hervor, dass die Moskauer Erfahrungen den deutschen
Partnern zur Verfügung stehen. Wie er aus Berlin
wichtige Erkenntnisse nach Hause bringt, vor allem was die
kommunale Wirtschaft und die Verwaltung betrifft.
Das
Novum bei den hochkarätigen Besuchen
aus Russland war das Treffen
des Gastes
mit der russischsprachigen Diaspora in Berlin. Luschkow appellierte
an dieses Publikum, zwischen der russischen und deutschen Kultur
vermittelnd zu wirken. Er sprach
über das äußerst
produktive Nebeneinander der beiden großen europäischen Völker, die
jetzt auf gutem Wege sind, ihre Beziehungen zu vertiefen und auszuweiten.
Auch wenn seine Zuhörer nicht immer mit seinen Gedankengängen übereinstimmten,
fanden sie die Tatsache sehr
erfreulich, dass ein hochrangiger russischer Politiker die Gelegenheit
ergriff, mit den russischen Einwanderern in Berlin zusammenzukommen. Sie
betrachteten es als neuerlichen Beweis der Konsolidierungspolitik der
gegenwärtigen russischen Führung.
2.12.02
Deutsch als Fremdsprache
soll in Russland noch mehr Verbreitung finden.
Dies ist insbesondere beim Schüler- und Studentenwettbewerb
"Gemeinsam ins 21. Jahrhundert" des Deutsch-Russischen
Jugendforums zum Ausdruck gekommen. Den Wettbewerb hat sie in den Jahren
2001 und 2002 zusammen mit Doris Schröder-Köpf maßgeblich inspiriert
und gefördert. Er half Schulen und Universitäten beider Ländern,
Kenntnisse über das jeweils andere Land und seine Sprache zu vertiefen.
Durch dieses Projekt wurden in Russland neue Tausende ans Studium der
deutschen Sprache und Kultur herangeführt. Die russischen Deutschlehrer
und die Historiker der deutschen Literatur und Folkloreforscher bekamen zu
spüren, dass ihre Arbeit geschätzt wird. Der breiten Öffentlichkeit
wurde vermittelt, dass das Deutsche als Fremdsprache in Russland Zukunft
hat und eine unersetzliche Brücke der Kommunikation und Verständigung
zwischen Deutschland und Russland bleibt.
In einer Zeit, da die bekannten globalen Prozesse in Wirtschaft und
Politik die Vielfalt der Sprachen zu reduzieren drohen und sich die
intensive Verdrängung sowohl der deutschen als auch der russischen
Sprache aus einigen Sphären der Wissenschaft, Forschung und des
Kulturaustauschs weltweit abzeichnet, gewinnen Aktivitäten wie das von
Ljudmila Putina beeinflusste Projekt des Deutsch-Russischen Forums
besondere Bedeutung. Aber auch ihre Tätigkeit als Leiterin eines Moskauer
Instituts für die Pflege der russischen Sprache. Diese Einrichtung setzt
sich dafür ein, den russischen Sprachminderheiten in den anderen
Nachfolgestaaten der Sowjetunion beim Erhalt des russischen Idioms zur
Seite zu stehen. Auch dafür wurde Ljudmila Putina, wie die Juroren
hinwiesen, mit der Verleihung des Jacob-Grimm-Preises gewürdigt.
Bei der Gelegenheit sei daran erinnert, dass in Russland das Studium der
deutschen Sprache eine viele Jahrhunderte alte Tradition hat. Eine ganze
historische Epoche lang wetteiferte sie mit dem Französischen, um sich im
XIX. Jahrhundert als Fremdsprache den ersten Platz in der gebildeten
Bevölkerungsschicht zu belegen. Auch heute beschäftigt sich mit der
deutschen Sprache in Russland ein größerer Anteil der Bevölkerung als
in jedem anderen Land der Welt, wo Deutsch Fremdsprache ist. Mehr als 3,7
Millionen russische Kinder und Jugendliche lernen mehrere Jahre Deutsch.
Zwar hat es in den letzten Jahrzehnten seinen ersten Platz auch in
Russland dem Englischen abtreten müssen, aber die Distanz wächst nicht,
wie es andernorts der Fall ist.
Die Verleihung des Preises, der den Namen eines der Schöpfer der
hochdeutschen Literatursprache, deutschen Linguisten und Folkloristen
trägt, der nicht müde war, den Landsleuten und Ausländern die Schätze
des deutschen Idioms ins Bewusstein zu bringen, an die Ehefrau des
russischen Präsidenten ist ein Kulturereignis ersten Ranges. Es wird ohne
Zweifel von der breiten Öffentlichkeit beider Länder positiv
aufgenommen.
16.10.02
80
Jahre Rapallo
1.
Es
gibt wohl wenig internationale Verträge, die von Historikern so
kontrovers bewertet wurden, wie der Rapallo-Vertrag, vor 80 Jahren
zwischen Sowjetrussland
und dem Weimarer Deutschland in einem kleinen
italienischen Ort am Rande einer europaweiten Nachkriegskonferenz geschlossen.
Gleich nach seinem Abschluss tobte im Westen ein Sturm der Entrüstung.
Kein Wunder, da das Werk
der sowjetischen und deutschen Diplomaten wenn nicht im eigentlichen
Text, dann zwischen den Zeilen Brisantes barg. Der Vertrag sollte nämlich
Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Welt nach dem Ersten
Weltkrieg doch nicht so aussieht, wie
es sich die Kriegssieger Frankreich, England und die USA
wünschten. Also nicht die Welt, in der nur die großen Drei
das Sagen haben, sondern auch die anderen europäischen Staaten, vor
allem die
Kriegsverlierer, zu denen auch Russland zählte, obwohl es als
Verbündeter der Westmächte in den Krieg gegen Deutschland und
Österreich-Ungarn eingetreten war.
In
Rapallo liefen die Verhandlungen zwischen Deutschland und
Sowjetrussland über den Vertragsinhalt geheim. Die Teilnehmer fürchteten,
die Westmächte könnten, sollten sie davon erfahren, den Abbruch der
Verhandlungen erzwingen. Hinzu kam, dass in Deutschland und Russland
selbst die Idee der gegenseitigen Unterstützung nicht nur Freunde
hatte. In Deutschland war die Westlobby stark, die darauf bestand, die
harten Forderungen des Versailler Friedensdiktats ohne wenn und aber
zu erfüllen, das die Knebelung
Deutschlands für Jahrzehnte festschrieb. In Russland polemisierten
die Ultralinken gegen Rapallo, das ihrer Meinung nach zur
Stabilisierung des Weltimperialismus beitrug
und somit die ersehnte Weltrevolution des Proletariats
behinderte. Aber in Berlin und in Moskau konnten sich doch
die Pragmatiker durchsetzen, die eine ideologiefreie Außenpolitik
machen wollten, auch wenn sie oft mit ideologischen Floskeln kaschiert
wurde. So kam es zum Rapallo- Vertrag.
Er
entsprach den tiefsten Interessen der beiden Seiten. Ins Aus der
Weltpolitik abgedrängt, könnten sowohl Russland als auch Deutschland
nur gewinnen, wenn sie ihre Beziehungen bereinigten und ein modus
vivendi erreichten, der eine ersprießliche Zusammenarbeit ermöglichte.
Das Zusammenwirken war
das Gebot der Zeit. Und zwar auf verschiedenen Feldern.
In der Arena der europäischen Politik, wo sie wieder wer sein
wollten. In der Wirtschaft, wo es darum ging, den industriellen Aufbau
in Russland durch deutsche Ausrüstungslieferungen zu sichern, die
wiederum der deutschen Industrie halfen, auf die Beine wieder zu
kommen. Und auch im militärischen Bereich, besonders wichtig für
Deutschland, das im Versailler Diktat mit weitgehenden Beschränkungen
bedacht worden war.
Im
Rapallovertrag selbst
stand über die getroffenen Vereinbarungen
wenig. Aber die
beiden Delegationen, die sich nach tagelangen Diskussionen gut zu
verstehen glaubten, vertrauten
darauf, dass auch mündliche Abmachungen erfüllt werden. Sie gingen
davon aus, dass die politischen Zwänge, denen die beide vom Westen
stigmatisierten Länder unterworfen waren, mehr Gewicht hatten als
Unterschriften. Eine Auffassung, die sich im Laufe der Jahre bestätigen
sollte. Sowohl in Deutschland als auch in Russland gab es in der
Folgezeit innenpolitische Turbulenzen, Staatsmänner kamen und gingen,
aber der Rapallo- Vertrag blieb wirksam. Obwohl bei weitem nicht
alles, was er versprach, realisiert werden konnte.
2.
Ein
einmaliges Vertragswerk, sollte also der Rapallo- Vetrag Deutschland
und Russland, den Verlierern des
Ersten Weltkriegs, von den sieghaften
Frankreich, England, die USA stigmatisiert, einen Platz an der Sonne
sichern. Bemerkenswert, dass dieser Vertrag, sehr starken
Anfeindungen, vor allem aus dem Westen, dessen Interessen er
entgegenlief, aber auch von Dogmatikern im Inneren
ausgesetzt, in den ersten Jahren
gut funktionierte. Russland und Deutschland, beide im
politischen Europa ins Abseits gedrängt,
leisteten sich überall dort, wo es möglich war, Schützenhilfe.
Die deutsche Industrie wurde mit russischen Rohstoffen
und Lebensmitteln versorgt, Russland erhielt deutsche Werkzeuge
und Maschinen, die es für seine Industrialisierung dringend brauchte.
Auch wenn die Steigerung des Handelsvolumens nicht den
hochgeschraubten Erwartungen entsprach, näherte es sich
dem der Vorkriegszeit, als das deutsche Kaiserreich
und das russische Zarenreich sehr erfolgreich kooperierten. Die
Jahrhunderte lange Entwicklung des Handels, durch den unsinnigen Krieg
unterbrochen, wurde wieder aufgenommen.
Wenn
man in den deutschen Zeitungen aus der Zeit blättert, beeindruckt
besonders die Intensität der eingeleiteten
kulturellen Beziehungen. Die russische Kunst und Literatur,
damals noch nicht in die Fesseln der sowjetischen Bürokratie genommen
und darum der Kreativität der Russen gerecht, eroberten wie im Sturm
deutsche Verlage, Bühnen, Galerien und Vorlesungssäle. Es gab um die
Zeit wenig bedeutende Dichter und Künstler in Russland, die nicht in
Deutschland weilten. Manche schlugen hier für längere Zeit ihre
Zelte auf. Die Spuren ihres
Einflusses finden sich in allen bedeutenden Kulturströmungen
Deutschlands, das sich, militärisch
und politisch zwar am Boden, aus der europäischen Kulturlandschaft
nicht eliminieren ließ.
Auch
in entgegensetzter Richtung ergoss sich ein Strom von Ideen,
Erkenntnissen, Erfahrungen. Viele deutsche Dichter, Wissenschaftler
und Ingenieure besuchten Russland. Bei weitem nicht immer entsprach
das, was sie vorfanden, ihrer Hoffnung auf das Entstehen einer neuen,
gerechteren sozialen Ordnung.
Aber jede Reise brachte Denkanstösse und schöpferische Impulse.
Im
Verborgenen lief die Zusammenarbeit im militärischen Bereich. Die
deutsche Reichswehr, der nach dem Versailler Vertrag
eine Personalgrenze von 100 000 Mann auferlegt und der Besitz
von modernen Waffen verboten worden war, erhielt in Russland die Möglichkeit,
die Gebote und Verbote der Kriegssieger zu umgehen. Deutsche Techniker
erprobten an der Wolga und in der Ukraine neue Panzer und
Kampflugzeuge, deutsche Offiziere übten sich in der Handhabung neuer
Waffen. Im Gegenzug erhielt die Rote Armee waffentechnische Hilfe aus
Deutschland. Sowjetische Generäle reisten nach Deutschland,
um hier ihr Wissen über die moderne Strategie zu bereichern.
Gewiss.
Im Unterschied zur Zusammenarbeit in anderen Bereichen mutet uns die
Kooperation im militärischen Bereich jetzt seltsam an. Es fällt
einem schwer, sich von der Vorstellung zu lösen, dass etwa fünfzehn
Jahre später die mit Hilfe der anderen Seite aufgepäppelten Streitkräfte
in einem Vernichtungskrieg gegeneinander kämpften. Wie schlimm es
auch gewesen ist, gibt es keine Anhaltspunkte für
die Vermutung, dass es von Anfang an so gedacht war. Beide Länder
fühlten sich bedroht und wollten die Bedrohung abwehren. Und der
Rapallo- Vertrag schien dafür ein gutes Instrument zu sein.
3.
Also
förderte der Rapallo- Vetrag eine umfangreiche Erweiterung der
politischen, wirtschaftlichen, kulturellen
und militär-technischen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und
Russland. Beide Länder kamen sich näher. Es gelang ihnen, die
politische und diplomatische Blockade der im Ersten Weltkrieg
siegreichen Westmächte zu durchbrechen. Russland und Deutschland
kehrten zurück in die weltpolitische Arena und konnten besser für
ihre Belange einstehen.
Leider
aber gewann in beiden Ländern
eine Politik Oberhand, die zu einer Pervertierung der
deutsch-sowjetischen Zusammenarbeit
führte. In der Sowjetgeschichte ist sie mit dem Namen Stalins
verbunden, in der deutschen Geschichte mit dem Namen Hitlers. Ihren Höhepunkt fand die verhängnisvolle Entwicklung in dem
Vertrag zwischen Hitlerdeutschland und der UdSSR vom 1939, am Vorabend
des Zweiten Weltkrieges.
In
der westlichen, aber auch in der russischen modernen Historiographie
werden Versuche unternommen, zwischen diesem Pakt und dem Rapallo-
Vertrag wenn nicht ein Gleichniszeichen zu setzen, dann mindestens
einen unmittelbaren Zusammenhang festzustellen. Das entspricht aber
nicht der geschichtlichen
Wahrheit. In Rapallo wurde
nicht die Aufteilung Osteuropas vereinbart. In Rapallo wurde auch
nichts anderes vereinbart, was die Gefahr eine Weltkrieges steigerte.
Im Gegenteil. Sowohl Deutschland als auch Sowjetrussland strebten in
Rapallo im Grunde etwas an, was allen Europäern zugute kommen konnte.
Eine politische und militärische Ausgewogenheit in Europa, die in
Moskau als friedliche Koexistenz
bezeichnet wurde. Sie ließ sich zwar mit den kommunistischen
Dogmen von der Weltrevolution schwer vereinbaren. Das ändert jedoch
nichts daran, dass der Ansatz des Rapallo- Vertrages von dem des Hitler-Stalin- Paktes himmelweit entfernt
war. Die Vereinbarungen in Rapallo
wurden von beiden Seiten ohne Absicht getroffen, den Partner
aufs Eis zu führen. Beiden ging es darum, ihre legitimen Interessen
zu verteidigen. Von einer Benachteilung Dritter war keine Rede.
Nichtsdestoweniger
wäre es leichtsinnig, aus der Pervertierung der Idee der
deutsch-russischen Kooperation im
Hitler-Stalin Pakt keine Lehre zu ziehen. Und diese besteht wohl
darin, dass diese Kooperation nur dann seine Berechtigung hat, wenn
sie nicht gegen andere Länder gerichtet ist. So, wie sie im Rapallo- Vertrag von
1922 zwischen dem Weimarer Deutschland und Sowjetrussland realisiert wurde.
4.
Der
Rapallo- Vertrag von 1922 zwischen Deutschland und Russland sollte nur
ihre legitimen Interessen absichern.
Desto
mehr wundert man sich, dass der Rappalo- Vertrag
zu einer Art Teufelswerk stilisiert wird. Bis in die Gegenwart
erscheinen Bücher und Zeitungsbeiträge, die die 1922 beschlossene
Kooperation zwischen dem Weimarer Deutschland und Sowjetrussland als
Verschwörung gegen den Rest der Welt darstellen. Es drängt sich der
Verdacht auf, dass hinter dieser Verkehrung der Geschichte eine
irrationale Angst vor einem Zusammengehen Deutschlands und Russlands
steckt, sei das Ziel der Zusammenarbeit noch so legitim und friedlich.
Die
Angst ist jetzt irrational geworden, weil beide Länder, im
Unterschied zu früheren Zeiten, ein vereintes Europa
und keinen Alleingang anstreben. Die von Russland
aufgenommene enge Verbindung zur NATO
führt die These
ad absurdum, Russland wolle, indem es ein Schulterschluss mit
Deutschland anstrebt, , Deutschland allmählich aus dem Bündnis
herausholen und damit die Solidarität der NATO- Staaten untergraben.
Die Unsinnigkeit
der Unterstellung liegt auf der Hand, da der Schulterschluss im Rahmen
der gesamten europäischen Integration erfolgen soll. Trotzdem werden
immer wieder solche Andeutungen gemacht, wenn sich beide Länder
treffen. Das letzte Mal nach den Kontakten auf höchster Ebene in
Weimar.
Dieser
psychologische Druck wird
oft auf den sogenannten Rapallo- Komplex zurückgeführt, das heißt
auf eine besondere Empfindlichkeit im Westen, aus historischen
Erfahrungen erwachsen.
Wir haben es aber mit einer neuen Realität in Europa und in der Welt
zu tun, die Wiederholung mancher Fehlentwicklungen
der Vergangenheit ausschließt. Sowohl Deutschland als auch
Russland haben sich gewandelt. Sie suchen ihr Glück nicht mehr in der
Konfrontation auf internationaler
Ebene, sei es aus ideologischer Verblendung, rassistischem Wahn oder
machtpolitischem Kalkül. Was
sich aber nicht gewandelt hat, das sind ihre, ungeachtet der
kriegerischen und anderen Konflikten der Vergangenheit
weiterbestehende zivilisatorische und mentale Affinität zueinander
und auch die objektiven und noch bei weitem nicht ausgeschöpften Vorzüge
der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Und wenn dagegen der Rapallo-
Komplex ins Feld geführt wird, ist es, gelinde gesagt, höchst
bedauerlich.
Aber
der Rapallo- Vertrag von 1922 hat damit nichts zu tun.
Trotz seiner Unzulänglichkeit und seiner späteren
Pervertierung , die aus den Umständen der Zeit zu erklären sind, war
er ein Schritt in die richtige Richtung. Deshalb verdient
sein achtzigster Jahrestag
einen positiven Vermerk im Geschichtsbuch der deutsch- russischen
Beziehungen.
6.6.02
-------------------------------------------------------------
EIN
KONTROVERSES RUNDTISCHGESPRÄCH IM RUSSISCHEN HAUS ZU BERLIN
Das Gespräch galt dem achtzigsten Jahrestag des Rapallovertrags. Der unter diesem Namen bekannte Vertrag zwischen der deutschen Weimarer Republik und Sowjetrussland half, die Beziehungen zwischen beiden Ländern nach dem ersten Weltkrieg vorteilhaft zu gestalten. Somit ist seine Würdigung verständlich. Aber wir leben in einer ganz anderen Zeit. Deswegen ist die Frage legitim, ob die Erfahrung von Rapallo noch aktuell ist? Die deutschen und russischen Teilnehmer des Rundtischgesprächs äußerten dazu verschiedene Meinungen. Einem Zuhörer konnte nicht entgehen, dass hinter dieser unterschiedlichen Bewertung eines geschichtlichen Ereignisses, ein etwas unterschiedliches Herangehen an die deutsch- russischen Beziehungen in der Gegenwart stand.
So sprachen die Teilnehmer des Rundtischgesprächs darüber, dass der Rapallo- Vertrag das Streben Deutschlands und Russlands widerspiegelte, aus der ihnen damals von den Kriegssiegern England, Frankreich und den USA aufgezwungenen Isolation herauszukommen. Deshalb haben sich Russland und Deutschland damals zusammengetan. Was aber die Gegenwart angeht, sind, wie die deutschen Teilnehmer des Rundtischgesprächs hervorhoben, Deutschland und Russland nicht isoliert. Deutschland ist ein vollwertiges Mitglied aller wichtigen
Staatengruppierungen, vor allem der NATO und der EU. Russland steht zwar außerhalb dieser Staatengruppierungen, ist aber auf dem besten Wege, sich mit ihnen zu arrangieren. Deshalb sollen Deutschland und Russland ihre Zusammenarbeit nicht im Alleingang entwickeln sondern mit dem Segen der anderen.
Die russischen Teilnehmer bestritten diese Meinung nicht. Aber sie brachten Tatsachen ins Gespräch, die darauf verwiesen, dass die russisch- deutschen Beziehungen doch eine besondere Qualität aufweisen. Dafür sorgen Umstände, die nicht zu leugnen sind. Zum Beispiel die lange Geschichte ihrer immer intensiven Wechselwirkung und auch ihre unveränderbare geopolitische Lage. Somit sind beide Länder, ob es gefällt oder nicht, quasi aneinander geklammert.
In Bezug auf die jüngste Vergangenheit erinnerten die russischen Historiker und Politologen die deutschen Kollegen an die entscheidende Rolle Russlands bei der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands. Sie deuteten dabei an, dass Deutschland schon deswegen dem russischen Partner jetzt mehr helfen sollte, in Europa anzukommen. Auch beklagten sie, dass die bei der Wiedervereinigung eingegangenen Verpflichtungen Deutschlands und seiner Bündnispartner nicht vollständig eingelöst wurden. So versprachen die Westmächte, auf die NATO- Osterweiterung zu verzichten, vollziehen diese aber jetzt, ohne auf russische Einwände Rücksicht zu nehmen. Und Deutschland mache mit.
Daraufhin hoben die deutschen Teilnehmer hervor, Russland dürfe nicht außer Acht lassen, dass Deutschlands Ostpolitik jetzt, anders als zur Rapallo- Zeit , keine Sonderwege einschlagen darf. Diese muss eine in der EU und der NATO abgestimmte und verankerte Politik sein. Davon bringe kein russischer Druck Deutschland ab.
Die Russen signalisierten zwar ihr Verständnis für diese deutsche Haltung, meldeten aber auch Zweifel an. So deuteten sie an, die deutschen Hinweise auf den enger gewordenen Spielraum für die deutsche Russlandpolitik seien womöglich nur ein Vorwand. Ein Vorwand, um Russland weiter vor der Schwelle des sich vereinenden Europa schmoren zu lassen und die Gestaltung eines großen Europas gemeinsam mit Russland zu bremsen.
So kontrovers verlief also das Gespräch. Aus den kontroversen Äußerungen konnte man aber klar heraushören, dass sowohl die deutschen, als auch die russischen Teilnehmer im wichtigsten Punkt einig waren. Der lautet, dass Russland zu Europa gehört und ein wichtiger Akteur der Weltpolitik sein soll. Der Meinungsstreit ging mehr um das Tempo, um geeignete Wege, nicht aber um die Zielrichtung. Und das ermöglichte den Gästen des Russischen Hauses zu Berlin ein produktives Gespräch.
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Obwohl das Thema des Rundtischgesprächs "80 Jahre Rapallo- Vertrag und die russisch- deutschen Beziehungen im Kontext der europäischen Integration" lautete, ging der zum Teil kontroverse Meinungsaustausch weit darüber hinaus. So schnitten die Teilnehmer innenpolitische Probleme Russlands an, vor allem die Frage danach, ob Russland reif ist, einen wichtigen Platz im sich vereinenden Europa einzunehmen.
Es ging dabei nicht um den eventuellen Beitritt Russlands zur Europäischen Union. Sowohl die russischen als auch die deutschen Politologen äußerten die Meinung, der Beitritt sei in absehbarer Zukunft nicht aktuell. Aber die EU ist mit Europa nicht identisch.
Ob in der EU oder nicht, sind Russland, die Ukraine, Belorussland
keine außereuropäischen Staaten. Kraft der Geographie, der Geschichte, der Zivilisation gehören sie genauso zu Europa wie die EU-Länder. Es geht also darum, die Voraussetzungen für ein großes Europa zu schaffen. Für ein Europa, das alles zusammenbringt, was zusammengehört. Nur dann wird Europa stark genug, um die ihm gebührende Rolle in der Welt zu spielen.
Wie fast alle anderen angeschnittenen Themen, haben die russischen und die deutschen Teilnehmer des Rundtischgesprächs auch dieses nicht unisono behandelt. Die Russen betonten die Zugehörigkeit ihrer Heimat zu Europa und die Notwendigkeit, daraus politische und wirtschaftliche Konsequenzen zu ziehen, sehr resolut. Sie führten ins Feld, dass 70 Prozent der russischen Bevölkerung westlich des Urals, der die Grenze zwischen Europa und Asien bildet, zu Hause sind, also auf dem europäischen Kontinent. Sie erinnerten auch an den Beitrag der Russen zur europäischen Kultur.
Die Deutschen sprachen eher verhalten über die europäische Gestalt Russlands. Sie deuteten, wenn auch sehr moderat, an, Russland müsse sich, bevor es im neuen Europa ankommt, zuerst den europäischen Werten nähern. Es sei noch nicht weit genug in diese Richtung gegangen.
Diesbezügliche Andeutungen riefen eine, zum Teil ziemlich heftige Abfuhr der russischen Teilnehmer hervor. Ein bekannter russischer Diplomat, mit den Zuständen in Deutschland gut vertraut, sprach darüber, dass auch in Deutschland einiges bei weitem nicht in Ordnung ist. Er verwehrte sich dagegen, dass sich einige deutsche Politiker und Publizisten die Freiheit nehmen, über die russischen Zustände von oben herab zu urteilen. Russland sei zwar ein europäisches Land, bestehe aber auf sein Recht, auch im vereinten Europa seine Eigenart zu bewahren. Eine die europäische Zivilisation bereichernde Eigenart. Der Auftritt des Russen gipfelte in der Äußerung, "wir lassen uns nicht rumkommandieren". In diesem Zusammenhang erinnerte er daran, dass der Rapallo- Vertrag, vor 80 Jahren zwischen Deutschland und Russland geschlossen, durch den Geist der gegenseitigen Toleranz geprägt war. Gerade deswegen konnte er seine für beide Länder positive Wirkung entfalten.
Die deutschen Teilnehmer verzichteten darauf, das heikle Thema weiter zu diskutieren. Wie die Russen übrigens auch, waren sie sichtlich bemüht, bei aller partiellen Meinungsverschiedenheit das Wichtigste nicht unter den Tisch fallen zu lassen. Und das ist die Tatsache, dass die nationalen Interessen beider Länder nicht kollidieren, sondern in eine Richtung weisen.
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Eigentlich müsste das Thema des internationalen Terrorismus am Runden Tisch nicht unbedingt behandelt werden. Der von den Veranstaltern, zu denen außer dem Russischen Haus zu Berlin auch die Rosa - Luxemburg - Stiftung sowie die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik gehörten, vereinbarte Themenkreis schloss nicht das Problem der Terrorismusbekämpfung ein. Andererseits aber ist zur Zeit kaum eine Debatte
über internationale Politik vorstellbar, die dieses Problem draußen lässt. Zu tief veränderten die tragischen Ereignisse vom 11. September des vorigen Jahres die Welt. Und zu stark sind alle zivilisierten Staaten darauf angewiesen, sich der Gefahr des Terrorismus zu entledigen.
Dass diese Gefahr durchaus real und groß ist, bestritt keiner der Teilnehmer des Rundtischgesprächs im Russischen Haus zu Berlin. Aber auch keiner von ihnen hielt die militärischen Schläge gegen die erwiesenen und vermutlichen Herde des Terrorismus für das Allheilmittel. Im Gegenteil vertraten sowohl die Russen, als auch die Deutschen die Meinung, militärische Mittel, seien sie noch so mächtig, lösen das Problem nicht. Wie sie überhaupt in der heutigen Welt kein akutes Problem lösen können.
In dieser Beziehung herrschte im Konferenzsaal des Russischen Hauses Konsens. Meinungsverschiedenheiten meldeten sich an, wenn es um die Folgen der nach dem 11. September entstandenen neuen Konfiguration der internationalen Beziehungen ging. Vor allem der neuen Bewertung der Rolle Russlands in der USA- Strategie.
So haben die russischen Teilnehmer mit sichtlicher Genugtuung festgestellt, dass die USA- Administration, vor dem 11. September geneigt, Russland als eine zu vernachlässigende Größe zu behandeln, danach einen ganz anderen Kurs einschlug. Jetzt wird Russland als ein sehr wichtiger Partner umworben. Das kam ein übriges Mal auf dem G-8 Treffen in Kanada zum Ausdruck.
Die deutschen Politologen bestritten den Trend in der USA-Politik nicht. Sie widersprachen den Russen erst, als sie die Vermutung schöpften, die Russen betrachteten jetzt die USA als einen zur EU und speziell zu Deutschland alternativen Partner. Und tatsächlich gab es in den russischen Äußerungen unzweideutige Anhaltspunkte für diese Vermutung.
In diesem Zusammenhang gaben die Deutschen den russischen Gesprächsteilnehmern zu bedenken, dass die USA- Politik gegenüber Russland sehr starken konjunkturellen Schwankungen ausgesetzt sei. Wenn Russland von den USA gebraucht wurde, hofierte es Washington. Wenn nicht, verschwand es aus dem Blickpunkt der amerikanischen Außenpolitik, die nur das egoistische Interesse verfolge.
Die Russen widersprachen dieser Meinung. Sie führten ins Feld, dass das Bemühen um eine neue, zuverlässigere Sicherheitsarchitektur in der Welt keine vorübergehende Konjunktur ist. Es geht um ein gründliches und langfristiges Projekt, dessen Realisierung ohne Russland undenkbar ist. Das eröffne Russland einen neuen Spielraum in der Weltpolitik. Und wenn es sich mit gutem Grund von der Europäischen Union, vor allem auch von Deutschland unverstanden, sogar vernachlässigt fühlt, favorisiert es eben den überseeischen Partner. Schließlich hat Deutschland sich auch nicht anders verhalten, als es die Westbindung wählte und Russland den Rücken kehrte, was allerdings die sowjetische Politik in bedeutendem Maße selbst provozierte.
Die Auseinandersetzung am Runden Tisch im Russischen Haus zu Berlin hatte gewiss ihre Wurzeln in der politischen Realität. Aber es muss erwähnt werden, dass bei allem Ernst der behandelten Materie die Atmosphäre sehr locker blieb. Mitunter schien es, als werden Scheingefechte ausgetragen. Im Grunde genommen aber zweifelten die Teilnehmer, von denen sich viele bei ähnlichen Anlässen schon oft trafen, nicht daran, dass Deutschland und Russland trotz aller gelegentlichen Schwierigkeiten darauf angewiesen sind, zusammenzugehen. So wie es vor 80 Jahren war, als sie in Rapallo einen Freundschaftsvertrag schlossen. Auch wenn das Zusammengehen jetzt unter anderen Prämissen erfolgt und eine andere Gestalt annimmt.
28.6.02
4. HAND IN HAND ODER RÜCKEN
AN RÜCKEN?
In
Deutschland wird sehr umfangreich
der fünfzigste Jahrestag des antikommunistischen
Volksaufstandes in
der Deutschen Demokratischen Republik begangen.
Ein
russischer Journalist, noch dazu ein
Frontsoldat des Krieges gegen Hitlerdeutschland, denkt an die
Ereignisse vom Juni 1953 in der DDR mit Bitternis und Scham. Vor
allem auch deswegen, weil es die in der DDR stationierten
sowjetischen Truppen waren, die die Niederschlagung der Arbeiterrevolte maßgeblich
besorgten. Es waren die sowjetischen Panzer, die legendären
T-34,
sich in den Schlachten gegen die nationalsozialistischen
Invasoren in Russland bewährt, die aus den sowjetischen Kasernen
auf die Straßen und Plätze Ostberlins und anderer DDR- Städte
rollten, um die den sowjetischen Statthaltern in Ostdeutschland
genehme Ordnung
wiederherzustellen. Es waren Söhne und jüngere Brüder jener
sowjetischen Soldaten, die millionenfach ihr Leben für die
Beseitigung der Hitlerdiktatur gegeben hatten,
die diese Panzer steuerten, dem Befehl gehorchend,
dessen verbrecherischen Sinn sie auch annähernd nicht erkennen
konnten. Eine größere
Besudelung der
Befreiungstat des sowjetischen Volkes im Kampf
gegen Hitler und sein Regime ist kaum vorstellbar. Eine
Besudelung, die
durch die Lüge gerechtfertigt werden sollte, es hätte
keine spontane Erhebung des Volkes
gegen die Unterdrückung, sondern nur eine faschistische
Provokation stattgefunden.
In
den zahllosen deutschen Presseberichten und Fernsehsendungen zum
denkwürdigen Datum
wird jetzt viel über die politischen Hintergründe gerätselt.
Darüber, ob und inwiefern sich westliche Geheimdienste an der
Anheizung der Stimmung der ostdeutschen Arbeiter beteiligten. Darüber,
ob die von der begonnenen Entstalinisierung in der Sowjetunion
aufgeschreckte ulbrichtsche
DDR- Führung, bewusst die Zuspitzung der Lage ansteuerte, um den
Machthabern im Kreml die eigene Unersetzlichkeit vor Augen zu führen.
Auch darüber, welche Rolle an der Rücksichtslosigkeit der
sowjetischen Besatzungsmacht jene demonstrative Zurückhaltung
spielte, die die USA und ihre NATO- Verbündeten an den Tag
legten, um die nach Stalins Tod entstandenen neuen Aussichten auf Verständigung mit dem Kreml
nicht zu trüben.
Das
alles mögen interessante Fragen
sein, die nach der endgültigen
Öffnung der Archive in West und Ost beantwortet werden. Was aber
bereits jetzt unzweideutig festgehalten werden muss, bezieht sich
auf die uns viel näher
liegende Zeit. Es besteht nämlich kein Zweifel daran, dass der
17. Juni 1953 ein Markstein auf dem Wege der Sowjetunion zum
Zusammenbruch war. Denn dem Massaker in der DDR folgten
ähnliche sowjetische Gewalttaten in Ungarn, der
Tschechoslowakei, Polen. So wurden die den Russen nach den mit
riesigen Opfern errungenen Siegen
über den Nationalsozialismus
entgegengebrachten Sympathien in Europa peu a peu
verspielt.
Eine Folge war der Zerfall des viel gerühmten Lagers „des
Friedens und Sozialismus“ in
der zweiten Hälfte der neunziger Jahre.
Im
Herbst 1989 ermöglichte die Wende in der Sowjetunion
den ostdeutschen Arbeitern und ihren Sympathisanten aus
anderen Bevölkerungsschichten der DDR die 1953 unerreichbare
Demokratie und Wiedervereinigung Deutschlands doch durchzusetzen.
Der
sprichwörtliche Maulwurf der Geschichte gräbt langsam, aber
sicher. Letztendlich erweist er sich zäher
als brutale
Gewalt.
Eine
Lehre, die in unseren Tagen nicht
nur im Kreml beherzigt
werden sollte. Eine, wie die Ereignisse immer wieder
bestätigen, noch
sehr aktuelle Lehre.
15.6.03
WIEDER
TRAT GÜNTER GRASS INS
FETTNÄPFCHEN
Diesmal
leistete sich der von den meisten Holzpuppen bewunderte
Schnurrbartträger (außer dem
Schnurrbart „trägt“
er die Bürde eines Literaturnobelpreises,
die, wären die Juroren in Oslo nicht korrumpiert, schon längst
Iwan Matrjoschkin, Esq. auch tragen müsste) einen Streich
besonderer Art. Er trat in
ein Fettnäpfchen, das für die russischen Marineveteranen heilig
ist. Und wo? Ausgerechnet im Hauptstützpunkt der russischen
Ostseemarine. Im früheren Königsberg und jetzigen Kaliningrad,
also in einer Stadt, die zwischen Himmel
und Erde schwebt und,
nach Ansicht vieler seiner Einwohner, da die EU-Osterweiterung Kaliningrad
zu einer Insel im EU- Gebiet machen wird, früher oder später an
Deutschland zurückfällt. Was
wiederum von vielen Kaliningradern, obwohl
Russen, nicht gerade abgelehnt wird.
Von
den Kriegsveteranen aber nicht.
Günter
Grass kam nach Kaliningrad auf Einladung der dortigen Uni. Um die
Studenten mit seinem neuen Werk vertraut zu machen, las er aus
seiner ausgezeichneten
Novelle „Im Krebsgang“. Und zwar
ausgerechnet die
Geschichte von der Versenkung des deutschen Transporters
„Wilhelm Gustloff“.
Am
Ende des Krieges wurde das Schiff von einem sowjetischen U-Boot
versenkt. Etliche deutsche Soldaten kamen dabei um, aber auch
viele Flüchtlinge, darunter viertausend Frauen und Kinder.
Der
U-Boot Kommandant Alexander
Marinesko wollte es nicht. Er wusste nicht, wen das deutsche
Schiff befördert, das nicht entsprechend
gekennzeichnet war. Obwohl, auch wenn er es gewusst hätte...
Er war ein verwegener Haudegen, der sich um nichts scherte. Auch
nicht um Befehle der Vorgesetzten, was ihn Jahre später für
einige Zeit hinter Gitter brachte.
Jetzt aber, posthum, gilt er als Held. Deshalb löste die
freizügige Schilderung seiner Person und der Tat unter
Kaliningrader Marineoffizieren einen Sturm im Wasserglas
aus. Auch sonst sehr unsicher und, insofern es Veteranen sind,
durch die kargen Lebensumstände erniedrigt, klammern sie sich an
das, was ihnen übrig blieb. An die Heldenmythen des Krieges.
Günter
Grass hat alles, was
ihnen zu sagen ist, gesagt. Aber sie sind weiterhin sauer.
Unser
Holzpuppenteam hält das Gedenken der gefallenen Sowjetsoldaten in
Ehren. Sie stritten für ihr arg bedrohtes Vaterland.
So wie auch ihre, Gott sei Dank, am Leben gebliebenen
Kameraden.
Aber
ein Heldenepos aus dem Krieg zu machen, das widerstrebt uns. Der
Krieg war ziemliche Sch... Auf beiden Seiten. Bloß die eine hat
den Krieg begonnen, der anderen war er aufgezwungen. Scheiße war
er trotzdem. Auch der U- Bootkrieg. Und auch auf beiden Seiten.
Trotz der Heldengeschichten, ob deutsch oder russisch. Und trotz
der Verwegenheit von U-Boot-Kommandanten
wie der Rebell Alexander Marinesko.
PS.
Iwan Matrjoschkin, Esq., schlägt vor, den Fettnäpfchentreter Günter
Grass zum Ehrenmitglied unseres Teams zu ernennen. Dem Vorschlag
wurde zugestimmt. Unter der Voraussetzung, Grass erklärt sich
einverstanden.
7.6.03
VON
DER SOWJETUNION LERNEN, HEIßT SIEGEN LERNEN. FÜNF TIPPS EINER
HOLZPUPPE .
AUS AKTUELLEM ANLASS.
1.
Liebe deutsche Politiker und Staatsmänner! Sie sollten
weniger diskutieren. Ich kann mich nicht entsinnen, dass das
sowjetische Parlament je eine Debatte über die sozialen
Versorgungssysteme geführt hätte. Trotzdem
funktionierten sie in der Sowjetunion blendend. Wer daran
zweifelte, galt als Schweinehund. Punkt. Basta. Ständig Ovations.
2.
Arbeitslosengeld? Arbeitslosenhilfe? Sozialhilfe? Wir haben
davon nichts gehört. Gab es nicht! Wozu? Alle hatten eine
Arbeitstelle. Das heißt, eine Stelle, wo sie manchmal auch
arbeiteten. Öfter aber haben sie so getan, als ob. Aber den Lohn
erhielten alle. Kein
üppiger Lohn. Aber fürs Brot (zehn Kopeken pro Kilo) reichte es.
Dicke. Für ein paar Unterhosen (sechs Rubel) auch. Was anderes
begehrten wir
nicht. Z.B. ein Auto.
Bei Wartefristen zwischen zwanzig Jahren und ewig? Und für den
Preis von fünfzig und hundert
Monatslöhnen? Da müsste man schon
vom Westen ganz korrumpiert sein, um ein Auto haben zu
wollen.
Aber
auch auf der
sowjetischen Sonne gab
es Flecken. Zum
Beispiel der Wodkapreis. Das, was man für eine Flasche blechen
musste, war ungefähr so viel wie eine Monatsmiete für dein
Refugium (ein Zimmer in einer
Wohngemeinschaft).
Ja,
der Wodkapreis war entschieden zu hoch. Zugegeben.
Dennoch bezahlten wir ihn, ohne aufzumucken. Was sollten
wir mit dem Geld sonst tun, das uns frei blieb?
Wie viel Brot kann einer essen?
Ein Kilo auf einmal höchstens.
3.
Kündigungsschutz. Gab es den? Ja! In jedem Betrieb, auch
im kleinsten. Jede Kündigung musste von der Gewerkschaft, der
automatisch alle Beschäftigten angehörten, genehmigt werden. Wenn dein
Gewerkschaftsvorsitzender gegenüber dem Betriebsdirektor Liebkind
spielte, erteilte er die Genehmigung auf den ersten Wink. Wenn
nicht , flog er selbst in hohem Bogen raus. Aber auch das war
nicht schlimm. Du
brauchtest nur über die Strasse zu gehen, zu einem anderen
Betrieb. Jeder hatte freie Stellen. Bei der Arbeitsproduktivität
kein Wunder.
4.
Renten. Sie waren hoch. Die höchsten erreichten sogar die
Hälfte des Durchschnittslohns. Manche Rentner erhielten noch ein
bisschen mehr. Ehemalige Minister und so.
Beiträge
zur Rentenversicherung gab
es nicht. Das Geld, das der spendable Staat für die Renten
ausgab, holte er also nicht aus deiner Tasche. Woher, wussten wir
nicht. Vielleicht aus der Luft. Jedenfalls
hattest du am Lebensabend fast den Standard wie im
Arbeitsleben. Siehe oben.
5.
Das Gesundheitswesen funktionierte auch prima! Ohne
Krankenkassen. Ohne Beiträge.
Die
Medikamente kosteten Kopeken. Aspirin war immer da. Abführmittel
auch.
Es
gab allerdings Selbstleistungen.
Wenn man zum Arzt
ging. Ein Äskulap verdiente
nämlich etwa 90
Rubel im Monat. Wie jeder normale Werktätige konnte er damit gut
leben. Eben wie jeder normale Werktätige (siehe oben). Aber
manche Kurpfuscher wollten etwas mehr vom Leben. So hob einer,
wenn Du zu ihm kamst, nicht den
Blick von seinen Formularen, solange Du ihm deinen Obolus nicht
zugeschoben hast. Schwarz. Erst dann erinnerte er sich an den Eid
des Hippokrates. Oder daran, dass die sowjetische Gesundheitsfürsorge
die beste in der Welt ist. Und ganz unentgeltlich. Wie die anderen
sozialen Leistungen der Sowjetmacht.
Denn
wer stand im Mittelpunkt der Sowjetgesellschaft? Richtig: der
einfache Mensch. «Всё
для человeка!».
„Alles für den Menschen“ - hieß es. Zwar spotteten
manche, für den Menschen- ja, aber nur für den, der im Präsidium
sitzt. Aber das waren Lästermäuler. Und mit denen wurde kurzer
Prozess gemacht.
Das
Fazit:
Es
wäre schön, würde
die gegenwärtige deutsche Führung die hier dargelegten
sowjetischen Erfahrungen übernehmen. Aber darauf habe ich, Ihre
ergebene Holzpuppe, wenig Hoffnung. Es fehlt unserem Bundeskanzler der nötige
Mumm. In dieser Hinsicht hat Frau Merkel schon recht.
Sie würde da bestimmt mehr leisten können.
15.3.03
Das sowjetische und
russische Deutschlandbild im Wandel der Zeit
1.
Als der
deutschlandfreundlichste Russe gilt wohl in Deutschland Michail
Gorbatschow, dem der ehrenvolle Titel des besten Deutschen 1990 verliehen
wurde. Aber auch in der Zeit, als Gorbatschow noch nicht geboren war, gab
es im Kreml schon einen sehr deutschlandfreundlichen Russen, allerdings
ein wenig anders als Gorbatschow. Der Gründer des Sowjetstaates und der
Kommunistischen Partei in Russland, Wladimir Lenin, hat bekanntlich noch
lange vor seinem Machtantritt in Deutschland gelebt und war von
Deutschland, genauer gesagt, von Reich der Hohenzollern,
beeindruckt. Er sah in Deutschland das Musterbeispiel eines Staates,
der Ordnung und eine hohe Effizienz der Verwaltung sichert. Zwar war er
darauf aus, im zaristischen Russland eine Volksrevolution auszulösen, um
den Zarenstaat zu zerstören, aber er hatte große Angst vor den Geistern,
die er rief. Noch vor der Revolution dachte er darüber nach, wie er später
die Geister loswerden könne.
Und da dachte er immer wieder an die deutsche Ordnung, an die Erfahrungen
der Herrschenden im wilhelminischen Deutschland.
Nach der
bolschewistischen Machtergreifung in Russland 1917 wurde die Verhinderung
der Anarchie in Russland - oder, es ist Ansichtssache, wie man es nennt -
der Demokratie von unten zunehmend zu seiner größten Sorge. Und da
schrieb er und sprach immer öfter darüber, dass das revolutionäre
Russland die deutsche Organisation und die deutsche Ordnung brauche. Wie
diese in der deutschen Post- und den
Eisenbahnen verkörpert sind. Einmal sagte er, Russland und
Deutschland ergänzen sich bestens. Russland hätte viel vom schöpferischen
Elan der Veränderung, Deutschland - die Disziplin, die die Veränderungen
nicht ausufern lässt. Wenn das eine und das andere zusammenschmelzen,
entstünde ein Wesen, an dem die ganze Welt genesen könnte.
Die
Deutschfreundlichkeit Lenins und seiner Gesinnungsgenossen war nicht
unbedingt mit Sympathie für die deutsche Linke verbunden. Für die
Führer der deutschen Sozialdemokratie hatte er eher Verachtung.
Sie eigneten sich mehr für Schrebergärten als für den richtigen
Sozialismus. Sogar der radikalen Linken in Deutschland trat er mit Zurückhaltung
entgegen. Auch der Kultfigur der KPD, Rosa Luxemburg, mit ihrer Forderung
nach Freiheit für Andersdenkende. Vermutlich war ihm ein pünktlicher,
disziplinierter Beamter lieber als eine Frau mit Hang zur Zügellosigkeit.
1922 schrieb er an einen seiner treusten Gefolgsmänner, Lew Kamenew, später
von Stalin der Spionage für Hitlerdeutschland bezichtigt und
erschossen:" Genosse Kamenew! Meiner Meinung nach sollte man nicht
nur predigen: "Lerne von den Deutschen, du, die aussätzige russische
kommunistische Faulheit“, sondern die Deutschen tatsächlich als Lehrer
nehmen".
Lenin tat alles,
damit Russland im Ersten
Weltkrieg vom Kaiserreich besiegt wurde. Als er an die Macht kam, schloss
er mit dem Kaiserreich einen Frieden, der für Russland noch härter war
als der Versailler Frieden für Deutschland. Als die Monarchie in
Deutschland in sich zusammenfiel, handelte
er mit der Regierung der Weimarer Republik den Rapallovertrag aus, der die
Realisierung seines Traums von einem Bündnis Deutschlands und Russlands
gegen den Rest der Welt einleiten sollte.
2.
Unter Lenins
Nachfolger Stalin kam es tatsächlich zu einer vielfältigen
Zusammenarbeit, auch im militärischen Bereich. Die Reichswehr durfte an
der Wolga ihre Luft -und Panzerwaffe schärfen, die nach dem Versailler
Vertrag Deutschland verboten war. In diesen Jahren schnitt Deutschland in
der Sowjetpresse viel besser ab als die Westmächte.
Erst nach
Hitlers Machtantritt, der eine antisowjetische und antikommunistische
Hetze in Deutschland auslöste (vermutlich um seinen Hauptrivalen, die
Kommunistische Partei Deutschlands, ins Abseits abzudrängen) verdüsterte
sich das Deutschlandbild in der Sowjetpresse, besonders, als die
Sowjetunion daran ging, eine gegen Hitlerdeutschland gerichtete Koalition
in Europa zu schmieden. Hinter den Kulissen aber liefen die Bemühungen um
ein neues Bündnis mit
Deutschland. 1939 fanden beide Diktatoren, Stalin und Hitler, zueinander.
Und da hörte die sowjetische Presse sofort auf, Deutschland als den Hort
der Aggression darzustellen. Ganz im Gegenteil. Zu den Kriegstreibern
avancierten die Westmächte und Polen, Deutschland aber wurde
Friedfertigkeit bescheinigt. .
Dann kam der
deutsche Angriff auf die Sowjetunion (am 22.06.1941). Es ist ja klar, wie
der Gegner in einem kriegführenden Land dargestellt wird. Aber auch im
Krieg gingen die Westmächte in ihrer Hasspropaganda gegen Deutschland viel weiter als die Sowjetunion. Mitten
im Krieg sprach Stalin davon, dass die Hitler kommen und gehen, der
deutsche Staat aber bleibt bestehen. Kaum denkbar, dass Churchill oder
Roosevelt um die Zeit einen solchen Satz in den Mund genommen hätten.
Im übrigen
lebte Lenins alter Traum, Deutschland für ein Bündnis mit Russland zu
gewinnen, weiter. 1943 ordnete Stalin an, die Bewegung "Freies
Deutschland" und den "Bund deutscher Offiziere" aus
Kriegsgefangenen zu gründen. Beide Vereinigungen, die unter Umständen
die Führung im besiegten Deutschland übernehmen sollten, segelten unter
einer nationalistischen, nicht etwa unter einer kommunistischen Flagge.
Sie wurden erst gegen Ende des Krieges aufgelöst. Nicht ohne Drängen von
den Westmächten, aber auch von Ulbricht, Pieck und anderen wenigen, von Stalin nicht
massakrierten deutschen kommunistischen Emigranten. So kam es
schließlich zur Spaltung Deutschlands und Etablierung einer
kommunistischen Regierung in Ostdeutschland. Mit der letzteren wurde tatsächlich
ein Bündnis geschlossen, das aber weit hinter dem erhabenen Traum vom
Zusammengehen Russlands und Deutschlands blieb.
3.
In der
Nachkriegszeit war das Deutschlandbild der sowjetischen Medien genauso gründlich
gespalten wie Deutschland selbst. Das Abbild der DDR in der sowjetischen
Presse sollte das sowjetische Publikum vergessen lassen, dass dieser Staat
ein deutscher Staat war und dass seine Bevölkerung genauso am Krieg
teilgenommen hatte wie die des anderen deutschen Staates. Das änderte
aber wenig daran, dass die
Bundesrepublik, obwohl in der Sowjetpresse zur Inkarnation des Bösen
stilisiert, den meisten Russen viel attraktiver erschien als die DDR. Von
den DDR- Bürgern sprach man als von „unseren Deutschen“, was nicht
unbedingt als ein Kompliment
zu verstehen war. Eher schon als eine Verächtlichmache.
Als Ende der
sechziger Jahre in Bonn die neue Ostpolitik ausgerufen wurde, erwachten im
Kreml die alten Träume
von einem deutsch-russischen Bündnis gegen den Rest der westlichen Welt.
An die Medien, darunter selbstverständlich auch an den Moskauer
Rundfunk erging die strenge Anweisung, nicht nur über die deutsche
Gegenwart, sondern auch über die deutsche Vergangenheit kein schlechtes
Wort zu verlieren. Nicht einmal über die Kriegsverbrechen. Eine Sendung
über den Auschwitzprozess in Frankfurt wurde abgesetzt. Sie durfte erst laufen, als der Zensur klargemacht
werden konnte, sie wäre keine Diffamierung der Bundesrepublik, sondern im
Gegenteil, ihre Aufwertung, weil sie zeigte, dass Westdeutschland seine
Kriegsverbrecher zur Verantwortung zog.
Als die
Entspannung dem neuaufgeflammten kalten Krieg wich, ging es wieder los.
Zum Haupttenor wurde, in Bonn säßen Politiker, die Deutschlands
Interessen verraten, weil diese, richtig verstanden, ein Zusammengehen mit
Russland erforderten. Und wieder kam es zu einem Krach um eine Sendung, die vom
Moskauer Rundfunk in deutscher Sprache gebracht werden sollte. In dieser
Sendung wurde nämlich das tiefe Bedauern darüber zur Sprache gebracht,
dass in Russland so viele deutsche Landser dem von Hitler
entfesselten, unsinnigen Krieg
geopfert worden sind. Die Zensoren erblicken darin die Verunglimpfung der
russischen Soldaten, aber der oberste Chef des sowjetischen Rundfunks, dem
gerade aufgetragen wurde, an der Verfassung einer Regierungserklärung zum
dreißigsten Jahrestag des Sieges über Hitlerdeutschland mitzuarbeiten,
sah es mit anderen Augen. Er, der mit dem damaligen Staats -und Parteichef
Breshnew Wodka trank, wusste besser als seine Untergebenen, was die Herren
im Kreml anstrebten. So fand er nichts Schlimmes an dem Vergleich zwischen
den sowjetischen und deutschen Soldatenopfern, übernahm weite Teile der
kriminalisierten Sendung in die Regierungserklärung, die eine versteckte
Einladung an die Bundesrepublik enthielt, mit der Fehde Schluss zu machen.
Stabiler als das
Deutschlandbild in den sowjetischen Medien war es allerdings in der
Vorstellungswelt der Russen. Auch wenn viele bei dem Gedanken an das im
Krieg erlittene Leid Bitterkeit empfanden, blieb für sie das noch aus der
Zarenzeit überlieferte Bild von den Deutschen als ein ehrliches und tüchtiges
Volk lebendig.
4.
Die große Wende
in der Sowjetunion der späten achtziger und Anfang der neunziger Jahre,
die mit dem Plazet Gorbatschows für die deutsche Wiedervereinigung unter
den Bedingungen der Westmächte einherging, hat nicht unbedingt die
russische Sympathie für Deutschland gestärkt. Viele Russen hätten es
als gerecht empfunden, wäre für Russland dabei mehr herausgesprungen. So
aber wurde Gorbatschow als Schwächling und sogar als ein Verräter
angesehen und seine deutschen
Verhandlungspartner als etwas zu schlau und skrupellos.
Auch die später erfolgten Freundlichkeiten
für Gorbatschows Nachfolger Boris Jelzin, der sich gerade in
Deutschland, so beim Abzug der sowjetischen Besatzungstruppen, nicht
gerade sehr würdig benahm, wurden keineswegs nur mit Bewunderung für die
Deutschen honoriert. Das hätte Zar Boris eigentlich wissen und sich in
Deutschland nicht voll laufen lassen, auch wenn ihm der Saumagen aus der Küche
des Ehepaars Kohl so gut schmeckte. Aber wie die anderen aus dem
sowjetischen Apparat hervorgegangenen Staatsmänner hielt er seine
Landsleute für unmündig.
Auch in Bezug
auf die jüngste Zeit wäre es blauäugig, zu behaupten, dass das
Deutschlandbild in Russland so unbefleckt sei wie es die russischen
Freunde Deutschlands gern hätten. Was wird denn Deutschland zur Zeit ab
und zu vorgeworfen, besonders im Runet? Z.B., das Doppelspiel um Königsberg
(Kaliningrad). Einerseits versprach der Bundeskanzler, sich als Anwalt
Russlands stark zu machen, damit die ostpreußische Enklave auch nach der
EU-Osterweiterung mit ihrem russischen Mutterland verbunden bleibt.
Andererseits hat sich der französische Präsident Chirac in dieser Frage
viel deutlicher positioniert. Das provozierte in einem Teil der
russischen Medien die Frage, ob Deutschland doch nicht Kaliningrad abschnüren
will, um es einmal heim ins Reich zu holen.
Dem Westen
insgesamt, auch Deutschland, wird außerdem vorgehalten, Russlands
Industrieexporte vom Weltmarkt fernhalten zu wollen und auch mit
Investitionen zu knausern. Ist es die russische Undankbarkeit angesichts
der finanziellen Hilfe, die Deutschland in an Russland leistete? Wohl
nicht, da die großzügige Hilfe in all den Jahren viel weniger als die Hälfte
der Leistungen ausmachte, die ein zehnmal kleineres Ostdeutschland in
einem Jahr erhält.
Trotz allem
schneidet Deutschland in den russischen Medien viel besser ab als in denen
der USA, Englands, vielleicht sogar Frankreichs ab. Die Anspielungen an
die unselige nationalsozialistische Vergangenheit oder an die Machtgelüste
in der Gegenwart sind hier viel seltener. Es wird auch kaum bezweifelt,
dass Deutschland seine gegenwärtigen Probleme packt. Die bedauernswerten
Aktivitäten der rechtsextremen Szene
provozieren in den
russischen Medien kein Zeter- und Mordio Geschrei. Unter dem Strich darf
man wohl sagen, dass sich die Russen wie eh und je eine enge Partnerschaft
zwischen Russland und Deutschland wünschen. Ein tief sitzender Wunsch,
den auch das Team von matrjoschka-online.de
hegt.
28.7.02
Unter Teilnahme prominenter Politiker und Diplomaten
aus Russland und Deutschland fand im Russischen Haus, Berlin, Friedrichstrasse, eine zweitägige Konferenz über die eventuelle Rolle
Russlands innerhalb einer europäischen Sicherheitsgemeinschaft statt.
Matrjoschka berichtet darüber.
1.
Am Vortage der Veranstaltung im Russischen Haus kam
es in Berlin zu einer anderen außenpolitischen Debatte, die
verständlicherweise unvergleichlich mehr Publizität genoss. Gemeint
ist die Debatte im Deutschen Bundestag, die dem Besuch von Bundeskanzler
Gerhard Schröder in den Vereinigten Staaten von Amerika galt. Russland
wurde in der Debatte nur am Rande erwähnt. Als läge es auf einem
anderen Stern als Deutschland, als hätte die lange Geschichte der
wechselreichen, mitunter dramatischen, aber immer intensiven deutsch-
russischen Beziehungen nicht gegeben.
In der Bundestagsdebatte wurde immer
wieder hervorgehoben,
wie viel die USA zum Wiederaufbau Deutschlands nach der Katastrophe im
Zweiten Weltkrieg und zur deutschen Wiedervereinigung vor zehn Jahren
beigetragen hätten. Auch wenn die USA wohl nicht aus selbstloser Liebe
zu den Deutschen gehandelt haben, wäre es töricht, ihren großen
Beitrag zum Wiedererstehen eines mächtigen Deutschlands bestreiten zu
wollen. Aber eine Bundestagsdebatte ist nun mal keine Historikertagung.
Deshalb wäre zu erwarten gewesen, dass sich die deutschen
Parlamentarier weniger mit der Vergangenheit und viel mehr mit der
Gegenwart beschäftigen. Zumal sich in den letzten Jahren in Europa und
auf der weltpolitischen Bühne viel geändert hat. Die
Ost-West-Konfrontation in Europa, die das Tun und Handeln der USA
prägte, ist vorbei. Nicht ausgeschlossen also, dass der frühere
Beschützer und Wohltäter zu einem Sicherheitsrisiko für Deutschland
und zu seinem harten Rivalen werden kann. Vieles deutet darauf,
angefangen bei dem von den USA verschuldeten Nato-Einsatz gegen Serbien
bis zu den jüngsten USA-Luftschlägen gegen den Irak, aber auch die
Turbulenzen auf den Finanzmärkten und die Kellerwanderung des Euro.
Doch darüber verloren manche Redner im Bundestag, vor allem aus der
Opposition, kein Wort.
Die weitgehende Ausklammerung Russlands aus den
Debatten und die Lobgesänge auf die USA seitens einiger
Bundestagsmitglieder könnten den Eindruck entstehen lassen, als sollten
die Beziehungen zum östlichen Nachbarn der transatlantischen
Solidarität zum Opfer fallen. Neben einigen anderen wirkte aber ein
Teilnehmer der Debatte im Bundestag, der auch auf der Konferenz im
Russischen Haus teilnahm, dieser Annahme stark entgegen. Fritz Erler,
stellvertretender SPD- Vorsitzender, in russischen politischen Kreisen ein
guter (auch im herkömmlichen Sinne des Wortes) Begriff, hob in seinen
Ausführungen- vor allem im Russischen Haus- hervor, dass Russland für
Deutschland kein Land ist, das sich unter "ferner liefen"
befindet. Im Gegenteil liegt es im vitalen politischen Interesse
Deutschlands, Russland als aktiven politischen Partner zu gewinnen, wie
auch Russland an der Partnerschaft viel liegen muss. Auch weil dies die
Gefahr reduzieren würde, die Fritz Erler als "Unilateralismus"
bezeichnete und deren Wesen im Streben der USA bestehe, die wichtigsten
Fragen der Weltpolitik in Alleingang zu regeln. Fritz Erler, der den von
Washington in Angriff genommenen Aufbau der separaten Raketenabwehr als
einen "großen Quatsch" bezeichnete, plädierte sehr
überzeugend dafür, dass Deutschland und Russland aus den Ereignissen
der letzten Jahre auf dem Balkan und im Nahen Osten lernen und sich den
Veränderungen auf dem Globus anpassen.
Nicht zum ersten Mal in der Geschichte werden derartige Störversuche unternommen. Mit ihnen musste
sich schon der "eiserne Kanzler", Fürst Otto von Bismarck,
auseinandersetzen. Er, der großes Verständnis für die Bedeutung der
guten deutschen Beziehungen zu Russland zeigte, prägte eine
bemerkenswerte Maxime der deutschen Außenpolitik. Sie lautet:
"Wenn ein bevorzugter Freund Deutschlands verlangt, die stärkere
Freundschaft zu ihm dadurch zu bestätigen, dass Deutschland Russland
feindlich behandelt, soll Deutschland ihm eine Abfuhr erteilen".
Mitunter entsteht jedoch der Eindruck, dass das Vermächtnis des Reichsgründers in Vergessenheit geraten ist.
Obwohl eine Politologentagung einer Bundestagsdebatte
nicht gleichgestellt werden kann, ist man trotzdem versucht, beide zu
vergleichen. Auf der eingangs
erwähnten Konferenz im Russischen Haus zu Berlin wurde das getan, was
nicht nur im Bundestag, sondern bei vielen anderen Anlässen in
Deutschland versäumt wird. Es wurde umfassend darüber nachgedacht und
gesprochen, welchen Platz Russland in Europa einnehmen soll und wie sich
aus diesem Blickwinkel heraus die deutsch- russischen Beziehungen
entwickeln müssen, um den russischen Beitrag zu Europa zu sichern und
zu erweitern.
Darin besteht die Bedeutung der Konferenz, die dank
dem Bundesverband Deutscher West-Ost-Gesellschaften und insbesondere
seinem rührigen Vorstandsvorsitzenden, Dr. Jörg Bohse, zustande kam.
2.
Es wurde bereits erwähnt, dass auf der
Konferenz das getan wurde, was bei vielen Anlässen in Deutschland
versäumt wird. Es wurde umfassend darüber nachgedacht und gesprochen,
welchen Platz Russland in Europa einnehmen soll und wie sich aus diesem
Blickwinkel heraus die deutsch- russischen Beziehungen entwickeln
müssen, um den russischen Beitrag zu Europa zu sichern und zu
erweitern.
Bevor sie auf das Thema eingingen, stellten die
Konferenzteilnehmer auch die Frage, ob denn Russland überhaupt zu
Europa gehört. Geopolitisch, kulturell und nach seiner gegenwärtigen
Orientierung? Ob es sozusagen europafähig ist.
Diese Frage wird in Deutschland sehr kontrovers
behandelt. Bekanntlich hängen hier leider noch viele mehr oder weniger
einem überlieferten Feindbild von Russland nach. Einem Feindbild von
Russland, das an seiner Zugehörigkeit zu Europa zweifeln lässt.
Auf der Konferenz – das sei hervorgehoben- fiel
keine einzige derartige
Äußerung. Dennoch taten sich manche Teilnehmer
schwer mit der Europatauglichkeit Russlands. Das zeigte sich mitunter
darin, dass sie nach skurrilen Argumenten suchten, um Russlands Status
in Europa zu relativieren. So brachte ein führender Russlandexperte
des deutschen Auswärtigen Amtes die Verwurzelung Russlands in Europa
mit der Wikingerhypothese in Verbindung. Allen Ernstes sprach er davon,
dass die europäischen Staaten, aber auch Russland, von den Wikingern
und ihren Nachfahren gegründet wurden, weshalb sie als
zusammengehörend betrachtet werden können.
Wikinger hin,
Wikinger her, um die Familie der
europäischen Völker wäre es aber schlecht bestellt, wurzelte ihre
Zusammengehörigkeit nur in dem nicht eindeutig bewiesenen gemeinsamen Wikinger-Ursprung. Viel mehr Bedeutung besitzt die tausendjährige
Geschichte Russlands. Sie schließt nämlich solche Episoden ein, wie
die opferreiche Verhinderung einer mongolisch-tatarischen Eroberung
Europas im Mittelalter und die Rettung der europäischen Freiheit durch
die Abwehr der napoleonischen und hitlerschen Herrschaftsansprüche auf
dem Kontinent. Ganz zu schweigen von dem gewaltigen kulturellen Beitrag
der Russen zum europäischen Kulturerbe.
Abgesehen von der Geschichte wurden auf der
Konferenz, wenn auch nur einzeln, Vorbehalte bezüglich der
Europatauglichkeit Russlands laut. Sie hingen mit dem schleppenden Gang
der Reformen in Russland zusammen. Wobei als Ziel der Reformen mitunter
die totale Übernahme westlicher Standards in allen Lebensbereichen
verstanden wurde.
Diese vereinfachte und sogar realitätsfremde Sicht
ist in Deutschland leider sehr verbreitet. Sie verführt dazu, einen
langen Katalog von Forderungen an Russland zu stellen. Erst nach der
restlosen Erfüllung dieser Forderungen dürfe Russland darauf hoffen,
in die europäische Wertegemeinschaft aufgenommen zu werden. So wird das
größte europäische Land mit einer langen zivilisatorischen Tradition
wie ein fauler Schüler behandelt, der seine Hausaufgaben nicht gemacht
hat.
Verständlicherweise war dieser Standpunkt auf der
Konferenz umstritten. Der bekannte Russlandexperte Alexander Rahr
schlug vor, dass sich die EU von dem Anspruch verabschiedet, Russland
"zu erziehen". Stattdessen wäre es angebracht, sich als der
Modernisierungspartner Russlands zu sehen. Eine wichtige und sinnvolle
Korrektur. Sie müsste aber damit ergänzt werden, dass auch in der EU
manches einer Modernisierung harrt. Tatsächlich würden Portugal oder
Griechenland einen Modernisierungsschub gut gebrauchen können.
Der Blick auf Russland von oben herab ist jedenfalls
falsch am Platze. Es stellte unter anderem ein Fragesteller aus dem
Publikum fest. Er äußerte sein Befremden darüber. dass Russland dazu
gedrängt werden soll, seine Identität preiszugeben. Auch wenn diese
nicht ganz mit der westeuropäischen konform geht oder- wie er sagte-
gerade deswegen, stelle Russland fürs übrige Europa eine enorme
Bereicherung dar. Denn europäische Zukunft liege nicht in einer Gleichschaltung, sondern in Formenreichtum in Europa. Nur dieses entspreche
dem Ideal der pluralistischen und demokratischen Zivilgesellschaft wie
sie als Grundsatz der europäischen Wertegemeinschaft mit recht
hervorgehoben wird.
Hier sei vermerkt, dass die russischen Teilnehmer der
Konferenz, darunter führende Mitglieder der Staatsduma wie der
Vorsitzende der russisch-deutschen Parlamentariergruppe Oleg Morosow,
die Debatte darüber, inwieweit Russland zu Europa gehöre, mit einem
gewissen Staunen verfolgten. Morosow sagte, ein Russe habe keinerlei
Zweifel daran. Die russische Zugehörigkeit zu Europa, und zwar sowohl
die geopolitische, als auch kulturelle stünde für
ihn fest wie das Amen in der Kirche.
Was aber die Reformen in Russland angeht, müssen die
EU- Europäer verstehen, dass nur ein starker Staat in Russland
gegenwärtig diese vorantreiben kann. Wenn aber von Russland zur Zeit
gefordert wird, den starken Staat gar nicht entstehen zu lassen, ist es
der Königsweg nicht zu einem reformierten, sondern zu einem chaotischen
Russland. Und die Leitragenden wären zuerst
mal die EU-Europäer, die
mit einem unlenkbaren, hungrigen Land konfrontiert würden, wo in
verschiedenen Regionen seines riesigen Territoriums Atomwaffe vorhanden
ist.
Die eigentliche Frage sollte deswegen nicht heißen, ob Russland zu Europa gehöre. Sie soll
heißen, wie das
Zusammenleben Russlands mit dem übrigen Europa gestaltet werden muss,
damit die Russen und die anderen Europäer, vor allem die Deutschen, am
meisten davon profitieren.
3.
In dem Zusammenhang wies der exzellente Kenner
Russlands, Prof. Dr. Heinz Timmermann darauf hin, dass die EU für
Russland eigentlich wichtiger sein müsste als die NATO. Die NATO sei
eindimensional auf die militärische Verteidigung ausgerichtet. Die EU
dagegen sei, obwohl sie von der früheren Abstinenz in Sachen Militär
abgehe, multidimensional. Sie kümmere sich um Wirtschaft, Kultur und
alle anderen Lebensbereiche. Das sollte für Russland eigentlich
attraktiv sein.
Gegen diese Überlegung ist natürlich nichts
einzuwenden. Die eventuelle Rolle Russlands in der europäischen
Sicherheitsgemeinschaft darf nicht zu eng gesehen werden. Die Sicherheit
reduziert sich nicht auf die militärische Sicherheit. Dies umso
weniger, da Europa von keinem Staat auf der Erde ernsthaft bedroht wird.
Wenn aber der militärische Aspekt der Sicherheit trotzdem überbewertet
wird, dann geschieht es mitunter nicht aus der Sorge um die Sicherheit,
sondern weil die Rüstung angekurbelt werden soll. So ist es mit dem
viel erörterten Plan der Amerikaner eine nationale Raketenabwehr
aufzubauen. Obwohl
sie
nach Verlautbarungen Washingtons auch den
Europäern zugute kommen soll, ist sie eher geeignet, in
der
Gemeinschaft Zwietracht zu säen. Jedenfalls die EU-Europäer und die
Russen noch weiter von einander zu bringen. Denn die EU-Europäer, auch
wenn sie die NMD nicht gutheißen, fühlen sich davon weniger als die
Russen betroffen. Die letzteren haben nämlich gute Gründe anzunehmen,
die von den Amerikanern hervorgehobene Bedrohung durch die sogenannten
"Schurkenstaaten" ist nichts anderes als eine Tarnung der
wirklichen, antirussischen Funktion des NMD.
Es ist
natürlich nicht abzustreiten, dass die
Bedrohungen zunehmen. Die wirtschaftlichen und
finanziellen Turbulenzen, die durch die fehlgeleitete Globalisierung
verstärkt werden. Die Zerstörung der natürlichen Umwelt. Die
Bedrohung durch die internationale Kriminalität, den Separatismus und
den Terrorismus. Der Verfall der ethischen und kulturellen Traditionen
Europas.
Verständlicherweise wird in der EU, besonders in
Deutschland, erwogen, welchen Einfluss auf die Zustände in Europa die
eventuelle Einbindung Russlands haben kann. In diesem Zusammenhang wird
auf Russlands Defizite hingewiesen und ins Feld geführt, sie stehen
einer engeren Bindung Russlands an die EU entgegen. Kein Zweifel, die
Defizite sind groß. Angefangen bei der zerrütteten Wirtschaft über
die ausufernde Kriminalität bis zur Verseuchung der Umwelt.
Dennoch lehnten die überaus meisten
Konferenzteilnehmer die in Deutschland geisternde Idee, um Russland eine
Art cordon sanitair anzulegen, als wahnwitzig ab. Und zwar aus zwei
Gründen. Zum ersten, weil die Isolierung Russlands auf seine
Entwicklung einen sehr negativen Einfluss ausüben und es tatsächlich
für die Nachbarn gefährlich machen kann. Zum zweiten, weil die cordons
sanitair überhaupt der Vergangenheit angehören. Das moderne Transport
und Kommunikationswesen wirken ihrer Effizienz entgegen. Besonders auf
dem dichtbesiedelten europäischen Kontinent.
Die zivilisatorischen Bedrohungen der europäischen
Sicherheit können mit dem Aufbau neuer Zäune auf dem Kontinent nicht
abgewehrt, sondern allenfalls verstärkt werden. Denn sie können nur
europaweit bekämpft werden. Das heißt, im engen Zusammenwirken aller
europäischer Länder, ob in West oder Ost und unabhängig davon, welche
Wege sie in der Vergangenheit einschlugen. Darüber herrschte am Ende
der Veranstaltung unter allen Teilnehmern ein Konsens.
4.
Es war die Rede davon, dass die Konferenzteilnehmer
die Sicherheit Europas nicht allein unter dem Gesichtspunkt seiner
Fähigkeit sahen, eine militärische Bedrohung abzuwehren. Vielmehr
wurde auch über andersgeartete Bedrohungen gesprochen. Über Gefahren
für die wirtschaftliche und finanzielle Stabilität Europas, seine
Rechtsordnung, seine natürliche Umwelt und andere, die mit keinen
Kanonen oder Raketen abgewehrt werden können. Viel eher mit den
gemeinsamen zivilen Anstrengungen aller europäischen Staaten.
Deswegen wurde der Aufbau einer europäischen
Sicherheitsgemeinschaft mit Einbindung Russlands auf der Konferenz als
eine Aufgabe gesehen, zu der es keine Alternative gibt. Wird diese
Aufgabe nicht gelöst, ist es möglicherweise mit der Insel der
Glückseligen, wie Europa mitunter genannt wird, vorbei. Denn die
Bedrohungen sind groß und werden immer akuter. Die Europäer nehmen es
jeden Tag wahr. In Deutschland, in Russland, überall auf dem Kontinent.
Da die einzig erfolgversprechende, und zwar
europaweite Abwehr der Bedrohungen ein hohes Maß an Solidarität der
europäischen Länder erfordert, wurde auf der Konferenz auch darüber
gesprochen, wie weit es in Europa mit der Solidarität her ist. Vor
allem eben darüber, wie die europäische Solidarität in Bezug auf das
größte und zur Zeit besonders zerrüttete europäische Land
praktiziert wird. Also, in Bezug auf Russland.
Es wurden kritische Stimmen laut. Zumeist aus dem
Kreis der deutschen, aber auch aus dem der russischen Teilnehmer. Sie
machten mehrere Defizite der EU-europäischen Russlandpolitik aus.
Die deutschen Teilnehmer brachten dabei die
Eintreibung der russischen Schulden zur Sprache. Sie äußerten sich
anerkennend über die Entscheidung des Kreml, die russischen Schulden an
die Gläubiger aus der EU, vor allem aus Deutschland, zu begleichen,
stellten aber die Frage, wie sich die harte Position der EU-Länder in
der Schuldenfrage mit den Beteuerungen vereinbaren lässt, Russland in
der Stabilisierung seiner Wirtschaft beizustehen. Es wurde erwähnt,
dass Russland für die Schuldenbedienung in den nächsten zwei Jahren
etwa 17 Milliarden USD aufbringen muss. Mehr als die Hälfte seines
Jahresetats. Wie groß die Belastung ist, liegt somit auf der Hand.
Deswegen ist auch die Frage zu stellen, ob die EU-
Regierungen den eventuellen Zusammenbruch der russischen Finanzen
einkalkuliert haben? Oder beugen sie sich , wie ein prominenter
deutscher Konferenzteilnehmer andeutete, dem Druck Washingtons, das die
wirtschaftliche Erholung Russlands möglicherweise erschweren will.
Möchten denn die EU-Europäer, dass Russland in Europa noch viel ärmer
ankommt, als es ohnehin ist? Lassen sie sich durch kurzfristige
Vorteile blenden und übersehen deswegen die langfristige Perspektive?
Darüber wurde in der Konferenz nachgedacht, ohne selbstverständlich
definitive Antworten auf die Fragen geben zu können.
Andere Akzente setzten die russischen Referenten. Der
russische Parlamentarier Sergei Sagidullin, ein international
anerkannter Experte für die Bekämpfung des Terrorismus, kritisierte
die EU-Einschätzung des Tschetschenienproblems. Er meinte, die
Tschetschenienkrise sei, entgegen westlicher Einschätzungen, nicht
hausgemacht. Vielmehr bedienen die tschetschenischen Rebellen die
Interessen des internationalen Terrorismus und werden von ihm bezahlt
und mit Söldnern und Waffen unterstützt. Wäre Russland untätig
geblieben, hätten die EU-Staaten die Hand der Terroristen längst zu
spüren bekommen. Daher sei es unlogisch, dass die EU gegen besseres
Wissen versucht, Russland daran zu hindern, auf seinem Staatsgebiet die
verfassungsmäßige Ordnung wiederherzustellen. Ob nicht auch diese
Störversuche darauf ausgerichtet sind, einer Annäherung zwischen der
EU und Russland entgegenzuwirken?
Die hier zitierten und andere Hindernisse auf dem
schwierigen Weg Russlands in die europäische Sicherheitsgemeinschaft
gehören zum Passivum der gegenwärtigen Bilanz der beiderseitigen
Beziehungen.
5.
Also, liegen auf dem schwierigen Weg Russlands in die
europäische Sicherheitsgemeinschaft mehrere Stolpersteine. Zu einem
beträchtlichen Teil sind sie von außen herbeigeschafft worden, um
Russlands Ankunft in Europa zu erschweren oder gar zu verhindern.
Trotzdem wäre es verkehrt, den Mut zu verlieren. Es gibt nämlich auch
positive Anzeichen, die zu Optimismus hinsichtlich der russischen
Einbindung in Europa veranlassen.
In diesem Zusammenhang erwähnten die
Konferenzteilnehmer den in letzter Zeit regen Meinungsaustausch zwischen
deutschen und russischen Staatsmännern sowie Politikern. Es vergeht
kaum ein Tag, an dem nicht ein hoher Gast aus Berlin in Moskau weilt.
Umgekehrt geben sich die russischen Besucher in Berlin die Klinken zu
deutschen Regierungsinstitutionen in die Hand. Die Bemühungen, den
Standpunkt des anderen zu verstehen und nach einvernehmlichen Lösungen
komplizierter Probleme zu suchen, nehmen zu.
Zum Abbau der Überbleibsel des kalten Krieges im
Weltbild der Russen und der Deutschen, zu mehr Verständnis und
Vertrauen in den beiderseitigen Beziehungen können die Medien beider
Länder einen großen Beitrag leisten. Auf der Konferenz wurde
anerkennend erwähnt, dass die deutschen Medien in jüngster Zeit mehr
und objektiver über Russland berichten. Doch auch auf diesem Feld gibt
es noch viel zu tun. Ein Kenner Russlands, Prof. Dr. Heinz Timmermann,
hat diesbezüglich größere Defizite in den westlichen Bundesländern
geortet. In dem Teil Deutschlands ist in den Köpfen vieler das Bild des
modernen Russlands weit von der Realität entfernt.
Mehrmals gingen die Konferenzteilnehmer auf die
Bedeutung der öffentlichen Initiativen ein, die sich auf vielfältige
Weise bemühen, die Deutschen und die Russen näher
zu
bringen. Dazu
gehören Städtepartnerschaften, inzwischen fast hundert. Viele
Initiativen gehen von zahlreichen Vereinen aus, die humanitäre Hilfe
leisten, Treffen zwischen Russen und Deutschen arrangieren, Vorlesungen
über Russland, russische Musik- und Literaturveranstaltungen in
Deutschland – und deutsche in Russland organisieren. Viele gehören
zum Bundesverband der deutschen West-Ost-Gesellschaften, der vor fünf
Jahren ins Leben gerufen wurde.
Besonders erfreulich ist, dass sich die deutsche
Wirtschaft aktiver als noch vor kurzem in Russland und für die
Entwicklung des deutsch- russischen Handels engagiert. Zwar entsprechen
der Umfang und die Qualität der deutsch-russischen wirtschaftlichen
Zusammenarbeit keineswegs den objektiven Erfordernissen, aber die
Lethargie nach der russischen Wirtschaftskrise 1998 scheint allmählich
abzuklingen. Da die Strukturen der deutschen und russischen Wirtschaft
die Intensivierung der Beziehungen begünstigen, soll es auch in diesem
Bereich rasch vorangehen, was für die Einbindung Russlands in Europa
sehr wichtig ist. Vorausgesetzt, dass Russland die rechtlichen
Rahmenbedingungen verbessert und Deutschland dafür sorgt, dass die
geplante EU-Erweiterung nicht neue Gräben zwischen Russland und seinen
Nachbarn im Westen aufreißt.
Mit Hoffnung auf die Überwindung der Hindernisse auf
Russlands Weg nach Europa sprachen die Konferenzteilnehmer über das
Treffen zwischen Präsident Putin und Bundeskanzler Schröder in Sankt
Petersburg. Die Petersburger Gespräche, an denen ein breiter Kreis von
Fachleuten und Vertretern der Öffentlichkeit teilnehmen soll, wurden
als vielversprechendes Novum in den deutsch-russischen Beziehungen
eingeschätzt. Institutionalisiert als "Petersburger Dialog",
krönen sie die Bemühungen um Vertrauensbildung zwischen Russland und
Deutschland als das einflussreichste EU-Mitglied, fördern den
wirtschaftlichen und kulturellen Austausch und ebnen somit den Weg
Russlands in die EU-Sicherheitsgemeinschaft. Eine Gemeinschaft, die ohne
Russland ihren Zweck nicht erfüllen würde.
DAS LESERECHO:
K.M. schreibt:
Wenn die westlichen Demokratien ihr tiefes
Misstrauen, ihre Angst vor einem
starken Deutschland nicht überwinden, wird der Westen wesentlich
dazu
beitragen, dass sich die politischen Beziehungen zwischen unseren
Ländern
genauso entwickeln, wie Russland sie als wünschenswert erachtet.
Nein, so ein Quatsch! Nur, wenn sie es überwinden (!), dann ...
Seid Ihr denn alle doof, oder was?
B.G. schreibt:
Ihr wollt wohl Deutschland auf Eure Seite ziehen,
was? Daraus wird nichts.
Wir wissen, wo unser Platz ist. In der
zivilisierten westlichen Wertegemeinschaft und nicht im wilden Osten.
M. antwortet:
Es sind nicht wir, es ist ein bekannter deutscher
Philosophieprofessor, was aus dem Text hervorgeht.
2. Er meint, was aus dem Text auch hervorgeht, dass die Behandlung
Deutschlands als besonderen Fall der Weltgeschichte, einen ewigen
Sünder, der immer wieder Asche aufs Haupt streuen und seine
Demokratielernfähigkeit unter Beweis stellen soll, früher oder später
dazu führen kann, dass in Deutschland nationalistische Stimmungen
überhand nehmen und es einen Weg
der Annäherung an ein Russland sucht, das sich dann in etwa der
gleichen Stimmungslage befinden würde. Es ist bestimmt kein Quatsch,
weil durch die Geschichte hinreichend bestätigt (Rapallo 1922, Hitler-
Stalin-Pakt 1939, u.s.w.).
3. Wenn man Tatsachen, bzw.
Tendenzen feststellt, heißt das noch
nicht, dass man diese mit Freude hinnimmt. Tatsachen können aus der
Welt geschafft, Tendenzen kann entgegengewirkt werden. Dazu aber muss
man versuchen, diese festzustellen.
4. Was einen stört ist folgendes. In einer Hinsicht wird Russland in
Deutschland genauso behandelt wie Deutschland im Westen. Und zwar wie
ein fauler Schüler, der in einer Klasse sitzen
bleibt und trotzdem seine
Hausaufgaben vernachlässigt. Der tiefere Hintergrund ist auch derselbe:
der verlorene Krieg (in einem Falle der "richtige", in dem
anderen der kalte).
Eine solche Behandlung ist nämlich das sicherste
Mittel, die Ergebnisse eines Sieges mentalitätsmäßig festzuschreiben
und den Besiegten (in einem lähmenden Schuldgefühl befangen) an der
Leine zu halten. (Ob das gut ist oder schleicht, steht auf einem anderen
Blatt).
5. Man fragt sich: Warum wird z.B. die offensichtliche Überlegenheit
des deutschen sozialen Sicherheitssystems über das der USA denen nicht
ständig unter die Nase gerieben? Oder den Franzosen die offensichtliche
Überlegenheit des deutschen Föderalismus über den in Frankreich ?
Oder die Tatsache, dass die Legislative in Deutschland vor der Exekutive
mehr Rechte hat als in vielen anderen Ländern des Westens mit
präsidialer Staatsverfassung? Und, und, und...
6.Russland wird aber von bestimmten Kreise in Deutschland immer wieder
seine Rückständigkeit vorgehalten und von ihm gefordert, sich
schleunigst zu ändern, wenn es akzeptiert sein will. Sich zu ändern,
ohne Rücksicht auf seine Geschichte und die Mentalität seines Volkes.
7.Bezeichnenderweise kommen die gestrengen Lehrer in Deutschland aus
derselben Ecke , wo man sich eifrig darin übt, Asche aufs deutsche
Haupt zu streuen.
8. Zur Zeit hat man das russische Medienwesen am Wickel. Als hätte der
Westen eine ideale Lösung gefunden, indem er zwar ein staatsfernes
(bravo!), dafür aber ein geldsacknahes Mediensystem ( o, weh!)
entwickelte.
Eine Neuauflage von Rapallo? Quatsch!
Gazeta.ru und andere Runetzeitungen berichten,
Russland und Deutschland seien eine Vereinbarung "über die
gemeinsame Modernisierung der Kampfflugzeuge MiG-29" eingegangen.
Beide Länder würden die russischen Flugzeuge, die sich im Natobereich
von Zentral- und Osteuropa im Einsatz befinden, auf Nato-Standard
bringen. Michail Dmitrijew, erster Stellvertreter des russischen
Verteidigungsministers, erklärte vor Journalisten, die Vereinbarung sei
für Russland die Chance, auf dem mitteleuropäischen (also deutschen)
Waffenmarkt Fuß zu fassen. Wie ein Korrespondent von Gaseta.ru im
V
erteidigungsministerium der RF erfuhr, kann die russische
Luftwaffenindustrie an der Modernisierung der MiGs etwa 400 Millionen $
verdienen und sich damit aus der finanziellen Notlage retten.
In den Ländern des ehemaligen Warschauer Vertrags
seien zur Zeit 123 Kampfflugzeuge vom Typ MiG-29 im Einsatz, davon 50 in
der deutschen Luftwaffe. Die einstigen Verbündeten der UdSSR, jetzt in
der Nato, müssen die MiGs entweder verschrotten oder modernisieren, da
nach den Regeln der Allianz die Rüstung der Mitgliedsländer angepasst
werden muss.
Dieser Vorgang gab im Runet wieder Anlass zu wilden
Spekulationen über eine mögliche Neuauflage der Rapallopolitik.
Gemeint ist damit die geheime Zusammenarbeit zwischen Russland und
Deutschland in der Rüstung, die 1922 begann und über Hitlers
Machtantritt 1933 hinaus fortgesetzt wurde.
Anm. von m. : 1922 waren beide, Russland und
Deutschland, stigmatisierte Verliererdes Weltkrieges, was lag da näher, als sich
aneinander zu klammern.
Jetzt ist Deutschland auf der anderen Seite der
Linie, die Sieger und Verlierer trennt. Zwar deuten spekulative
Analytiker im Runet immer wieder an, in einer Hinsicht hätte
Deutschland die Folgen des Zusammenbruchs von 1945 noch nicht
überwunden. Und zwar hätte es im Unterschied zu den Westmächten keine
Raketen- und Atomwaffen und dürfe sie nicht haben ( Russland hat sie
noch reichlich). Aber wozu braucht es die furchtbaren Waffen?
In dem Zusammenhang sei daran erinnert, dass die
modernsten Waffen, die Deutschland infolge von Rapallo und dank der
russischen Hilfe bauen und erproben konnte, 1941-1945 im Krieg gegen
Russland eingesetzt wurden. Soll das etwa keine Lehre aus der Geschichte
sein, fragt M., die uneingeschränkt für die deutsch-russische
Zusammenarbeit – aber auf friedlichen Feldern- eintritt und vor allem
kein Wunschdenken pflegt.
12.01.01
5. ENTSCHÄDIGUNG
RUSSLAND
VON DER PLEITE BEDROHT?
In
einem Moskauer Gericht läuft eine merkwürdige Verhandlung. Die Klägerin ist Rentnerin Vera Petrowa aus einem Dorf im äußersten
Westen Belorussland. Beklagt wird die Russische Föderation.
Worum
geht es? 1944 wurde das Heimatdorf von Vera Petrowa verbrannt. Von der
deutschen Feldgendarmerie. „Partisanenbekämpfung“. Die Deutschen
brachten die meiste Bevölkerung, einschließlich Greise und Kinder um,
das Vieh wurde geschlachtet. Vera blieb am Leben. Wie durch ein Wunder.
Jetzt,
fast sechzig Jahre später, klagt sie auf Entschädigung. Nicht etwa
gegen Deutschland, sondern gegen Russland als Rechtsnachfolger der
Sowjetunion. Sie meint, die Sowjetunion hätte Deutschland für die
Kriegsverbrechen bestraft und Schadenersatz erhalten. Erhalten,
aber an die unmittelbaren Opfer nicht weitergegeben. Sie will jetzt
ihren Anteil. Der Schaden belief sich 1944 auf über 116.000 Rubel.
Unter Berücksichtigung der Inflation will sie jetzt nur eine Million
Rubel haben. Sie ist bescheiden.
Die
Gerichtsentscheidung ist noch nicht gefallen. Gesetzt den Fall,
Vera Petrowa erhält ihr Recht, tritt sie eine Lawine
von Klagen los. Und Russland geht pleite.
23.1.03
6. MEDIEN: TRENNWAND ODER BRÜCKE?
In einer neuen Berliner Runde des Dialogs
Berlin-Moskau wurde die Frage debattiert, ob die Medien das Verhältnis
zwischen Russland und Deutschland erschweren oder erleichtern.
Die Frage mag plausibel erscheinen, ist sie aber
nicht, da die Medien nicht immer zur Völkerverständigung beitragen. In
den Jahren des Kalten Krieges provozierten sie bekannterma ßen
Spannungen, spornten das Wettrüsten an, bedienten eine Politik, die
Europa und die ganze Welt mehr als einmal an den Rand des Krieges
brachte. Der politische Auftrag, der den Medien diese destruktive Rolle
aufzwang, ist, wollen wir hoffen, endgültig passe. Aber auch heute
stärkt, wenn auch aus anderen Beweggründen, die Berichterstattung bei
weitem nicht immer das Vertrauen zwischen den Russen und den Deutschen.
Darüber sprachen die Teilnehmer der neunten Runde des Dialogs
Berlin-Moskau, an der unter anderen Alexej Benediktow, Chefredakteur des
Moskauer Radiosenders "Echo Moskau", Jelena Botscharowa von
der russischen Zeitung "Nowaja Gaseta" und Dirk Sager, Leiter
des ZDF-Büros in Moskau, teilnahmen.
Die Podiumsgäste konzentrierten sich auf Umstände,
die ihrer Meinung nach einer umfassenden und wahrheitsgetreuen
Berichterstattung über das Geschehen in Russland abträglich sind.
Immer wieder wurden die bewaffneten Auseinandersetzungen in
Tschetschenien in Feld geführt, wo die Tätigkeit sowohl
ausländischer, als auch inländischer Medien behindert wird. Au ßerdem
wiesen die russischen Teilnehmer, die sich zum Teil widersprachen, mit
Nachdruck auf Ermittlungen der russischen Justiz gegen den privaten
Medienkonzern "Media-Most" wegen gesetzwidriger
Finanzgeschäfte hin. Scharf bemängelt wurden auch die neuesten
Gesetzentwürfe zur Regelung des Pressewesens, die- wenn die Duma sie
annimmt - die Pressefreiheit einengen können.
Trotzdem lie ß selbst diese scharfe Kritik an der
Tätigkeit der russischen Administration eher den Eindruck entstehen,
die freie Meinungsäußerung sei in Russland vorläufig noch gut
möglich. Vor wenigen Jahren wäre es nämlich undenkbar, dass ein
russischer Journalist es wagte, die eigene Regierung, noch dazu im
Ausland, so stark unter Beschuss zu nehmen. Und das blieb bei den
anderen Teilnehmern des Dialogs und beim zahlreichen Publikum nicht
unbemerkt.
Obwohl der Dialog an sich nicht auf Russland begrenzt
sein soll, kam die Lage im deutschen Medienwesen diesmal gar nicht zur
Sprache. Es ist aber anzunehmen, dass auch deutscherseits einiges
geschehen müsste, damit die Berichterstattung über Russland in den
deutschen Medien umfangreicher und realitätsbezogener wird. Dem steht
vermutlich der von den deutschen Medienleuten und Experten sonst bitter
beklagte Druck des wirtschaftlichen Wettbewerbs, insbesondere der Kampf
um Werbungsanteile im Wege, die zur Verflachung der Information, der
Verdrängung der Sachlichkeit und ernsthaften Analyse aus den Medien
führen. Sicherlich ist auch die weitere Wirkung der in den Zeiten des
kalten Krieges, aber auch davor entstandenen Klischees, sogar der
Feindbilder nicht ganz auszuschließen.
Des weiteren wäre es zum Beispiel durchaus
angebracht, gemeinsam darüber nachzudenken, ob die deutschen Medien in
ihrer Berichterstattung aus Russland immer die richtige Elle anlegen.
Wenn das Recht Russlands auf die historisch gewachsene Eigenart nicht
berücksichtigt wird, führt die Berichterstattung kaum zu mehr
Verständnis zwischen den Russen und den Deutschen.
Über das alles fiel in der Runde kein Wort. Die
russischen, aber auch die deutschen Teilnehmer konzentrierten sich
ausschließlich auf die Defizite des Medienwesens in Russland.
Einförmigkeit hat aber einem Dialog noch nie gut
getan. Sie nimmt dem an sich sehr begrüßenswerten Meinungsaustausch
über die Grenzen hinweg die Würze. Anstatt zu debattieren, bestätigen
sich die Teilnehmer gegenseitig ihre Meinung. Die Meinungsvielfalt bleibt auf der
Strecke. Das gezeichnete Bild lässt an Vollständigkeit zu wünschen
übrig.
Vielleicht ist dies darauf zurückzuführen, dass die
Veranstalter die Wahl der russischen Teilnehmer ziemlich engherzig
treffen. Zumeist kommen aus Moskau ausgeprägt oppositionelle Kollegen.
Ihre Haltung in Ehren. Aber die Vielfalt der russischen Medienlandschaft
darf ihnen wohl nicht geopfert werden. Schließlich geht es darum,
Defizite im russisch- deutschen Verhältnis, einschließlich im
Informationsaustausch, tiefer auszuloten. Der Annäherung der beiden
Länder käme das zweifellos zugute.
27.2.01
7. INSTITUTIONALISIERTE FREUNDSCHAFT
Im
Berliner Roten Rathaus fand eine Konferenz über die Rolle der
Einwanderer aus Mittel- und Osteuropa im Leben der deutschen Hauptstadt statt.
Mehr
als jede andere deutsche Stadt
zieht Berlin die Osteuropäer an. Das hat viele Ursachen,
darunter die Toleranz
gegenüber dem Fremden, deren Wurzel
in die Zeit der ersten
preußischen Könige zurückreichen. Aber eine noch
wichtigere Rolle spielt da jene
Weltoffenheit und Multikulturalität, die das geistige Leben an
der Spree in unserer Zeit, insbesondere nach dem Mauerfall, prägen.
Darüber
sprach in seinem Vortrag der bekannte Berliner Ethnologe Wolfgang
Kaschuba. Professor an der Humboldt Universität zu Berlin, hob er
das noch unzureichend genutzte kreative Potenzial
der Berliner Ausländergemeinden hervor, denen sich immer
mehr junge und
hochgebildete Menschen zugesellen. Die Referenten aus Polen,
Ungarn und Deutschland ergänzten seine Ausführungen.
Allerdings
fiel auf, dass die russische Gemeinde auf der Konferenz etwas
stiefmütterlich behandelt wurde. Ihr extra galt
kein Referat, das ihre Geschichte, Zusammensetzung und die
Rolle im Leben der deutschen Hauptstadt umfassend behandelt hätte. Dabei verfügt sie im
Vergleich mit den anderen über die meisten Voraussetzungen einer
positiven Beeinflussung der wirtschaftlichen und kulturellen
Entwicklung der deutschen Hauptstadt. Sie ist nicht nur zahlenmäßig
stark, sondern hat ein hohes
Bildungsniveau. Unter den nach Berlin
eingewanderten Russen gibt es hervorragende Fachleute, die
ihr Können in der Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst bereits im
Herkunftsland unter Beweis stellten.
Auch
in Berlin haben die Russen, wenn wir unter diesem Begriff alle
russischsprachigen Einwanderer
zusammenfassen, viel geleistet. Sie gründeten hier Betriebe,
geben Zeitungen heraus, spielen Theater. Russische Gaststätten,
Diskotheken, Bildergalerien erfreuen sich vieler deutscher
Besucher, nicht nur aus Berlin.
Kurz
und gut hätte ein Referent keinen Mangel an aussagekräftigen Fakten. Erst recht nicht,
wenn er einen Exkurs
in Berlins Kulturgeschichte unternommen hätte, die in den
zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts von der russischen
Emigration aktiv
mitgeschrieben wurde. Im Jahr der deutsch- russischen
Kulturbegegnungen wäre eine stärkere Erinnerung daran wohl am
Platze.
Es
wäre dennoch total
ungerecht, den Veranstaltern der Konferenz irgendwelche
Russenfeindlichkeit unterstellen zu wollen. Vermutlich
reflektierte die Tagesordnung jene besorgniserregende
Situation, die im Zuge der Osterweiterung der EU einkehrt.
Denn
allen Nachbarn
Deutschlands im Osten eröffnet die EU- Erweiterung
neue Möglichkeiten, einschließlich die
des freien Personenverkehrs und der Migration. Allen außer
Russen, die, wie beim
jüngsten EU-Gipfeltreffen in Sankt Petersburg festgestellt,
mit neuen
Schwierigkeiten konfrontiert werden, wenn sie in den Westen
wollen. Zwar erweitert sich Europa,
wie es in der bürokratischen Vorstellungswelt existiert, ostwärts,
aber Russland und auch andere, Jahrhunderte lang
mit Mittel- und Westeuropa verbundenen slawischen
Nachfolgestaaten der Sowjetunion
bleiben außen vor.
Ein
Manko der europäischen Integration, von dem nicht nur die Ausgeschlossenen betroffen
sind. Die Konferenz
in Berlin gibt Anlass,
wieder einmal darüber nachzudenken.
25.6.03
LUSCHKOW
IN BERLIN
Wenige
Stunden vor der feierlichen
Eröffnung der Moskauer Tage in Berlin, an der er teilnahm, hielt der
Moskauer Oberbürgermeister Juri Luschkow in der Deutschen Gesellschaft
für Auswärtige Politik einen vielbesuchten Vortrag.
Vom
Außenminister a.D. Hans- Dietrich Genscher vorgestellt, erinnerte er
sich an eine ähnliche Veranstaltung der DGAP vor fünf Jahren. Damals
sparte er nicht an harscher Kritik am damaligen russischen Präsidenten
Boris Jelzin. Er meinte, die Kritik sei berechtigt gewesen, da Russland
vor einem wirtschaftlichen Desaster und sogar vor der Gefahr des
Zerfalls stand. Jetzt hob er hervor, dass in Russland
politische und wirtschaftliche Stabilität eingekehrt seien. Die
Regierung des Präsidenten Wladimir Putin hat das Steuer des
Staatsschiffs fest im Griff, die Bevölkerung sieht einen Silberstreifen
am Horizont.
Zum
Motor der Reformen, die grünes Licht für den Fortschritt
geben, ist Moskau geworden. Die Wirtschaft der russischen
Metropole legt jährlich etwa
vierzehn Prozent zu. Ausländische Unternehmen investieren gern in die
Moskauer Industrie, wobei Investoren aus Deutschland den Spitzenplatz
einnehmen. Fast tausend deutsche Firmen haben
bereits Fuß gefasst in russischen Metropole. Die Moskauer
Regierung unterstützt besonders kleine und mittlere Unternehmen aus
Deutschland.
Als
Oberbürgermeister sei er jetzt viel zuversichtlicher als vor fünf
Jahren, sagte Luschkow. Aber als Bürger Russlands meint er, dass die
aktuelle internationale Entwicklung zu Besorgnis Anlass gibt. Die
Weltgemeinschaft, vor allem die USA, hätten auf die verbrecherischen
Aktivitäten des internationalen Terrorismus falsch reagiert. Anstatt
nach den Ursachen dieser gefährlichen Erscheinung zu forschen, wurde
zur Jagd nach Phantomen geblasen. So hieß es, wird Bin Laden gefasst ,
ist das Problem aus der
Welt. Dieses aber liegt
tiefer als im bösen Willen einiger Krimineller. Der internationale
Terrorismus sei eine Reaktion aufs egoistische Verhalten der Staaten der
sogenannten goldenen Milliarde. Anders gesagt, auf die ungleichmäßige
und ungerechte Verteilung der Wirtschaftskraft und des Wohlstands in der
Welt.
Luschkow
plädierte für eine differenzierte Einschätzung der sich vollziehenden
Globalisierung von Wirtschaft und Kultur. Die wirtschaftliche
Arbeitsteilung muss positiv bewertet werden. Je weiter sie
fortschreitet, desto mehr und billiger wird produziert. Aber keine Macht
der Welt darf die Globalisierung dafür missbrauchen, dass allen Ländern
nur ein einziges Entwicklungsmodell
der Wirtschaft und Kultur aufgezwungen wird. Jedes Land soll sein
Gesicht bewahren. Der Gleichschaltung
muss entgegengewirkt werden.
Das
zahlreiche Publikum in den Räumen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige
Politik verabschiedete den Moskauer
Oberbürgermeister mit viel Applaus. Hans-Dietrich Genscher erwähnte in
seinem Schlusswort die
nicht alltägliche Vielseitigkeit des Gastes, der sich sowohl als
Wirtschaftsmanager, als auch als
Politiker bewährt.
Zu
einem anderen Medienereignis wurde der Auftritt Luschkows in der Europäischen
Akademie zu Berlin. Hier nahm er zusammen mit Berlins Regierenden Bürgermeister, Klaus Wowereit, an einem
Podiumsgespräch teil.
Im
Mittelpunkt der Aktivitäten der Stadtregierungen steht
der kommunale Dienstleistungsbereich, betonten die beiden
Stadtoberhäupter. In ihren Antworten auf Fragen deutscher und
russischer Journalisten zeichneten sie ein Bild der gegenseitig
vorteilhaften Kooperation. Diese ist besonders sinnvoll bei der
Bewältigung ähnlicher
Aufgaben wie Sanierung
der Plattenbauten im Südwesten von
Moskau und im östlichen Teil Berlins, Entsorgung der Abfälle
und Reinigung der Abwässer, Minderung der Umweltschäden und anderen.
Die mit Juri Luschkow zahlreich angereisten Experten
nutzen die Tage Moskaus, um einschlägige Erfahrungen ihrer
Berliner Kollegen zu studieren. Aber der Erfahrungsaustausch findet
nicht sporadisch, sondern kontinuierlich statt. Er
hilft, Zeit und Geldmittel zu sparen.
Ein
anderer wichtiger Strang der Zusammenarbeit ist die Optimierung der
wirtschaftlichen Zusammenarbeit, wobei, wie der Moskauer OB hervorhob,
das Augenmerk den mittleren und kleineren Unternehmen gelten soll, da
die großen weniger Hilfe
brauchen.
Schließlich
geht es den beiden Stadtverwaltungen darum, der Bevölkerung ein
umfassendes Bild der jeweiligen Partnerstadt zu vermitteln, die
gegenseitige Neugier der
Berliner und Moskauer zu
wecken und zu befriedigen. Im
Jahr der russischen Kultur in Deutschland, dem das Jahr der deutschen
Kultur in Russland folgt, sind die Rahmenbedingungen
günstig. Davon überzeugt ein Blick auf den Kalender der
Kulturveranstaltungen der Moskauer Tage in Berlin. Erst angefangen,
vermerkt er bereits viele Kunstausstellungen, Theater- und Filmaufführungen,
Lesungen und Konzerte.
Seine
Beteiligung an dem erwähnten Podiumsgespräch nutzte Iwan Matrjioschkin,
Esq., dazu, um das in beiden Städten anstehende Problem des
Zusammenlebens ihrer
Stammbewohner mit den immer zahlreicher werdenden
Migranten anzuschneiden. Er verwies darauf, dass Berlin,
immer weltoffener und gastfreundlicher, auf dem besten Wege ist,
seinen neuen Bürgern, darunter auch denen aus Russland und anderen
Nachfolgestaaten der Sowjetunion, zu einer richtigen Heimat zu werden.
In diesem Zusammenhang bat er den Oberbürgermeister Luschkow, auf die
Situation der Ausländergemeinden in Moskau einzugehen. In seiner
Antwort räumte der Angesprochene gewisse Defizite ein, versicherte
aber, dass Übergriffen der Ordnungskräfte, die seinerzeit in
Deutschland Aufsehen erregten, von der Moskauer Stadtregierung
konsequent entgegengetreten wird.
Die
gesamte Diskussion in der Europäischen Akademie zu Berlin hinterließ
beim Publikum den Eindruck
von einer dynamischen Entwicklung der
Partnerschaft der Hauptstädte. Die Beziehungen zwischen Berlin und
Moskau werden mehr und mehr mit Leben erfüllt und stellen ein festes
Bindeglied zwischen Deutschland und Russland dar. Dem kommt die
offensichtlich gewordene Affinität der beiden Stadtoberhäupter
zunutze, zwar in vielem unterschiedlich, aber weltoffen und kreativ.
4.7.03
Das
russische Kulturjahr in Deutschland
geht weiter.
Unter
dem Titel go East eröffnet
in Wiesbaden das Festival
des mittel- und osteuropäischen Films, wo diesmal Russland besonders
stark vertreten ist.
Ein Schwerpunkt, die Sparte
des wissenschaftlichen Films, beschäftigt sich im Jahr der
Deutsch-Russischen Kulturbegegnungen
mit dem Verhältnis beider
Länder zueinander. Ein umfangreiches Programm mit Filmen vor allem aus
den 1930er- und 1940er- Jahren, darunter auch viele Entdeckungen aus dem
russischen Gosfilmofond-Archiv, bietet Material, um über
positive und negative Klischees zu diskutieren. Unter der Leitung
des Berliner Filmhistorikers Hans-Joachim Schlegel stellen Experten aus
Moskau und Berlin die
wechselhaften „Bilder des Deutschen im sowjetischen und
postsowjetischen Kino“ vor.
Die Retrospektive
des Festivals gilt dem russischen Dramatiker Anton Tschechow und zeigt
12 Verfilmungen seiner Werke, u.a. von Louis Malle, Andrzej Wajda,
Nikita Michalkow und Laurence Olivier. Adaptionen aus ganz
unterschiedlichen Ländern (UdSSR/Russland, USA, Polen, Italien,
Frankreich, Großbritannien und Deutschland), angefangen bei einem
Stummfilm von 1911 bis hin zu einer modernen Version von „Onkel
Wanja“ aus den neunziger Jahren, belegen, dass Tschechows Stoffe nicht
nur Theater-Regisseure immer wieder faszinieren und inspirieren, sondern
auch im Kino stark präsent sind. Das sein „schmerzliches Grundmuster
der Existenz“ gegenwärtig
sehr aktuell ist, davon zeugt auch Kira Muratowas Wettbewerbsbeitrag
TSCHECHOW-MOTIVE.
Am Sonntag, den 30.03.
besucht das Festival eine Nachgeborene des berühmten Schriftstellers
und Dramatikers: Vera Tschechowa. Im Anschluss an die Begegnung mit der
berühmten Schauspielerin und Regisseurin ist
Nikita Michalkows Verfilmung der Erzählung „Die Dame mit dem Hündchen“
mit Marcello Mastroianni in der Hauptrolle zu sehen.
Eine vom Festival
organisierte Ausstellung
im Museum Wiesbaden beschäftigt
sich mit dem „Tschechow-Clan“. Mit Fotos, Briefen und Dokumenten aus
dem umfangreichen Privatarchiv Knipper-Tschechowa wird die Geschichte
der deutsch-russischen Künstlerfamilie, vor allem die der Protagonisten
Anton Tschechow und des Filmstars Olga Tschechowa, dargestellt.
In einer Szenischen
Lesung tragen Schauspieler am Hessischen Staatstheater Passagen aus
dem Briefwechsel zwischen Anton Tschechow und Olga Knipper vor. Die
Korrespondenz gibt nicht nur Einblicke in das von Sehnsucht bestimmte
Liebesverhältnis des häufig getrennt lebenden Paares, sondern auch in
die Arbeit Olga Knippers am Moskauer Künstlertheater und in die
Quellen, aus denen Tschechow Material für seine Theaterstücke schöpfte.
Danach läuft der Streifen UNVOLLENDETE PARTITUR FÜR EIN
MECHANISCHES KLAVIER nach Tschechow,
1977 von Nikita
Michalkow verfilmt.
In der Sektion Highlights
verdient besondere Beachtung der
Film RUSSISCHE ARCHE des Regisseurs Aleksandr Sokurow, der gerade für
sein Werk mit dem „Andrzej Wajda / Philipp Morris Freedom“-Price
ausgezeichnet wurde.
Aus aktuellem Anlass lädt
das Festival am Samstag,
den 29. März um 16.00 Uhr zu einer Diskussion in die Villa Clementine.
Unter der Fragestellung „Zerreißprobe für Europa? Identität im
Angesicht des Irakkonfliktes“ bietet sich hier
den Gästen des
Festivals ein Forum, um über die gegenwärtige Haltung der
Regierungen in den einzelnen Ländern, die Stimmung in der Bevölkerung
und den Medien zu diskutieren und ihre persönliche Position zum
Irakkrieg zu äußern. Damit wird einem wichtigen Ziel des Festivals
gedient, nämlich intensive Begegnungen und Dialoge zwischen Ost und
West zu ermöglichen und eine Plattform zu geben, um sich besser kennen
zulernen – eine wesentliche Voraussetzung für ein geeintes
Europa, das dem Krieg Paroli bieten muss.
24.3.03
Das
russische Kulturjahr in Deutschland
geht weiter. In München wird der 200. Geburtstag des großen
russischen Dichters Fedor Iwanowitsch Tjutschew
groß gefeiert.
Die
Feierlichkeiten werden vom Münchner Verein „Mir“ veranstaltet und
von bayerischen Behörden unterstützt. Sie finden vom 25.April
bis zum 27. April statt. Das Programm schließt Vorlesungen deutscher
und russischer Literaturforscher, Besichtigungen, ein Konzert und
sogar einen russisch-orthodoxen Gottesdienst ein. Später wird im
Bayerischen Hauptstaatsarchiv eine Tjutschew- Ausstellung eröffnet.
München
hat besondere Gründe, das Lebenswerk Fedor Tjutschews zu würdigen.
Der Russe verbrachte
hier zwanzig Jahre, und zwar von 1822 bis 1844. Es war die Zeit,
als Russland seine Beziehungen zum Königsreich Bayern, wie auch zu
den anderen Staaten in Deutschland intensiv entwickelte. Spross eines
alten russischen Aristokratengeschlechtes, trug Tjutschew dem viel
bei. Als Beamter der russischen Gesandtschaft beim bayerischen Hof,
aber noch mehr als ein mit
der deutschen Kultur und Literatur intim bekannter Dichter und last
not least als bewunderter Salonlöwe. Mit
seinem Geist, gewandter Zunge und
Charme gewann er die Achtung wichtiger Persönlichkeiten der Münchener
high society, brach aber auch die Herzen mehrerer Schönheiten der
Hofgesellschaft. So hinterließ er eine
Spur nicht nur in der russischen Dichtung, sondern auch in der
Geschichte der Wechselwirkungen
zwischen Russland und Deutschland. Wenn jemand nach einem schlagenden
Beweis für die
Seelenverwandtschaft der Russen und Deutschen sucht, tut er das
Richtige, wenn er sich an Tjutschew erinnert, einen Mann, der in
seinem Schaffen und Leben diese verkörperte,
einen russischen
Patrioten und gleichzeitig einen treuen Freund
und Bewunderer Deutschlands.
In
Russland wird der 200. Geburtstag Tjutschews als
Jubiläum eines Nationaldichters begangen, von vielen für den
zweitgrößten nach Alexander Puschkin
gehalten. Schön, dass auch
in Deutschland sein Lebenswerk gewürdigt wird.
Details über das Tjutschew Festivals in München
sind auf der WEB-Seite des Mir e.V. (WWW. mir-ev.de) zu
erfahren. Auf der Web-Seite werden auch Editionen des
unter dem Vorsitz der in München lebenden russischen Künstlerin,
Tatjana Lukina, tätigen Vereins,
präsentiert, darunter ein
reich bebilderter Tjutschew-Kalender 2003.
16.4.03
DIE
NASE ALS SYMBOL DER
DEUTSCH- RUSSISCHEN VERBUNDENHEIT
Im
Marmorsaal des Russischen Museums zu Sankt Petersburg
haben der deutsche Künstler Jörg Immendorf und
Bundeskanzler Gerhard Schröder am 30. Mai 2003 die Skulptur
"Die Nase" an die Jubilarin
übergeben. Als Geschenk Deutschlands zum 300. Geburtstag
der Newa-Stadt.
"Die Nase"... So heißt
eine Novelle von Nikolai Gogol, einem wunderbaren
russischen Dichter des XIX. Jahrhunderts.
Gogol war es, der eine neue Richtung
der europäischen Literatur
ins Leben gerufen hat. Eine, die sich zwar äußerlich
nicht an die Realität hält, sondern
skurrile, mitunter phantastische Geschichten
erzählt, die aber die Realität mit all ihren Abgründen
erfassen.
Um
die Zeit gab es in Deutschland auch einen „Gogol“. Er hieß E.T.A. Hoffmann. Seine
Novellen sind die Lieblingslektüre
von
.
Zurück
zu der „Nase“ von Gogol. Sie erzählt die schaurige Geschichte
eines kleinen Petersburger Beamten. An einem gar nicht schönen
Morgen stellte er fest, dass ihm seine Nase abhanden gekommen ist.
Eigentlich braucht er keine. Aber was ist ein Beamter ohne Nase? Zielscheibe des Hohns der Kollegen, eventuell ein Opfer von
Mobbing, hat er keine Chance, vorwärts zu kommen. Und die Damen
wollen auch keinen Herren, der etwas anders ist als die anderen.
Also
begibt sich der arme Mann auf die Suche nach der entlaufenen Nase
und erlebt dabei die ganze Kälte
einer riesigen Stadt, die nicht für die Menschen, noch
dazu unvollkommene Menschen, sondern eben für die perfekten
Staatsdiener in den Sümpfen an der Ostsee gebaut worden war.
So
schimmert die ewige
russische Ablehnung der allbeherrschenden Staatsidee, favorisiert
von Petersburgs Gründer, dem Zaren Peter dem Ersten, durch Gogols Sujet.
Ein Thema, das in einer ganzen Reihe in Petersburg entstandenen
Novellen und Poemen gewälzt
wurde.
Gogol
war übrigens kein Freund Deutschlands. Als Kranker besuchte er
Deutschland, um sich kurieren zu lassen. Aber er kapselte sich in
Deutschland ab, wollte von ihm nichts wissen. Die Deutschen waren
ihm unheimlich. Zu tüchtig. In einer seiner Erzählungen erwähnt
er spöttisch, sie hätten
sogar den Mond erfunden.
Seine
kritische Einstellung zu Petersburg
wurzelte auch in seiner Überzeugung, diese Stadt sei ein
Hirngespinst des Verehrers der deutschen Bürokratie, des großen
Peters.
Heißt
es, dass sich die geschenkte Plastik schlecht dafür eignet, der
bei der Übergabe von Bundeskanzler Schröder wieder mal
beschworenen deutsch-russischen Freundschaft zu dienen?
Nein,
das heißt es nicht!
Es
wäre schlimm, würde die Freundschaft dazu führen, dass die
Russen keine Russen und die Deutschen keine Deutschen mehr sind.
Gott behüte! Sollen sie bleiben, wie der liebe Gott sie
geschaffen hat. Er wusste nämlich, was er tat. Er wusste, dass
eine Liebe erst durch Unterschiedlichkeit der Partner die Würze
erhält.
Wir
müssen uns gegenseitig annehmen so, wie wir sind. Und nicht
warten, bis der andere alle in ihn gesetzten Erwartungen erfüllt.
Das
matrjoschka- online- Team dankt dem deutschen Bildhauer
Jörg Immendorf für die „Nase“. Und Bundeskanzler Schröder
– ja, wofür denn ?- für seine schönen Worte. Soll ihm sein
Statussymbol erhalten bleiben. Wenn dieses ihm aber doch abhanden kommt, möge
ihm die Liebe seiner Frau und die Achtung seiner politischen
Freunde trotzdem erhalten bleiben.
Übrigens
sagte er bei der Übergabe, es sei kein Zufall, dass sich Deutsche
und Russen vor den historischen Feierlichkeiten in einem Museum träfen.
Kultur und Kunst verband die beiden Völker schon immer. Eine
hasstreibende Politik, insbesondere der deutsche Faschismus, habe
sie getrennt. Aber Kunst gebe unendlich viel mehr als Politik
trennen könne.
Sehr
richtig, Herr Bundeskanzler!
30.5.03
In
wenigen Tagen startet ein markantes Projekt des russischen
Kulturjahres in Deutschland.
Das
Projekt nennt sich Kulturschiff. Es geht
tatsächlich um ein
gemietetes komfortables Flussschiff, dessen Route in Düsseldorf
beginnt und in Passau endet. Die zweiwöchige Fahrt
auf Rhein, Main und Donau durch mehrere Gegenden
Deutschlands schließt längere Aufenthalte in sechzehn deutschen
Städten ein. Sie sollen für
Treffen der Schiffsgäste mit dem an Russland
interessierten Publikum genutzt werden.
Zu
den Schiffsgästen gehören angesehene Künstler und Ensembles aus
Russland, deutsche Russlandkenner, Historiker aus beiden Ländern.
Mehrere Konzerte, Vorlesungen und Diskussionen sind eingeplant.
Als schwimmende Kunst- und Informationswerkstatt ermöglicht
das Kulturschiff eine Programmgestaltung,
in der sich künstlerische Aktionen und politische Bildung
wechselseitig ergänzen.
An
Bord sind 90 deutsche und russische Schriftsteller,
Wissenschaftler, Musiker und
Artisten, aber auch Touristen. Diese können
an anregenden Begegnungen eines spannenden interkulturellen
Dialogs zugleich als Beobachter und
kreative Mitgestalter teilnehmen.
Das
Deutsch-Russische Kulturschiff ist ein gemeinsames Projekt des
Bundesverbandes Deutscher West-Ost-Gesellschaften und der
Bundeszentrale für politische Bildung im Rahmen des Jahres
Deutsch-Russischer Kulturbegegnungen.
Zusätzliche
Informationen können unter der eMail Adresse christiane.tovar@t-online.de
angefragt werden.
2.3.05
DAS
DEUTSCH- RUSSISCHE „FESTIVAL“ IN BERLIN
Das
Ende des Monats März gestaltete sich in Berlin zu einem im Kalender
nicht verzeichneten deutsch-russischen
Festival. Es begann mit den Ehrungen für
den Gefährten von Willy Brandt, den Staatsekretär a. D., Egon
Bahr, der achtzig wurde. Da die von ihm mitgedachte und mitgestaltete
Kursänderung der deutschen Ostpolitik vor etwa
dreißig Jahren eine
neue Etappe der deutsch- russischen Beziehungen einleitete, gab es in
den Jubiläumsveranstaltungen nicht nur viel zu erinnern, sondern auch
viel zu diskutieren. Und zwar darüber, wie es zwischen Deutschland
und Russland weitergehen soll.
Kaum
klangen die Ehrungen für den Architekten der neuen deutschen
Ostpolitik der siebziger, achtziger Jahre ab, wurde ein anderer
hervorragender deutscher Außenpolitiker
gewürdigt, nach eigener Definition auch ein großer Freund Russlands.
Hans- Dietrich Genscher beging seinen fünfundsiebzigsten. Da
er einen großen Beitrag zur Festigung der deutsch-russischen
Zusammenarbeit, insbesondere bei der Wiederherstellung der deutschen
Einheit leistete, gab es im
Zusammenhang auch mit diesem Jubiläum
Anlass über deutsch-russische Beziehungen nachzudenken und zu
sprechen.
In
diese Tage fiel auch ein Besuch
des russischen Außenministers Igor Iwanow
in Berlin, der sich mit Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister
Joschka Fischer traf. Unter anderem galt der Meinungsaustausch der
bevorstehenden Tagung der EU in Moskau, den kommenden Verhandlungen
zwischen Bush und Putin und selbstverständlich
der Vorbereitung des Treffens Schröder- Putin in Weimar, wo
Anfang April die neue Runde des Petersburger Dialogs, des im vorigen
Jahr zum ersten Mal abgehaltenen Forums der Öffentlichkeit beider Länder,
stattfindet.
Beachtung
fand auch die
öffentliche Vorstellung der deutschen Edition des Buches
„Die neue russische Diplomatie. Rückblick und Vision“, das der
russische Außenminister in seiner, vermutlich sehr knappen
Mußezeit schrieb. In der russischen Botschaft, wo die Präsentation
stattfand, erläuterte der Autor, warum er sich die Mühe machte. Weil die
russische Außenpolitik transparent
und voraussagbar sein muss wie in jedem Land mit offener Bürgergesellschaft.
Mit seinem Werk will er dazu beitragen.
Über
die im renommierten Econ- Verlag herausgebrachte und mit einem Vorwort
von Joschka Fischer eingeleitete deutsche Ausgabe freut er sich
besonders, weil sie in
einem Land erschien, das, wie
Russland auch, eine besondere Verantwortung in Europa trägt.
Tatsächlich
präsentiert Igor Iwanow in seinem Buch einen Rückblick
auf die Geschichte der russischen Diplomatie, der geeignet ist,
seinem anspruchsvollen Anliegen beizutragen. Er hebt nämlich die
Kontinuität der russischen Außenpolitik seit der Zeit Peters des Großen
hervor. Wie groß die Unterschiede zwischen dem Zarenreich, der
Sowjetunion und dem postsowjetischen Russland auch sein mögen, gab
es, meint er, einen roten Faden, der die russische Außenpolitik
über Jahrhunderte zu einem Ganzen verband. Und zwar waren es die
geopolitische Lage des Landes, seine kulturellen Traditionen, die
Mentalität seiner Völker. Diese
Konstanten lagen einer Außenpolitik
zugrunde, die die
Absicherung der Westgrenze des russischen Staates und
einen würdigen
Platz für ihn in Europa anstrebte.
Zweifelsohne
ein neues Konzept. Es bricht
mit jener Sicht auf die Geschichte
der russischen Diplomatie, die nicht das Kontinuierliche,
sondern das wechselhafte soziale Element
und somit nicht das Verbindende, sondern das Trennende in den
Mittelpunkt stellte.
Von
seinem Standpunkt aus analysierte Igor Iwanow auch die Gegenwart der
russischen Außenpolitik, der die
schwierige Aufgabe zukommt, sich der Transformation der
russischen Gesellschaft und dem schnellen Wandel in der Welt nach dem Kalten Krieges
anzupassen. Das geht
nicht immer komplikationslos. Trotzdem wird die russische Außenpolitik
der internationalen Verantwortung und
den nationalen Interessen Russlands zunehmend gerecht. Wobei
sie die Möglichkeiten Russlands pragmatisch einschätzt.
Während
der vom russischen Botschafter in Deutschland,
Sergei Krylow, moderierten und vom Deutsch- Russischen Forum
mitgetragenen Veranstaltung sprachen
auch deutsche Diplomaten wie Andreas Meyer- Landhut und Klaus Kinkel. In ihren Ansprachen würdigten sie, mit dem
Gegenstand aus eigener Erfahrung bestens vertraut, den Beitrag des
neuen Russlands zur Beendigung der Konfrontation in Europa und
Wiederherstellung der deutschen Einheit. Zuversichtlich äußerten sie
sich über die Perspektiven der
Zusammenarbeit Russlands mit dem vereinten Europa. Ohne Russland,
betonte in diesem Zusammenhang der langjährige deutsche Botschafter
in Moskau, Andreas Meyer- Landhut, läuft
in Europa überhaupt nichts.
Besonders
gute Chancen räumten die deutschen Diplomaten
der weiteren
Entwicklung der von Minister
Iwanow zu den strategischen Prioritäten der russischen Außenpolitik
gerechneten deutsch-russischen Beziehungen ein. Der bei der Präsentation
anwesende Egon Bahr stimmte der optimistischen Vision zu. Hans-
Dietrich Genscher war leider verhindert, aber in seinen Äußerungen
in der fast zur selben Zeit wie die Veranstaltung in der
russischen Botschaft stattgefundenen Jubiläumsfeier versäumte auch
er nicht, seine Verbundenheit mit Russland herauszustreichen.
22.03.02
In
Berlin fand die Jahresversammlung des Deutsch- Russischen Forums
statt. Im Mittelpunkt stand die Verleihung des Dr. Friedrich
Joseph Haass- Preises an Manfred Stolpe, Ministerpräsident des
Landes Brandenburg.
Dr.
Friedrich Joseph Haass lebte im XIX. Jahrhundert. Ein deutscher
Arzt, praktizierte er in Russland und wurde durch seine
opferreiche Wohltätigkeit als heiliger Doktor von Moskau berühmt.
Der nach ihm benannte Preis wird
vom einflussreichen Deutsch- Russischen Forum, das sich der Förderung
der deutsch-russischen Beziehungen mit viel Erfolg widmet,
an Deutsche und Russen für Verdienste
auf diesem Tätigkeitsfeld verliehen.
Der
diesjährige Preisträger, der brandenburgische Ministerpräsident
Dr. Manfred Stolpe, zeichnet sich
dadurch aus, dass er, dem Vermächtnis des Namenspatrons
des Preises treu, stets ein Herz für die Russen hat. Das hob in
seiner Laudatio der Ehrenvorsitzende des Russischen Föderationsrates
und Gouverneur des Gebiet Orjol, Jegor Strojew, hervor. Er pries
die Verdienste des brandenburgischen
Ministerpräsidenten bei der Festigung der
freundschaftlichen Beziehungen zwischen
beiden Ländern, insbesondere der Oberhäuser ihrer
Parlamente.
In
seiner Antwortrede erinnerte Dr. Manfred Stolpe daran, dass die
Brandenburger, ebenso wie die Bevölkerung aller neuen Bundesländer,
ein halbes Jahrhundert lang, bildlich gesagt, Tür an Tür mit den
Russen lebten. Vieles aus jener Zeit ist nicht mehr aktuell, aber
das gegenseitige Kennenlernen bleibt ein wertvolles Kapital. Auch
im neuen Abschnitt der Geschichte der beiderseitigen Beziehungen
gilt es, dieses einzusetzen.
Die
Festansprache hielt Dr. Guido Westerwelle, Parteivorsitzender der
FDP. Er sprach über die Herausforderungen der gesamteuropäischen
Zusammenarbeit, bei der Russland eine seiner Bedeutung angemessene
Rolle spielen soll.
Die
sehr gut besuchte Veranstaltung
im Opernpalais Unter den Linden brachte erneut den Beweis
dafür, dass es in Deutschland in allen Sphären des
gesellschaftlichen Lebens nicht
an bedeutenden Persönlichkeiten mangelt, die bereit sind, für
den Ausbau der Beziehungen mit dem großen Nachbarn
im Osten zu wirken. Sie halten an der Tradition fest, die
in vielen Jahrhunderten in
beiden Ländern von einsichtigen Politikern, rührigen
Geschäftsleuten und markanten Kulturschaffenden gepflegt wurde
und in unseren Tagen vielleicht sogar mehr denn je an Bedeutung
gewinnt.
Anhang:
Über
Friedrich Joseph Haass, den heiligen Doktor von Moskau.
Dr. Haass, in Moskau Fjodor Petrowitsch Gaass genannt, war ein Mann
zweier Völker. Geboren am 24. August 1780 in Münstereifel bei Köln,
studierte er in Wien Medizin und starb 1853 in Moskau. Nach
Russland kam er 1803 zum ersten Mal. Er bereiste das Land und
kehrte zwischenzeitlich wieder in die Heimat zurück. 1813 ließ
er sich endgültig in Moskau nieder. Er folgte dabei dem Beispiel
vieler seiner Landsleute, darunter Apotheker und Ärzte, die in
Russland das suchten, was sie in dem vom Napoleonischen Feldzug
heimgesuchten Deutschland vermissten: ein gutes Einkommen und eine
hohe soziale Stellung.
Da
Dr. Haass sehr tüchtig war, hatte er schnell Erfolg. Vor allem,
als er einen illustren Aristokraten kennen lernte. Fürst Dmitri
Golizyn, Generalgouverneur von Moskau, fand an ihm Gefallen. Er führte
den Deutschen in ein Komitee für Gefangenenfürsorge ein und
ernannte ihn 1829 zum Chefarzt der Moskauer Haftanstalt.
Sicherlich konnte der Fürst nicht ahnen, dass der Einblick in den
russischen Strafvollzug den deutschen Doktor umwühlen würde. Es
geschah aber. Haass verzichtete
auf den vornehmen und reichen Patientenkreis und widmete
sich ausschließlich der Fürsorge für die Gefangenen. 23 Jahre
war er Tag für Tag nur für die Häftlinge, Verbannten und ihre
Familien da. Er nahm keine Honorare, im Gegenteil, sein beträchtliches
Vermögen steckte er in die Gefangenenhilfe. Nach seinen eigenen
Worten spiegelte sein Verhalten die Einstellung der einfachen
russischen Menschen wider, getreu dem Grundsatz, hilf dem Nächsten
im Unglück so gut du kannst.
Er
nahm einen wie es zuerst schien hoffnungslosen Kampf mit der
russischen Bürokratie auf, um das Los der Gefangenen zu mildern.
Damals war es in Russland üblich, die Sträflinge nach Sibirien
zu Fuß marschieren zu lassen. Dabei wurden sie paarweise mit
einer Eisenstange aneinander gekettet. So zogen sie, Hände und Füße
in Eisen geschlagen, von Etappe zu Etappe. Jahrelang focht der
Deutsche mit den zuständigen Beamten.
Durch
Einsatz aller seiner Beziehungen erreichte er, dass kein Häftling
mehr Moskau „an der Stange“ verlassen musste.
An
das Moskauer Durchgangsgefängnis für Sibirienhäftlinge schickte
er auf seine Kosten angefertigte Eisenfesseln, viel leichter und länger
als die üblichen, auch mit Leder gefütterte Schellen für Hände
und Füße. Im Volk nannte man sie „Haass-Fesseln“. Ab 1836
wurden sie dann überall in Russland eingesetzt. Die russische
Redewendung „звон
кандальный“
(der Fesselklang) reimte sich
nicht mehr auf „звон
погребальный“
(das Grabesgeläut).
Da
Haass die russischen Beamtensitten gut kannte, setzte er durch,
dass die neuen Fesseln in seiner Anwesenheit angelegt wurden. Von
Zeit zu Zeit begleitete er sogar Häftlingskolonnen über einige
Kilometer außerhalb Moskaus. Er trat mit schreibe- und
lesekundigen Häftlingen in Briefwechsel und schickte ihnen Geld
und Bücher. Die Verbannten waren es, die ihn zuerst den heiligen
Doktor nannten. Ihm zu Ehren spendeten sie Geld für eine Ikone
des heiligen Fjodor, die in einer sibirischen Zuchthauskirche
errichtet wurde.
Seinem
ständigen Fordern und Flehen ist zu verdanken, dass im
Durchgangsgefängnis auf den Moskauer Sperlingsbergen ein
Krankenhaus und eine Schule für Häftlingskinder eingerichtet
wurden. Das Gefängniskrankenhaus nannten die Moskauer
Haass-Krankenhaus. Hier bezog er eine winzige Wohnung, wo er,
umgeben von Büchern, in äußerster Armut seine Lebensjahre bis
zum Tod verbrachte. Denn die Reste seines Vermögens verteilte er
unter die Bedürftigen.
Ein
Zeitgenosse berichtet: „Recht eigenartig in Bekleidung (Frack,
Jabot, Kniebundhose, schwarze Strümpfe und Schnallenschuhe),
lebte Haass vollkommen einsam, ganz im Dienste der Wohltätigkeit,
ohne Mühen zu scheuen oder sich durch Spott und Erniedrigungen
beirren zu lassen... Für die einen war er ein sonderbarer Kauz
und Fanatiker, für die anderen hingegen ein Heiliger“. Wäre er
ein Russe, hätte man ihn „юродивый“ genannt,
was eine typisch russische Erscheinung ist. Ein Mensch, der einen
Verrückten spielt, um sich aller Konventionen mit dem Ziel zu
entledigen, unbehindert Gutes zu tun oder den Herrschenden die
Wahrheit zu sagen.
Auch
wenn die Doktor-Haass-Preisträger in ihrem Gestus wenig
daran erinnern, bleibt doch die Hauptsache, nämlich dass
sie sich für die Russen einsetzen, seinem Beispiel folgend. Die
Matrjoschka-Truppe, die den heiligen Doktor verehrt, hofft
jedenfalls sehr darauf.
23.01.02
DEUTSCHE WIEDERVEREINIGUNG UND RUSSLAND
Was ein Matrjoschka-Freund dazu schreibt:
1. Ein Blick zurück.
Dass der Start des wiedervereinigten Deutschlands vor
zehn Jahren besser gewesen sein konnte, wird allmählich zur allgemeinen
Erkenntnis. Sonst wäre wohl der Kanzler der Einheit, Helmut Kohl, noch
auf dem hohen Ross. Und sein bester Freund, der populärste Politiker
des Vereinigungsjahres 1990, Michail Gorbatschow, vielleicht auch. Ihnen
haftet aber der Makel an, die deutsche Einheit und das neue Europa, das
von der Last der deutschen Teilung frei ist, nicht auf die beste Weise
mitgestaltet zu haben.
Dabei erhielten sie von der Geschichte die einmalige
Gelegenheit, bei der gro ßartigen Wende in Europa und in der Welt
mitzuwirken. Die Wiedervereinigung, durch die Erhebung der Ostdeutschen
ermöglicht, hätte viel mehr sein können als der Anschluss
Ostdeutschlands an die Bundesrepublik. So wie die widernatürliche
Teilung Deutschlands ein Produkt der widernatürlichen Teilung der Welt
in die sich bekämpfenden Hälften war, hätte die deutsche
Wiedervereinigung der Auftakt zu einer echten und umfassenden Einigung-
nun gut, wenn nicht der ganzen Welt, dann wenigstens des europäischen
Kontinents sein können. Ein Anfang der Überholung überlebter
Strukturen. Ein Prolog zu einem Frieden, der mehr als Abwesenheit eines
Krieges ist. Wäre es so, lebten wir jetzt in einer besseren,
glücklicheren, sichereren Welt.
Trotzdem wäre es sträflich, zu übersehen, wie viel
Gutes in den verflossenen zehn Jahren in Deutschland und in ganz Europa
passierte. Unbestreitbar ist die Tatsache, dass es den meisten Deutschen
und den meisten Europäern jetzt besser geht als vor zehn Jahren. Sie
sind wohlhabender geworden, leben freier.
Dennoch hinkt die Realität hinter den Möglichkeiten
und auch hinter den Hoffnungen des Jahres 1990 hinterher. Wo ist das
gemeinsame europäische Haus, auf das damals alle schw oren? Das
gemeinsame Haus, das allen europäischen Ländern ein Dach über den
Kopf anbieten sollte. Darunter natürlich auch Russland, dem größten
europäischen Land.
Wo ist der Frieden auf dem Kontinent, der auf dem
Grundsatz des Gewaltverzichts und auf den Prinzipien des internationalen
Rechts aufgebaut werden sollte. Der Grundsatz des Gewaltverzichts wurde
auf dem Balkan- aber auch in Tschetschenien- in sein Gegenteil verkehrt.
Und die Prinzipien des internationalen Rechts wurden mit
Soldatenstiefeln getreten.
Auch in Bezug auf Deutschland haben sich manche
Hoffnungen nicht erfüllt. Wer hätte sich vor zehn Jahren vorstellen
können, dass das staatlich wiedervereinigte Land so lange innerlich
unvereinigt bleibt? Dass an der Stelle der mit Stacheldraht markierten
Grenze eine andere entsteht, markiert durch das Gefälle in der
Wirtschaft, der sozialen Sicherheit, zähe mentale Unterschiede der
Bevölkerungsteile?
Erst recht konnte sich 1990 kaum jemand jenes
Russland vorstellen, das jetzt existiert. Das zerrüttete Land. Im
Westen, wo 1990 in Bezug auf die russische Zukunft eine Euphorie
herrschte, wird jetzt der Spie ß umgedreht. Dieselben Medien, die damals
die neue russische Demokratie in den Himmel hoben und den Sternenflug
der reformierten russischen Wirtschaft voraussagten, schildern jetzt
genüsslich den russischen Niedergang. Zwar machen sie für ihn einzig
und allein die Russen selbst haftbar. Aber Russland liegt nicht auf dem
Mond, sondern in Europa. Und im Kreml saßen nicht nur Gorbatschow und
Jelzin, sondern auch ihre zahlreichen westlichen Berater.
Warum kam es fast auf der ganzen Linie anders, als
erhofft?
2. Zwischenbilanz
Die Wiederherstellung der staatlichen Einheit
Deutschlands vor zehn Jahren hätte viel mehr hätte bringen können.
Sie hätte der Auftakt zur einen echten, auf der Solidarität aller
Europäer in Ost und West beruhenden Einheit Europas werden können.
Stattdessen entstand Europa- und Deutschland übrigens auch- die zwar
viele Fortschritte machten, dennoch in gewissem Sinne geteilt bleiben.
Geteilt durch das inzwischen eher steiler gewordene Gefälle in der
Wirtschaft, im sozialen Bereich, im Lebensniveau und mentalen
Unterschiede.
1990 wurde etwas anderes erwartet und erhofft. Ein
Deutschland, wo in West und Ost die Menschen gleiche Chancen und im
Umgang miteinander keine Schwierigkeiten haben. Ein Europa ohne jene
Grenzen, die durch den Reichtum der einen Staaten und die Armut der
anderen gezogen werden. Ein Europa, das das größte europäische Land-
Russland nicht außen vor lässt.
Warum ist es anders gekommen? Unter anderem, weil die
Staatsmänner, die die deutsche Einheit und das neue Europa
mitgestalteten, die einzigartige Chance verpassten, die Staatswesen samt
ihren wirtschaftlichen und sozialen Strukturen einer Revision zu
unterziehen. Sie hatten eine viel zu enge Sicht auf die stürmischen
Veränderungen der glorreichen Jahre 1989 und 1990. Sie fassten den
Zusammenbruch des sogenannten realen Sozialismus als eine absolute
Bestätigung des realen Kapitalismus auf und jede Reform erschien ihnen
überflüssig.
Das betrifft nicht nur den "Kanzler der
Einheit" Helmut Kohl, der auf dem Bewährten schon immer beharrte,
nicht nur seine westlichen Kollegen, sondern auch den Russen Michail
Gorbatschow, der vorgab, etwas ganz anderes anzustreben, wusste aber
anscheinend nicht, was und wie. Jedenfalls redete er viel, tat und
erreichte wenig. Wie auch sein Nachfolger Boris Jelzin.
Dabei könnte Russland mit seinem Gewicht, mit seinen
überwältigenden, sowohl positiven wie negativen Erfahrungen im XX.
Jahrhundert viel mehr bewegen. Sein Volk war es, das am Ende des
Jahrhunderts die Initialzündung der Veränderungen auslöste. Sein Volk
war es, das Mitte des Jahrhunderts den größten Beitrag zum Sieg über
den Nationalsozialismus in Deutschland leistete und somit ein neues
Deutschland ermöglichte. So hatten die Russen das Recht, ihre Stimme zu
erheben und Gehör einzufordern. Aber im europäischen Konzert führten
andere das Wort. Und Gorbatschow und danach auch Jelzin sagten zu allem,
was die westlichen Kollegen vorschlugen, ja und Amen.
Warum, soll dahingestellt bleiben. Fakt ist, dass sie
damit Europa, Deutschland, vor allem aber Russland selbst einen
Bärendienst erwiesen. Auch wenn sie zeitweilig im Westen viele
Würdigungen erhielten und internationale Preise sammelten.
So akzeptierten sie, dass Deutschland auf eine, wie
die spätere Zeit zeigte, nicht die beste Art und Weise vereint wurde
und in der NATO, also unter der Obhut der USA blieb. Mit anderen Worten,
es blieb von einer Supermacht abhängig, die nicht viel Verständnis
für die Rolle der Deutschen, die Nöte der Russen, für Europa
insgesamt zeigte. Mit Recht sind die beiden Jasager in Russland bereits
unten durch. Aber auch im übrigen Europa werden sie nicht mehr
gefeiert. Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan...
Zu ihrer Rechtfertigung sagen die Gestalter des
wiedervereinigten Deutschlands und des neuen Europas, sie nutzten 1990
die Gunst der Stunde und holten aus der Konstellation, von dem
Befreiungsdrang der osteuropäischen Völker herbeigeführt, alles
heraus, was zu holen war. Rückblickend ist das nicht überzeugend. Denn
viele Chancen, wirklich Neues und wirklich Besseres zu erreichen, wurden
vertan.
Vielleicht aber wurden sie nicht endgültig vertan?
3. Noch ist nicht aller Tage Abend.
Gerade in der letzten Zeit, kurz vor dem 10.
Jahrestag der wiedererlangten deutschen Einheit, mehrten sich
unheilvolle Zeichen dafür, dass die Gefahren für Europa 1990 nicht so
gebannt wurden, wie es hätte geschehen können und sollen.
Nehmen wir die Ereignisse, die in den Schlagzeilen
der europäischen Presse zitiert werden. Die nicht enden wollende Kette
der tragischen Unfälle, vielleicht auch Terrorakte in Russland wie die
Bombenexplosion auf dem Puschkinplatz in Moskau, das Sinken des U-Bootes
Kursk, der Brand im Moskauer Fernsehkomplex Ostankino.
Der Tenor der meisten westlichen Äußerungen läuft
darauf hinaus, die dramatischen Vorfälle und ihre Begleitumstände
zeugten von der Zerrüttung der staatlichen, wirtschaftlichen und
ethischen Grundlagen des russischen Lebens und der wachsenden
Handlungsunfähigkeit des russischen Staates. Das wird oft, insbesondere
in Übersee, mit einem Schuss Missgunst und Häme behauptet, als wäre
die russische Misere dem Westen von Vorteil.
Nun, warum die Amerikaner so eingestellt sind, lässt
sich leicht erraten. Sie hoffen, jetzt die russischen Einwände gegen
ihr Projekt der kosmischen Raketenabwehr nicht beachten zu müssen, das
heißt, die bestehenden Abrüstungsverträge über den Haufen zu werfen
und eine neue Phase des Wettrüstens einzuleiten. Damit wäre die
absolute Weltherrschaft der USA für Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte
gesichert. Auch ihre Herrschaft in Europa. Ein Kurs übrigens, der sich
bereits 1990 andeutete, als die USA den Verbleib des wiedervereinigten
Deutschlands in der NATO zu einer unerlässlichen Bedingung der
Wiedervereinigung erhoben- und Kohl und Gorbatschow zustimmten.
Übrigens verrieten die beiden letzteren damit sowohl den Geist der
friedlichen Revolution in Ostdeutschland und anderen Ländern
Osteuropas, als auch die Ideale der Russen, die sie in der Perestroika
verwirklicht sehen wollten und die keineswegs verwirklicht wurden.
Das rächt sich jetzt. Besonders offenkundig in
Russland, wo es nach 1990 rapide abwärts ging. Und zwar rundum. Der
Staat und seine Führung verloren jeden Halt in der Bevölkerung, die
Wirtschaft landete im Tal der Tränen, die öffentliche Moral, insofern
noch vorhanden, nahm großen Schaden. Mit der Haltung Gorbatschows und
seines Nachfolgers auf dem europäischen Parkett hatte es nicht wenig zu
tun. Denn die Russen fühlten sich hintergangen und erniedrigt.
Insbesondere nachdem die NATO im Zuge der Osterweiterung den russischen
Grenzen immer näher rückte.
Von der Misere ist natürlich nicht nur Russland
betroffen. Der schlechte Zustand der lebenswichtigen Einrichtungen in
Russland, der sich jetzt offenbart, lässt sie nicht nur für Russland
lebensbedrohlich werden. Auch für Europa, das in jeder Hinsicht groß,
räumlich aber eher klein ist. Und vor allem für Deutschland, fast ein
Nachbar Russlands.
Nicht nur die Russen, sondern auch die Deutschen
hätten viel mehr gewonnen, wäre die Wiedervereinigung nicht allein
nach den Wünschen des "Kanzlers der Einheit" und seiner
westlichen Freunde, vor allem jener aus den USA, gestaltet worden.
Hätte denn 1990 ein mit russischer Unterstützung
durchaus möglicher Abschied von der NATO Deutschland geschadet? Kaum.
Seine Sicherheit wäre jedenfalls nicht gefährdet. Wer bedroht es denn?
Nordkorea?
Andererseits stellt sich die Frage, ob Deutschland
für immer an der kurzen amerikanischen Leine gehalten werden muss?
Soviel ist gewiss- letztendlich bleibt es nicht so,
wie es ist. Es gibt keinen langen Stillstand in der Geschichte der
Völker. Erst recht nicht in der Geschichte des deutschen, aber auch
nicht des russischen Volkes, die beide im vorigen Jahrhundert ihre
Kreativität und Dynamik im Guten wie im Bösen unter Beweis stellten.
Vorläufig aber soll es bei der Feststellung bleiben,
dass die Wiederherstellung der deutschen Einheit vor zehn Jahren, trotz
mancher vertaner Chance, eine großartige Sache war. Und die vertanen
Chancen sind nachholbar. Es ist noch nicht aller Tage Abend.
9. LESERFORUM
ADE,
DEUTSCHLAND
Unter
dieser Überschrift brachte die in Berlin erscheinende russischsprachige
Zeitung „Europa- Express“ einen
Abschiedsbrief eines von Deutschland enttäuschten
Einwanderers aus
Russland.
Wovon
ist er denn so enttäuscht, dass er Deutschland den Rücken kehrt und zurück
in sein Herkunftsland, Russland, abreist?
Bezeichnenderweise
fängt er damit an, dass er in Deutschland zur Erkenntnis gelangte, jeder
solle in der Heimat leben und sterben, auch wenn das Leben, das die Heimat
bietet, alles andere als rosig ist. Es ist
aber sein Leben, von Gott so gewollt. Wenn
er es nicht annimmt, wechselt er vom wahren Leben zum Scheinleben.
Zum Leben als ob, mag es auch viel satter sein.
Übrigens
ist es auch mit dem Sattsein in Deutschland so eine Sache.
Die
deutsche Wirtschaft steckt in einer tiefen Krise. Und es sieht so aus, als
komme es noch schlimmer. Für
Emigranten ist die Wirtschaftsstagnation kein
abstrakter Begriff. Sie bekommen diese hart zu spüren. Oft als
erste.
Im
Winter fuhr er auf der Suche nach Arbeit
aus seinem „hoffnungslosen“ Brandenburg zu Freunden in den
Westen. Die waren inzwischen alle entlassen, obwohl sie lange gearbeitet
und sich gut bewährt hatten. Und das in vier Städten. Das kann also kein
Zufall sein. Und wenn man Arbeit hat, bezahlt man dafür einen hohen
Preis: Fachleute mit Hochschulbildung schuften als Straßenbauer, Lastenträger,
Bauarbeiter.
Das sei Sklavenarbeit.
Man
setze die letzte Kraft auf Kosten der Gesundheit ein. Man
erduldet
Erniedrigungen der deutschen Vorarbeiter, ohne aufzumucken. Bloß
nicht rausgeschmissen werden! Bloß nicht die Arbeit verlieren! Bloß die
Raten fürs Auto abzahlen! Und wozu ist das Auto gut? Um zur Arbeit zu
fahren. Ein Teufelskreis.
Dabei
leben wir bekanntlich nur einmal. Warum dann SO leben?
Wenn
man was kann, sei in Russland jetzt besser aufgehoben. Dort
gehe es ziemlich schnell voran. Fachleute werden gefragt. Und wenn
sie gut sind, kriegen sie gutes Geld. Fünfhundert bis tausendfünfhundert
Dollar im Monat. Zwei seiner ehemaligen Mitarbeiter sind als Programmierer
in Nishni Nowgorod und Moskau tätig. Von ihren tausend Dollars im Monat
haben sie bei dem niedrigen Preisniveau dort viel mehr als die besser
bezahlten Kollegen hier.
Der
Lebensstandard in
Moskau sei
bereits dem europäischen angeglichen.
Freie
Marktwirtschaft. Sie biete nur dem die Chance,
wer viel Geld investieren kann.
Sonst musst du
auch als ehemaliger Universitätsprofessor auf dem Bau Steine
schleppen. Ist es das Leben, von dem er träumte, als er sich auf den Weg
machte ?
Und
die deutsche Bürokratie. Das Kürzel BRD
liest er wie Bürokratische Republik Deutschland...
Offensichtlich
sei etwas faul in diesem Staate, wenn die russischen Einwanderer mehr und
mehr dorthin zurückkehren, woher sie mit großen Hoffnungen gekommen
sind. Einige seiner Bekannten sind schon weg. Er telefonierte
mit ihnen: " Habt Ihr es nicht bereut?" "Ganz und
gar nicht, nur bedauern wir, dass wir uns nicht eher dazu entschlossen
haben!"
Auch
er sitze auf den Koffern. In der BRD hätte er sein Ingenieurdiplom bestätigt,
er spricht frei Deutsch, hätte die deutsche Staatsbürgerschaft, aber
alles das schiebt er zur Seite und wendet sich dem Osten zu, seiner persönlichen
Freiheit wegen.
Ade,
Deutschland!
PS.
der Holzpuppen: So schlimm ist es
für Deutschland nicht, wenn die Einwanderer aus Russland (darunter
die meisten
deutscher Abstammung) ihm den Rücken kehren. Свято
место
пусто
не
бывает,
wie die Russen sagen: der Pilgerort lockt die
anderen an. Russen gehen, Araber kommen. Und es ist gut so: wie Herr Lafontaine
gesagt haben soll, ein afrikanischer Einwanderer
sei Deutschland
lieber als ein Deutscher aus Russland.
Verständlicherweise:
die verdammten Russen sind so aufsässig, ein Erbe der
Sowjetzeit.
31.3.03
WO
DER SCHUH DEN RUSSEN DRÜCKT, WENN ER AN DEUTSCHLAND DENKEN.
Das
versuchte matrjoschka-
online.de an Hand der Fragen der Russen zu ermitteln, die dem
deutschen Botschafter in Moskau
auf der Site Gazeta.ru gestellt worden waren.
Hier einige Ergebnisse unserer Analyse.
1.
Am meisten ärgern sich die Russen, wenn Sie nach Deutschland
wollen, aber nicht mit
offenen Armen empfangen werden. So auch darüber,
dass es nicht
ganz einfach ist, im deutschen Konsulat in Moskau ein Visum zu
bekommen. Meistens muss man viel Geduld und Zeit mitbringen.
Außerdem ist das deutsche Personal, insbesondere das des
Sicherheitsdienstes, nicht gerade ausgesucht
höflich.
In
seiner on-line – Stellungnahme
dazu verwies Botschafter
von Plötz darauf, dass die Einreise der Deutschen nach Russland
noch komplizierter gestaltet wird als die Einreise der Russen nach
Deutschland. Ein schwacher Trost für die Russen.
Herr
von Plötz unterstützte den Vorschlag der russischen
Fragesteller, den Visumszwang
im Verkehr zwischen Deutschland und Russland abzuschaffen.
Allerdings sei es Zukunftsmusik, da sich alle Beteiligten am
Schengen- Abkommen damit einverstanden erklären müssen. Alle EU-
Länder. Und die können sich auch über weniger wichtige Fragen
wie zum Beispiel der Krieg im Irak
nicht einigen.
Wo
aber Wille ist,
findet sich auch Weg,
zitierte Botschafter von Plötz
seinen Vorgänger, einen gewissen Fürst Otto von Bismarck. Schön, dass er es
tat. Es ist die höchste Zeit, dass der Preuße wieder zum Vorbild
wird.
Wir
wünschen Botschafter
von Plötz eine
Karriere, wie sie der Vorgänger gemacht hat. Bald nach der Rückkehr
aus Sankt- Petersburg wurde er
nämlich deutscher Kanzler.
Sollte
Herr von Plötz tatsächlich so hoch steigen, legt allerdings
unser außenpolitischer Experte, Iwan Matrjoschkin, Esq., ihm
nahe, dem Fürst in einer Hinsicht
nicht zu
folgen. Gemeint ist die Frontstellung gegenüber Frankreich. Hier
würde Russland nicht mitmachen. Alle drei Kontinentalmächte,
Deutschland, Frankreich und Russland, sollen an einem Strang
ziehen. Meint Iwan von Matrjoschkin. „Von“ in dem Sinne, dass
er dem
matrjoschka-Team angehört. Sonst
ist er leider kein „von“, nur „Esq.“ Aber auch nicht zu
verachten.
2.Aber
zurück zur Frage, wo der Schuh den Russen drückt. Mehrere
Fragesteller, die in Deutschland zu Besuch waren oder in
Deutschland leben, glauben, es gäbe in Deutschland unterschwellige
Russenfeindlichkeit. Keiner hat aber ein überzeugendes Beispiel
angeführt. Nicht auszuschließen, das die Russen mitunter zu
empfindlich sind. Wenn, wie in Wittstock vor einiger Zeit, ein
Russe einen Stein an
den Kopf kriegt, wird sofort gezetert: Russenfeindlichkeit!
Vielleicht aber meinen die Fritzen es nicht so. Vielleicht
sehen sie darin einen etwas rustikalen Freundschaftsbeweis.
Sagt Iwan Matrjoschkin, Esq.
3.
Auch mit den Klagen
mehrerer Fragesteller über die abfällige
Russlandberichterstattung in den deutschen Medien, insbesondere im
deutschen Fernsehen, konnte sich
unser Experte nicht ohne weiteres
solidarisieren. Welches Land kommt denn
in den deutschen Medien besser weg? Deutschland selbst auch
nicht.
Übrigens
auch in den russischen Medien
werden die russischen Missstände
breitgetreten. Warum
also sollen die deutschen Medien auf die angewöhnten
Berichterstattungssitten verzichten,
wenn sie über Russland berichten? Nur weil die russischen Medien,
z.B. der russische Auslandsender „Stimme Russlands“, aus
Berlin nur Positives zu berichten wissen? Das ist kein triftiger
Grund.
Ein
Vorwurf ist aber zweifelsohne wahr:
das deutsche Fernsehen zeigt Russland vorwiegend unter
Schnee und Eis, als gäbe es dort von den vier Jahreszeiten nur
die eine: Winter.
Botschafter
von Plötz ist darauf leider nicht eingegangen. So musste
Iwan Matrjoschkin, Esq., über eine Retourkutsche
nachdenken. Er schlug vor,
ab jetzt im russischen Fernsehen Deutschland nur verregnet zeigen.
Aber die weiblichen Puppen
lehnten den Vorschlag ab. Die deutsch-russischen
Beziehungen dürfen nicht belastet werden. Sollen die Deutschen
ruhig Russland
als ein Wintermärchen im Fernsehen erleben. Mit Väterchen
Frost.
4.
Viele Fragen der Russen an den Botschafter von Plötz betrafen die
deutsche Politik in der Irakkrise. Die Fragesteller ließen eine
starke Hoffnung auf eine gemeinsame, russisch- deutsche Abwehr des
USA- Draufgängertums erkennen.
Die Amis würden was erleben,
wenn die Russen und die Deutschen zusammen ihnen die
кузькина
мать
zeigen. Zwar
weiß keiner, was die
мать
ist, aber selbst die
Drohung wird als schrecklich empfunden. Мать!
Allerdings
ließ sich Herr
Botschafter auf die Spekulationen nicht ein, sondern hob die
Grundsätzlichkeit der transatlantischen Bindungen Deutschlands
hervor. Vermutlich erwarteten
die russischen Fragesteller von ihm etwas anderes. Aber sie
wissen nicht, was ein Diplomat ist, besonders ein deutscher.
5.
Das Fazit. Der
Auftritt des deutschen Botschafter im russischen Netz war ein
bemerkenswertes und
nachahmenswürdiges Novum. Bravo, Herr von Plötz! Demnächst
bitten wir Sie, uns ein
Interview zu geben.
Auch
der russische Botschafter in Deutschland, Sergei Krylow,
ist angesprochen. Matrjoschka-online.de als die meistbesuchte
deutsche Site über Russland (im Schnitt mehrere 1000 Besucher täglich)
erklärt sich bereit,
ihm die Gelegenheit zu einem Auftritt zu gewähren. Greifen
Sie zu, Herr Botschafter! Folgen Sie dem guten Beispiel des
deutschen Kollegen! Iwan Matrjoschkin, Esq. ,hat sich
einverstanden erklärt, das Interview zu moderieren.
4.3.03
PARADIES AUF ERDEN?
WIE
LEBT ES SICH IN DEUTSCHLAND?
Darüber
ist im Runet (Gazeta.ru) eine heftige Diskussion zwischen den
Emigranten aus Russland entbrannt. Den einen gefällt es in
Deutschland, anderen weniger. Auslöser war der
Brief eines gewissen Nikolai aus Nürnberg:
In
diesem Deutschland ist auch nicht alles so einfach. Vieles hängt
davon ab, wie der Aussiedler vor seiner Emigration in der Heimat
lebte... Die Freude eines Kolchosbauern aus Kasachstan, der zeitlebens
in einer Lehmhütte hauste, über eine Wohnung in Deutschland kann ich
durchaus verstehen. Aber nur wenige rechnen nach, dass man bei einem
monatlichen Durchschnittseinkommen von 1000 EUR 300 EUR für die
Wohnungsmiete, 50 fürs Telefon, 20 fürs Internet, 15 für die
Fernsehantenne, 55 für Strom bezahlen muss. Bleiben ihm 150 EUR zum
Leben (hinzu kommen die Ticketgebühren für den öffentlichen Verkehr
oder, Gott behüte, man besitzt ein eigenes Auto –mindestens 220 EUR
Versicherung, 200 EUR Steuern, Sprit 50 EUR pro Woche).
Beneidet
uns nicht um unser Leben hier im Westen! Ein Haus kaufen, das ist tatsächlich
kein Problem. Nur musst du es ein Leben lang abzahlen und wirst auch
deinen Kindern noch schulden hinterlassen. Verlierst du die Arbeit,
vegetierst du unter der Brücke. Das Haus wird verkauft, wenn du
Schulden hast, die Zinsen des Kredits musst du zahlen... Ständig muss
man selbst etwas reparieren. Handwerker holen, das kann man nur im
Film, im realen Leben können sich nur Millionäre Handwerker leisten.
Alles macht man selbst, wenn man es kann – streichen,
verputzen...Man kauft auch alles selbst, dort, wo es am billigsten
ist, hier und da kann man was stibitzen. Das mit einem eigenen Haus
ist Spinnerei unverbesserlicher Optimisten. In Deutschland sind die Häuser
meiner Landsleute sofort zu erkennen, sie gleichen einer Hundehütte!
Ein
anderer russischer „Deutscher“ widerspricht: In Deutschland kann
man gut leben. Es ist eine große Wohltätigkeitsanstalt. Er schreibt:
Ungefähr
die Hälfte der arbeitsfähigen Bevölkerung Deutschlands ist berufstätig
und gibt 40% seiner Arbeitseinkünfte in den Staatssäckel ab, dafür
leben alle anderen wunderschön von der Sozialhilfe. Wenn die Arbeit
schlecht bezahlt wird, hat sie hier einfach keinen Sinn. Die Deutschen
arbeiten aus Gewohnheit. Wir denken gar nicht daran, zu arbeiten. Wozu?
In
Nürnberg gibt es einen Wohltätigkeitsverein. Jeder Säufer erhält
hier täglich einen Obolus für Wodka, damit er seine Familie nicht
ausnimmt. .Wie
mir meine dort lebenden Landsleute erzählten, ist es hier einfacher,
beim Staat zu betteln als ihn zu bestehlen. Er gibt ja, wenn man ihn
anbettelt.
Aber die Unsrigen
haben sich daran gewöhnt, zu stehlen. Darum beginnen die Deutschen zu
begreifen, dass sie zu viele Russen ins Land ließen. Die Unsrigen
machen in den Supermärkten zappzarapp, und wenn sie in einem
Vorortszug fahren, suchen sie sich die Deutschen mit
Wochenendticket...
Ein
anderer schreibt:
Wenn die Umsiedler
in Hundehütten-Häusern leben, dann deshalb, weil sie in der
Sowjetunion mit der Propaganda irregeführt wurden, ein Arbeiter oder
ein Bauer darf vom Staat alles verlangen. Und dann ist hier in den Gefängnissen
jeder Fünfte aus der GUS. Welche Häuser können sie beanspruchen?
Und noch ein Brief:
Der Verdienst eines
Menschen reicht tatsächlich von 1000 bis 15000 EUR, mehr verdienen
Russischsprachige nicht.
Ein
eigenes Haus mit Keller (der Keller ist in Deutschland die Wohnung für
Oma und Opa. Sie erhalten Rente und bezahlen den Kindern die Miete)
und mit einem Boden (auf dem Boden wohnen die Kinder, die Wände sind
schräg, aufrecht stehen kann man nur in der Bodenmitte), zum Bett
muss man kriechen), so ein Haus ohne das Land, auf dem es steht,
kostet im Durchschnitt 150 000 EUR. Jetzt kann man sich ausmalen,
warum die Häuser der „Russen“ im allgemeinen wirklich wie Hundehütten
aussehen, aneinandergeklebt, drei kleine Zimmer und eine winzige Küche,
Kinder, die entwürdigend unterm Dach hausen, die Eltern im Keller
ohne Fenster und auf Betonfußboden! Und sie freuen sich noch. Haben
ein eigenen Haus! Worüber freuen sie sich so?
Für
Deutschland legte ein Michail ein Wort ein:
Alles
ist ganz einfach. Diejenigen, die Deutschland verdammen, sind
russische Geheimdienstagenten. Ihre Briefe sind Provokationen. Sie
wollen den Russen in Deutschland weismachen, im Russland unter der
weisen Führung Putins sei es besser.
Ein
Diskutant schickte ein Hundehüttefoto, um zu zeigen, wie und in welchen Häusern
die russischen Aussiedler in Deutschland leben.
So
ein undankbares Volk, zogen die Holzpuppen Bilanz.
Wenn es den Russen in Deutschland nicht gefällt, sollen sie doch zurück.
Keiner hält sie hier. Daraufhin wollte Iwan Matrjoschkin, Esq., ihr
eine Ohrfeige verpassen. Im Konzern matrjoschka-online.de kam es zu
Irritationen. Die deutsche Polizei wurde angerufen, die sich übrigens
mit der Aussage der Angegriffenen voll und ganz solidarisierte. Iwan
Matrjoschkin, Esq., wurde in U-Haft abgeführt.
20.1.03
Gazeta.ru
bringt einen Leserbrief aus Deutschland, der lautet:
Ich,
ein ehemaliger Sowjetbürger, lebe ich bereits mehr als 10 Jahre in
Deutschland. Mit der ganzen Familie.
Die
ersten Jahre flogen wir in Urlaub nach Spanien. Im vorigen Jahr änderten
wir die Route. Wir flogen auf
die Krim.
Ein
deutscher Freund wollte unbedingt mit. Nun gut, wir haben ihn mitgenommen.
Auf
der Krim angekommen, war
er baff. Die wunderschöne Landschaft, die kontaktfreudigen,
freundlichen Menschen. Und die Preise! Für bessere Leistungen etwa ein
Drittel der in westeuropäischen Urlaubsregionen.
Der
Deutsche wurde richtig süchtig. Nirgendwo
anders will er hin. Nur auf die Krim. Jede Nacht träumt er davon. Wen er
auch trifft, erzählt er von der Krim und zeigt die mitgebrachten Fotos.
Und der Clou: Vor kurzem heiratete er ein ukrainisches Mädchen. Jetzt ist
die Krim quasi zu seiner zweiten Heimat geworden.
Der
Chefgeograph des matrjoschka-teams, Iwan Matrjoschkin, Esq., gibt
Auskunft.
Die
deutsche Sehnsucht nach der Schwarzmeerhalbinsel Krim scheint vererbbar zu
sein. Denn keine andere als eine Deutsche auf dem russischen Thron,
Katarina die Große, hat die
Krim den Türken abgetrotzt und dem russischen Reich einverleibt. Hitler
faselte darüber, die Krim als
ein riesiges Sanatorium für
Übermenschen einzurichten.
Vor
etwa 45 Jahren schenkte der
impulsive Stalin-Erbe Chruschtschow die Krim den Ukrainern. Er hat nämlich
nicht damit gerechnet, dass die Ukraine einst selbständig wird.
Jetzt
hat die Krim ein Problem, die Tataren. Das sind Überreste der Urbevölkerung
der Krim. 1944 hat Stalin sie nach Sibirien verfrachtet. Der Grund:
Kollaboration mit den Deutschen, die im Krieg kurzfristig die Krim
besetzten.
Viel
später durften die Ausgesiedelten zurück. Unter strengen Auflagen. Jetzt
aber nehmen sie langsam, aber sicher die Krim wieder in die Hand.
Der
oben erwähnte Deutsche hat sich also verrechnet. Er sollte nicht eine
Ukrainerin, sondern eine Tatarin heiraten.
21.1.03
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