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RUssEN UnTER SiCH |
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RUSSISCHE JUGENDLICHE HASCHEN WIE TOLL UND VERRÜCKT
500
000 UND 1 000 So
viele Teilnehmer gab es bei den jüngsten Friedensaufmärschen
in Berlin und in Moskau. In Moskau waren es also nur 0,2 Prozent
von der Berliner Menge. Obwohl Moskau mindestens doppelt so groß ist. In
der Zeit, als in der Sowjetunion der von der Regierung gesteuerte und
strengstens kontrollierte „Friedenskampf“ geführt wurde, hatte dieser
eine Art Hymne. Sie fing mit der rhetorischen Frage an, ob die Russen den
Krieg wollen. Die Antwort hieß selbstverständlich: nein! Sie wollten
keinen Krieg. Ausgenommen vielleicht einen auf Befehl von oben. Gegen die Kriegstreiber. Später
gingen die Russen aus eigenem Antrieb
auf die Straße. Für die politische Freiheit, Reisefreiheit, die
Freiheit, ihre Köpfe und Hände auf eine sinnvolle Weise einzusetzen. Und
für den Frieden. Den echten, nicht von der Regierung vorgetäuschten. So
führten sie das verheißungsvolle
und wohlverdiente Ende der
Sowjetmacht herbei. Aber
die Launen der Geschichte... Seitdem sitzen sie in einer anderen Falle.
Bereits fünfzehn Jahre sitzen sie drin. In einer Falle, in der ihnen die
Lebenslust vergeht und die Lebenskraft versiegt. Sie
sterben jung, als führte ihr Land Krieg.
Nicht Kugeln und Bomben töten
sie, sondern Hunger, Seuchen,
Fusel und Hasch. Insgesamt
kommt die Zahl der seit der Wende vor fünfzehn Jahren frühzeitig
Gestorbenen immer näher an
die Verluste der Russen auf dem Schlachtfeld in den Jahren
1941- 1945 heran. Im verlustreichsten Krieg der russischen
Geschichte, im Krieg gegen Hitlerdeutschland. Das
miese Leben und die hohe Sterberate zu Friedenszeiten mindern anscheinend
die Kriegsangst und die Friedensliebe der Russen. So oder so ist man
seines Lebens nicht sicher und nicht froh. Vielleicht
blieben sie deswegen zu Hause, als anderswo für den Frieden auf
die Straße gegangen wurde? Wenn
die Russen mal wieder
massenweise auf die Straße gehen, dann
vermutlich nicht für
den Frieden. Wie schön dieses Ziel auch sein mag. 17.
2. 03 DIE RUSSISCHE GESCHICHTE UND
DIE NATIONALE IDENTITÄT DER RUSSEN (EIN REFERAT DES INSTITUTS FÜR
SOZIOLOGIE RUSSLANDS BEIM MATRJOSCHKA-ONLINE-KONZERN. DER
INSTITUTSLEITER IST IWAN MATRJOSCHKIN, ESQ. )
In den letzten fünfzehn
Jahren starrte Russland seine
eigene Vergangenheit unentwegt an.
Es vollzog sich dabei im gesellschaftlichen Bewusstein ein
grundlegender Wandel, der die Vorstellungen der Russen über ihr Land
radikal änderten. In der ersten Phase der
Perestroika stand die Tragödie des Stalinismus
im Mittelpunkt. Doch das blieb nicht lange so. Als Deutungsobjekt
wurde die Epoche bald
von den tiefer in der
Vergangenheit liegenden Zeiten verdrängt. Vor allem von der
idealisierten Darstellung des vorrevolutionären Russlands, die zur
Sowjetzeit ein Ding der Unmöglichkeit gewesen wäre. Dabei wurden auf die Realitäten
des Zarismus die Augen geschlossen, die zur Revolution von 1917 führten:
die himmelschreiende soziale Ungerechtigkeit, die militante Willkür und
die Käuflichkeit der Machthaber, die wirtschaftliche Rückständigkeit,
das Analphabetentum der Masse der Bevölkerung, die Unterdrückung von
Minderheiten. In den Massenmedien der postsowjetischen Zeit erschien das
Zarenreich als Hort patriarchalischen Wohlergehens. Das entsprach
keineswegs der geschichtlichen Wahrheit, gab jedoch der postsowjetischen
russischen Gesellschaft, die nur schwer mit dem Zusammenbruch der
Supermacht fertig wurde,
ein wenig Halt. Vor allem diente die
Idealisierung des zaristischen Russlands
dem neuen, von der Enttäuschung über den Westen profitierenden
russischen Nationalismus. Das russische Missgeschickt führte er auf die
Heimtücke des Westens zurück, der zunächst den allen russischen
Traditionen fremden Kommunismus ins Land brachte, um dann dessen
Scheitern zur Ausplünderung und Isolierung Russland zu nutzen.
Das war übrigens nur ein
Aspekt des Diskurses, denn eine Zeit lang gab es auch
die westlich ausgerichteten Liberalen. Sie meinten, der
Stalinismus sei tief in der russischen Geschichte verankert, er sei die
Folge der Rückständigkeit im vorrevolutionären Russland, der maroden
Macht der zaristischen Bürokratie, ebenso wie der messianischen
Besessenheit der Russen, die in die archaische Vergangenheit
des Landes zurückreicht. Die Liberalen versuchten, gegen das
Aufleben des russischen Nationalismus anzugehen, sind damit aber, wie
sich jetzt immer deutlicher zeigt, nicht erfolgreich gewesen. Mehr noch.
Das Bedürfnis nach höherer Selbstschätzung, die während der
Perestroika niedergetreten wurde, hatte die schleichende Rehabilitierung
nicht nur des zaristischen, sondern auch des postrevolutionären
Russlands zur Folge. Der Terror der Geheimpolizei und die Unterdrückung
der Völker der UdSSR rückten in den Hintergrund, in den Vordergrund
traten nun die Errungenschaften der Sowjetunion: der rapide Anstieg der
militärischen und wirtschaftlichen Stärke, der Sieg im Zweiten
Weltkrieg, der immense Einfluss in der Welt der Nachkriegszeit. Der
Zusammenbruch der Supermacht, der davor auf ihre strukturelle Schwäche
zurückgeführt worden war, wurde nun als ein Ergebnis der
antirussischen Weltverschwörung gedeutet. So verlor der Unterschied zwischen dem zaristischen und den sowjetischen Russland
an Bedeutung. Die Idealisierung der Vergangenheit weitete sich auf Stalins
Herrschaft aus, sein davor milde behandelter Vorgänger Wladimir Lenin
geriet dagegen in den Mittelpunkt der Kritik, wobei seine Verankerung in
der westlichen Kultur und seine nicht ganz koschere Abstammung
hervorgehoben wurde.
Auf die russische
Schicksalsfrage, wer sind wir Russen, wurden schmeichelhaftere Antworten
als früher laut. Wir sind nicht diejenigen, die Jahrzehntelang den
Terror und die Lüge der Sowjetmacht hinnahmen und an ihren Verbrechen
nicht ganz unbeteiligt gewesen sind, sondern diejenigen, die Russland
auf den Gipfel der Macht gehievt haben. Und wenn Russland jetzt im
Schmutz liegt, dann sind daran nicht wir, sondern seine offenen und
heimlichen Feinde im Ausland Schuld. Das ist die russische Variante
des Versailler Syndroms. Wie es auch in Deutschland der Fall war,
entstand es im Ergebnis der Politik, die bis zum Letzten den Sieg
auskosten wollte, ohne bei
den Folgen zu verweilen. Welche Blüten dabei gedeihen,
zeigen die Umfragen in Russland. 1989 hielten
nur 12 Prozent der Russen Stalin für den größten Staatsmann
aller Völker und Zeiten, 1994 bereits 20 Prozent, 1999- 35 Prozent.
Heute ist der Anteil bestimmt noch viel größer. Stalins Verherrlichung wie der
ganze Wandel der Einstellung zur russischen Geschichte entspricht dem
Verlangen der Russen, mit der Nestbeschmutzung Schluss zu machen. Und
auch dem Verlangen, eine Vergangenheit zu haben, die mehr
Selbstbewusstsein in der Gegenwart rechtfertigt. Präsident Putin fördert
den Prozess. Es gibt allen Grund zur
Annahme, in Deutschland finden sich hoffnungsvolle Beobachter dieser Gemüterwandlung
in Russland. Schließlich sind auch viele Deutsche satt, für die
Verbrechen der Vergangenheit haften zu müssen. Außerdem verstehen
diejenigen, die auf eine Partnerschaft mit Russland als Gegengewicht zum
USA-Diktat in der globalisierten Welt
setzen, dass nur ein selbstbewusstes Russland ein starker Partner
werden kann. Und die vielgepriesene
Demokratie? Wer versteht denn nicht, dass es mehr ein schönes Wort ist.
Bestenfalls zur Rechtfertigung der
Einflussnahme auf fremde Staaten tauglich. Jedenfalls
kein Grund, auf eine nützliche Politik zu verzichten. 26.12.02 RUSSISCHE
ERFAHRUNGEN IN DIE DEUTSCHEN MASSEN ! Vorwort der Matrjoschka- Holding Liebe Leser, jeden Tag wird unser Team in den deutschen Medien mit der düsteren Stimmung der Bevölkerung unserer Wahlheimat konfrontiert. Wenn man den Medien glaubt, ist diese von Zukunftsangst geplagt. Ehrlich gesagt, sehen wir dafür wenig Grund. Auch wenn die neue/alte Regierung in Berlin, wie behauptet, gezwungenermaßen ein wenig tiefer in ihre Tasche langt, bleibt ihre Lebenshaltung trotzdem himmelhoch über der der Russen und vieler anderer Völker unserer Erde. Andererseits ist es nicht überflüssig, sich rechtzeitig fürs Schlimme zu wappnen. Auch wenn sich das Horrorszenario später als realitätsfern, erweisen sollte. Was wir sehr wünschen. Aus diesen Überlegungen heraus haben wir uns entschlossen, ein seltenes russisches Phänomen zu erforschen. Es gab nämlich in der jüngsten Vergangenheit (seit der Einführung der Marktwirtschaft in Russland) kein denkbares Pech, das die Russen nicht heimgesucht hätte. Der Statistik und sonstigen Erhebungen nach geht es ihnen ganz schlecht. Trotzdem leben sie weiter. Und die meisten freuen sich sogar ihres Lebens. Obwohl allerseits versucht wird, ihnen die Existenz auf dieser Erde zu verleiden. So haben wir dem Chefsoziologen der Holding, Iwan Matrjoschkin, Esq., aufgetragen, dem größten russischen Rätsel des Überlebens auf den Grund zu gehen. Im folgenden werden Ergebnisse seiner, nach allen Regel der Wissenschaft absolvierten Forschungsarbeit vorgestellt. Also, Iwan
Matrjoschkin, Esq., berichtet darüber, wie es
die Russen unter den Verhältnissen der permanenten Krise fertig
bringen, sich ihres Lebens zu freuen. Das
geheime russische Lebenselixier heißt Datsche.* *Die Datsche ist eine kleine Parzelle mit einem Schuppen darauf. Das ist ein nirgendwo registrierter und steuerlich nicht erfasster Familienbetrieb. Eine kleine Kolchose, wie die ländlichen Kollektivwirtschaften auf dem Lande in der Sowjetzeit hießen. Die ländlichen Kollektivwirtschaften der Sowjetzeit und die Familienbetriebe in Russland von heute sind aber zwei Paar Schuh. Die Kolchosen sind unter einem ungeheuren Zwang des Staates entstanden. Sie dienten der totalen Ausbeutung der Bauern, die so hart war wie im Reich der Pharaonen. Die Datsche- Betriebe sind dagegen ganz freiwillig. Hier tut man nicht so als ob, hier wird gearbeitet. Und die Arbeit bringt was. Wer leer ausgeht, ist der Staat, nicht der Schuftende. xxx Voraussetzung des Datsche- Wesens ist eine intakte Familie. Sie hat in Russland die Sowjetzeit überlebt. Obwohl die Sowjetmacht eher dafür war, dass ein Sowjetmensch die Partei als seine Familie und den Parteichef als den Übervater akzeptierte. Die intakte Familie, meistens aus drei Generationen bestehend, braucht man in einem Lande, wo die normale Rente nicht vor dem Hungertod rettet, zum Überleben. Und für den erwähnten Datschebetrieb, der am meisten das Überleben sichert und für viele den Schwerpunkt der produktiven Tätigkeit bildet. Die intakte Familie ermöglicht eine sinnvolle Arbeitsteilung im Datschebetrieb, seine Funktionalität und Kontinuität. xxx Die schwerste Arbeit- Bodenvorbereitung und Aussaat im Frühling, Ernte im Herbst- erledigt die mittlere Generation. Egal welcher Beschäftigung sie sonst nachgeht. Ob Industriearbeiter, Staatsbeamter oder Wissenschaftler- mit Spaten oder Sense in der Hand erwirtschaftet er auf der Parzelle unter dem Strich mehr als auf der eingetragenen Arbeitsstelle. Auch wenn es nur Naturalien sind, die er erwirtschaft. Ich, Iwan Matrjoschkin, Esq., bin mit einem bedeutenden Atomforscher aus der Stadt Dubna freundschaftlich verbunden. In der internationalen Fachwelt hat er einen guten Namen. Wird deshalb von westlichen Kollegen oft zur Mitarbeit eingeladen. Den Einladungen folgt er bereitwillig. Aber möglichst nicht in der Saison. Also nicht in der Zeit, wo er auf der Datsche gebraucht wird. xxx Selbstverständlich schuftet Mann/Frau auf der Parzelle mit mehr Elan als anderswo, da er/sie nur für sich selbst und die Familie schuftet. Man muss nur dafür Sorge tragen, dass die anderweitige Beschäftigung der hauptsächlichen- auf der Datsche- nicht im Wege steht. Das heißt nicht zu viel Zeit und Kraft raubt. Insbesondere, wenn Saat und Ernte bevorstehen. So muss man sich nolens volens in der Zeit krank schreiben lassen. Ein russischer Arzt, der die zwingenden Umstände nicht berücksichtigt und den sehr arbeitswilligen (auf der Datsche) Menschen nicht entgegenkommt, bestraft sich selbst. Er bleibt auf seinem kümmerlichen Gehalt sitzen. Der Obolus, auf den er unvernünftigerweise verzichtet, fehlt ihm sehr. Und der Ruf eines Idioten geht ihm voran. xxx Bereits aus dem Vorhergesagten ist klar ersichtlich, dass eine normale russische Familie zwei Standbeine im Leben hat. In der Stadt und auf dem Lande, wobei die ländliche oft wichtiger ist. Aber auch die Stadt wird gebraucht. Sie beherbergt die Familie im langen russischen Winter. Da wird verzehrt, was auf der Datsche geerntet wurde. Von den Pilzen aus dem Wald bis zur Konfitüre aus dem Garten. Kartoffeln sowieso. Mitunter auch tierische Produkte, wenn der Datschebetrieb Tierhaltung einschließt. In dem Falle kommt im Winter Ziege, Kalb und/oder Ferkel auf den Balkon der Stadtwohnung. Für die Nachbarn ist es nicht immer angenehm. Aber sie lassen es ohne Klage über sich ergehen. Vielleicht weil sie selbst darüber nachdenken, demnächst eine Ziege zu erwerben. Tierische Produkte werden immer teuerer und Ziegenmilch ist gesund. xxx Unverzichtbar ist im Datschebetrieb die Mitarbeit der älteren Generation. Da diese bereits berentet ist, bleibt sie vom Vorfrühling bis zum Spätherbst draußen. Sie ist für die Sammeltätigkeit im Wald zuständig. Auf der Parzelle erledigt sie die Tätigkeiten, die ihrer Kraft angemessen sind. Z.B. das Jäten. Auch nimmt sie den Wachdienst auf ihre Schultern. Dieser ist unerlässlich. Denn die Erfahrung zeigt: dort, wo er fehlt, wird zwar gesät und gepflanzt, aber die Ernte holen die lieben Nachbarn ein. Ungebetenerweise. Der gute Geist der Familie ist das brave Mütterchen. Die Oma. Die Babuschka (nicht zu verwechseln mit Matrjoschka!). Die Babuschka pflegt die Erkrankten mit Mitteln aus der Waldapotheke. Und sie bekocht die Familie. Ihr Borschtsch, Schtschi und andere echt russische Gerichte schmecken unsagbar gut. Auch weil die Komponenten taufrisch sind und ohne Zwischenlager in die Küche kommen. xxx Der Beitrag der jungen Generation zur gemeinsamen Familiensache ist zumeist eher psychologisch. Ihr prächtiges Gedeihen im Schoss der Natur erfreut die Herzen der Eltern und Großeltern und gibt ihnen die Gewissheit, dass das Leben weitergeht und immer besser wird. xxx Das
Fazit: Der Datschebetrieb verwirklicht den alten Traum von der Arbeit freier Menschen auf freier Erde. Eine Goethe- Traum. Er macht auch vieles von dem wahr, was der Sozialismus zwar versprochen, aber nie verwirklicht hat. Zum Beispiel den Grundsatz, wer nicht arbeitet, kann auch nicht essen. Oder die Überwindung des Unterschieds zwischen Stadt und Land. Das Schöne dabei ist, dass dieser Sozialismus mit menschlichem Antlitz nicht von einem Staat, sondern ohne staatliche Einmischung und sogar ohne staatliche Wahrnehmung** verwirklicht wird. Die Datsche- Menschen sind innerlich frei und unabhängig. Ihnen ist schnuppe, was im Kreml ausgeheckt wird. Und die Lage im Nahen Osten auch. Wenn sie den Idiotenkasten einschalten, dann nur, um Seifenopern zu genießen. Am Abend, nach einem Tag voll von sinnvoller und gottgefälliger Beschäftigung.*** So wäre nicht verkehrt, wenn unsere deutschen liebgewonnenen Mitbürger die russischen Erfahrungen verinnerlichten. Dann würden sie den würdevollen Bundeskanzler endlich in Ruhe lassen. Und dem befürchteten Abbau des Sozialnetzes gelassener entgegen sehen. Anmerkungen:
5.12.02
ZUM
KOTZEN! Das
ist der Refrain einer Publikation auf der Runet-Seite „Gazeta.ru.“
Der Verfasser heißt Valeri Panjuschkin. Was kotzt ihn so an? Vor
allem die Intrigen in der politischen Elite Russlands, die immer
zynischer dem goldenen Kalb huldigt. Das vorläufige
non plus ultra ihrer Verkommenheit stellt in seinen Augen das Bündnis
zwischen dem linkskommunistischen und ultranationalistischen
Publizisten Alexander Prochanow und dem milliardenschweren Geschäftemacher
Boris Beresowski dar. Vor wenigen Tagen soll diese
widernatürliche Allianz in England bekräftigt worden sein, wo
der Milliardär Schutz vor seinem Widerpart, dem russischen Präsidenten
Putin, sucht. Allerdings
ist das nur die spektakuläre
Spitze des Eisbergs, bestehend
aus Schmiergeldnehmern in der Regierung und der Duma,
Auftragsmördern in der Geschäftswelt, käuflichen
Schreiberlingen in den verlogenen Medien. Dieser Eisklotz steht
unerschütterlich in einem Land, wo die meisten darben, nur wenige
sich leisten können, an einem Abend 100.000 USD in einem Casino zu
lassen, ohne mit der Wimper zu zucken. Wo Menschenrechte und soziale
Sicherheit zu Wechselgeld werden, das die Herrschenden in die träge
Masse der durch die Systemtransformation
Beraubten und Erniedrigten werfen. Immer
wieder reitet der Verfasser verbale Attacken gegen die russischen
politischen Sitten, immer wieder ertönt sein Aufschrei „zum
Kotzen!“. In
seiner Verzweiflung bricht er mit dem vertrauten Denkmuster, wonach es
Linke und Rechte gibt, Fortschrittsgläubige
und Konservative, Revolutionäre und Reaktionäre. Die
Etikettierung ist obsolet geworden. Die Unterschiede gelten nicht
mehr. Es gibt Menschen, die Homer lesen, und Menschen, die sich im
Zirkus amüsieren. Das ist die Wasserscheide. Die letzteren
dominieren. So war es, so ist es, so bleibt es.
Und trotzdem ist das
Homerlesen besser. Ein
typischer Vertreter der russischen Intelligenzija ist der Autor der
Runetseite „Gazeta.ru“. Früher,
unter der Sowjetmacht, wurde das „Zum Kotzen“
in den Küchen geflüstert. Die Flüsternden wähnten sich, den
Geist des Landes zu repräsentieren, das von ihnen allerdings kaum
Notiz nahm. Die hohe Meinung von sich selbst leiteten sie aus der
unsinnigen Verfolgung heraus, die ihnen der geistlose Staat zuteil
werden ließ. Jetzt
wurde ihnen sogar dieses Lebensrecht genommen. Der von ihnen mit
kraftlosem Gram bedachte Mann der „Dienste“ im Kreml , nüchtern
und erfahren, macht sich keine Mühe , sich mit ihnen
anzulegen. Ihr Maulaufreißen ähnelt jetzt dem eines Fisches
auf trockenem Sand. Sogar der Westen, der früher jeden Pups von ihnen
zu einem Donnerwetter aufbauschte,
schert sich jetzt
einen Dreck um sie. Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan... Die
russische Intelligenzija, der vom Gründer des Sowjetstaates Lenin
einst bescheinigt wurde,
der Rotz des Volkes zu sein, ist arbeitslos in der ach so freien
Gesellschaft geworden.
Sowohl im direkten als auch im übertragenen Sinne. Schade. Das ist
wirklich zum Kotzen. Meint Ihre
ANGEKOMMEN
Die bekannte russische Journalistin Natalia Geworkjan (siehe Bild), beschreibt das im heutigen Russland am meisten verbreitete Lebensgefühl. Es kann mit einem Wort definiert werden: Angst. Wovor? Vor Kriminellen, Terroristen, der Staatsmacht. Kurzum vor allem. Die Angst nimmt zu. Zwar haben die Russen die jahrzehntelang ersehnte Reisefreiheit, aber in der letzten Zeit ziehen sie es vor, zu Hause zu bleiben. Ach, nein. Wenn sie in Moskau, Petersburg oder einer anderen Großstadt zu Hause sind, trifft es nicht ganz zu. Wenn es so ist, dann wollen sie zwar auch weg, aber nur in ein Dorf. Möglichst in ein ganz entlegenes. In einen Krähwinkel. Wo die Mörder, Räuber, Einbrecher und Diebe nichts zu suchen haben. Terroristen schon gar nicht. Und wo die Staatsmacht sich nicht meldet. Wo es nur alte Babuschkas gibt, die von früh bis spät Tee aus einem Samowar trinken. Gesetzt den Fall, sie haben noch einen Samowar und kriegen eine Rente, die mindestens für den Tee mit Zucker (und sonst für nichts) reicht. Die Furcht lässt die Bekannten von Frau Geworkjan ihre Wohnungen in kleine Festungen verwandeln. Mit dicken Stahltüren. Die Angst hindert sie, neue Kontakte zu knüpfen und die alten aufrechtzuerhalten. Am liebsten möchten sie unter die Decke kriechen, mit dem Kopf drunter bleiben und Bon-Bons lutschen. Natalia Geworkjan meint, es ist ein vorweggenommenes Sterben. Aber ein Patentmittel dagegen weiß sie anscheinend nicht. Denn das, was sie empfiehlt, ist recht dürftig. In ein Theater zu gehen, wo eine tolle Komödie gespielt wird. Das hilft für zwei Stunden. Vor Jahren wurde Natalia Geworkjan für ihre entlarvenden Veröffentlichungen über die sowjetischen Geheimdienste bekannt. Sie geißelte die Hydra. Und stellte dem eigenen Land den freien Westen gegenüber, wo die Menschen keine Angst haben müssen, schuldlos belangt zu werden. Das tat sie mit vollem Recht. Kein Zweifel, es war furchtbar, die ewige Bedrohung seitens der Geheimpolizei zu spüren. Kein Leben für einen zivilisierten Menschen. Gott sei Dank. Diese Bedrohung ist vorbei. Aber wie aus der Glosse in der Gazeta.ru hervorgeht, nicht die ewige Angst. Im Gegenteil. Nie war sie in Russland so akut wie jetzt. Die Ängste nicht vor der Geheimpolizei, sondern vor anderen, allen möglichen, zumeist undefinierbaren, in jeder Ecke lauernden Bedrohungen. Diesbezüglich ist Russland endlich im Westen angekommen. 17.10.02
DIE RUSSEN SIND DABEI, DEM
WODKA ADE ZU SAGEN Jedenfalls schrieb eine neue,
im Ural entstandene Bewegung
diese Aufforderung auf ihre Fahnen.
Sie heißt „Das nüchterne Russland“. Ihre Devise lautet,
„Nur ein alkoholfreies Russland wird zu einem großen Russland“.
Ihre Führer geben sich sehr radikal. Unter den Spirituosen, die
Russland an der Wiedergewinnung seiner Größe hindern, führen
sie auch den russischen Joghurt, Kefir, an. So weit, so gut. Dennoch sind
die Runet- Beobachter nicht
ganz sicher, dass Russland
dem Wodka und dem Bier (der Bierkonsum übertrifft zur Zeit den
Wodkakonsum in Russland) und auch dem Kefir bald ade sagt. Sie erinnern
daran, dass der Kampf gegen den Spirituosenkonsum in Russland bereits länger
als 150 Jahre dauert. Zu den leidenschaftlichen Abstinenzlern gehörten
markante Figuren. So der weltbekannte
Lew Tolstoi, dessen Roman „Auferstehung“ und das Theaterstück
„Die Macht der Finsternis“
glühende Anklagen gegen den Wodka enthielten. Auch Michail
Gorbatschow startete seinerzeit einen Feldzug für absolute Nüchternheit.
Unlängst erklärte der Limonadenmischa allerdings, einem guten Gläschen sei er nicht mehr abgeneigt. Eine geschickte Imagepflege? Leider ist seine Rückkehr zur
Vernunft nicht mehr imstande, den von ihm zugefügten Schaden wieder gut
zu machen. Dazu gehört der finanzielle Zusammenbruch der Sowjetunion
infolge des Rückganges der Spirituosenhandeleinnahmen,
auch die Vernichtung von Weinbergen auf der Krim und im Kaukasus. Die Strafe kam prompt. Boris
Jelzin, der wie ein Fass soff, wurde sein Bezwinger im Ringen um die
Macht in Russland. Übrigens schlugen alle Mühen
der Abstinenzler fehl:
man soff in Russland immer mehr und tut es auch jetzt ausgiebig. Zum
Eldorado des freien Markts geworden, wird es von Spirituosen aus allen Ländern
der Welt überschwemmt. Darunter aus Deutschland. Außerdem wird eifrig Selbstgebrannter,
Самогон, produziert, was zahlreiche Vergiftungen zur Folge
hat. Der weiter gestiegene Alkoholkonsum wurde zu einer
wichtigen Ursache für das rapide Absinken der Lebensdauer der
Russen, insbesondere der Männer, aber auch der Frauen, die in
letzter Zeit dabei sind, den Männern den Rang im
Alkoholverbrauch abzulaufen. Die Aktivisten der Bewegung für
ein nüchternes Russland greifen Präsident
Putin an. Zwar wird verlautet, er saufe nicht, aber
er lasse sich zu oft mit einem Glas in der Hand filmen. Sollten
jedoch Putins Fernsehauftritte das einzige Hindernis auf Russlands Weg
zu neuer Größe sein, besteht gute Hoffnung darauf , dass es
wieder ganz groß wird. 8.8.02 Ist er nicht schmuck? DAS
PHÄNOMEN PUTIN... beschäftigt das matrjoschka-team immer wieder. Jetzt im Zusammenhang mit der neusten Ermittlung seiner Popularität. Diese erreichte den Höhepunkt von 75 Prozent. Warum? - fragen sich die Holzpuppen. Was hat er geleistet, um so beliebt zu sein wie kein russischer Herrscher vor ihm? Diese Frage ist umso mehr am Platze, weil die Russen mit der Lage im Lande wenig zufrieden sind. Jeder Zweite fragt sich, wann die mehrmals angekündigte Befriedung in Tschetschenien endlich eintritt? Und warum der Lebenstandart eher sinkt, als, wie versprochen, steigt, da die Preise schneller wachsen als die Löhne und Gehälter? Und wo bleiben die Ergebnisse des Feldzugs gegen Korruption und Kriminalität? Alles Missstände, die eigentlich keine hohe Meinung vom russischen Staatschef begründen sollten. Warum dann setzen drei von vier Russen auf Putin? Auf
der Suche nach einer Antwort erzählte Warum
aber nehmen sie Putin ab, er liebe sie? –fragte Und
wenn das Land nicht auf den
grünen Zweig kommt, wird es nicht ihm in die Schuhe geschoben, sondern
den anderen. Und den widrigen Umständen. Die
Russen haben eine feminine
Seele, meinte Eine
Russin kann ihr Leben mit einem Mann in den düstersten Farben malen.
Aber eine Freundin, die ihr sagt, schmeiße den raus, wird sofort und für
immer zu einer Feindin. Denn einer, von dem geglaubt wird, er liebt,
wird nicht rausgeschmissen. Sei das Leben mit ihm noch so trost- und
aussichtslos. Zum
Schluss warf Iwan Matrjoschkin, Esq.,
den Kolleginnen vor, sie behandeln ihn nicht nach der
beschriebenen feinen russischen Art.
Die Damen führten dagegen ins Feld, das Leben unter den
Bedingungen der Marktwirtschaft erfordere, nicht Liebe, sondern
den Erfolg zu honorieren, und drohten
ihn noch härter anzufassen, wenn er das Saufen nicht einstellt.
Trotzdem erhielt 13.6.02
TRAUER, BIERFREUDEN UND MAHNUNG Am 22. Juni 1941 begann mit dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion der Krieg, der am 8.5.1945 mit der bedingungslosen Kapitulation des Angreifers endete. Wie in den letzten Jahren wurde in Russland der Jahrestag als „Tag der Erinnerung und Trauer“ begangen. Mit Kranzniederlegungen und ähnlichen Veranstaltungen. xxx Zum Datum stellte das führende russische Meinungsforschungsinstitut WZIOM den Russen etwas provokative Fragen. Darunter eine danach, ob die Aufopferung von 27 Millionen Leben der Sowjetmenschen durch den Sieg geheiligt worden wäre. 76 Prozent der Befragten bejahten es. 35 Prozent meinten sogar, der oberste Kriegsherr Stalin hätte recht, als er befahl, die vor der angreifenden Wehrmacht zurückweichenden Angehörigen der Roten Armee ohne viel Federlesen an die Wand zu stellen. Allerdings halten 53 Prozent den Befehl „Keinen Schritt zurück“ für überflüssig, da der Sieg ohnehin erkämpft worden wäre. xxx Das Forscherteam von „matrjoschka-online.de“ ist der Meinung, es gäbe, trotz des in der WZIOM –Befragung sichtbar gewordenen patriotischen Stolzes der Russen, gesiegt zu haben, nicht den geringsten Grund, diese des Hasses auf Deutschland zu verdächtigen. Nach anderen Umfragen haben sie trotz der Vergangenheit die Deutschen lieber als Angehörige der Nationen, mit denen der Krieg gegen Hitler geführt worden ist: Briten, Franzosen und erst recht die Amis. xxx Das deutsche Bier steht unter ihren Prioritäten ganz oben. Am Vorabend des Tages der „Erinnerung und Trauer“ verkündete der Moskauer OB Luschkow das nächste Bierfestival in der Hauptstadt. Dem bayerischen Oktoberfest nachempfunden, soll es wieder mit Förderung des bierseligsten Bundeslandes stattfinden. Prominente Gäste aus Deutschland werden erwartet. Darunter Iwan Matrjoschkin, Esq., von der Puppentruppe, der dem Verwaltungsrat des matrjoschka- Konzerns den Antrag auf eine Spende für eine zünftige Lederhose gestellt hat. xxx Ob der bayerische Ministerpräsident auch eintrifft, steht in den Sternen: der Wahlkampf. Es wäre durchaus gerechtfertigt, diesen für die Zeit auszusetzen: die deutsche Zukunft hängt von der Pflege der guten Beziehungen zu Russland mehr ab, als davon, wer gerade in Deutschland regiert. Daran erinnert unter anderem auch der denkwürdige 22.Juni. 22.6.41 NICHT
FÜR DIE KATZ.
Im
Moskauer Norden ist der schneeweiße Lastwagen mit dem blauen Kreuz auf
der Motorhaube oft zu sehen. In
dem acht Meter langen Wagen stehen Operationstisch, Narkosegerät,
Medikamente und ärztliche Instrumente. Eine in Russland einmalige
mobile Veterinärklinik. Hier werden Hunden und Katzen gerettet. Seit
anderthalb Jahre kümmern sich die Freiwilligen von „Tess“ um
Moskaus Straßenhunde oder um die Haustiere sozial schwacher Hauptstädter,
die es sich nicht leisten können, ihre Lieblinge in einer normalen
Tierklinik behandeln zu lassen. Das Projekt wird gänzlich von der
Tierschutzorganisation „International Fund for Animal Welfare“ (IFAW)
finanziert. „Moskaus Tierheime sind absolut überfüllt und lösen
nicht das Problem der obdachlosen Hunden und Katzen“, erzählt die
Leiterin der russischen Filiale. „Deswegen haben wir den Laster
gekauft und ihn in eine mobile Veterinärklinik verwandelt.“ Leichter wird es für die Tierschützer, wenn in einem Monat das gemeinnützige Projekt endlich den Status einer Wohltätigkeitsorganisation bekommt. Dann dürfen sie auch Spenden von privaten Personen annehmen. Bislang geht dies nur über die
IFAW, die für „Tess“ im vorigen Jahr
17 000 Euro aus der deutschen Karl-Kraus-Stiftung bekommen hat. 10.8.02. Nach MDZ,ru P.S. Das tierliebende
matrjoschka-team ruft zu Spendensammlungen für die herrenlosen Hunden
und Katzen Moskaus auf. Die Forderung von Iwan Matrjoschkin, Esq., sein
Reittier in diesen Aufruf aufzunehmen (siehe den Link „In eigener
Sache“) wurde zurückgewiesen. Obwohl der Kollege behauptet, der Esel schaut so traurig drein, weil
ihm etwas gesundheitlich fehlt, er, der Besitzer also, kann aber
keine Mittel für eine eingehende tierärztliche Untersuchung
aufbringen, da er im matrjoschka- Konzern schlecht bezahlt wird.
WIE
SICH DIE (VOR) BILDER ÄNDERN... Mit
viel Pomp wurde in Sankt Petersburg ein Denkmal eingeweiht, das einem
Staatsmann gilt, der viele Jahrzehnte lang für einen schlimmen
Verbrecher gehalten worden war. Im russischen Bürgerkrieg 1918-1921 kämpfte
der zaristische Admiral Alexander Koltschak
auf der „falschen“ Seite. Er wollte die junge Sowjetmacht
stürzen. Dem Ziel kam er ziemlich nahe. Die von ihm befehligte
Freiwilligenarmee besetzte zeitlang viel mehr
russischer Erde, als der Kreml noch kontrollierte. Nur mit Anstrengung aller
Kräfte gelang es Lenin und Trotzki, dem ehrgeizigen Flottenführer,
der sich bereits zum obersten „Protektor“ Russlands ausrufen ließ,
Paroli zu bieten. Gefangengenommen in Sibirien, war er
erschossen. Alle Mühen seiner späten Verehrer, das Urteil
posthum aufzuheben, bleiben vorläufig erfolglos. Somit wurde
einem „Verräter“
ein Denkmal aufgestellt. Ein Novum in Russland.
Fast
gleichzeitig wurde die gleiche Ehre einem anderen erbitterten Kämpfer
gegen die Revolution zuteil. Pjotr Stolypin, Gouverneur des letzten
Zaren an der Wolga. Im Unterschied zu Koltschak setzte er nicht nur
auf Gewalt, sondern auch
auf Reform. Er meinte, ein freier Bauernstand könnte die Revolution
in Russland aufhalten. Er starb durch die Kugel einer Terroristin. Die
Denkmäler setzten Zeichen. Bislang manifestierte sich das
postkommunistische Russland eher in der Zerstörung alter Denkmäler
als in der Errichtung von neuen. Die ersten, die daran glauben
mussten, waren überdimensionale Abbildungen vom Genossen Stalin. Mit
Schnauzbärtchen. Und in paramilitärischer Aufmachung: hohe
Soldatenstiefel, Uniformhemd. Auch
die vielzahlreicheren bronzenen und marmornen Lenins
wurden nicht verschont.
Im Unterschied zu den obengenannten zeigten sie die abgebildete
Person in Zivil. Mit Schlips und Kragen. Und zumeist mit der berühmten
Schirmmütze. Teils aufgesetzt, teils
in der Hand. Dem
Hörensagen nach, gab es auch ein Paar Monumente, die einen Lenin
darstellten, der das vertraute
Utensil sowohl in
der Hand als auch auf dem Kopf hatte. Als hätte sich
der Gründer des Sowjetstaates in Vorahnung der kommenden
Versorgungsschwierigkeiten mit
einem Ersatz eingedeckt.
Übrigens
war Lenins Einstellung
zu Denkmälern sehr intensiv.
Als er an die Macht kam, befahl
er die Zarendenkmäler
zu sprengen. An der Stelle wurden neue Monumente errichtet. Sie galten
Revolutionären aller Völker und Zeiten. Mit dem Italiener Campanella
aus dem grauen Mittelalter angefangen. Lenin nannte es monumentale Propaganda. Da
es damals in Russland recht unkonventionell gemeißelt wurde, nahm das
Volk an, die
neuen Denkmäler bildeten den Satan und seine Helfershelfer ab.
Kaum aufgestellt, wurden manche zerstört. Allerdings die von Karl
Marx wurden akzeptiert. Sie wurden für Darstellungen des Väterchen
Frost gehalten.
Die
neuen Monumente von Sankt Petersburg und Saratow frönen keinem ausgefallenen Geschmack. Sie sind
jedermann verständlich. Der Reformer Stolypin ist in der Gesellschaft von vier Personen dargestellt. Eines
Popen, eines Bauern, eines Schmieds und eines Soldaten. Damit soll
seiner Verwurzelung in der russischen Tradition entsprochen werden. Zwar
geifern die Linken in Saratow, es fehle noch ein Henker mit
Schlinge in der Hand, da der Verewigte
meuternde Bauern oft aufhängen
ließ. Der saratowsche Gouverneur Ajazkow, selbst ein harter Mann,
nahm darauf keine Rücksicht. Es wurde gemunkelt, er rechnete mit
Billigung des Kremls. Präsident
Putin, auch ein autoritärer
Reformer, sollte für Stolypin
ein Faible haben.
Einige
Schwierigkeit gab es auch mit dem Koltschakdenkmal. Er rief einen
Widerspruch in der Marine hervor. Marineangehörige warfen dem braven
Admiral eine Verschwörung mit der Entente, dem Bündnis von England,
Frankreich und den USA, vor. Der Urheber der Idee, Flottenadmiral
Kurojedow, sollte aber wie Ajazkow
am Vorhaben eisern festgehalten haben. Auch er rechnete mit
Billigung des Kremls. Allerdings
ist das Koltschakdenkmal vorläufig recht bescheiden. Eine schlichte
Gedenktafel mit einem Basrelief. Später aber soll das Provisorium
durch ein anspruchsvolleres Monument ersetzt werden. Sowohl
die Aufstellung, als auch die Zerstörung der Monumente gehört übrigens
zum Usus der russischen Geschichte . Die erstere Tat entspricht
dem Verlangen der jeweils Regierenden nach
Verewigung ihrer Leistungen und
der Ahnensuche. Aber auch
der Bildersturm ist da
hilfreich. Er lässt die verewigungswürdigen Taten als einmalig
hervorheben.
26.4.02 DAS FEST, DAS FÜR VIELE KEINS IST, wird am 12. Juni in Russland als der Tag der Unabhängigkeit gefeiert. Vor zwölf Jahren verkündete der frisch gewählte russische Präsident Boris Jelzin an diesem Tag, dass Russland von nun an souverän sein wird. Davor war es nur eine von fünfzehn Republiken der Sowjetunion. Alle wichtigen Entscheidungen über seine Angelegenheiten wurden zwar in Moskau, im Kreml, getroffen, aber von Ämtern, die für die Union verantwortlich zeichneten, so vom Zentralkomitee der KPdSU, dem wichtigsten darunter. Nach dem 12. Juni gingen Jelzin und sein Team konsequent daran, den Unionsstrukturen die Zuständigkeit für Russland streitig zu machen. Der Trend trug maßgeblich zum Zerfall der Sowjetunion Ende 1991 bei. Die sowjetische Supermacht existierte nicht mehr, da Russland nur über die Hälfte der Bevölkerung und der Fläche der ehemaligen Sowjetunion verfügt. Deswegen findet ein beträchtlicher Teil der Russen, es gäbe keinen Grund, sich über die Unabhängigkeit ihres Landes richtig zu freuen. Von wem sind wir denn unabhängig geworden? - stellt ein kommunistischer Politiker die rhetorische Frage. - Von der Ukraine, dem slawischen Bruderstaat, wo ein großer Teil der Bevölkerung waschechte Russen ausmachen? Von den orthodoxen Georgiern, die noch vor Jahrhunderten bei den Russen Schutz vor dem Islam suchten? Die meisten Russen denken vielleicht nicht so weit, aber auch sie sehen vor allem die Nachteile des Geschehenen. Vor allem das oft schwere Los ihrer Verwandten, Freunde oder nur Stammesangehörigen, die in den anderen, unabhängig gewordenen Teilstaaten der Sowjetunion zu Bürgern zweiter Klasse degradiert sind. Nichtsdestoweniger sorgt die Regierung dafür, dass der Feiertag aufwendig begangen wird. Arbeitsfrei, mit vielen Veranstaltungen. In diesem Jahr auch, obwohl nicht ausgeschlossen wird, dass die Glatzköpfe, die erst vor kurzem die Moskauer Stadtmitte verunsichert haben, wieder massiv in Erscheinung treten. Die
russischen Meinungsforscher haben inzwischen die Einstellung der Russen
zum Tag der Unabhängigkeit ermittelt. Nur 35 Prozent der Befragten
stehen zu ihm uneingeschränkt positiv.
42 Prozent – eher negativ. Die übrigen wissen nicht, worum es
eigentlich an dem Tag geht. 12.6.02
WIE
KOMMT MAN IN RUSSLAND ZUM STUDIUM? Am sichersten indem man schmiert! Jedenfalls behaupten es mehrere Runet- Seiten. Sie bringen Infos, die sich zum Teil als Empfehlungen für ehrgeizige und vermögende Eltern der Abiturienten lesen. Der Tenor: Da die Korruption unter den Hochschullehrern von Jahr zu Jahr zunimmt, sei das Schmiergeld das sicherste Mittel, Aufnahmeprüfungen (in Russland in allen staatlichen Hochschulen üblich) zu bestehen. Geizhälse laufen die Gefahr, dass ihre Kinder von den Toren der Unis abgewiesen werden. Nach Expertenprognosen wird in diesem Sommer mindestens jeder Dritte Immatrikulierte mit Schmiergeld an die Hochschule kommen. Eine beträchtliche Steigerung im Verhältnis zu den Vorjahren. Die Eltern werden auch tiefer in die Tasche greifen müssen. Der Preis hängt davon ab, um welches Studium es geht. Wenn das durchschnittliche Schmiergeld für wenig begehrte Studienplätze ca. 5 000 USD beträgt, erreicht es für zukünftige Diplomaten 25. 000 USD. Das Ärztestudium steht preislich an zweiter Stelle: 20. 000 USD Schmiergeld im Schnitt. Insgesamt werden etwa 300. 000. 000 USD als Schmiergeld von mindestens 200. 000 Abiturienten erwartet. Abgesehen von weiteren Ausgaben, wenn das Kind sich als wenig lernfähig erweist.
Bei dem Preis wird allerdings die soziale und ethnische Herkunft berücksichtigt. Die reichen Eltern zahlen im Schnitt das Doppelte (die Gerechtigkeit triumphiert, begrüßenswert). Nichtrussen aus den anderen Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion, wenn sie in Russland studieren möchten auch. (Ethnische Diskriminierung, verurteilungswürdig). Auch die Geschlechterdiskriminierung wird festgestellt: die Studiumsstelle für Jungs kostet 30 Prozent mehr als für Mädchen (Warum?). Die Prozedur des Schmierens verläuft in sicheren Bahnen. Es gibt diskrete Mittelsmänner, die Kontakte knüpfen, das Geld in Empfang nehmen und weiterleiten. Deshalb ist es nicht einfach, Delinquenten bloßzustellen. Allerdings geben sich die Ermittler auch nicht sehr viel Mühe. Einerseits
wird die Schmiergeldlawine als Zeichen des Fortschritts gewertet.
Früher träumten die meisten Abiturienten von
Karrieren als Schutzgelderpresser, bzw. Edelhuren. Jetzt wollen sie
Diplomaten, Ärzte, Physiker u.s.w. werden. Die Gesellschaft scheint also
Leistungen zu honorieren, die mit dem Kopf und nicht mit anderen Körperteilen
erzielt werden. Die andere Seite der Medaille: Wenn bei der
Studiumszulassung nicht der Kopf, sondern das Checkbuch
entscheidet, gibt es keine richtige Auslese der Elite. Außerdem
ist anzunehmen, dass diejenigen, die sich die erste Karrierestufe erkaufen
mussten, später selbst käuflich werden. 1.7.02 DIE RUSSEN ERINNERN SICH AN GOTTES GESETZE (ZAKON BOSHIJ) 59 Prozent der Moskauer wollen Religionsunterricht in der Schule. Nur 21 Prozent sind dagegen. Nach einem drei viertel Jahrhundert der Säkularisierung unter der Sowjetmacht kein selbstverständliches Ergebnis. Sogar in Bayern wohl kaum erreichbar. Wie kam es in Russland dazu? Die
Russen sind dafür bekannt, dass sie den
Lebenssinn entdecken wollen, meint
unsere Expertin für Weltanschauungsfragen An die kommunistische Heilslehre haben die überaus meisten Russen zwar nicht geglaubt, sie sogar verspottet. Aber die Kirche blieb im Dorfe. Schließlich gibt es nach Hörensagen auch viele Christen, die an der Bibel zweifeln und die Kirchenfürsten nicht unbedingt verehren. Die Abschaffung der falschen Heilslehre hinterließ in der unergründlichen russischen Seele ein Vakuum. Zwar versuchten die Abwickler dieses auszufüllen. Mit den Werten des Abendlandes. Demokratie, freie Marktwirtschaft, Konsum. Eine Zeitlang schien es, mit Erfolg. Bald aber ließ die Begeisterung nach. Teils weil die Lebensweise, die anderswo gut funktioniert, in Russland vorwiegend ihre Kehrseite zeigt. Teils weil der Heilslehre des Abendlandes das Mystische fehlt. Das feste Versprechen des ewigen Glücks. Wie im Christentum oder auch im Kommunismus. Für weniger geben sich die Russen nicht her. Das mussten die postkommunistischen Herrscher Russlands erfahren, als sie die kommunistische durch eine nationale Idee ersetzen wollten. Das ging nicht. Die Russen sind normalerweise keine verbissenen Nationalisten. Dafür haben sie zu lange mit anderen Völkern des Reiches zusammengelebt und sich vermischt. Ihr Streben geht nicht dahin, andere zu beherrschen. Eher dahin, immer wieder „Drushba“ zu rufen. Nach dem Scheitern der mühevollen Suche nach einer „nationalen Idee“ blieb dem Kreml nur eins: das fromme Gebaren. Jelzin, Putin und ihre Höflinge erinnerten sich plötzlich daran, dass sie als kleine Kinder heimlich getauft worden seien. Die Urchristen! Das Fernsehen zeigte sie immer wieder mit dicken Kerzen in der Hand neben dem Patriarchen. Gorbi spielte dieses Spektakel nicht mit. Mit dem Ergebnis, dass das Gerücht verbreitet wurde, er wäre Jude. Und seine verstorbene Gattin Jüdin. Hinter dem Quatsch steht aber ein neuer Identitätsbegriff. Ein echter Russe geht in die Kirche. Oder wenigstens bekreuzigt sich, wenn er vorbeigeht. Sonst ist man kein echter Russe. Vor diesem Hintergrund erscheint es ganz folgerichtig, dass 59 Prozent der Moskauer für die Einführung des Religionsunterrichts in den Schulen votieren. Grüß Gott, Iwan. DAS OSTERFEST UND EINE WEHRHAFTE KIRCHE Die Orthodoxe Kirche in Russland muss sich wehren. Vor allem gegen die Expansion der anderen christlichen Kirchen. Der katholischen, da der Vatikan darauf aus ist, ihre Präsenz in Russland zu verstärken. Der protestantischen, die sich auf die Gemeinde der Russlanddeutschen stützt und der orthodoxen Kirche, die allen Reformen immer Paroli bot, besonders unangenehm ist. Außerdem wühlen in Russland unchristliche Sekten aus der ultra nationalistischen Ecke. In Sibirien sollte eine ominöse „Partei des friedlichen Willens“, geführt von einem General, tätig sein. Sie schrieb die heidnische Religion der Urslawen auf ihre Fahne und lehnt das Christentum als eine jüdische Verschwörung grundsätzlich ab (der Nazi- Apostel Rosenberg lässt grüßen). Zur Gegenwehr gezwungen, lässt sich die Russische Orthodoxe Kirche Einiges einfallen. Zum Beispiel ein Festival zum Osterfest Das erste Festival dieser Art beginnt in Moskau am Ostersonntag (in diesem Jahr fällt er in Russland auf den 5. Mai). Zu seinen Schirmherren gehören der Patriarch Alexij II. und der Moskauer OB Juri Luschkow. Die künstlerische Leitung liegt in den Händen vom Chefdirigenten des Mariinsker Opern -und Balletttheaters Sankt Petersburgs Valeri Gergiew. Auf dem Programm stehen Werke von russischen Komponisten und der Kirchenmusik, interpretiert von besten Solisten und Chören Russlands. Ein besonderes Angebot sind Konzerte der Glockenmusik vor den größten Kirchen der Hauptstadt. „Matrjochka-online“
wünscht den Russen, insbesondere den Moskauern
frohe Ostern, untermalt von herrlichen Musikklängen. "KALASCHNIKOW“
UND KALASCHNIKOW „Kalaschnikow“
in Gänsefüßchen ist ein Begriff. Weltweit. Die sowjetische
Wunderwaffe, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg konstruiert und
produziert, gilt als das beste Schiesseisen
seiner Art. Mit keinem anderen wurden so viele Menschen
umgebracht und verkrüppelt. Weltweit. Kein anderes erreichte die Stückzahl.
Es gibt kaum ein waffenproduzierendes Land, dessen Rüstungsbetriebe
Kalaschnikow nicht in ihrem Sortiment führen. Ein
Markenzeichen des Kalaschnikow- Erfolges: die Darstellung der
Wunderwaffe fand, bzw. findet sich in vierunddreißig
Staatswappen. Weniger bezeichnend, aber immerhin: ein linkes
Magazin in Deutschland, inzwischen eingegangen, hieß
„Kalaschnikow“. Vielleicht, weil das Schiesseisen als Waffe der
Befreiungskämpfe galt. Nicht wegen
der Qualität. Eher deswegen, weil sie fast umsonst aus der SU an die
Rebellen in der ganzen Welt geliefert wurde. Als
Konstrukteur der Wunderwaffe wurde ein gewisser Michail Kalaschnikow
berühmt. Weltweit, aber besonders in Russland. Mit allen denkbaren
Auszeichnungen dekoriert, verkörperte er die Erfolgsstory eines
einfachen Bauernjungen, der als Abgänger einer Grundschule und mit
dem Militärrang eines Unteroffiziers den Wettbewerb um eine neue MP-
Konstruktion gewann. Und
da platzt eine kleine Bombe im Runet. Der sowjetische Militärhistoriker
Sergei Smirnow gibt das geheime Wissen über die Entstehungsgeschichte
der „Kalaschnikow“ preis. Danach sei die vom braven Sergeanten
eingereichte Konstruktion von der Wettbewerbsjury schmählich
verworfen worden. Nicht zu gebrauchen und nicht korrekturfähig. Im
Gespräch war noch ein anderes Modell, entworfen von erfahrenen und
bekannten Konstrukteuren. Die Jury aber bestand selbst aus
Waffenkonstrukteuren. Nach den Bestimmungen des Wettbewerbs daraus
ausgeschlossen, gönnten sie den
Fachkameraden keinen Erfolg. So beschlossen sie, das von Michail
Kalaschnikow eingereichte
Modell aus eigener Kraft zu vervollkommnen. Eigentlich
nicht ganz aus eigener Kraft, da sie sich reichlich vom deutschen
Schmeisser bedienten, einer Maschinenpistole der Wehrmacht. So entstand
die unvergleichliche „Kalaschnikow“, nach dem Sergeanten benannt,
der sich innerlich von der Karriere des Waffenkonstrukteurs bereits
verabschiedet hatte, dann aber doch von
der Fortuna angelächelt wurde. Um
die Zeit war die Sowjetführung bemüht, den Russen ein Überlegenheitsgefühl,
und zwar insbesondere in technischen Dingen, einzupflanzen. Eine
staatswichtige Angelegenheit, da im Krieg Millionen Sowjetbürger in
Uniform und ohne eigene Technik mit ausländischer Technik vergleichen
konnten. Die
Story von einem lieben einfachen russischen Burschen,
der eine allen ausländischen Spielarten überlegene Waffe
konstruierte, passte gut in die Landschaft. Sie fügte sich in die
anderen eher
mythologische Geschichten über die Russen, die alles in der Welt-
von der Glühbirne bis zum Flugzeug- erfunden hätten. Mit
solchen braven Jungs wie Michail Kalaschnikow
brauchte das Vaterland vor dem US-Imperialismus nicht zu
kuschen. Obwohl er mit der Atombombe fuchtelte, die die Sowjetunion
noch nicht besaß. (nach drugoi.ru) P.S. Matrjoschka-online.de legt für die Authentizität der Story keineswegs die Hand ins Feuer. 15. 3. 02 Lieber
Lenins Geburtstag feiern, als... Der liebe Gott hat in seinem Kalender zwei Geburtstage von ganz (??) verschiedenartigen Menschen nebeneinander placiert. Von einem (Lenin), der die Menschen nach ihrer sozialen Herkunft gegeneinander ausspielte. Und dem anderen (Hitler), der diese nach ihrer ethnischen Herkunft gegeneinander ausspielte. Lenins Geburtstag verursacht dem Kreml jetzt kein Kopfweh. Er wird zumeist von den zahnlos (im übertragenen, aber auch im direkten Sinn) gewordenen Kommunisten begangen, die am Mausoleum auf dem Moskauer Roten Platz artig Kränze niederlegen. Und dann nach Hause gehen, um Tee zu trinken. Anders mit Hitlers Geburtstag. Viele Tausende Kahlköpfige im ganzen russischen Lande nehmen ihn zum Anlass, zur Jagd auf Dunkelhäutige zu blasen und gelegentlich auch Synagogen anzuzünden. Die Zahl der Opfer steigt von Jahr zu Jahr. Heuer soll es besonders bunt zugehen. Den Vorgeschmack haben Hitlers Verehrer in Russland bereits geliefert. In Moskau wurden farbige Studenten totgeprügelt, auf den Bauermärkten, wo Kaukasier und Mittelasiaten handeln, Pogrome veranstaltet. Auch weißhäutige Moskauer wägen bereits gut ab, ob sie bestimmte Gegenden zu bestimmten Tageszeiten frequentieren. Die USA- Botschaft gab Warnungen an ihre Angehörigen und andere USA- Bürger heraus. Einige afrikanische Vertretungen legten Protestnoten ein. Die russischen Behörden aber unternehmen wenig. Sie können oder wollen es nicht. Eine resolute Dame aus dem Runet (Natalja Geworkjan, den Gerüchten nach aus dem Team vom Oligarch Beresowski, kalten Krieger gegen den Kreml) , die sich darauf spezialisierte, die Untaten gewisser Dienste ins helle Licht zu rücken, meint, das sei Politik. Nach bewährter Art der zaristischen Ochrana soll der soziale Protest an die falsche Adresse umgeleitet werden. Ob es stimmt oder nicht, jedenfalls kann der Führer in der Hölle an seinem Geburtstag zufrieden grinsen. Lenin nicht. Sein Werk ist zur Mumie geworden wie der im Mausoleum aufgebahrte Körper. Von Hitlers Körper ist zwar nichts geblieben, aber sein Werk lebt. Heil! - verdammt noch mal. 14.04.02
BLAGOWESCHTSCHENSK. Die Stadt liegt am Amur im Fernen Osten Russlands, ganz dicht an der chinesischen Grenze. Der für das deutsche Auge etwas schwierige Name der Stadt heißt übersetzt die Stadt der frohen Kunde. Er wird auf die Vorkommnisse im 17. Jahrhundert zurückgeführt, als die russischen Kosaken zu dem Amur vorrückten und das Land, früher unter chinesischer Kontrolle, dem russischen Reich einverleibten. Jetzt schlagen die Chinesen zurück. Auf ihre chinesische Art und Weise. Indem sie die dünnbesiedelte Region infiltrieren. Sie kommen legal, zumeist aber illegal als Händler, Schmuggler, Handwerker und sogar Heiratswilligen. Sie nutzen die Käuflichkeiten der Behörden, das Elend der Bevölkerung und die Sehnsucht der Mädchen, unter die Haube zu kommen. Notfalls auch unter eine chinesische. Der Handel (und der Schmuggel) über die Grenze hilft den 250 000 Einwohnern, über die Runden zu kommen. Ansonsten fällt die Stadt durch nichts auf. Zwar votierten seine Wähler mehrheitlich für kommunistische Bewerber um die Pöstchen in der Verwaltung, aber im postkommunistischen Russland ist das keine große Ausnahme. Vor wenigen Tagen nun geriet die Stadt in die Schlagzeilen. Und zwar dadurch, dass hier die örtliche Abteilung der neonazistischen Partei "Die russische nationale Einheit" alle anderen politischen Gruppen zurückschlug. Obwohl- oder vielleicht auch deswegen- die Equipe sich ganz einschlägig gibt. In Uniform mit kaum abgewandelten Hakenkreuzen, Hitlergruss und entsprechender Phraseologie. Am 9.Mai, dem Tag, an dem in Russland der Sieg über Hitler gefeiert wird, legte eine Abordnung am Denkmal für die gefallenen Rotarmisten einen Kranz mit Hakenkreuz nieder. Über eine solche Revanche lacht der Führer in der Hölle! Allerdings hätte er den Slogan der braven Burschen "Russland den Russen!" wohl nicht akzeptiert. Die Erfolge der Nazinachahmer in Blagoweschtschens werden zum Teil darauf zurückgeführt, dass der reichste Unternehmer der Stadt Migulja sie großzügig fördert. Sinnfälligerweise ist Migulja Besitzer der größten Bierbrauerei der Region. Die Wiedererstehung der Hitlerei ausgerechnet in Blagoweschtschensk. In der Stadt, deren Name der Führer sicher nicht aussprechen konnte. Und die etwa 15.000 Werst von der ehemaligen "Hauptstadt der Bewegung" liegt. Da wundert sich die Holzpuppe. Und weiß nicht, ob sie lachen oder weinen soll. 8.11.00 SHIRINOWSKI SCHOß WIEDER DEN VOGEL AB Der Chef der russischen Freien Demokraten (mit der zahmen FDP wenig gemeinsam) reichte in der Duma eine Gesetzesvorlage ein, wonach den Russen die Vielweiberei ermöglicht werden soll. Allerdings soll die Zahl der Ehefrauen auf vier begrenzt werden und der Ehemann muss einen Ärztebefund über seine Zeugungsfähigkeit vorlegen. Der Zweck der Vielweibereizulassung bestünde darin, der Gefahr des weiteren Absinkens des Anteils der ethnischen Russen in der Russischen Föderation vorzubeugen. Denn die muslimischen Völkerschaften Russlands (etwa 20 Prozent der Bevölkerung) produzieren dank der nach dem Koran zulässigen Vielweiberei viel mehr Kinder als die monogamen Russen. Gazeta.ru. 30. 9.2000 Anm.v.M.: Als überzeugte Frauenrechtlerin verurteilt die Holzpuppe die Gesetzesinitiative des russischen Enfant terrible, der mit seiner von Kennerinnen stark angezweifelten Lendenstärke prahlt. Liebe Matrjoschka, der Gesetzentwurf des Herrn Schirinowski (siehe den folgenden Bericht.-M.) ist genial, aber sollte ergänzt werden. So durch die schlagartige Erhöhung der Löhne der russischen Ehemänner. Manch eine Frau kann einen Ehemann arm machen (weiß dies aus Erfahrung), erst recht drei. Dann darf gegen die Geschlechtergleichheit nicht verstoßen werden Wie wäre es mit Vielmännerei für Frauen? Drei Gatten - Haupt -Lieblings -u. Nebengatte? Ja, manche russischen Politiker kommen schon auf skurrile Gedanken. Sogar in der Zeit, wo die Vernunft mehr denn je gefragt wird. M.-Freund
BILDER AUS DEM VOLKSLEBEN AUS PERM ( Anm v. m.: Perm- eine Industriestadt westlich des Urals). 1.An der Bushaltestelle. Eine Riesenschlange. Ein stattlicher Herr im exquisiten bodenlangen Ledermantel sticht aus der Menge einfacher Leute ab. Der überfüllte Bus kommt. Mit aller Gewalt quetschen sich noch ein paar Menschen hinein. Als Letzter versucht ein schlottriger Obdachloser in zerschlissener Wetterjacke, sich in die gepresste Volksmasse hineinzuwinden. Der Fahrer lässt die Tür offen und wartet, bis der arme Schlucker es schafft oder auf den Bürgersteig fällt. Da packt der stattliche Herr im Ledermantel, der seine teure Zigarre zu Ende geraucht hat, plötzlich den Obdachlosen am Kragen und schleudert ihn einige Meter weit von der Bustür, schiebt mit der Kraft seines gewaltigen Körpers die Passagiere enger zusammen und stellt sich in die freigeräumte Lücke. Die Tür schlägt zu. Der arme Schlucker winselt vor Schmerz, flucht, was das Zeug hält. Dann sieht er, dass ein großes Stück vom teuren Ledermantel des stattlichen Herrn aus der zugeschlagenen Bustür heraushängt. Rasch kramt er sein Taschenmesser hervor und zerschneidet sichtlich begeistert den Mantel des Beleidigers. Er schneidet ziemlich lange und produktiv, denn der Bus steht immer noch, weil der Fahrer diese gerechte Volksrache im Rückspiegel genüsslich beobachtet und Zeit lässt, sie zu Ende zu führen... 2. Auf dem Bauernmarkt. Eine in teurem Pelz gehüllte Dame sucht an Verkaufstischen sorgfältig Obst aus. Ein Jeep fährt vor. Heraus springt ein ortsbekannter Dieb in Trainingshosen. Selbstvergessen knackt er Sonnenblumenkerne zwischen den Zähnen. Die Schalen spritzen nach allen Seiten wie Scheiße von Vögelchen am Himmel. Der Dieb drängelt sich zum Stand, wo die feine Dame einkauft. Eine Schale landet auf den Pelz. Die Dame nimmt mit ihrem Spitzentuch die Schale, als wäre es eine Kakerlake oder eine Wanze und wirft sie in den Müllcontainer. Mit dem Tuch zusammen, versteht sich. Der Dieb reagiert sofort. Mit dem rechten Fuß versetzt er der Dame einen Stoß, nicht stark, aber theatralisch Dann zieht den rechten Sportschuh aus und schmeißt ihn in denselben Müllcontainer. Auf einem Bein hüpft zum Jeep, springt rein und schleudert auch den linken Schuh aus dem Fenster. (Wladimir Tutschkow. Vesti. ru. 16.12.2000)
3. Armut und Reichtum in Russland WAS
IST EIN OLIGARCH IN RUSSLAND ?
Eigentlich ist er ein Gauner, der es fertig gebracht hat, während der Abschaffung der pseudosozialistischen Wirtschaft der Sowjetunion ein Stück davon unter die Nägel zu reißen. Wenn er geschickt genug war, hat er jetzt einige Milliarden Dollar in Russland und auf den Konten in Luxemburg, Lichtenstein etc. Eine russische Webseite brachte eine Beschreibung des Lebensstils eines echten russischen Oligarchen. Die Oligarchen werden jetzt auch Alligatoren genannt. Weil sie viel Ähnlichkeit mit diesen haben. Keiner mag sie. Meistens sind sie hässlich und dick. Die Alligatoren sind die Oligarchen der Seen, die Oligarchen sind die Alligatoren der Wirtschaft. Äußerlich besteht der Oligarch aus Statussymbolen, wobei das Auto das wichtigste ist. Welche Marke ist toller? An erster Stelle stehen Mercedes S-Klasse, BMW 700, Audi A 8. Reicht die einfache S-Klasse nicht aus, kauft er sich eine gepanzerte, ist die zu wenig, muss es die „Pullman“ -Version sein. Der Audi A 8 muss unbedingt W12 6.0 Lang sein. Das ist die schnellste Limousine auf dem Markt. In den letzten Tagen nun erfuhren die echten Oligarchen, dass sie von Tag zu Tag auf den Moskauer Strassen immer weniger angeben können. Eine Bombe tauchte auf. Anders kann man diesen Wagen nicht nennen. Ein neuer Mercedes mit alter Bezeichnung. Er sieht aus wie eine Bombe, von ihm spricht man wie von einer Bombe, er fährt wie eine Bombe – der neue Maybach. In den Moskauer Autosalons sind in wenigen Tagen des offiziellen Verkaufs rund ein Dutzend Maybachs geordert worden. Wahrscheinlich so viel, haben noch die jugoslawischen Brüder aus dem Interpol – Europa rübergeschafft, noch ein paar Stück andere illegale Dealer verkauft. Das höchste Statussymbol – Maybach muss als Ergänzung einen Porsche Cayenne Turbo haben. Für die Leibwächter. Der Maybach hat Blaulicht auf dem Dach. Dieses Licht funktioniert mit Gas, der neuste Schrei der Technik – und hat dreimal größere Signalfrequenz als üblich. Der weiße Porsche Cayenne mit dem blauen Milizstreifen hat auf dem Dach einen richtigen Lüster mit Blaulichtern. Im Wagen Scharfschützen in Tarnuniformen. Ragt aus dem Fenster bedrohlich ein Knüppel, wissen alle, jetzt fährt ein Oligarch. Nur manchmal muss auch ein Oligarch aussteigen. Worauf achten dann die Leute? Auf den Anzug. Welchen sucht er sich aus? Am besten eignen sich Brioni, Kiton, Zilli und Zegna. Und worauf kommt es noch an? Auf die Uhrenmarke. Ideal ist Skeleton – alle sollen den komplizierten Mechanismus der Handarbeit durch Glas des Rückendeckels sehen können. Plötzlich klingelt das Telefon. Jetzt holt der Oligarch sein Handy aus der Tasche, das sich natürlich von anderen unterschieden muss. Am besten eignet sich dafür de Grisogono, der das neuste Modell von Ericsson mit Brillanten besetzte. Sehr wichtig ist auch die Tussi, die er bei sich hat. Tussi das ist auch ein Statussymbol – wenn es sich um ein bekanntes junges Fotomodell handelt. Spielt keine Rolle, wenn sie blöd ist. Seltsam, aber die meisten Oligarchen strotzen ungeachtet ihres Reichtums auch nicht gerade vor Intelligenz. Und was die Tussi trägt, ist das Wichtigste. Da dürfen nicht fehlen Sachen von Voyage, D&G, Chanel, Gucci usw. Ein teures Kollier von Graff oder Bulgari. Die Uhr sollte möglichst von Alain Silberstain sein. Alles hier Beschriebene kann man, wenn man sich Mühe gibt, für 500.000 Dollar haben. Dann brauchen Sie noch 1.500.000 Dollar für ein Haus an der Rubljowo-Uspensker Chaussee. Dann kann man sogar am Kauf einer Wohnung sparen. 200.000 Dollar im Jahr gehen für Sicherheitsmaßnahmen drauf. 500.000 Dollar kostet das Büro. 3.000.000 Dollar jährlich sollten für Taschengeld und Repräsentation kalkuliert werden. Dumm wird er Oligarch angeschaut, der das ganze Jahr über immer mit derselben Tussi auftaucht. Wenn Sie also aussehen wollen wie ein Oligarch, brauchen Sie in etwa so viel. Gut machen sich Kontakte zur Medienwelt, auch Aktien von Metall- oder Erdölfirmen, zuverlässige Banken, und vor allem ein sicheres Dach für alle möglichen Konkurrenten und prüfenden Instanzen. Werden Sie ein Oligarch in Russland, lieber Leser. 9.6.03
ÜBERLEGUNGEN
EINES RUSSISCHEN AUTORS, DIE ZU
PFINGSTEN PASSEN. Erstaunliche
Veränderungen erlebt die russische Sprache. Worte wie
Ehrlichkeit, Anständigkeit, Gerechtigkeit, Großmut oder Gnade
sind verschwunden.
„Ehrlicher
Politiker“, „Anständiger Beamter“, „Gerechter Richter“,
„Ehrenhafter Offizier“. Heute klingen diese Wortbildungen
ebenso seltsam wie „Milder Henker“. Zum
Teil ist das ein Erbe der Sowjetzeit.
Sie hatte nichts im Sinn
mit Milde und Gnade. Sie wusste, in einer gnädigen Gesellschaft
gibt es für sie kein Überleben.
In
den sowjetischen Wörterbüchern und Nachschlagewerken wurden
diese Wörter nicht erklärt, denn die Begriffe hatten keinen
Platz in der Realität. Im
russischen Volk aber lebte immer der Traum von Mildtätigkeit und
Gnade. In
Russland war es immer schon so: Wenn ein Polizist versuchte, einen
krakeelenden Besoffenen auf der Straße zur Räson zu bringen,
sammelte sich schnell eine Menge Mitleidender für den
Randalierer. Weil
viele Russen meinten, Gnade
geht vor Recht. Sehr weit vor, da sie die Sitten bessert.
Recht ohne
Gnade wird zum Unrecht. Und verdirbt die Sitten. Die
Sowjetmacht trieb ihren Untertanen die Mentalität
aus. Einmal stellte ich meinem Mädchen die provokante
Frage: „Wenn ich zum Trinker werde, herunterkomme, krieg ich
dann ein paar Rubelchen von Dir für einen Schluck gegen Kater?“
Sie überlegte ein Weilchen und antwortete mit nein. Aber ich
werde alles tun, dich von der Alkoholsucht zu heilen, fügte sie
hinzu. Das enttäuschte mich. Ich hätte eine andere Antwort
erwartet. Kurz
nach Beginn der Perestroika zeigte das Fernsehen die erste
Fernsehbrücke mit dem Westen. Die Teilnehmer wurden aufgefordert,
ihre Vorbilder aufzuzählen. Die Russen nannten Lenin und andere
gnadenlose Kämpfer für
das Wohl des Volkes. Die jungen Leute im Westen nannten Jesus
Christus, Martin Luther King und Albert Schweitzer.
Die
neuen Marktverhältnisse haben in Russland viel verändert, die
Sucht nach Gnade und Hingabe aber nicht ganz ausgerottet. Am
Morgen nach einer Explosion in Moskau, als dringend Blut für
Transfusionen gebraucht wurde, stand vor dem Krankenhaus, in das
die Verletzten eingeliefert wurden, eine lange Schlange von
Menschen, die zum Blutspenden kamen. Da gar nicht alle angenommen
werden konnten, rief jemand aus dem Fenster, sie sollen in ein
anderes Krankenhaus fahren, das mehr Kapazitäten zur Blutabnahme
hat. Die meisten fuhren mit der Metro. Wer mit dem Auto gekommen
war, nahm andere mit. Teure Mercedes oder Audi gab es darunter
nicht. Und
trotzdem, welche Vorbilder haben
unsere Kinder jetzt, wo alles vom Markt beherrscht wird? Anfang
der neunziger Jahre wollten die Jungs Killer, die Mädchen
Dollarnutten werden. Jetzt scheint sich das ein wenig zum Besseren
zu verändern. Jetzt will man nicht mehr Killer sein, sondern
Geschäfte machen. Nicht mehr Nutte, sondern Fotomodell werden.
Und Arzt oder Lehrer?
Will niemand werden. Wer setzt sich schon freiwillig dem Sterben
vor Hunger und Kälte aus? Die
Marktwirtschaft in Russland ist alles andere als von Gnade
gezeichnet. Sie will mehr Fotomodelle und nicht Lehrerinnen. Der
Sowjetstaat erklärte die Moral immer zur Grundlage unserer
Existenz. Das war natürlich Heuchelei. Der jetzige
marktwirtschaftliche Staat ist zynisch. Er kommt ohne Heuchelei
aus. Er hält es nicht einmal für nötig, so zu tun als ob.
Das
kriminelle Russland schafft es nie
gnädig zu sein. Jede Reform, jede Ankündigung von Veränderungen
zum Besseren kehren sich bei uns genau ins Gegenteil. Wir wollten
eine unabhängige Gerichtsbarkeit und haben nun ein korrumpiertes
Gerichtssystem. Allerdings hängt es nicht vom Staat, sondern von
den Kriminellen ab. Wir wollten wirtschaftliche Freiheit, aber ein
ehrlicher Geschäftmann ist zum Bankrott verurteilt. Nur die haben
Erfolg, die sich die Gesetzeshüter kaufen und auf die Gesetze
pfeifen. Städte
und Dörfer im Winter ohne Heizung, baufällige Schulen – das
sind die unausbleiblichen Folgen. Die für die Verbesserung der
Zustände verteilten Mittel werden gestohlen. So wie die Gelder für
die Restaurierung Petersburgs zum Jubiläum oder für die Behebung von Überschwemmungsschäden. Nun könnte
man Geld für die Verhinderung des Klauens zur Verfügung stellen,
aber auch das hätte keinen Sinn, es verschwände auch in
irgendeiner Tasche. Zu
wie viel Gnade eine Gesellschaft bereit ist, erkennt man an ihrer
Einstellung zu den Schwächsten und Schutzlosesten. Doch wie kann
davon die Rede sein bei der ihnen feindlich gesinnten russischen
Marktwirtschaft. Diese hat nichts übrig für Arme und Hilflose.
Sie bekommen keine Wärme,
kein Licht, weil sie dafür nicht zahlen können, Sie stören,
sind eine Last, so jedenfalls denken die Erfolgreichen. Eine
solche Gesellschaft geht unter. Gibt es wirklich keine Hoffnung
mehr? Doch es gibt sie. Sie kommt eben von den Menschen, die zum Blutspenden Schlange stehen. Und solche gibt es noch viele in Russland. Vielleicht liegt die Zukunft Russlands nicht in der Hand der Geschäftemacher , sondern derer, die bereit sind, dem Nächsten ihr Blut zu geben? Zu Pfingsten darf man wohl noch davon wenigstens träumen. Anm.
v.
7.
6.03
TRAGÖDIE
IM DORF PARSCHOWO Vorwort
des matrjoschka-teams. In
den riesigen Weiten
Russland gibt es seit jeher Dörfer, die von den Segnungen der
Zivilisation kaum etwas mitkriegen. Die nächste Eisenbahn liegt
Hunderte Kilometer weit. Die Strassen sind
die meiste Zeit unpassierbar und meterhoch mit Unkraut bewachsen.
Die Telefonleitungen hängen, wenn es sie gibt, durch und
funktionieren kaum. Strom fehlt. Kurzum, Mittelalter. Keine Regierung konnte damit fertig werden. Da in diesen Dörfern meistens nur wenige alte Menschen wohnen, die sich aus dem Wald und Gemüsegarten versorgen, heißt es, die Investitionen in die Infrastruktur würden sich hier nicht lohnen. Und die Einwohner selbst wollen um keinen Preis weg, da sie hoffen, hier überleben zu können, und vor dem Wechsel bangen. In
der Sowjetzeit wurde versprochen, die
amtlich als aussichtslos eingestuften Dörfer
zusammenzulegen. Von „sozialistischen Agrostädten“ hat man
sogar gefaselt, wo Bauern in Hochhäusern leben sollten. Eine
Seifenblase. Wie
es jetzt in manchen „aussichtslosen Dörfern“ zugeht, lässt ein
Bericht von Gazeta.ru über eine Tragödie
ahnen, den wir bringen, nicht zuletzt, um vielen Menschen in
Deutschland, die den Russen
helfen oder helfen wollen, Orientierungshilfe anzubieten. Es ist wohl nicht ganz
überflüssig, weil sich die Hilfeleistungen
zumeist auf große Städte, wenn nicht auf die Metropole
fokussieren. Und wenn die
barmherzigen Samariter hinkommen und die Juweliergeschäfte sehen, wo
Dämchen der „neuen Russen“ sich „Kleinigkeiten“ für
mehrere Tausende Dollar
kaufen, fragen sie sich, wer wem helfen soll.
Also... Es
passierte in der Nacht vom 5. zum 6. Januar in dem halb verlassen Dorf
Parschowo mit 14 Einwohnern. Die Bahnstation liegt weit, die Autostraße
ist zehn Kilometer entfernt. Einmal in der Woche kommt das Brotauto.
Wenn es denn kommt. Manchmal lässt sich auch der Postbote blicken. Er
war der erste, der von dem Vorfall erfuhr, als er durch das Fenster
eines der Häuser schaute. Auf dem Fußboden sah er Tote und Blut. In drei Häusern lagen Getötete. Insgesamt sechs Leichen. In einem Haus die siebenundfünfzigjährige Besitzerin, ihr neunundsiebzigjähriger Verwandter und ein fünfundfünfzigjähriger Gast. Im zweiten Haus zwei alte Leute. In dritten Haus die vierzigjährige Eigentümerin. Jedes Opfer trug zahlreiche Verletzungen, die mit Messer und Axt zugefügt wurden. Die Sachen waren durchwühlt. Offensichtlich suchte der Mörder nach den am Tag davor ausgezahlten Renten. Mitgenommen hatte er auch Brot, das einzig Essbare. Außer Zwiebeln und Kartoffeln kommt hier nichts auf den Tisch. Tatverdächtig ist ein wegen Schlägerei und schwerer Körperverletzung mehrmals vorbestrafter Vierzigjähriger aus Parschowo. Er ist unverheiratet. Zu viel Zeit im Knast, um eine Familie gründen zu können. Er lebte bei seiner Mutter. Nach dem Verbrechen verschwand er, obwohl er niemanden hat, bei dem er unterkommen könnte. Auf die Frage, ob er zur Tatzeit betrunken gewesen sein könnte, kam die Antwort, nach Auszahlung der Rente sind im Dorf alle besoffen. 9.1.03 EINE STATISTISCHE FUßNOTE
So
bezeichnet ein neurotischer Intellektueller, der sich auf der Site Gazeta.ru breit
macht, seine soziale Schicht in Russland. Die viel beschworene
Mittelklasse. Er
meint, diese sei in Russland marginal. Untypisch schon deswegen, weil
ihre Vertreter von früh
bis spät arbeiten,
anstatt saufen, von Wundern träumen und
politisieren.
Die
Domänen der Mittelklasse – Moskau,
Petersburg, einige wenige
andere Großstädte-
seien nicht das wahre Russland. Das wahre Russland
seien Slums, schmuddelige
Herbergen, Gaststätten, wo Essen und
Getränke lebensgefährlich sind, unpassierbare Landesstrassen,
Eisenbahnzüge, voll von Unrat. Das wahre Russland sei seit 1991(als
die expressartige, schocktherapeutische Einführung der
„Marktwirtschaft“ die
noch funktionierenden Überbleibsel der Sowjetmacht
in Chaos und Elend ersäufte), kaum vorangekommen. Das
wahre Russland seien dämliche und korrupte Gouverneure, denen
kein Schweinestall anzuvertrauen ist. Es sei ein Land, wo
Frauen und Kinder grausam misshandelt werden, wo Tripper nicht kuriert
wird. Wo man mit fünfzig an Magenblutung stirbt und Schwangerschaft
nicht verhütet, da Abtreibungen
als einfachere Lösung gelten. Ein Land, wo man nach einem
Toilettenbesuch die Hände nicht wäscht und morgens die Zähne nicht
putzt. Und
dann wendet sich der
Arrogante an
seinesgleichen, die, wie er schreibt, ihre Einkünfte in Dollar zählen
und eine PC-Maus
bedienen können.
Die
überaus meisten Russen trinken aber Essig. Wie je und eh. Und machen
sich besoffen, damit sie nicht kotzen, wenn sie mit ihren Mädchen
vögeln. Die
Mittelklasse, die anders lebt, sei
nichts anderes als eine statistische Fußnote in diesem Land.
Eine verschwindende Minorität. Sie ist
vom Privatfernsehen eines Milliardärs erfunden, der dem Westen
was vormachen will. Und von jenen im Westen, die vormachen,
„Marktwirtschaft“ und „Demokratie“ hätten Russland
verändert. Anmerkung
von Iwan Matrjoschkin, Esq.: Schmutzfink! Nestbeschmutzer! Warte
mal... 20.10.02
4.WORÜBER DIE MOSKAUER SPRECHENMOSKAU
WURDE ZUR METROPOLE DER KRIMINELLEN, schreibt
KP.ru Die
Kriminalchronik der letzten Woche beweist, Moskau wird zum Mittelpunkt
spektakulärer, eindeutig politisch motivierter Morde. Die Moskauer
erleben eine „Killerparade“. Der schaurige Eindruck entsteht, die
gekauften Mörder gehen frank und frei am Kreml spazieren und nehmen die Büros
großer Firmen, bekannter Parteien und Kulturzentren aufs Korn und legen
planmäßig die Chefs um.
An
die Wortverbindung „bestellter Mord“ haben sich alle längst gewöhnt.
Doch kommt in Moskau offenbar ein qualitativ neues Phänomen auf, das sich
von den banalen Auseinandersetzungen zwischen Geschäftsleuten, wie sie
Anfang und Mitte der neunziger Jahre üblich waren, unterscheiden. Noch
vor kurzem gab es zwischen Moskau und Sankt Petersburg eine
stillschweigende Rollenverteilung. In der ersten Hauptstadt wurde
Realpolitik gemacht, in der zweiten politische Rechnungen beglichen –
mit Schüssen und Explosionen. Jetzt hat man den Eindruck, als hätte man
an den Zug von Sankt Petersburg nach Moskau, wo die Putin nahe Elite in
der ersten Klasse sitzt, heimlich noch einen Wagen angehängt, in dem die
Mafiosi mit großer Suite in die Hauptstadt einreisen.
So
kommt es zum Zusammenspiel der offiziellen Politik
und der kriminellen Aktivitäten. Die legalen Beschlüsse, Erklärungen
und Veranstaltungen werden ergänzt mit
Aktionen, die außerhalb der Gesetze stehen. Der
Begriff „Serienmord“, der bislang nur
Sexualverbrechen betraf, hat nun
eine neue, grausige Dimension angenommen. Mit
Sexualverbrechern kann man noch fertig werden. Doch wie kriegt man
diejenigen, die die Führung eines strategisch wichtigen Militärkonzerns
niederstrecken? Hinter diesen stehen meistens zu mächtige Kräfte.
Deshalb laufen die Ermittlungen ins Leere.
Die
Geographie der Auftragsmorde erweitert sich stetig, bezieht immer neue Sphären
in die kriminelle Zone ein.
Wurden Verbrecherkriege früher wegen Erdöl und Metall geführt, dann
geht es jetzt um Ausfuhrlizenzen für Waffen. Es
ist Neuaufteilung des
Eigentums und der Macht. Diejenigen, die sich bei der Aneignung des
„sozialistischen“ Eigentums übergangen fühlen, fordern Kompensation.
Das läuft synchron mit Erklärungen gekaufter Politiker, die eine
Neuordnung der Privatisierung von Staatsbetrieben vorschlagen. Vorerst
allerdings nicht in den Wirtschaftszweigen, wo die Killerpatronen schon längst
das Tüpfelchen auf I gesetzt haben, sondern in den Bereichen, die noch
nicht von der kriminellen
Revolution erfasst sind. Vor
einigen Tagen verkündete eine Gruppe mächtiger Geschäftsleute die Gründung
einer Stiftung, die die Ermittlungen der Morde an Geschäftsleuten
finanzieren soll. Das nennt man Selbstschutz. Ein schwacher Trost,
besonders für diejenigen, die in Moskau
leben und arbeiten müssen. PS.
Unser Allroundexperte
Iwan Matrjoschkin, Esq. schreibt dazu: Etwa
85 Jahre lebt Russland unter der Devise „Eigentum ist Diebesgut“. Dem
Schlagwort angemessen, wurden 1917 alle ausgerottet oder vertrieben, die die Unvorsichtigkeit begangen,
Wertvolles anzuhäufen. Ihr Eigentum heimste der neue Staat ein.
Allerdings gelang es ihm nicht, das so entstandene sozialistische Eigentum
gegen die Begehrlichkeit seiner Funktionäre zu schützen. Im trauten Bund mit gewöhnlichen Kriminellen schufen sie in der Sowjetunion
die zweite, die Schattenwirtschaft. Als in den achtziger Jahren die Perestroika von Gorbi eingeläutet wurde, waren
die Täter logischerweise die Erfolgreichsten. Sie rissen sich das Meiste
unter die Nägel. Und sie zierten sich übrigens nicht, als es darum ging,
die Konkurrenz auszuschalten. Jetzt
kommt anscheinend die neue Umverteilung. Da viel inzwischen tief
verinnerlicht haben, dass Eigentum
Diebesgut ist, wäre es verwunderlich, ginge die Umverteilung unblutig vor
sich. Das Geraubte wird mit Krallen und Zähnen verteidigt, aber jene, die
daran wollen, sind auch
keine Benediktiner. Die
wirklich Benachteiligten, die wahren Betrogenen,
Bestohlenen und Erniedrigten sind aber nur Zaungäste beim Kampf
der Milliardäre und jener, die es von heute auf morgen werden möchten.
Diese Zaungäste können und wollen keine Killer bezahlen. Sie sind
sanft und jeder
Begehrlichkeit bar. Wenn ein richtiger Russe seinen Durst stillen und
seine Liebste umarmen kann, ist er eben zufrieden. Auch
ich, Iwan Matrjoschkin, Esq., der ich , trotz der giftigen Gerüchte
meiner Neider, ein echter Russe bin, begehre nicht viel. Wenn die verdammten weiblichen Holzpuppen in
meine devot ausgestreckte Hand ein paar Euro legen, damit ich in der
Kneipe „Sonnenschein“, zu Berlin, Prenzlauer Berg,
meinen deutschen Stammtischbrüdern
eine Runde spendieren kann, bin ich schon wunschlos glücklich. Aber hiermit warne ich die geizigen Weiber, verweigern sie mir das bisschen Geld, bestelle auch ich einen Killer. Aus Moskau. Bin ich denn dümmer , als die Oligarchen ? 11.6.03 ENDLICH HAT EUROPA EINEN PLATZ IN MOSKAU. Buchstäblich. Denn fast in der Stadtmitte wurde feierlich ein neuer Platz eingeweiht, der Europaplatz heißt. Die Einweihung verlief nach allen Regeln der Kunst. Mit Regierungsvertretern und hochrangigen EU-Diplomaten. Der Moskauer OB Juri Luschkow hielt eine feurige Rede. Er teilte dem Publikum mit, der neue Platz symbolisiere die endgültige Placierung Russlands in Europa. Es ist wohl auch so, weil der Platz mit einer originellen Plastik eines belgischen Künstlers geschmückt ist, die den mythischen Raub Europas darstellt. Böse Zungen munkelten in diesem Zusammenhang von einer anderen Initiative des rührigen OB. Kurz von der Einweihung des Europa- Platzes trat er nämlich dafür ein, ein berühmtes Denkmal, das im Zuge der Wende der neunziger Jahre von seinem angestammten Platz vor dem Lubjanka- Komplex des sowjetischen Geheimdienstes KGB entfernt wurde, wieder hinzubefördern. Die Opposition läuft Sturm, aber der OB bleibt eisern, wie der in Bronze gegossene Felix Dzershinski dem Vernehmen nach war, als es galt, die Feinde der Sowjetmacht auszurotten. Will der OB Lushkow nach Europa mit dem KGB im Gepäck? - fragen die Spötter. 16.9.02 POGROM AM ROTEN PLATZ IN MOSKAU100 Verletzte, ein Toter. Die Bilanz der Krawalle in Moskau am Sonntag. Veranstaltet von den Fans der Fußballweltmeisterschaft, aufgebracht durch das Spiel Russland- Japan. Außerdem wurden ca. 20 Autos umgekippt, bzw. in Brand gesteckt. Ein Japaner oder ähnlich aussehender ging man ein Risiko ein. Fünf Studenten aus dem Land der aufgehenden Sonne wurden misshandelt. Mehrer Suschi- Gaststätten demoliert. Die Besucher mussten auch daran glauben. Vor dem KGB- Gebäude versuchte ein Siebzehnjähriger, sich das Leben zu nehmen. Und da sagt man noch, Russland sei kein Europa! 9.6.02. Lenta.ru LEBENSLÄNGLICH In
Moskau fanden zwei bemerkenswerte Gerichtsprozesse
statt. Auf der Anklagebank saßen russische Spione. Eigentlich
saßen sie nicht, da sie der entsprechenden Vorladung des
Gerichts vorsichtigerweise nicht folgten. Des Verrats angeklagt,
halten sie sich im Ausland auf. Einer in England, der andere in den USA. Dieser
andere heißt Oleg Kalugin. In der sowjetischen Spionagehierarchie stand
er als General ganz oben. Entsprechend
bedeutsam waren seine, wie das Gericht befand, verräterischen
Mitteilungen an den amerikanischen Rivalen des früheren,
russischen Arbeitgebers. Darunter waren Auskünfte, die zur Verhaftung und harter Verurteilung von sowjetischen Agenten unter den USA- Geheimdienstlern führten. Kein
schöner Verrat also. Hat doch der
Mann die in den USA mit seiner Beihilfe Eingelochten
mitangeworben. Erstaunlich
ist nicht seine Verurteilung in Moskau, sondern etwas ganz anderes.
Bis dato durfte Kalugin seinen Generalstitel
führen und seine hohe Generalsrente aus Russland beziehen. Früher
wäre er den Titel und die Rente sofort
los gewesen. Abgesehen von anderen Unannehmlichkeiten, die ihm vermutlich auch
ohne ordentliche Verurteilung nicht erspart geblieben wären. Die Geheimdienste
pflegten bekanntlich mit Verrätern nicht unbedingt in einem
Gerichtsverfahren abzurechnen. Allerdings
fiel das Gerichtsurteil auch nicht ganz mild aus. 15 Jahre verschärftes
Arbeitslager ist kein Vergnügen (die Höchststrafe wäre zwanzig). Kalugin bleibt aber in Freiheit, da er, trotz neuer Freundschaft zwischen Russland und den USA, nicht die Gefahr läuft, ausgeliefert zu werden. Wäre noch schöner: die Zusammenarbeit schließt sicherlich die Gegeneinanderarbeit nicht aus. Die riesigen Apparate müssen sich nicht unbedingt ausschließlich der Suche nach bin Laden widmen. Was würden sie zu tun haben, wenn der bärtige Alte mit den traurigen Augen endlich gefasst wird? So aber haben sie in jedem Fall viel anderes zu tun. Дружба дружбой, а табачок врозь. Freundschaft in Ehren, aber jeder raucht seine Pfeife. Sagen die Russen.* Was die Gerechtigkeit angeht, bleibt den über Kalugins Verrat empörten Landsleuten nur, sich damit zu trösten, dass er ohne Generalspension auf seinen neuen Beruf angewiesen ist. Den eines Reiseführers in Washington. Hier zeigt er Touristen Stätten seines früheren, gewiss besser dotierten Wirkens. Lebenslänglich in einem Bus, schreibt hämisch gazeta. Ru Wenn das kein Trost ist... * Das Sprichwort soll nicht wortwörtlich verstanden werden. Schlauchen ist unter den Russen eine gute Sitte. Im Unterschied zu den geizigen Deutschen. (Anm. von Iwan Matrjoschkin, Esq.) 27.6.02
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